Die Finnin Erja Lyytinen, als Kind in den 1980ern mit klassischer Geigenausbildung ins musikalische Leben gestartet, gehört ohne Zweifel zu den aufregendsten Slide-Gitarristinnen Europas. Ihre flinken Finger huschen scheinbar wie selbstverständlich übers Griffbrett, ihr Ton ist geschmackvoll, ihr blues-rockiges Songwriting abwechslungsreich. Zudem verfügt die 45-Jährige über eine starke Gesangsstimme und eine auffallend freundliche Ausstrahlung, die in Konzerten regelmäßig zum „Eisbrecher“ wird. Das alles zusammen hat sie zu einem gefragten Live-Act reifen lassen, mit mittlerweile weit mehr als einem Dutzend Alben in der Hinterhand, aus denen sie problemlos ein ganzes Arsenal an guten Songs auswählen kann.
Wir haben Lyytinen bei einem Konzert im Bremer Club KITO getroffen und uns mit ihr über die Transformation von einer Violinistin zur Gitarristin, aber auch über ihr aktuelles Equipment und ihre – Achtung, kein Scherz! – neueste Tee-Kreation unterhalten.
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INTERVIEW
Erja, du hast als Kind mit Geige angefangen und bist dann als Jugendliche zur E-Gitarre gewechselt. Konntest du von deinen bereits vorhandenen musikalischen Fähigkeiten und deinem Wissen etwas auf die Gitarre übertragen?
Ich spielte bereits als Zehnjährige in einem Orchester Geige und ging auch regelmäßig zum Theorieunterricht. Das half mir natürlich enorm. Es handelte sich zwar um klassische Musik, war aber dennoch eine gute Schule. Zumal ich bald verstand, dass man sehr viel üben muss, wenn man an seinem Instrument wirklich gut werden will. Mit 14 fing ich an, Gitarre zu spielen, weil ich keine Lust mehr auf die Klassik hatte. Als angehender Teenager wollte ich rocken! (lacht) Auf der Highschool erhielt ich dann zusätzlich Unterricht in Jazz-Theorie, was mir natürlich sehr nützte.
Die Gitarre war also Liebe auf den zweiten Blick, sozusagen.
Die Gitarre war perfekt für mich, denn ich wollte unbedingt auch singen und mich mit der Gitarre selbst begleiten. Und ich wollte Soli spielen.
Deine Eltern sind beide Musiker, nicht wahr?
Das stimmt, deshalb gab es bei uns zuhause pausenlos Musik. Meine Mum liebt die Bands der frühen Siebziger, also Deep Purple, Led Zeppelin, Black Sabbath, deshalb waren deren Songs für mich allgegenwärtig.
Was sind aus deiner Sicht die signifikantesten Unterschiede zwischen Geige und Gitarre?
Zunächst ist es ein völlig anderes Spielgefühl. Und natürlich war in meinem Fall auch die Musik eine komplett andere. Ich hatte Geige zwar auch in der Tanzband meiner Eltern gespielt – meine Mutter spielt Bass und mein Dad Gitarre, in unserem Wohnzimmer standen immer Instrumente, vornehmlich Höfner-Bässe und -Gitarren, mitunter sogar eine PA – und durfte mir, wenn ich wollte, den Bass oder die Gitarre schnappen.
War es für dich schwierig, von Geige zu Gitarre zu wechseln?
Überhaupt nicht! Es war sogar kinderleicht. Es fühlte sich wie die natürlichste Sache der Welt an. Schon nach wenigen Tagen mit der Gitarre hatte ich die ersten eigenen Songs komponiert. Ich entdeckte in mir sofort die Lust an der Kreativität. Für mich war die Gitarre das coolste Instrument der Welt, wohlgemerkt: E-Gitarren, nicht Akustikgitarren.
(Bild: Matthias Mineur)
Und war von Beginn an die Strat-Form mit Singlecoils deine erste Wahl? Keine Les Pauls oder Hollowbodys mit Humbucker?
Na ja, zu Anfang war es natürlich die Höfner meines Vaters, diese dicke Hollowbody-Gitarre. Mein Vater besaß auch eine Washburn, also eine echte Heavy-Gitarre, so konnte ich mit beiden spielen. Eines Tages sagte mein Vater: „Erja, es wird Zeit, dass du eine eigene Gitarre bekommst.“ Er nahm mich mit zu einem Musikgeschäft und ich durfte unterschiedliche Modelle antesten. Ich wusste nicht allzu viel über Gitarren, aber am besten gefiel mir eine Aria Pro 2, das Les-Paul-Modell.
Also Humbucker!
Richtig. Nach etwa zwei Jahren wechselte ich dann allerdings zu einer Stratocaster und damit zu Singlecoils. Die Stratocaster wurde meine Hauptgitarrenform, allerdings habe ich zuhause beispielsweise auch eine Gibson Country Gentleman und eine Custom Made Les Paul eines finnischen Gitarrenbauers. Aber mir gefallen Singlecoils besser, und falls ich mal einen richtig fetten, verzerrten Solo-Sound brauche, dann schalte ich ein entsprechendes Effektpedal dazwischen.
Bild: Matthias Mineur
Tokai Springy Sound, Baujahr 1982, Open-C-Tuning
Bild: Matthias Mineur
G&L Asat Z3 Semi-Hollow, Baujahr 2003
Bild: Matthias Mineur
Fender Custom Shop Stratocaster in Blue Sparkle
Bild: Matthias Mineur
Fender CS Eric Johnson Stratocaster, Baujahr 2010
Bild: Matthias Mineur
Fender CS Stratocaster, G-Tuning
Ab wann kam bei dir das Slide-Spielen hinzu?
Ich studierte am Konservatorium in meiner Heimatstadt Kuopio, etwa 400 Kilometer von Helsinki entfernt. Eines Tages entdeckte ich in einem der Klassenräume einen gläsernen Bottleneck. Ich wusste so ungefähr, was man damit macht, und entschied nach ein paar Tagen, als der Bottleneck immer noch dort lag, es einmal selbst zu versuchen. Damals hatte ich einen Gitarrenlehrer, der zwar selbst nicht Slide-Gitarre spielte, aber mir Noten für Slide-Übungen besorgte. Er gab mir ein paar Tipps, wie und welche Saiten man abdämpft usw. Alles andere brachte ich mir selbst bei. Für mich öffnete sich eine völlig neue Welt. Und da ich keinen speziellen Slide-Lehrer hatte, gab es für mich auch keine Regeln, an die ich mich halten musste. Was bei meinen regulären Gitarrenstunden natürlich völlig anders war, denn dort gab es jede Menge Regeln, die es zu beachten galt. Bei Slide zählten dagegen nur der Sound, die Emotionen und das Spielgefühl. Die einzige Jury war mein eigenes Gehör. Und genau das fasziniert mich bis heute.
Deine Zusammenarbeit mit Sonny Landreth muss für dich wie eine Offenbarung gewesen sein, oder?
Oh ja, absolut. Sonny habe ich zum ersten Mal auf einem Festival in der Schweiz getroffen. Außerdem hat er vor drei Jahren auf meinem Album ‚Another World‘ gespielt: zwei Slide-Spieler gleichzeitig und übereinander, einfach wundervoll! Man musste die beiden Slide-Gitarren natürlich exakt aufeinander abstimmen, sonst hätte es total chaotisch geklungen.
Kann man deinen Slide-Stil mit dem von Landreth vergleichen?
Ja und nein. Natürlich gibt es zwischen Slide-Gitarristen immer auch ein paar Ähnlichkeiten, der Ton, das Feeling. Aber Sonny hat bekanntlich eine einzigartige Spieltechnik.
Er verwendet eine Kombination aus Slide- und Grifftechnik, mit dem Bottleneck am kleinen Finger und Akkorden und Einzeltönen, die er mit den übrigen Fingern hinter dem Bottleneck greift.
Exakt. Seine Spielweise ist ganz ungewöhnlich! So etwas kann man natürlich nur sehr schwer wirklich gut nachahmen.
Welche Tunings haben deine Gitarren?
Ohne Bottleneck nehme ich Standard-Tunings, mit Bottleneck verwende ich entweder Open-D-, Open-G- oder Open-C-Tunings. Dadurch ändern sich Sound und Spielweisen. Bei Open-D ist es von unten nach oben D-A-D-Fis-A-D, der Grundton ist also ganz unten, während in Open-G, also D-G-D-G-B-D, der Grundton auf der zweituntersten Saite ist. Deshalb spielt man mit der linken Hand unterschiedliche Akkorde. Ich setze häufig auch einen Kapodaster ein, greife daher auf dem Hals an unterschiedlichen Positionen und verändere so die Tonart ein weiteres Mal. Ein sehr spannendes Unterfangen, weil man ständig neue Sounds und Stimmungen entdeckt. Ich finde, dass Open-Tunings sehr viel spannender sind als das Standard-Tuning.
Sind bei deinen eigenen Songs immer die Riffs und Licks zuerst da, oder hast du eine konkrete Gesangsmelodie im Kopf, wenn du komponierst.
Kommt darauf an. Manchmal habe ich eine Gesangsmelodie oder eine Textzeile im Kopf, und entwickle den Song von da an weiter. Oder mir kommen zuerst ein Riff oder eine Akkordfolge in den Sinn. Manchmal komponiere ich auch auf dem Klavier, und dann sind die Ergebnisse noch einmal völlig anders. Der Song ‚Break My Heart Gently‘ ist sogar auf einer Akustikgitarre entstanden. Sehr ungewöhnlich für mich.
Arrangierst du deine Ideen bis ins kleinste Detail, bevor du sie deiner Band vorstellst?
Manchmal habe ich nur eine vage Idee und gehe damit in den Proberaum, um mit meiner Band zu jammen und die Idee weiterzuentwickeln. Aber mitunter setze ich mich mit meiner Idee auch an Pro Tools, spiele und singe, nehme Geige und Keyboards auf. Das ist dann ja eine Art Vorproduktion. Zurzeit arbeiten wir an einer Reihe neuer Songs fürs kommende Album, das dann hoffentlich im Sommer 2022 veröffentlicht werden wird. Wenn diese Tour vorüber ist, fahre ich zurück nach Kuopio und kümmere mich um die weitere Vorproduktion. Ein Teil der Songs ist bereits fertig. Das Material klingt sehr cool, meine Band und ich sind total begeistert.
Liebst du den kreativen Teil deines Jobs mehr als die Konzerte?
Nein, Konzerte sind nicht zu toppen. Ich bin gerne kreativ und ich weiß, dass kreative Arbeit und das Live-Spielen zusammengehören, aber die Shows sind für mich das Größte.
Du hast ein sehr interessant zusammengestelltes Pedal-Board. Ist das das Ergebnis jahrelanger Erfahrungen oder eher Ausdruck deines derzeitigen Geschmacks?
Als ich mit dem Gitarrespielen anfing, hatte ich natürlich noch kaum Pedale. Wie du sehen kannst, besitze ich heute zwei getrennt voneinander funktionierende Boards. Mittlerweile stehe ich total auf Gitarreneffekte, vor allem auf Modulation-Pedals, von denen ich mehrere besitze. Natürlich brauche ich auch verschiedene Distortion-Pedale, ein Fuzz-Pedal, und seit einigen Jahren auch ein Whammy-Pedal. Speziell mit dem Whammy kann man die interessantesten Dinge machen. Man kann die Töne pitchen, oder auch so drollige Klänge kreieren wie in dem C-Part meines Songs ‚Another World‘, bei dem ich mit dem Whammy einen tollen, ungewöhnlichen Sound erzeuge. Solche Möglichkeiten faszinieren mich sehr. Ich liebe auch das Superego von Electro Harmonix, mit dem ich lange, große Delays erzeugen kann, über die ich dann soliere. Das Superego ist jedoch kein Looper, es erzeugt nur eine Klanglandschaft, über die man toll improvisieren kann.
Bild: Matthias Mineur
Erjas Pedalboard Nr. 1 mit Lehle Little Dual-Switcher, Electro Harmonix Freeze & Superego, TC Electronic Ditto Looper & Corona Chorus, Suhr Jack Rabbit, Keeley Dyno My Roto und TC Electronic Flashback
Bild: Matthias Mineur
Das Pedalboard Nr. 2 mit Wampler Fuzztration, TC Electronic Polytune, Shure Wireless System, Digitech Whammy, Mad Professor Little Green Wonder, Xotic SL Drive und Fulltone Clyde Wah
Verwendest du denn mitunter einen Looper?
Ja, das kommt schon mal vor, aber natürlich nicht, wenn ich mit der Band spiele. Das wäre etwas merkwürdig. Ich habe auch den Freeze von Electro Harmonix, mit dem sich eine Art Pink-Floyd-Stimmung erzeugen lässt.
Wofür nutzt du den Lehle-Switcher?
Mitunter habe ich auf Tournee zwei Amps dabei, und dann kann ich mit dem Lehle zwischen den beiden Combos hin- und herschalten. Wenn ich zu Gigs fliege und nicht genau weiß, welche Backline vor Ort gestellt wird und ob eventuell zwei Amps vorhanden sind, dann ist der Switcher sehr hilfreich.
Du spielst auch auf kleinen Bühne mit Sender. Weshalb?
Ich habe das Shure-Wireless-System schon seit vielen Jahren, denn ich liebe es, mit der Gitarre ins Publikum zu gehen. Es ist jeden Abend einer der Höhepunkte, wenn ich die Bühne verlasse und im Publikum direkt vor den Leuten spiele. Ich möchte an einem solchen Abend möglichst viel Spaß haben, und das Spielen im Publikum gehört dazu. Abgesehen davon: High Heels und herumliegende Kabel sind eine gefährliche Kombination. (lacht)
Liefert ein Kabel nicht den deutlich besseren Klang?
Ein wenig vielleicht, aber wenn man ein gutes System hat wie dieses von Shure, dann sind die Unterschiede zum Kabel wirklich nur marginal.
Dein aktueller Combo ist ein Fender Super Reverb.
Richtig, es ist ein 1968er, ich habe ihn seit etwa zehn Jahren. Er ist unglaublich laut, weshalb ich die Plexiglas-Wände davorstelle, damit sich unser Tonmischer nicht beschwert.
Und hast du ihn auch auf großen Bühnen an der Seite stehen, so wie es heute der Fall ist?
Fürs Publikum ist die seitliche Position natürlich besser, als von den Speakern direkt angestrahlt zu werden.
Außerdem kannst du den Combo zusätzlich als Monitorbox nutzen.
Das ist nicht nötig, denn wir spielen über In-Ear. Unser Bühnenaufbau ist immer so, wie es für den PA-Sound am besten ist.
Spielst du bei Albumproduktionen die Effekte gleich mit ein, oder werden sie anschließend beim Mix hinzugefügt?
Ich bin diesbezüglich altmodisch und mag es, dass exakt das aufgenommen wird, was ich spiele. Denn der Sound hat Auswirkungen darauf, wie man etwas spielt. Wenn du ein Solo gleich mit langem Delay aufnimmst, spielst du anders, als wenn das Signal trocken aufgenommen wird. Ich habe mich mit dem berühmten Produzenten Chris Kimsey, der auf meinem Album ‚Stolen Hearts‘ den Gesang produziert hat, lange darüber unterhalten. Chris ist der Meinung, dass Gitarristen ihre Parts immer mit den entsprechenden Effekten einspielen sollten, anstatt sie anschließend hinzuzufügen. Bei meinen neuen Songs habe ich die Rhythmusgitarren mit einem Amp über ein Two Notes Torpedo in Pro Tools gespielt, ohne Reverb-Pedal. In diesem Fall werden wir erst beim Mixing entscheiden, was wir hinzufügen. Aber bei den Soli spiele ich natürlich mit vollem Sound und allen Effekten.
Letzte Frage: Meine Frau Michaela möchte unbedingt wissen, wie du auf die Idee gekommen bist, eine eigene Tee-Kollektion zu kreieren?
Den Wunsch hatte ich schon seit Jahren im Hinterkopf, denn ich bin eine Tee-Enthusiastin! Ich liebe Tee. Nein, falsch: Ich liebe guten Tee! Als wir wegen Corona zur Untätigkeit verdammt waren, nutzte ich die Zeit, um eine eigene Teesorte ins Leben zu rufen. Es handelt sich um eine Zusammenarbeit mit Demmers Teehaus. Die erste Sorte heißt ‚The Blues Queen‘, ein Earl Grey mit ein wenig Vanille, finnischen Kaluna-Flowers und rauchigem Geschmack, perfekt also für eine Blues-Musikerin, oder? Die zweite Sorte heißt ‚Cherry Overdrive‘, so wie mein Song vom letzten Album, die dritte nennt sich ‚Wild Flower‘, wie mein erstes Soloalbum.