Interview mit Nile Rodgers!

Till & Tone: Bone Tone!

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(Bild: Warner Music epa ansa)

Tone is my passion! Ich habe ja hier schon berichtet, welche Sounds mich in meiner Tone-Sozialisation entscheidend geprägt haben. Daran möchte ich anknüpfen, denn mir ist klargeworden, dass mich vor allem die britischen Gitarristen geprägt haben: George Harrison, Keith Richards, Pete Townshend, Ronnie Wood, Rick Parfitt – da haben wir schon mal meine TOP 5!

Wenn ich auf 10 aufrunden muss, dann kommen noch Jimmy Page, Dave Davies, Paul Kossof, Steve Mariott und David Gilmour hinzu. Ihr könnt jetzt alle schön rumheulen und meckern, warum Jeff Beck, Peter Green, Rory Gallagher oder Gary Moore nicht dabei sind. Weil die alle zwar unbestritten sensationelle Gitarristen sind, aber mich eben nicht so beeindruckt haben wie die anderen Player. Punkt.

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Immerhin haben alle bisher genannten aber eines gemeinsam: Sie stammen aus Großbritannien oder Irland, aber auf keinen Fall aus Amerika! Das kann doch kein Zufall sein, oder? Natürlich nicht, denn: Auch die meisten, populären Rockgitarristen aus den USA wurden von den Protagonisten der Brit-Invasion an die Gitarre getrieben.

DIE INITIALZÜNDUNG: DIE FAB FOUR BEI ED SULLIVAN

Historisches Datum zu meiner These dürfte der Auftritt der Beatles am 9. Februar 1964 in der Ed-Sullivan-Show gewesen sein. Diesen TV-Gig der Fab Four haben über 73 Millionen Menschen gesehen, er war der Tsunami zur amerikanischen Beatlemania und der nachfolgenden British Invasion mit der z.B. die Rolling Stones, The Who und Led Zeppelin den Amis ihre eigene Popmusik zurückbrachten – zumindest die Wurzeln dieser neuen britischen Rockmusik, nämlich den Blues von Leuten wie Robert Johnson oder Muddy Waters sowie den Rock´n´Roll von Chuck Berry und Little Richard. Die Beatles bei Ed Sullivan, ich weiß nicht wie viele Interviews ich gelesen habe von amerikanischen Top-Gitarristen wie Mike Campbell oder Steve Lukather, die alle nach dem Ereignis nur eines im Sinn hatten: Ich muss Gitarre spielen lernen und ein Rockstar werden!

Das ist vielen vorzüglich gelungen, aber um mal bei mir zu bleiben: Warum sind mir die Briten wichtiger? Und warum bevorzuge ich auch bei den Briten die Gitarristen, die mich nicht mit langen Soli-Genudel nerven? Ein Grund könnte sein, dass ich den Song mehr liebe als den Gitarristen, das ist vielleicht sogar der ausschlaggebende Punkt. Der Song und der Sound des Songs interessieren mich einfach mehr als endloses Skalengedudel und zur Schau gestelltes Virtuosentum. Little Wing ist ein großartiger Song – für mich aber vor allem, weil ein drohendes Notengemetzel-Inferno per Fade out verhindert wird. Just my 2 cents, Leute. Ausnahmen bestätigen die Regel, is´ klar!

DER RHYTHMUS, WO ICH MIT MUSS!

Keine Frage: die energetischen Rhythmiker haben mich immer mehr beeindruckt als die Gniedelfürsten. Vor allem die Brits: Keith Richards, Pete Townshend, Rick Parfitt – allein wie diese drei Könige der „Schlaggitarre“ ihren Sound kreieren, ist für mich bis heute stets ein Soundgourmet-Ereignis. Parfitt, der auf seiner weißen 60s Telecaster Saiten der Stärke .14 – .56 gespielt hat! Wer mit diesen Drahtseilen noch so „easy“ den heavy Quo-Sound der Frantic Four Besetzung dreschen und shuffeln kann, der verdient meine Bewunderung.

Gitarrengott und hemmungsloser Saiten-Wemmser: Rick Parfitt (Bild: Hakan Henriksson CC)

Kleiner Tipp: Es gibt ein paar schöne Videos von Rick auf YouTube, wo er seine „besten“ Parts demonstriert. Kein Wunder, dass der bei dem Gewemmse oft blutige Pfoten hatte. Der gute Rick hat bei der weißen Tele die dicken Drahtsaiten durch den Body über ein Wraparound-Tailpiece geführt und mit der Anschlagshand so viel Power freigesetzt, dass das Tailpiece durchgebrochen ist (siehe Foto von Parfitts an der G-Saite gebrochenem Tailpiece plus seinem von Trevor Wilkinson auf „P-90“ modifizierten Tele-Bridgepickup).

Parfitts Tailpiece hat nach all den Jahren aufgegeben und ist in der Kerbe der G-Saite gebrochen. (Bild: Kloppmann)

Oder Keith Richards, der das Holz nicht nur vom oberen Body-Horn, sondern auch vom Griffbrett seiner legendären Micawber-Tele ab dem 15. Bund schräg mit dem Plektrum abgeschruppt hat – inklusive des Dot-Inlays auf dem 17. Bund! Da muss schon viel Schmackes hinter sein, sonst hobelst du da nix weg. Pete Townshend spielt zwar nicht ganz so dicke Saiten, aber seine Windmühle dürfte heftig genug sein, um alles zum Schwingen zu bringen.

Geschundene Schönheit: Keith Richards Micawber-Tele wurde nie mit Samthandschuhen angefasst. In dem Buch ‚Rolling Stones Gear‘ von Andy Babiuk und Greg Prevost kann man dieses Prachtstück (und noch viele weitere) in all seinen Details bewundern.
Geschundene Schönheit: Keith Richards Micawber-Tele wurde nie mit Samthandschuhen angefasst. In dem Buch ‚Rolling Stones Gear‘ von Andy Babiuk und Greg Prevost kann man dieses Prachtstück (und noch viele weitere) in all seinen Details bewundern.

DIE RECHTE HAND

Ich habe neulich ein Interview mit Joe Walsh (auch kein Schlechter, aber was die schnarchigen Eagles angeht, so halte ich es mit dem Dude in „The big Lebowski“) gehört, dass mich sehr bestätigt hat in meiner Vermutung, dass ein wichtiger Bestandteil unseres Sounds die rechte Hand, genauer gesagt unsere Anschlagshand ist. Nicht nur, weil Joe Walsh das gesagt hat, sondern weil es auch für meinen Sound Sinn ergibt. Ich benutze ein großes, hartes, blaues Heriba-Nylon-Pick und schlage die Saiten sehr hart an. Mein liebster Freund und Pickup-Guru Andreas Kloppmann sagt immer, dass er außer dem großen Soundprofessor Peter Weihe niemanden kennt, der so viel Energie in die Saiten gibt wie ich. Deswegen spiele ich zwar nicht so gut wie Peter, aber ich habe „meinen Sound“ und kann ziemlich gut erkennen, welche Gitarre damit überhaupt klarkommt und sich frequenzmäßig nicht ob der entstehenden Energie „wegduckt“. Meistens brauche ich nur einen satten A-Downstroke, dann ist die Sache für mich klar, ob ich weiterspielen will oder die Gitarre sofort aus der Hand lege.

Ein hartes Heriba-Nylon-Pick – mein absolutes Lieblingsplektrum. (Bild: Hoheneder)

NILE RODGERS – DIE AMERIKANISCHE AUSNAHME!

Ein Gitarrist aus den USA und mit sehr guter rechter Hand hat mich allerdings schon immer extrem abgeholt: Nile Rodgers! Ich habe Nile letztes Jahr kennengelernt – Till-&-Tone-Leser wissen Bescheid – und durfte ihn auch vor ein paar Wochen per Zoom interviewen.

Natürlich konnte er sich nicht mehr so ganz an mich erinnern, aber das kenne ich von mir selbst. Wenn man auf Tour ist und jeden Tag neue Leute in der Garderobe stehen, dann merkt man sich nicht die zahllosen Gesichter. Ich habe eine Story mit Nile Rodgers, aber er nicht mit mir. Und das ist auch völlig okay. 20 Minuten durfte ich den Meister fragen, hier ein Auszug unseres Gesprächs:

Nile, du spielst seit Jahrzehnten dieselbe Gitarre über einen cleanen Röhrenamp oder direkt ins Pult – dennoch erkennt man dich mit der ersten Note. Würdest du zustimmen, dass ein wichtiger Part deines Sounds durch deine rechte Hand entsteht?

Nile: Es ist bei mir sogar auch die linke Hand – in Zusammenarbeit mit der rechten! Als ich mal verschiedene Gitarren hintereinander angespielt habe, hat mir ein Freund gesagt ich hätte das, was man „bone tone“ nennt. Ich wusste überhaupt nicht, was er meint. Was zur Hölle ist das? Er hat es mir so erklärt: Wenn mir eine Gitarre vom Klang her nicht gefällt, dann gleiche ich das mit dem Druck der linken Hand aus, bis ich höre, was ich hören will. Automatisch, ohne darüber nachzudenken – das ist „Bone Tone“! Am Anfang mochte ich, weil ich vom Jazz kam, die Wärme und den fetten Sound einer Hollowbody-Gitarre. Dann habe ich meine Hitmaker-Stratocaster gefunden und konnte sie so spielen, dass sie trotzdem etwas von diesem warmen Jazz-Sound liefert … um es mit David Bowie zu sagen: „It was the same, but different.“ Das Gleiche, aber anders!

Du benutzt sehr weiche Plektren und trotzdem klingt es so tough, wenn du zum Beispiel im Outro von ‚Upside down‘ Singlenotes spielst. Wie geht das?

Nile: Auch ein gutes Beispiel ist der Sister-Sledge-Song ‚He‘s the greatest dancer‘ – mein Pick ist zwar dünn, aber ich hole mir die Masse, die zusätzliche Energie über meinen rechten Daumen. Auch wenn ich zum Beispiel einen Upstroke mache, dann gleiche ich beim Anschlagen das dünne Plektum mit dem Gewicht meines Zeigefingers aus. Das mache ich alles mit der rechten Hand, sie regelt den Attack. Deswegen brauche ich auch keine dicken 12“- oder 15“-Speaker um „mehr Luft zu bewegen“, mir reichen 10“-Speaker, um gut durch den Bandsound zu kommen.

Anderes Thema, das mich als Co-Autor manchmal auch beschäftigt: Wie sagt man einem David Bowie, Mick Jagger oder einer Madonna, dass ihre Ideen – um es mal vorsichtig zu formulieren – ziemlich mau sind?

Nile: Gar nicht. Das ist mir zu negativ, das ist nicht konstruktiv. Ich sage immer: „Hey, hör dir das mal an – lass es uns doch mal so versuchen!“ Das ist die beste Aussage, die man in einer künstlerischen Session, egal ob es sich um Musik oder Malerei oder was auch immer handelt, sagen kann: „Hey, was wäre, wenn wir es mal so versuchen?“ Das klingt viel positiver als „was du da hast, ist nicht gut!“ Zusammen einen neuen Weg gehen, das ist die Lösung. Positiv sein! Wenn ich damals mit meinem Partner Bernard Edwards im Studio war, dann hat er mich immer gefragt: „Okay, Bruder – ist das dein Part? Das wirst du also spielen?“ Und dann hat er sich gefragt, was er spielen muss, um meinen Part noch besser zu machen. Den anderen unterstützen, ihn glänzen lassen, das war die Aufgabe – und so halte ich das bis heute, egal mit wem ich gerade im Studio bin oder mit wem ich spiele. Es geht nicht um den einzelnen, es geht um die Gruppe, das Kollektiv!

Du hast mal die Entstehungsgeschichte des Songs ‚Let’s Dance‘ erzählt … wie Bowie mit der Wanderklampfe in dein Zimmer gestiefelt kam, einen langsamen Folksong geschrammelt hat und dazu die berühmte Gesangsmelodie sang: „let’s dance, put on your red shoes and dance the blues!“ Zwischen dem kleinen Folksong auf der Aku-Klampfe und dem, was du daraus gemacht haben, liegt ungefähr eine Reise zum Mond. Hast du dafür Credits bekommen?

Nile: Nein, dafür habe ich keine Credits bekommen. In der heutigen Zeit würde ich … aber damals hatte ich noch nicht mal einen Manager. Ich habe neulich zu meinem Manager gesagt, dass es da draußen noch so viel Musik von mir gibt, die noch nicht veröffentlicht wurde, zum Beispiel Aufnahmen, die ich vor Ewigkeiten mit der Band Scritti Politti gemacht habe. In dem Zusammenhang habe ich mich gefragt, an wie vielen LPs und Aufnahmen ich mitgeschrieben habe, für die ich nie Credits oder Tantiemen bekommen habe, weil ich sie umsonst gemacht habe, umsonst machen wollte!

Weil ich einfach Lust auf eine Zusammenarbeit hatte – ich liebe es, ein Kollaborateur zu sein. Ich wollte mit der Let’s-Dance-Story auch nicht beklagen, dass ich nicht am Songwriting beteiligt wurde, sondern ich wollte einfach nur die Wahrheit erzählen, wie der Song und die Platte entstanden ist, warum sie so ist, wie sie ist. Aber glaub mir, ich habe mir damals keinen Kopf gemacht, ob ich jetzt der Co-Autor bin, denn ich sehe das Thema eigentlich ganz einfach: Die Person, die die Melodie schreibt, ist der Songwriter. Das gilt aber nicht unbedingt für denjenigen, der die Chords oder den Groove beisteuert.

Okay, und in diesem Fall war das eben Bowie, verstehe. Nile, du bist im Sommer wieder auf Tour in Deutschland, ich danke dir für das Interview und freue mich auf ein Wiedersehen in Kürze!

Nile: Alles klar, mein Lieber! Auf bald, wir sehen uns!

IT’S THE PLAYER, NOT THE INSTRUMENT!

Das Interview hat mich noch lange beschäftigt. Ich glaube auch, dass ein guter Gitarrist sich mit der Anschlags- und Griffhand jede Gitarre so „zurechtbiegen“ kann, dass er einen akzeptablen Ton aus ihr herausbekommt. Darum klingen Leute wie Billy Gibbons oder Nile Rodgers auch mit einer Cheapo-Klampfe gut. It’s the Player, not the instrument. Klar, gibt es auch gute Low-Budget-Instrumente! Aber gutes Holz, gute Lackierung, beste Hardware, Pickups, Potis und Verkabelung – das hat schon seinen Preis und darum muss ich immer leicht schmunzeln, wenn bei Kleinanzeigen stumpf behauptet wird „diese Billocaster kann es klanglich locker mit jeder Custom-Shop-Gitarre aufnehmen!“

Wie gesagt, das kann vorkommen, aber das per se zu behaupten ist genauso gewagt wie andersrum! Aber: die Gitarre ist eine Sache – vergesst nicht, dass ihr auch den Sound macht! kümmert euch um eure rechte und linke Hand, die sind genauso wichtig für euren eigenen, guten Sound. Entwickelt euren Bone Tone!


NILE RODGERS & CHIC 2024 ON TOUR:

  • 02.07. Frankfurt
  • 03.07. Stuttgart
  • 04.07. Bonn
  • 05.07. München

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2024)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ein typischer Fall von „ es gefällt, was gefällt“! Wie immer rein subjektiv und nach ganz eigenem persönlichem Empfinden.
    Eine wissenschaftliche Abhandlung muss man darüber jetzt auch nicht verfassen. Lieber es einfach akzeptieren und genießen. „Let the music do the talkin‘“.
    Es spielt keine Rolle, warum einem dies oder das besser im Vergleich zu gefällt oder eben nicht. Oder warum man diese Band oder Künstler mehr mag als andere.
    Das können wir jetzt alles noch weiter runterbrechen auf z.B. Gitarrenhersteller &-modelle, Tonabnehmer, Amps und den individuellen Ton eines Musikers oder einer Musikerin.
    Wo wir wieder beim persönlichen Empfinden und Geschmack angelangt wären. Für mich persönlich hat Musik und Ton mit „Chemie“ zu tun. Es liegt was in der Luft, was mich erreicht und anspricht.
    Ich reagiere darauf. Es fühlt sich gut und richtig an. Es erfüllt mich mit Glücksgefühlen. Wenn ein Stück Musik mich in seiner Darbietung abholt, dann fühlt man die Verbindung untereinander.
    Wenn aus der Gitarre dieser spezielle Ton herauskommt, dann denke ich mir oft, dass habe ich mir jetzt genauso gewünscht oder am liebsten genauso gemacht. Man fühlt hier eine tiefe Verbundenheit.
    Man funkt auf derselben Frequenz. Fantastisch.
    Natürlich kann auch ich total patriotisch auf Stammtischniveau einen Kommentar der Marke“ wer Rory Gallagher nicht in seiner Top 5 hat, der hat eh keine Ahnung“, raushauen. ?
    Was natürlich meine tiefe Verbundenheit zu diesem Gitarrenmeister zeigt, aber deshalb noch lange nicht bei anderen Leuten dieselbe Begeisterung für den Künstler auslösen wird.
    Fazit. „ Es gefällt, was gefällt“, und somit gibt es kein besser oder schlechter!

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