Obwohl wir die Entwicklung der E-Gitarre, vor allem aber ihre kommerzielle Popularisierung fraglos den Amerikanern zusprechen müssen, so ist doch die deutsche Beteiligung zumindest an der Fortschreibung charakteristischer Designs nicht zu unterschätzen.
So nahm etwa Roger Rossmeisl, Sohn des bekannten Archtop-Bauers und Pioniers der elektrischen Tonabnahme Wenzel Rossmeisl, wesentlichen Einfluß auf den amerikanischen Gitarrenbau.
Vorgeschichte: der 1902 in Kiel geborene Wenzel Rossmeisl hatte nach einem Umzug ins Egerland sein Handwerk beim Schönbacher Zupfinstrumentenbauer Fritz Hirsch gelernt. Später schickte er seinen Sohn Roger (*1927) zur Ausbildung in das berühmte Zentrum des Streich- und Zupfinstrumentenbaus nach Mittenwald. Direkt nach dem Krieg begannen Vater und Sohn gemeinsam in Berlin zu arbeiten. Ausgehend von amerikanischen Archtop-Designs entwickelten sie eigene Ideen der Konstruktion, aber auch schon der Elektrifizierung mithilfe von Spulen und Magneten aus Beständen der deutschen Wehrmacht. Coco Schumann, eine Berliner Legende und Jazz-Gitarrist der ersten Stunde, spielte die wohl erste elektrifizierte Archtop in Deutschland.
Bereits 1947 stellte man Produkte auf der Messe in Leipzig aus. Neue Baudetails, wie das von Gibson entwickelte Cutaway, wurden schnell in den Optionskatalog übernommen und mit ihren unter dem Namen Roger vertriebenen Instrumenten hatten die Rossmeisls beachlichen Erfolg. Wenzel kehrte Berlin allerdings schon bald wieder den Rücken. Ihn zog es zurück nach Markneukirchen, wo er eine Werkstatt eröffnete. Roger führte den Betrieb in Berlin allein weiter, profitierte aber weiterhin von den konstruktiven Ideen seines Vaters. Der hatte im Vogtland eine markante Bearbeitung der Deckenränder gesehen und eigenständig weiterentwickelt. Ein Zuschnitt, der fortan zu einem Markenzeichen der Roger-Gitarren werden sollte und später in Amerika als das gitarrenbauerische Merkmal ‚German Carve‘ Berühmtheit erlangte.
Auf sich allein gestellt häufte der zu Alkohol- und Spielsucht neigende Roger schnell hohe Schulden an, die bald zum Konkurs der Firma führten. Zerstritten mit seinem Vater suchte er sich durch Flucht dem Dilemma zu entziehen. 1953 wanderte Rossmeisl Junior nach Amerika aus.
THE AMERICAN DREAM
Kein Geringerer als Gibson-Chef Ted McCarty hatte Roger das Ticket für die Überfahrt bezahlt. Beeindruckt vom jungen Deutschen, der ihm seinen Meisterbrief geschickt hatte, stellte er ihn als Gitarren-Designer ein. Die von Rossmeisl in Kalamazoo entwickelte Jazz-Gitarre passte aber nicht recht ins Gibson-Programm und so verließ er die Firma bald schon wieder.
Ab Anfang 1954 arbeitete Roger dann für die Rickenbacker Company. Unter seiner maßgeblichen Beteiligung entwickelte man dort eine vollkommen neue Reihe von E-Gitarren, die zum Teil dann auch den spezifischen German Carve aufwies. In den folgenden acht Jahren, der kreativen Hochphase seiner aktiven Zeit als Gitarrenbauer, erwarb sich Rossmeisl, wie zuvor schon sein Vater, den Ruf als genialer Gitarren-Konstrukteur.
Inwischen war Quereinsteiger Leo Fender mit seinen Brettgitarren zu einer Größe im Gitarrengeschäft geworden. 1962 trat Roger Rossmeisl bei Fender ein, denn Leo wollte zu diesem Zeitpunkt sein Programm um akustische und semiakustische Gitarren erweitern.
Roger entwarf zunächst die akustischen Modelle King und Concert, kurz darauf bereits eine semiakustische Serie mit Namen Coronado, die z.T. mit exotisch eingefärbten ‚Wildwood‘-Hölzern aufwartete. Es war Rossmeisls Idee, die Stämme im Wuchs mit Farbpigmenten zu spritzen. 1969 erschienen mit der Montego und der LTD im Fender- Katalog sogar erstmals Full-Body-Gitarren.
Im selben Jahr wurde dann auch die Telecaster Thinline vorgestellt, ebenfalls ein von Rossmeisl grundlegend überarbeitetes Design, das ab 1972 zwar mit der bei Spielern nicht eben beliebten neuen Dreipunkt-Halsbefestigung auftrat, vor allem aber mit den von Seth Lover für Fender entworfenen Wide Range Humbucking Pickups ein beachtliches Update erfuhr.
Bemerkungen zu den hier dargestellten Modellversionen: Das Fender Thinline-Modell liegt mit gut 46 mm Korpustiefe nur wenig über dem durchschnittlichen Telecaster-Niveau. Die Hollowbody-Konstruktion und nicht zuletzt die großen Tonabnehmer verhelfen ihm aber, verglichen mit einer soliden Tele, zu einem deutlich anderen Klang mit mehr Tiefgang und Volumen.
Die schwarze Thinline Tele von 1972 hat den fetteren Hals der hübschen Fender-Schwestern − kein Knüppel, aber man hat schon was in der Hand. Ihr elektrischer Sound ist grundsätzlich dunkler, ja auch wohl etwas schmutziger, rotziger – sie hat definitiv Growl und das steht ihr wirklich ausgesprochen gut!
Die creme-weiße Thinline-Version von 1974 mit dem leicht flacher gestalteten, aber ebenfalls bestens handhabbaren Halsprofil verhält sich dagegen klanglich etwas heller, offener und beweglicher, hat trotz einer volltönenden Präsenz den leichteren, knochigeren Ton und über den Tonabnehmer am Steg gespielt eine Menge Biss. Ein Twang der richtig snappy rüberkommt.
Die Gitarren bleiben trotz der tonfarblich leicht verschobenen Akzente doch recht nah beieinander, was Klangfülle und Klangrundung angeht. Eigenschaften, die jene einer Standard Telecaster mit Singlecoil-Pickups deutlich übertreffen. Diese exzellenten Instrumente verfügen über einen starken, ja originären Klangcharakter und bieten neben ihrer leichten, perkussiv markanten Ansprache eine tolle dynamische Beweglichkeit, ganz zu Schweigen von der allgemeinen Resonanzstärke und wunderbar luftigen Kehligkeit ohne harsche Spitzen.
Fender Telecaster Thinline-Modelle mit Humbuckern findet man nicht wirklich oft auf dem Vintage-Markt, die Produktion blieb verglichen mit der Standard Telecaster auch überschaubar. Sie werden dann in der verbreiteten Natural-Lackierung zur Zeit etwa zwischen € 3.500 und € 4.500 angeboten, in seltenen Farben wie die unserer Protagonisten auch deutlich teurer. In gutem, spielbereitem Zustand sind sie ihr Geld aber allemal wert.
(erschienen in Gitarre & Bass 04/2020)