Wir alle reden heute gerne und viel über Stress, Druck und Termine, aber was die drei Musiker des Blues-Rock-Trios Cream mit Gitarrist Eric Clapton speziell im Jahr 1967 durchgemacht haben, dürfte schon einen echten Höhepunkt an Belastung darstellen. Schon bei der Gründung der Band im Juni 1966 hatte es reichlich Verstimmungen, um nicht zu sagen Ärger gegeben:
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Denn bevor Bassist Jack Bruce, Schlagzeuger Ginger Baker und vor allem Gitarrenheld Eric Clapton bei ihren bisherigen Formationen gekündigt hatten, verkündete die Presse bereits das Zusammenkommen einer „sensationellen, neuen Gruppe der Gruppen“ – eine Schlagzeile, die nicht zuletzt den Boss der Bluesbreakers, nämlich John Mayall, ziemlich verschnupft zurückließ.
Hinzu kam der nicht enden wollende Streit zwischen Ginger und Jack, der im Laufe der nächsten hektischen Wochen und Monate nicht weniger, sondern eher immer heftiger wurde. Eric Clapton wird später in Bezug auf die langen Tourneen von absolut schauerlichen Erfahrungen sprechen und erzählen, dass die jeweiligen Musiker schon bald in den einzelnen Großstädten eigene Freundeskreise hatten, wo man sich dann nach den Auftritten betont getrennt zurückzog: „Wir lebten absolut nicht wie eine Gruppe und es gab eine Menge an Konflikten!“ Doch in den gerade mal gut zwei Jahren des Bestehens von Cream sind dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – so ungemein viele kreative Leistungen erbracht worden, dass heute von den Experten klare Parallelen zwischen dem Wirken etwa eines Delta-Blues-Musikers wie Robert Johnson und dieser englischen Band gezogen werden: Beide haben quantitativ gesehen nicht unbedingt extreme Leistungen erbracht, aber beide sollten noch für viele Generationen nachfolgender Blues-Musiker wahrhaft prägend und vorbildhaft sein.
Wobei für die beteiligten Musiker Cream so etwas wie eine möglichst bald und möglichst intensiv sprudelnde Geldquelle werden sollte. Nicht zuletzt war es Ginger Baker, der die anderen beiden Musiker stolz in einem eigenen Rover abholen konnte, weil er mit der Graham Bond Organisation als „The Who Orchestra“ mit ,Waltz For A Pig‘ auf der B-Seite der Who-Single ,Substitute‘ hatte mitwirken dürfen. Bekanntheit war allerdings schon ausgiebig vorhanden, wo doch Eric Clapton zuvor mit Sprüchen wie „Clapton is God“ immer wieder als der Könner der jungen Londoner Blues-Szene überhaupt gepriesen worden war.
Und so waren die Musiker von Cream hin- und hergerissen zwischen dem geradezu puritanischen Wunsch speziell von Eric, den authentischen Blues mit immer neuen 12-Takt-Varianten zu spielen und andererseits den neuen, weitergehenden musikalischen Bestrebungen der Zeit zu folgen. Hier war es Jack Bruce zusammen mit dem Cream-Hauspoeten Peter Brown, der immer wieder neue Songs schrieb und sie auf die Proben schleppte. Meist waren sie ordentlich notiert und schon recht übersichtlich arrangiert und erfreuten so alle beteiligten Studio-Mitarbeiter, brachten aber den in dieser Beziehung nahezu ungebildeten Eric in eine echte Zwangslage. Er hatte nämlich meist nur die vage Idee zu einem „Riff, aus dem man mal was machen könnte“ – das kostete viel Arbeit und Mühe sowohl im Proberaum als auch im Studio. Zur Überraschung aller Blues-Fans findet sich daher auf der ersten Cream-Single mit ,Wrapping Paper‘ eine eher popige Nummer, eine Brown/Bruce-Komposition, die ausgerechnet Eric Clapton verteidigte mit dem Satz: „Wir wollen nicht nur als Blues-Band, sondern auch als mehr als das anerkannt werden“.
Cream ‘Wrapping Paper’:
Das erste Album ,Fresh Cream‘ und daraus die Single ,I Feel Free‘ erscheinen bald darauf, und nach einem fast ununterbrochenen Marathon an Auftritten quer durch Europa fliegt die Band in die USA. Auch hier werden zuerst einige Gigs absolviert, bis dann die Roadies erstmalig am 3. April 1967 die Verstärkeranlagen von Cream in einem amerikanischen Studio aufbauen. Was sich für beide Seiten als ein großes Aha-Erlebnis herausstellen soll: Die Cream-Crew staunt über die moderne Technik des etablierten New Yorker Atlantic-Studios, während hinter der Kontrollscheibe große Augen gemacht werden, als die Roadies wie für einen großen Auftritt einen Marshall-Turm nach dem anderen ins Studio wuchten und für Ginger Baker ein gigantisches Ludwig-Drum-Set mit gleich zwei Bass-Drums zusammensetzen.
Leiter der Session und auch gemeinsam mit Bruder Nesuhi Inhaber der Cream-Plattenfirma war Ahmet Ertegun, der Eric Clapton bei einem Besuch in London mit den Bluesbreakers erlebt hatte und tief beeindruckt von den Fähigkeiten des jungen, weißen englischen Blues-Musikers war. Für Ahmet gab es insofern überhaupt keine Frage, nein, er wollte keinen weichgespülten Popkrempel aufnehmen, sondern Blues, nothing but the blues. Ginger und insbesondere Jack waren etwas reserviert, aber Eric war glücklich: Sofort schlug er ,Hey Lawdy Mama‘ vor, einen typischen Blues-Song, der dann auch in Angriff genommen wurde.
Die jeweiligen Marshall-Stacks mit den 4×12″-Boxen standen diagonal entgegengesetzt in einer Studioecke, mitten drin Ginger und sein Schlagzeug; die Grund-Takes wurden live einge- spielt. Ein wenig Pilot-Gesang half zur Orientierung, aber grundsätzlich spielten die Musiker ohne Kopfhörer und genau so, wie sie es bei ihren endlosen Gigs in Clubs aller Größenordnungen intensiv gelernt hatten. Auch wenn sie nur jeweils einen halben Turm, also Amp und eine Box nutzten, so war die Lautstärke im Aufnahmeraum brüllend laut und die Kompressoren im Regieraum leisteten absolute Schwerstarbeit.
Als ausführender Produzent war der junge Felix Pappalardi zusammen mit dem Haustechniker Arif Mardin zugange, doch so recht wollte an diesem Tag nichts gelingen. Schließlich bot Felix der versammelten Runde für die Weiterarbeit an der geplanten Single-Aufnahme seine kreative Mitarbeit an, was bereitwillig akzeptiert wurde. Und so zog sich Felix an diesem Abend gemeinsam mit seiner Frau Gail Collins zurück – Jahre später wird sie es sein, die ihn aus Eifersucht erschießt – um dieser doch sehr klischeehaften Nummer etwas mehr an Substanz einzuhauchen.
Am Morgen des vierten Aprils kommt von den Cream-Musikern nur noch Eric Clapton ins Studio und findet einen neuen Techniker namens Tom Dowd vor, der von Ertegun als der „beste aller meiner Leute“ vorgestellt wird. Außerdem hat Felix Pappalardi sich wirklich einige Gedanken gemacht, jetzt soll also alles richtig gut werden. Aufbauend auf einem am Vortag eingespielten und mit 106 BPM (= Schläge pro Minute) eher zurückhaltenden Playback – eine weitere, etwas schnellere Version wird von Pappalardi später als ,Ouh Lawdy Mama‘ noch fertiggestellt werden – wird nun ein völlig neuer Song erschaffen. Natürlich bleibt die Tonart (das damals so angesagte Rock-typische A-Dur) und auch die Struktur des Songs erhalten, da ja das Playback nicht mehr angetastet werden soll. Man kann nur noch an diesem einen Tag im Studio arbeiten, denn dann müssen Cream die Heimreise antreten, weil ihre Aufenthaltsgenehmigungen ablaufen.
Sechs Durchgänge sind auf dem ausgewählten Playback vorhanden, davon sind das Intro, der vierte Chorus und der Schluss als Solo-Teil mit entsprechenden zusätzlichen Aktivitäten von Jack und Ginger eingespielt worden. Drei Spuren, zwei für Drums und eine für Bass, sind damit belegt, verbleiben noch fünf freie Spuren auf der 8-Spur-Maschine des Atlantic-Studios. Genug Platz, um Einiges an Ideen in Bezug auf Gesang und Gitarren zu verwirklichen.Clapton, der bei dieser Session durchgehend seine psychedelisch bemalte Gibson SG mit dem nahezu vollständig abmontierten Gibson-Vibrola-Saitenhalter in der Hand hält, spielt zwei völlig neue Rhythmus-Parts ein: Zuerst eine monoton durchgehaltene und bis auf die Grundtöne praktisch unveränderte lässig dahingeworfene Riff-Folge und dann eine Erweiterung mit scharf und präzise eingeworfenen Akkorden (Beispiel 1).
Cream ‘Strange Brew’:
https://www.youtube.com/watch?v=rGvfm7eEFSw
Diese einerseits typischen aber auch schon recht anspruchsvollen Blues-Akkorde zeigen übrigens, wie nahe Clapton damals seinen großen Idealen kommen wollte. Und nicht zuletzt war es Ahmed Ertegun, der ihn auch massiv dazu ermunterte. Ahmed gab Clapton sogar noch während der Sessions diverse Platten von Albert King, die Eric intensiv durchhörte und in seinen Stil integrierte. Später wird speziell die US-Presse ihm mit aller Brutalität vorwerfen, er könne ja nur kopieren und Klischees reproduzieren, ein Vorwurf, der ihn zutiefst verletzt zurücklassen wird.
Doch in diesen Apriltagen 1967 ist Clapton glücklich, er jubelt auf seiner SG und intoniert all die Blues-Riffs, die er schon immer mal spielen wollte und mittlerweile auch zu einer echten Meisterschaft entwickelt hat. Und wie King spielt er nach und nach eine vollständig durchgehende Solospur ein, die sich nicht nur auf das Intro und ein deutliches Solo im Song beschränkt, sondern auch immer wieder als einzelne Licks zwischen den Gesangs-Parts auftaucht. Bemerkenswert dabei ist, dass im Intro jetzt nur noch 8 Takte für das einleitende Solo genutzt werden, dann setzt bereits der Gesang ein. Dieses Intro-Solo bringt interessanterweise in Takt 3 eine hineingezogene Dur-Terz cis neben einer Reihe von King-artigen Abzügen (Beispiel 2).
Eric Clapton ist auch derjenige, der den Song singt, selbst wenn jetzt aus der ,Lawdy Mama‘ dank der Hilfe von Gail Collins ein ,Strange Brew‘ geworden ist. Die Melodie ist völlig umgekrempelt und so tritt Felix Pappalardi mit ans Mikrofon, um gemeinsam mit Eric Clapton die teilweise in die Kopfstimme klappenden Melodielinien einzusingen. Das ist viel Arbeit und bedeutet reichlich Zeitaufwand – vermutlich ist das der Grund, warum bei ,Strange Brew‘, obwohl er von Anfang an explizit als A-Seite der kommenden Single geplant ist, einige üble Schnitzer unkorrigiert zurückbleiben: So war später Jack Bruce nachweislich wirklich unglücklich, dass sein verpatzter Aufstieg in der ersten Gesangsstrophe (statt d spielt er zuerst a, 0:27) nicht korrigiert wurde. Gleich danach verhackt sich auch Eric bei seinen Rhythmus-Licks und produziert einen „toten“ Ton auf der g-Saite (0:38), aber offensichtlich drängte die Zeit dermaßen, dass solche Details unberücksichtigt blieben. Diese Kleinigkeiten aber waren es, die bald als gefundenes Fressen von scharfsinnigen Journalisten verwendet wurden, um zu beweisen, dass Clapton & Bruce soooo gut nun auch wieder nicht wären …
Dabei ist ,Strange Brew‘ eben nicht nur ein stetig wiederholtes 12-Takt-Schema: Das Intro und die Solo-Strophe haben beispielsweise keinen Hochgang im zweiten Takt auf D; der tritt dafür markant bei den vier Gesangsstrophen auf. Im eigentlichen Gitarrensolo aber wird glatt durchgehend zu Beginn vier Takte lang A durchgehalten. Jack Bruce steigt hier mit markanten Riffs und sogar einem leichten Bending ein, was zeigt, dass er nicht nur stereotype Riffs unablässig wiederholt, sondern wirklich mitspielt (Beispiel 3).
Das eigentliche Solo von Clapton ist eine Spielwiese von interessanten Licks und Riff-Fetzen: Gleich zu Beginn ein auffälliger Überzieher, dem dann einige Bendings in der dreizehnten Lage folgen. Typisch für die englischen Blues-Musiker der damaligen Zeit sind dann die geschmeidigen Formeln in der fünften Lage, an die sich intensive Bendings in einer dritten Greifebene, der zehnten Lage, anschließen und einen Abschluss in der (unteren) fünften Lage finden (Beispiel 4).
Bleibt noch das offensichtlich später als Overdub eingespielte Schluss-Lick, das durch eine Pause der Band herausgehoben wird: Wieder der typische Ansatz zum hineingezogenen e, dem dann die schnell auf die leeren Saiten abgezogenen Töne a und g folgen und in eine letzte Bending-Figur münden (Beispiel 5).
,Strange Brew‘ ist später die erste Nummer auf dem Album ,Disraeli Gears‘, das mit sei- nem höchst psychedelischen Cover Monate später die kommenden progressiven Zeiten ankündigt – im Prinzip war es da schon alt-modisch. Dennoch ist diese Platte aber zweifelsohne bis heute ein echter Höhepunkt des weißen Blues gewesen und ein ganz eigenes Zeitdokument.
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Dieser Artikel ist in der Gitarre & Bass 02/2003 erschienen.
Superartikel, bravo! Zu Beginn ist allerdings ein Detail falsch: “I Feel Free” war NICHT auf “Fresh Cream” enthalten, auch die B-Seite, der Titel “NSU” nicht. Diese Titel sind erst bei einer späteren Wiederveröffentlichung mit einem leicht veränderterten Cover auf die LP ” Fresh Cream” gelangt. Das ist nicht nur statistisch von Bedeutung, sondern die Single “I Feel Free” schlug in die Charts gewaltig ein, gerade WEIL es keine vorauseilenden Klänge einer LP gab. Der Sound war neben Hendrix’ Singles ein eigenständiger, kraftvoller Beitrag zur Popmusik. BG, Thomas B-M
Superartikel, bravo! Zu Beginn ist allerdings ein Detail falsch: “I Feel Free” war NICHT auf “Fresh Cream” enthalten, auch die B-Seite, der Titel “NSU” nicht. Diese Titel sind erst bei einer späteren Wiederveröffentlichung mit einem leicht veränderterten Cover auf die LP ” Fresh Cream” gelangt. Das ist nicht nur statistisch von Bedeutung, sondern die Single “I Feel Free” schlug in die Charts gewaltig ein, gerade WEIL es keine vorauseilenden Klänge einer LP gab. Der Sound war neben Hendrix’ Singles ein eigenständiger, kraftvoller Beitrag zur Popmusik. BG, Thomas B-M
Ha, jetzt war ich voreilig und oberschlau 🙂 .Habe nachgesehen und stelle fest. “NSU” ist auf der LP drauf, “I feel Free” nicht……….. Sorry.