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Parts Lounge: Let’s get fuzzy

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Die Tonebender-Familie

Wir schreiben das Jahr 1973. Meine erste E-Gitarre steht neben meinem Transistor-Verstärker, aber irgendwie will’s noch nicht so richtig rocken. Der Amp ist bis zum Anschlag clean, hat einen Frequenzgang wie ein HiFi-Verstärker, und die Gitarre ist mit Flatwound-„Billy Lorento“-Saiten, Stärke 12 auf 54 bespannt. Damals hatte ich noch keine Ahnung, wie Jimmy Page und Jeff Beck das mit dem Distortion-Sound hinbekommen, bis mir ein Freund einen Bausatz von Radio-RIM/ München bestellte und zusammenbaute …

Regler hatte der noch keine, sondern nur einen On/Off-Schalter. Das kleine, weiße Knöpfchen in der Mitte des selbstgebauten Sperrholz-Kästchens funktionierte eher wie ein Taster. Man musste mit dem Fuß darauf stehenbleiben, um den Effekt zu hören. Nach einer Probe war die Batterie leer, aber ich war buchstäblich im Tone-Heaven. Endlich Fuzz-Sound! Ich besorgte mir im ortsansässigen Musikladen noch Fender-Rock’n’Roll-Saiten in den Stärken 008 auf 038, und schon konnte es losgehen. Mein Fuzz-Tone klang eher nach einer Trompete, aber immerhin hatte ich einen „Effekt“.

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Nur acht Jahre davor veröffentlichten die Rolling Stones ihren Mega-Hit ‚Satisfaction‘, auf dem Keith Richards mit einer Maestro-Fuzzbox zu hören ist. Dieser Sound schrieb Geschichte. Da die Stones in den USA aufnahmen, hatte Richards den neuen Effekt dort irgendwo im Studio-Umfeld aufgetrieben. Die jungen, aufstrebenden Brit-Rocker zuhause in London wollten genau diesen Sound, wussten aber nicht, wo man diesen Effekt kaufen kann.

Also machte sich ein junger Techniker namens Gary Hurst in irgendeiner Service-Werkstatt in Londons legendärer Denmark-Street daran, die Fuzzbox zu kopieren, wobei er gleich noch ein paar Verbesserungen hinzufügte. Wahrscheinlich geschah das auf Drängen von Jimmy Page und/oder Jeff Beck. So genau wissen die beiden das selber nicht mehr. Auch Gary Hurst musste noch improvisieren und brachte die ersten Exemplare in einem selbstgeschusterten Holzgehäuse unter.

Page und Beck verwendeten ihre Prototypen sofort im Studio und lösten damit einen wahren Boom aus. Hurst kam mit dem Löten nicht mehr nach, denn sofort wollten die Beatles, Pete Townshend, Ritchie Blackmore und David Gilmour auch solche Wunderkisten. Ende 1965 bekam Jimmy Page – damals als Studio-Gitarrist noch eher unerfahren, denn er konnte keine Noten lesen – vor allem Jobs, weil er einen der ersten Tonebender-Pedale besaß. So nannte Hurst sein Produkt, denn es sollte für reichlich Sustain sorgen, also den Tone beliebig in die Länge ziehen.

Tonebender MK 1.5

Schon bald folgte eine MK1.5-Version im berühmten Hammerschlag-Gehäuse und schließlich kurz danach die MKII-Version mit mehr Wärme und Bässen. Dieses Pedal wurde auf unzähligen Aufnahmen eingesetzt. Jeff Beck bei den Yardbirds, Steve Winwood by ‚Keep On Running‘, Jimmy Page auf ‚Whole Lotta Love‘ und schließlich Marc Bolan auf etlichen T.Rex-Hits und Mick Ronson während der ‚Spiders On Mars‘-Phase bei David Bowie. In den frühen Siebzigern kamen erste Pedale mit so genanntem Dioden-Clipping und natürlich Amps mit Master-Volume und reichlich Gain in den Vorstufen. Die rauschenden und batteriefressenden Tonebender verschwanden langsam wieder von der Bildfläche, obwohl man Jeff Beck noch bis zu seinen Fusion-Hit-Alben ‚Blow By Blow‘ und ‚Wired‘ damit hören konnte. Und wer weiß, wie lange Jimi Hendrix seine fast baugleichen Dallas/Arbiter-Tretminen noch benutzt hätte.

Nach der Glitterrock-Ära verschwanden die Fuzz-Pedale fast vollständig von der Bildfläche. Anfang der Neunziger folgte der Grunge-Sound, angeführt von Bands wie Nirvana, die den Fuzz-Sound wiederentdeckten. Seither werden die Pedale in allen möglichen Versionen von unzähligen Herstellern angeboten. Auf berühmten Aufnahmen hört man sie jedoch nur noch selten, jedenfalls nicht bewusst.

Die British Pedal Company, wie damals schon im Herzen Londons ansässig, hat es sich zur Aufgabe gemacht, all diese legendären Pedale wieder so originalgetreu wie möglich aufleben zu lassen – Hammerschlag-Gehäuse inklusive. Dazu gehören nicht nur die genannten Tonebender-Pedale, sondern auch Treble-Booster, die legendäre Zonk Machine oder auch mordernere Pedale mit entsprechenden Overdrive-Schaltungen.

Tonebender MKI

Unsere vier Probanden klingen sehr ähnlich, ein typischer Fuzz-Sound eben. Das goldene MKI-Pedal mit zwei 2G-381-Transistoren und einem OC75-Transistor erinnert tatsächlich an frühe Yardbirds-Sounds und natürlich an Mick Ronsons berühmte Riffs und Soli bei David Bowie. Vielleicht konnte niemand mit diesem Pedal so gut umgehen wie er. Zusammen mit seinem Wah-Pedal schuf er unvergleichliche Gitarren-Klänge. Die MK1.5-Version hatte nur zwei OC75-Transistoren und klingt wärmer und etwas cleaner als der Vorgänger. Dieses Pedal wurde nur ganz kurz gebaut. Vielleicht kam es nicht so gut an.

Tonebender MKII

Der Nachfolger MKII ist in zwei Versionen erhältlich. Einmal mit drei OC75- und einmal mit drei OC81D-Transistoren. Letzteres wurde zur Legende auf Led Zeppelins ‚Whole Lotta Love‘ und Pete Townshends berühmten ‚Live At Leeds‘– Auftritt. Es klingt ein bisschen wärmer und voller als der OC75- Vorgänger und lässt sich auch etwas feinfühliger einstellen. Es stehen ja nur zwei Regler zur Verfügung: Level und Attack, was den Grad der Übersteuerung regelt. Die Regler haben keinen Nullpunkt, so dass z.B. Jeff Beck oft beide Regler voll aufdrehte, um die maximale Dynamik aus seinen Marshalls herauszuholen. So eingestellt klingt das MKII tatsächlich ein bisschen wie die Endstufenverzerrung eines Marshalls. Schöne Abstufungen des Effekts erhält man auch mit Hilfe des Volume-Potis an der Gitarre. Wer beispielsweise dem Whole-Lotta-Love-Riff nacheifern möchte, sollte die Gitarre nicht ganz aufdrehen.

Das MKII von innen

Nachteil ist nach wie vor die Verträglichkeit mit anderen Effekten auf dem Pedalboard. Das klappt leider nur manchmal bis nie! Die Fuzzboxes verändern in diesem Umfeld stark ihren Charakter mit eher dünnen und recht harschen Ergebnissen. Daher lässt Philip Sayce seine Fuzzbox über einen Extra-Loop laufen, ohne dass die anderen Effekte in der Klangkette auftauchen. So funktioniert es tadellos. In Kombination mit einem Wah-Pedal entstehen jedoch unglaublich interessante Sound-Möglichkeiten.

Außerdem haben diese Pedale keinen Stromanschluss. Man ist also auf die gute, alte 9-Volt-Batterie angewiesen, die hier tatsächliche ein Carbon-Typ sein sollte.

Dazu vielleicht noch alte Spiralkabel. Nur so klingt es authentisch. Leider ist die Lebensdauer nicht allzu üppig. Es empfiehlt sich, die Batterie nach jedem Gig zu tauschen. Schon ein leichter Verlust der Batterie-Leistung sorgt für Klangverluste, die sich wie ein kaputtes Noise-Gate anhören. Der Ton wird matt und bricht schnell ab. Aber das ist halt der Preis, wenn man die guten, alten Klänge wieder aufleben lassen möchte. In dieser Hinsicht sind die „orginalen“ Pedale wohl unschlagbar. Mein persönlicher Liebling war das goldene MKI, weil ich seit jeher ein glühender Verehrer von Mick Ronson bin, und dieses Pedal wirklich an viele seiner Riff-Sounds sehr nah herankommt.

Für den Live-Einsatz für Puristen zu empfehlen und im Studio, egal ob zuhause oder im Profi-Ambiente ein unbedingtes Muss. In irgendeinem Song ist es vielleicht das Salz in der Suppe, auf jeden Fall ist es einzigartig.


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2024)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Super Story! Mick Ronson (R.I.P.) ist auch für mich bis heute einer der genialsten Gitarristen geblieben. Auf seiner damaligen Solo-LP „Play don‘t worry“ setze er sehr unterschiedliche Effekte ein,-darunter natürlich auch ein Tone Bender Pedal,das man u.a. sehr deutlich bei dem Songtitel „Billy Porter“ heraushört,(ein anfänglich durchaus sehr fröhlich-melodischer Song,dessen Texte dann jedoch extrem düster und sehr unheimlich klingen!) Im Outro des Liedes heulen die Sirenen,und es folgt ohne Unterbrechung sogleich der nächste Songtitel. So etwas konnte nur Mick Ronson genial inszenieren! Und wer es noch nicht weiß: Mick Ronson war nicht nur ein begnadeter Gitarrist und Sänger,sondern auch ein Multiinstrumentalist,-er spielte beispielsweise alle Instrumente auf dem besagten „Play don‘t worry“ LP-Tonträger selbst ein!

    Danke nochmals für den exzellenten Tone-Bender Bericht!

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  2. Eine kleine Berichtigung,der gemeinte Songtitel mit dem Sirenen-Geheul am Ende von Mick Ronson heißt natürlich „Billy Porter“ und ist auf seiner damaligen Langspielplatte drauf.Sorry,hatte mich doch glatt beim Songtitel geirrt.

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  3. Die ,, Gear-Romantiker ,, mögen an diesen Pedalen ihren Gefallen finden.
    Ich jedenfalls bin mehr als dankbar, dass diese Zeiten ein für alle mal vorbei sind.

    Damals gab es keine Alternativen. Es gab die Transistor-Technologie in den überschaubaren Boden-Tretern oder die Röhren-Technologie der Amps beide ergänzt durch diskrete Elektronik-Bauteile.

    Das Sound-Ergebnis war für damalige Zeiten in Ordnung, mangels Alternativen.
    Es geht hier um einem Zeitraum der zwischen den Ausgehenden 1960ziger bis Ende der 1980ziger Jahre lag.

    Die Verklärung dieser Zeit ist meiner Zeit-Zeugen-Ansicht völlig daneben.
    Hätten wir damals diese gigantische Vielzahl an Soundveränderungen auch nur Ansatzweis zur Verfügung gehabt würde es aktuell so manchem Nostalgie-Guru die Ohren und Augen verdrehen ( Nichts für Ungut Herr Pipper !)

    Der Damalige Minimalismus war schlicht und einfach dem Umstand geschuldet, dass der Fortschritt noch nicht in der Realität vorhanden war !

    Man hatte das Equipment das damals Standard war und war damit zufrieden.

    Nostalgie in allen Ehren, aber man sollt den Boden der aktuellen Realität bzgl. Sound-Equipment nicht verlassen.
    Es war noch nie so einfach und effektiv gute Musik zu schaffen, sofern einem die Handwerkliche Begabung gegeben ist.
    Das war in früheren Zeiten wie aktuell das elementarste um gute Musik, geniale Sounds zu schaffen.
    In diesem Sinne
    Beste Grüße
    Orange

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    1. Hallo „Orange“,da stimme ich dir zu. Damals steckte bezüglich der Effekte noch alles in den so genannten Kinderschuhen,alles mußte noch kompliziert mit einfachsten Dingen improvisiert werden. Später kamen u.a. dann der heute kultige Marshall Guv‘nor,und das Dunlop Cry Baby Wah-Wah-Pedal mit der „roten Faselspule“ auf den Markt. Jimi Hendrix ganz ohne seine Effekte hätte vermutlich nicht diesen weltweiten Erfolg verbuchen können. Wer weiß das schon? Es gab aber auch sehr viele Musiker,die nicht auf diesen späteren unüberschaubaren Effekte-Zirkus Zug aufsprangen,und trotzdem,oder gerade deshalb extrem gut,bzw. ganz speziell klangen.

      Dies hatte jedoch auch faktisch den Vorteil,daß die Töne noch natürlich klangen,also ohne jede Effekte. Also,echte handgemachte Musik.

      Es ist sehr richtig,die besten Töne auf der Gitarre entstehen auch zukünftig mit den Fingern,Effektpedale und alle heute verfügbaren Geräte sorgen für die spezielle Würze,die so manchen Song zu einem Ohrwurm machen.

      Ich empfinde es aber als sehr beachtlich,was z.B. der bis heute unvergessene Rory Gallagher mit seinen Fingern auf seiner Fender Strat hervorbringen konnte.Er bleibt für mich einer der ungewöhnlichsten Gitarristen,der heute so oft kopiert wurde,jedoch niemand jemals so locker und genial spielen wird,wie das irische Original Rory Gallagher! Traurig,daß er leider schon so früh von uns ging.
      Er bleibt unvergessen!

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    2. Hi Orange,
      ich glaube, der Begriff “Gear-Romantiker” trifft es ganz gut. Ich vergleiche das gern mit Oldtimer-Fans. Alte Cadillacs sind einfach mal geil, aber eine Diskussion über Verbrauch, Zuverlässigkeit und Umwelt/Nachhaltigkeit ist hier völlig lächerlich…
      Ist eben was für Liebhaber. Der Working Musician von heute hat natürlich da einen viel besseren Start.
      Es gibt ja auch Musiker und Biker die lieber basteln und “optimieren” als zu spielen/fahren. Oder einfach nur sammeln..
      jeder wie er mag Ich fachsimple gern über solche Sachen. Schönes Wochenende R.

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