Neulich habe ich hier in Gitarre & Bass einen Test gelesen, bei dem ich erstaunt feststellen musste, dass darauf hingewiesen wurde, dass die Test-Gitarre „geaged“ war. Ein Feature, was „ja niemand zwingend braucht“, obwohl das doch – laut Tester Franz Holtmann – charmant aussieht und Vorteile hätte wegen Kratzer usw. … lieber Franz Holtmann, ich setze noch einen drauf: Ich brauch das unbedingt! Denn ich liebe Relic-Gitarren! Neue, glänzende, makellose Gitarren sind doch fürchterlich!
Pfui sind für mich: Curly Decken, 3-D Flame-Tops und Hochglanzfinish – da könnte ich mich schütteln! Die Liste der zum Teil diskriminierenden, stereotypischen Beleidigungen für solche Instrumente ist lang: Sissy Guitar, Zahnarzt-Klampfe oder Hochglanz-Möbellaute!
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Natürlich sind die Gegner des Relic-Looks ebenfalls nicht zimperlich und reden von Asi-Eierharfen, verunglückten Holzfäller-Gitten und verwarzten Frühstücksbrett-Pfannen. Es ist wie so oft in Deutschland: Das Verständnis für andere Geschmäcker und Vorlieben ist begrenzt. Gerne wird auch geheuchelt: Ich habe ja nun wirklich für vieles Verständnis, aber… Bullshit!
KEIN VERSTÄNDNIS!
Spätestens beim Wort „Verständnis“ kann man sein Gegenüber – egal, welches Thema – mit einem „nein, hast du nicht!“ unterbrechen, denn nach einem „aber“ in solchen Sätzen kommt nie etwas positives, schon gar nicht „Verständnis“. Und so rümpfen die Custom-Shop-Spieler hochnäsig die Nase über die Billo-Zupfer. Der Discount-Amp-Benutzer höhnt über den reichen Trottel, der mehr als das 8-fache für seinen handgeklöppelten Boutique-Amp ausgibt.
Beide sind sich allerdings einig, dass angeblich nichts widerlicher ist als die peinliche Kemper-Fraktion. Teure Effekte für knapp 300 Öcken kommen laut Aussage einiger Schlaumeier vom selben chinesischen Fließband wie die spottbilligen Copycat-Modelle für 45 Euronen. Und die billigen klingen exakt genauso wie die teuren! Natürnich! Mag sein, mag nicht sein. Ich glaube nur, was ich im direkten Vergleich als „besser“ heraushöre.
Was mich abgrundtief nervt ist dieses intolerante Geschwafel, hinterfotziger Neid und vermeintliches Besserwissertum, dass als „amtliches“ Wissen herausposaunt wird. Egal ob es um Amps, Pedale, Pickups oder das Aussehen von Gitarren geht.
ZERHACKT, VERMACKT, ENTLACKT – HARE KRISHNA!
Nochmal: Ich liebe Relic-Guitars! Das ist genau mein Ding und ich kann auch nichts Schlimmes daran feststellen. Andere Zeitgenossen schon – diese Fraktion argumentiert meistens so: „Dieses künstliche Ageing ist ja fürchterlich! Man muss warten, bis die Macken und Abnutzungsspuren von allein kommen. Spiel die doch einfach 30 Jahre, dann sind die Lackrisse und Macken wenigstens echt! Und außerdem sieht keine alte Vintage-Gitarre so schrecklich aus wie diese auf alt getrimmten!“
Ja, und? Sorry, Leute, aber was geht mich euer Elend an? Ich habe a) keine Lust, dreißig Jahre darauf zu warten, ob der Lack Risse bekommt und b) keine Lust, dreißig Jahre dauernd dieselbe Gitarre zu spielen! Spielt ihr doch eure schönen Flametops, putzt die mit Poliboy schön sauber und wartet bis zum Eintorfen auf Lackrisse. Geschmack ist halt subjektiv – und das ist gut so! Erlaubt ist was gefällt.
Ich oute mich jetzt mal als talentierter Shredder. Mein bestes Ageing-Erlebnis liegt schon über zehn Jahre zurück. Ungefähr 2011 erstand ich eine gebrauchte Gibson Historic Les Paul Goldtop, die wirklich sehr schön und ordentlich gepflegt war. Mir war sie zu schön. Als ich ein Foto von Snowy Whites abgerockter 57er Goldtop gesehen hatte, war es um mich geschehen.
Weil aber der Nitrolack von der Historic Paula so gummiartig dick war, dass er selbst nach 24 Stunden bei -25 Grad im Kühlhaus meines Kumpels nicht reißen wollte, schnitt ich die Risse kurzerhand längs mit einem Teppichmesser in den Lack (kann man auf den Fotos sehr gut noch erkennen). Dann habe ich mit der Poliermaschine den Lack vom Body bis auf eine dünne Schicht runtergeschmiergelt und drei Dosen Kältespray draufgehalten. Zusammen mit den Teppichmesserspuren sah das dann schön abgefuckt aus.
Als nächstes bin ich mit den Bodykanten und den Enden der Kopfplatte draußen über den roten Rauhklinker gebschubbert. Diese vermackten Stellen habe ich vorsichtig mit einer Tinktur aus Kaffeesatz und Nikotinsirup eingepinselt, damit das Holz alt aussieht. Die Hardware und Potiknöpfe mit feiner Polierwolle nach Gusto mattiert. Zwei Tage hatte ich großen Spaß!
Hinterher wurde noch eine Kopie der Hare-Krishna-Briefmarke, die George Harrison hinten auf die Kopfplatte von Claptons 64er ES-335 geklebt hatte, auf die Rückseite der Goldtop-Kopfplatte platziert. Die Gitarre sah killer aus und klang sensationell – wegen meiner Ageing-Kur und des Hare-Krishna-Stickers – an der Stelle „Shout out“ an meinen Kumpel Karsten, der den Sticker reproduziert hat!
Ernsthaft, der Sound war um Klassen besser als vor meiner „Behandlung“! Mein Buddy Gregor Hilden hat sie dann von mir gekauft, weil sie halt so gut klang. Wo sie dann gelandet ist… wer es weiß, bitte melden! Ich unterschreibe dieses Kunstwerk gerne!