Der Amp des Monats ist ein solch seltener Vogel, dass da auf jeden Fall ein Blick „unter die Haube“ lohnt. Er stammt aus der Übergangsphase, in der sich das Unternehmen Marshall 1966 befand. Der Vertrieb Rose Morris hatte die Verbreitung der Marshall-Produkte übernommen und, wie ich selbst von Jim Marshall erfuhr, gehörig Druck auf das Unternehmen ausgeübt. Nachdem das bisherige Flaggschiff JTM45 einigen kosmetischen Änderungen ausgesetzt worden war, sollte sich nun auch die Elektrik weiterentwickeln.
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Bekannte User wie Jimi Hendrix oder Eric Clapton hatten dieses Modell berühmt gemacht und liebten den Marshall-Sound gerade wegen seiner vorerst klanglichen Nähe zu den Fender-Amps. Ein früher JTM45 liefert für Blues und Blues-Rock bekanntlich die absolut amtlichen Sounds. Die damals verwendeten 5881- oder KT66- Endröhren klangen weich und schmelzig und damit ganz ähnlich wie die in fast allen amerikanischen Amps dieser Zeit eingesetzten 6L6-Röhren.
Nach der Amerika-Tour von Claptons Super-Group Cream im Frühjahr 1968 waren seine JTM45/100-Amps verschlissen und zurück in England wurden neue Tops geordert. Diese „klangen aber überhaupt nicht mehr so wie meine alten Amps“, beklagte der vielerorts angesehene Gitarren-Gott. Dieser fühlte sich schon Ende 1968 noch mehr denn je seinen Blues-Wurzeln verpflichtet und wunderte sich daher nicht schlecht über den noch aggressiveren und helleren Sound seiner neuen Marshall-Amps. Fortan spielte er daher auch stets über den wesentlich dunkler klingenden Normal-Channel seines Marshalls.
Bei Hendrix war es ähnlich. Er fing schon bald damit an, mit Fender Showman- oder Sunn-Tops zu experimentieren. Er befand sich bald auf dem Sprung zu einer neuen Verstärkerausrüstung. Die enge persönliche Bindung zu Jim Marshall und der gute Service des Unternehmens ließ ihn jedoch bis zu seinem frühen Tod ein treuer Kunde bleiben. So riskant sich diese Entwicklung für Marshall auch anhört, so unwesentlich war sie jedoch in den Augen vieler anderer und neuer Protagonisten.
Gitarrenhelden wie Jimmy Page, Jeff Beck oder Ritchie Blackmore schienen jene Erneuerungen durchaus zu lieben und lobten die fortschrittliche Entwicklung des britischen Herstellers. Im Wesentlichen ging es darum, dass die JTM45 und JTM45/100 etwa 1966 mit neuen, europäischen Endstufenröhren ausgestattet wurden. Die EL34 war preisgünstiger als die mächtige KT66, galt damals als zuverlässiger und lieferte sogar ein paar Watt mehr als der Vorgänger. Zudem lieferte sie ein strafferes, knackigeres Bassfundament, was besonders Rockgitarristen versöhnte. Der Sound der Marshalls wurde mit diesen Röhren auch insgesamt ein wenig heller und damit exponierter im Band-Gefüge.
Zuerst wurden nur einige JTM45 mit entsprechenden Trafos ausgestattet (Drake 784-128), die die für eine EL34 erforderliche Primärimpededanz lieferten. Die EL34 der ersten Amps stammten von Mullard, einem Unternehmen, das seit jeher für Marshall auch die Gleichrichter- und Vorstufenröhren lieferte. Und ganz im Sinne des neuen Vertriebs waren diese Röhren auch preiswerter als die KT66 von GEC. Der Kaufmann Jim Marshall freute sich über eine etwas größere Gewinnspanne. Und offenbar, so beschrieb er es jedenfalls, waren diese Röhren auch in größerer Menge verfügbar.
Die ersten EL34-Versionen des JTM45 sind unter Sammlern oft besonders begehrt, da der Kombination der ursprünglichen JTM45-Schaltung mit den neuen Endröhren ein besonderer Reiz nachgesagt wird. Und das ist in der Tat so. Zudem wurden von diesen Amps laut Marshall „nur eine Handvoll gebaut“, sodass sie auch extrem selten sind. Außer dem hier vorgestellten Amp habe ich bisher nur ein einziges dieser Tops gesehen. Und das war bereits kosmetisch etwas weiterentwickelt als dieser Amp.
Schaut man auf das Frontpanel erkennt man die bis zum Baujahr 1965 typische runde Netzleuchte, die eigentlich schon Ende des Jahres durch die noch heute übliche eckige Leuchte ersetzt wurde. Und das ist durchaus eine Besonderheit, denn rein äußerlich ist der Amp von einem JTM45 nicht zu unterscheiden. Er trägt auch noch die Typenbezeichnung auf der Plexi-Front. Diese wurde bald durch JTM50 und danach durch die sogenannte Black-Flag-Version dieser Bezeichnung ausgetauscht.
Niemand kann heute mehr genau sagen, in welchem Monat diese Änderungen vorgenommen wurden. Jim Marshall sagte mir dazu, dass die Experimente, Prototypen und Typenvariationen während der Rose Morris-Übernahme so zahlreich waren, dass es „buchstäblich nichts gab, was es nicht gab.“ das Aluminium-Chassis war zunächst durch massive Blöcke an den Seiten verstärkt worden, weil sich das Chassis oft durch die schweren Trafos nach innen gewölbt hatte. Zur gleichen Zeit wurde aber auch die quadratische Netzleuchte eingeführt. Es könnte aber durchaus passiert sein, dass irgendwo im Lager noch ein Karton mit runden Netzleuchten gefunden wurde, die nach dem Wechsel noch verbaut wurden.
Dann gab es da zahlreiche Modell-Muster, die beim Vertrieb ästhetisch begutachtet werden sollten. Manches gefiel, manches nicht. Aber Sparbrötchen Jim Marshall war nicht der Typ, der Fehlmuster allein aus optischen Gründen nicht verkauft hätte. Und somit kam zu dieser Zeit alles in den Handel, was sich zu Geld machen ließ. Einerseits macht das die sogenannten Transition-Amps für Sammler so beliebt, andererseits konnte man nicht mal bei Marshall nach ein paar Jahren noch genau nachvollziehen, welche Änderung zu welcher Zeit und in welcher Reihenfolge vollzogen wurde.
Und das machte die Marshall-Modelle zu einem gefundenen Fresser für Fälscher. Nicht nur auf der britischen Insel spezialisierten sich bald einige Techniker darauf, die typischen Bauteile für diese Amps in allen möglichen Lagern aufzukaufen und daraus so akribisch wie möglich Transition-Amps zu formen. Kleinere Fehler bei der Bauteilauswahl wurden dem Käufer schnell als Folge einer Transition-Ära erklärt. Was die meisten Sammler nur allzu gerne glauben wollten. Wer hätte nicht gern einen Marshall, den es so vielleicht nur ein einziges Mal gibt?
Um die klanglichen Änderungen näher zu beschreiben, habe ich den vorgestellten Amp ausgiebig mit einem JTM45 verglichen, der nur kurze Zeit vorher entstanden war und als einzigen Unterschied KT66-Röhren aufweist. Und zu meiner Überraschung war der Unterschied viel größer als ich dachte. Die neue EL34-Version blieb deutlich länger clean, klang spritziger, heller, knackiger und war vor allem eine ganze Portion lauter als der Vorgänger. Eigentlich ein ganz anderer Amp, und das, obwohl die Schaltung sogar bis auf die verwendeten Bauteile genau gleich war.
Spielt man diese zwei Amps im Vergleich, bekommt man auch eine Ahnung, warum Hendrix und Clapton mit den Neuerungen haderten. Die EL34-Version klingt alles andere als „bluesig“. Ihr fehlt einfach dieser runde, gediegene Schmelz des KT66-Amps. Alles tönt härter, metallischer und direkter. Dafür geht der EL34 nicht in die Knie, wenn man ihn voll aufdreht. Dafür waren die Vorgänger durchaus bekannt. Sie lieferten die für Rocker recht unattraktive Kompression bei höheren Lautstärken bis hin zu einem unschönen, matschigen Sound mit „farty bassresponse“. Die EL34 bleibt dagegen konturiert und rotzig „bis zum Anschlag“.
Das markiert durchaus die Geburtsstunde der Rockmusik. Denn genau dieser Sound war hier gefragt. Laut und prägnant. Dieser Amp gilt somit als ein ganz besonderer Zeitzeuge für eine Übergangszeit, in der auch die findigen Entwickler bei Marshall noch nicht genau wussten, wohin die Reise gehen soll. Die eigentlichen Rocksounds kamen erst Jahre später. 1966 stand ganz im Zeichen der Beat-Kapellen und Bluesrock-Legenden. Mit Pete Townshend, Jeff Beck und Jimmy Page gab es nur einige wenige Saitenkünstler, die schon den Blick über die Mauer warfen.
Und wie man bei diesem Amp hervorragend hören kann, war man bei Marshall schon früh darauf vorbereitet. Vielleicht getrieben durch die Ansprüche des neuen Vertriebs, vielleicht auch aus Kostengründen. Wer weiß das schon? Uns kann‘s egal sein. Mit einem JTM45/EL34 wie diesem soll Angus Young übrigens das ‚Ballbreaker‘-Album und davor und danach zahlreiche Soli eingespielt haben. Ich konnte den Amp während meiner Tests mit einer 1963 Gibson SG voll aufgedreht genießen und fühlte mich sofort an diesen Ton erinnert. Wer also Angus‘ Solo-Sound nacheifern möchte, der besorgt sich am besten einen JTM45 mit EL34-Bestückung. In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal!