Singer-Songwriter-Workshop: Teil 6 – Fingerstyle-Basiswissen
von Andreas Schulz,
Anzeige
(Bild: Dieter Stork)
In der letzten Ausgabe ging es um die wichtigsten Aspekte des Strumming-Anschlags. Songs, die mit Akustikgitarre begleitet werden, werden oft – als Alternative zum Strumming – mit einer Technik gespielt, die man Fingerpicking oder Fingerstyle nennt. Genau darum geht es in dieser Folge!
Dabei ist kein Plektrum im Einsatz, sondern man zupft die Saiten direkt mit den Fingern an. Fingerpicking-Begleitungen haben ein ganz eigenes Flair – sie klingen meistens dezenter, zurückhaltender und leiser als Strumming-Akkorde. Gibt es einen Unterschied zwischen Fingerpicking und Fingerstyle? Meistens werden die Begriffe synonym verwendet, manche Musiker reden aber auch von Fingerpicking bei eher Pattern-orientierter Spielweise, Fingerstyle wäre dann die etwas offenere, freiere und modernere Interpretation des Spielens mit den Fingern.
Anzeige
Bei der Notation von Fingerstyle werden die Finger der Anschlaghand entweder deutsch abgekürzt (D = Daumen, Z = Zeigefinger, M = Mittelfinger, R = Ringfinger) oder man bedient sich in der italienischen Schreibweise der Klassikgitarren-Literatur: p = Pulgar, i = Indice, m = Medio, a = Anular.
chords
Fingerstyle-Spielweisen können recht komplex und virtuos werden. Wir schauen uns hier zum Kennenlernen zunächst mal das vorliegende Material an. Los geht es in Beispiel 1 mit flächigen Chords, wie sie bspw. im Intro von Adeles Song ‚Hello‘ zu hören sind – dort vom Klavier einen Halbton höher in F-Moll gespielt. Wichtig: Auch wenn es sich nur um einfache vierstimmige Akkordanschläge handelt, angezupft gleichzeitig mit D-Z-M-R (oder p-i-m-a), ist das exakte Timing der Pausen wichtig. An dieser Stelle stoppt man den Klang ab, indem man die Finger der Anschlaghand anlegt und aus dieser Position heraus den nächsten Akkord anschlägt. Dieses Anlegen sollte so leicht erfolgen, dass es keinen eigenen (perkussiven) Klang ergibt, sondern unhörbar bleibt – natürlich abgesehen vom Beenden des vorigen Akkordes.
Ganz ähnlich spielt auch Ed Sheeran zu Beginn von ‚I See Fire‘, aber er hat noch mehr drauf. Wenn ihr die simplen Basisakkorde von Beispiel 2 spielen könnt, geht es an die Verzierungen mit Hammer-Ons für D und C. So bekommt auch eine ganz einfache Figur ordentlich Würze und Atmosphäre. Wichtig: Es sind Vorschlag-Hammerings, sie werden also zum Zeitpunkt des normal zu erwartenden Anschlags gemacht und sofort (!) aufgehämmert; die Vorschlagnote hat demnach keinen eigenen Anschlagzeitpunkt vor dem Rest des Akkordes. Sheeran spielt diesen Track mit Capo im VI. Bund.
vier finger
Viele Songwriter benutzen Zupfmuster, also feste Anschlagmuster oder Patterns, die sich durch den ganzen Song oder zumindest Teile davon ziehen. Natürlich sind auch Variationen möglich, aber oft kann man ein Basis-Pattern entdecken, das dann auch den Sound des Stückes maßgeblich bestimmt. Ein Meister dieser Technik ist James Taylor. In seinem frühen Hit ‚You’ve Got A Friend‘ (komponiert von Carol King) benutzt er als Grundlage der Gitarrenbegleitung ein Vier-Finger-Zupfmuster, wie es auch oft in klassischen Etüden vorkommt.
Die Abfolge der Finger ist ganz einfach: D-Z-M-R (oder notiert als p-i-m-a). Man spielt das als gleichmäßiges Aufwärts-Arpeggio und erhält so eine sowohl rhythmisch als auch harmonisch sehr solide Basis. James Taylor ist für seine geschmackvollen Variationen bekannt. Einige habe ich in Beispiel 3 eingebaut, etwa den Fill in Takt 7 oder die Figur im vorletzten Takt. Außerdem benutzt Taylor gern jazzig angehauchte Akkorde.
In diesem Ausschnitt à la ‚You’ve Got A Friend‘ z.B. einen Em7/9 in Takt 4 oder eine II-V-I-Verbindung mit Am7 – D7sus4 – G direkt anschließend. Generell reichert er seine Akkordgriffe gern harmonisch an und macht sie zu 11er-Akkorden, zu Moll7- oder 7sus4-Voicings. Das erzeugt absolut markante Gitarrenbegleitungen, die sich vom Mainstream des Cowboy-Strumming – das natürlich auch seine Berechtigung hat – abheben.
folk-picking
George Ezra ist ein junger Singer/Songwriter, der einfach gehaltene Gute-Laune-Musik mit Roots-Ambitionen in die Charts gebracht hat. Unvergessen sein Hit ‚Budapest‘. Bei einem anderen Song seiner Debüt-CD ‚Wanted On Voyage‘ hat er als Begleitgrundlage ein Zupfmuster gewählt, das als Folk-Picking-Pattern bekannt ist (siehe Beispiel 4). Wenn man das übt, sollte man mit der Wechselbassbewegung des Daumens anfangen: Der Daumen spielt als “Bassist” gelassene aber wohl definierte Viertelnoten und springt zwischen den Saiten E, A und D.
Auf die Zählzeit 1 kommt immer der Grundton, auf 2 und 4 meist die Quinte, manchmal auch die Terz des Akkordes. Hat man diesen Viertelpuls souverän in den Fingern, addiert man Anschläge mit Mittelfinger (auf der h-Saite) und Zeigefinger (auf der g-Saite). Diese Fingeranschläge liegen hier immer auf den und-Zählzeiten. Fangt langsam an zu üben, nach einiger Zeit werdet ihr den Flow eines solchen Folk-Patterns spüren. Diese Spielweise wird manchmal auch Travis-Picking genannt, benannt nach ihrem ersten Protagonisten Merle Travis.
Solche Patterns dienen nicht nur als Begleitung unzähliger Songs, sondern lassen sich auch virtuos weiterentwickeln. Einer der bekanntesten Spieler, der in vielen Situationen auf rasantes Travis-Picking vertraut, ist Tommy Emmanuel. Ganz so heftig muss man es gar nicht treiben – hat man einige der einfachen Grundmuster in der Anschlaghand gemeistert, läuft das oft wie von selbst, und man kann sich wieder um wohlklingende Variationen und Fills kümmern.