(Bild: Udo Pipper)
Wie die Überschrift schon erkennen lässt, kann ich selbst nicht hundertprozentig genau feststellen, in welchem Jahr der seltene Vintage-Amp dieses Monats gefertigt wurde. Bei den alten Vox-Amps ist das ein oft schwieriges Unterfangen. Und da ich so oft danach gefragt werde, sollen die wichtigsten Spezifikationen der Sechzigerjahre-Ära hier auch Schwerpunkt-Thema sein.
Da die Seriennummern meist wenig Erfolg bei der Recherche bzgl. des Baujahres bescheren, muss man sich durch sämtliche Spezifikationen wühlen und daraus die nötigen Rückschlüsse ziehen. Nun aber der Reihe nach…
Bei dem abgebildeten Amp handelt es sich um ein recht seltenes Halfstack des Vox AC30, hier noch ohne Top-Boost und daher mit der Typenbezeichnung „Super Twin Treble“. Diese nur mit einem Tone-Regler ausgestatteten Verstärker gab es in drei Ausführungen: Bass, Normal und Treble. Diese Bezeichnungen bezogen sich jeweils auf den Klangcharakter des jeweiligen Modells. Die Bass-Ausführung klang wärmer, voller und bassiger als die Normal-Version.
Die Treble-Version war nochmals schlanker und höhenreicher abgestimmt. Erreicht wurde dies vor allem durch die Verkleinerung der Koppelkondensatoren, die je nach Größe Bässe aus dem Signal herausfiltern und daher den Sound schrittweise schlanker und heller gestalten. Somit klingt unser Proband auch sehr frisch und knackig, fast so, als wäre die Top-Boost-Klangregelung mit an Board, während man bei der Bass- und Normal-Version die Höhen oft kläglich vermisst. Und genau das macht diesen Amp so besonders. Der Normal-Kanal klingt genau so, wie man es sich von einem alten oder auch modernen Gitarren-Amp wünschen könnte. Absolut perfekt.
Der Tone-, oder genauer gesagt Treble-Cut-Regler ermöglicht die Feinabstimmung seitens der Präsenzen. Das funktioniert bei diesem Amp sekundenschnell.
Wie alle AC30 zieht der Amp seine 30 Watt Leistung aus vier EL84-Röhren, die in Kathoden-Bias-Schaltung arbeiten. Der Arbeitspunkt wird über einen gemeinsamen Kathoden-Widerstand von 50 Ohm bestimmt. Davor liegt eine ECC83-Treiberstufe, die, ähnlich wie in Fender- oder Marshall-Verstärkern, als sogenannte Kuhschwanz- oder Longtail-Schaltung ausgelegt ist. Vor der Treiberröhre sorgt jeweils eine Röhrenhälfte einer weiteren ECC83 für die Vorverstärkung mit fast identischen Werten wie bei einem Marshall. Die übrigen drei Vorstufenröhren gehören allesamt zu der Vox- typisch aufwendigen Tremolo-Abteilung, die jedoch gewohnt unzureichend arbeitet. Ohne Tremolo wäre das in der Summe ein ziemlich einfach aufgebauter Amp.
Der Verstärker stammt von einem Kunden, der ihn nach Jahren wieder in Betrieb nehmen und daher die Funktion sämtlicher Bauteile überprüfen lassen wollte. Und da die festgestellten Schäden ganz typisch für solche Verstärker sind, bietet sich eine genauere Beschreibung für derzeitige oder künftige Vox-Besitzer wirklich an.
Beim ersten Test bot der Amp gefühlte fünf Watt Leistung, war also sehr leise, klang schwach und unterkühlt. Der Normal-Kanal funktionierte überhaupt nicht, während Tremolo- und Treble-Kanal noch ganz ordentlich liefen. Auch das findet man bei alten Verstärkern oft vor: Sie funktionieren zwar noch irgendwie, sind aber weit entfernt von ihren eigentlichen Möglichkeiten. Sie tönen schwach, matschig und nicht selten zu hell oder harsch. Obwohl die Röhren frisch ausgewechselt wurden, änderte das an den Schwächen des Amps kaum etwas.
Die Untersuchung in meiner Werkstatt ergab folgende Diagnose: Sämtliche Netzteil-Elkos waren ausgetrocknet und daher weitab von ihren Sollwerten. Durch die große Hitze, die in einem Vox AC30 im Class-A-Betrieb stets ein Problem darstellt, zeigten auch zahlreiche Kohlepress-Widerstände Hitzeschäden. Teilweise zeigten die Widerstände Brüche und Risse, was ebenfalls die Sollwerte stark beeinflusste. Da waren etwa 100k-Widerstände, die am Messgerät 480k oder nur 20k zeigten sowie einige Kathoden-Elkos in der Vorstufe, die entweder ganz ausgefallen oder ebenfalls stark abgedriftet waren. Klar, dass so der Amp nicht mehr richtig funktionieren kann.
Solche Schäden finden sich praktisch in jedem Vox-Verstärker, der älter als 30 Jahre ist. Daher sollte man einen älteren Vox grundsätzlich einer Frischzellenkur unterziehen. Und genau das habe ich getan. Zunächst wurden alle Elkos ausgetauscht. Danach zumindest alle relevanten Widerstände in der Vor- und Endstufe. Der Kostenaufwand für diese Bauteile hält sich erfreulicherweise in Grenzen. Ein paar Elkos und Widerstände reißen keine großen Löcher in die Tasche. Das Problem liegt in dem teils erheblichen Arbeitsaufwand.
Die Anschlussbeinchen sind bei alten Vox-Verstärkern vor dem Anlöten in der Lötöse verknotet worden, weshalb man die alten Bauteile kaum aus den fragilen Lötfähnchen herausbekommt. Wenn nachhaltig repariert werden soll und das auch noch ganz ordentlich aussehen soll, benötigt man da schon mal zwei komplette Arbeitstage. Jede Schraube ist angerostet, das Chassis ist meist von innen mit dem aus den Trafos ausgelaufenen Wachs verunreinigt, in den Röhrensockeln steckt schmieriger Schmutz und viele Bauteile zerbröseln bereits, nachdem man sie mit einer Pinzette zum Auslöten festhalten wollte. Kurzum: Man arbeitet ein bisschen wie ein Chirurg im Krankenhaus.
Hat man diese Arbeiten jedoch bewältigt, arbeiten die meisten Vöxe wieder wie ein Uhrwerk. Und vor allem der abgebildete Amp hat mich beim ersten Test wahrlich in Verzückung versetzt. Dieser Amp klingt im Cleanbereich wasserklar und offen und glänzt weiter aufgedreht mit typischem Brit-Crunch in allerbester Manier. Ein wirklicher Genuss!
Einen großen Anteil an der Klangausbeute haben die beiden blauen Alnico-Speaker in der geschlossenen 2×12-Box. Das ist der perfekt ausbalancierte Lautsprecher: In den Höhen schmatzig und offen, in den Mitten und Bässen extrem konturiert, warm und cremig. Besser ist das kaum denkbar. Zum Schluss möchte ich noch ein paar Anmerkungen zur Baubestimmung auflisten. Sollte die Seriennummer (wie in meinem Fall) nicht weiterhelfen, kann man sich an folgenden Spezifikationen orientieren:
Von 1958 bis 1961 waren alle AC30 Combos oder Halfstack-Versionen mit blondem Tolex bezogen. Die Kühlschlitze waren aus Messing und recht flach und biegsam. Das Front-Panel war stets kupferfarben und die Frontbespannung braun.
Ab 1961 bis 1962 (ja, leider gab es stets längere Übergangsphasen) wurden die ersten Amps mit schwarzem Tolex beklebt. Teilweise war die Top-Boost-Einheit (Regler für Treble und Bass) auf der Rückseite angebracht. Der Frontbespannstoff war jedoch immer noch braun.
Ab 1963 wurde das schwarze Tolex bei allen Vox-Verstärkern verwendet. Ab 1964 erschien das Vox-Logo auf den Amp-Griffen (siehe Foto). Die Lautsprecher waren übrigens immer noch blau lackiert. Im selben Jahr wurden allmählich die kupferfarbenen Front-Panels durch dunkelgraue ersetzt. Die Kühlschlitze wurden jetzt aus dickerem, schwarzem Metall gefertigt. Es gab stets drei davon in einer Reihe an der vorderen Seite des Tops. Die ersten Amps hatten eine schwarze Frontbespannung. Ab 1965 waren die Lautsprecher (obwohl baugleich mit den Vorgängern) in silberner Farbe lackiert. Der Netzschalter war jetzt nicht mehr aus Metall, sondern Kunststoff. Ebenso wurde der Stecker für die Spannungswahl durch einen Drehschalter aus Kunststoff ersetzt.
Ab 1968 änderte sich auch das Firmenlogo auf dem Front-Panel von JMI-Product in Vox-Product. In der Folge wurden die Kühlschlitze von drei auf sechs Exemplare parallel angebracht erweitert. Zwischenzeitlich wurde das Vox-Logo vorne am Amp von den drei großen goldenen Lettern zu einem kleinen rechteckigen Vox-Logo verändert. Das geschah vor allem bei USA-Exporten.
Natürlich sind diese Spezifikationen immer noch recht vage. Aber sie können bei der Bestimmung durchaus als Orientierung dienen. Darüber hinaus kamen die Vox-Verstärker in den Fünfziger- und Sechzigerjahren mit ganz unterschiedlichen Trafobestückungen. Die allerersten Vox-Amps in den Fünfzigern hatten RS-Trafos, genau wie die frühen Marshalls. Danach wechselte der Trafo-Lieferant in teils kurzen Abständen von Permeko, Haddon, Albion und Woden, immer in dem Bestreben, bei der Herstellung Kosten zu sparen. Jeder Trafo-Typ hatte seinen ganz spezifischen Sound.
Möchte man einen alten Vox-Verstärker kaufen, sollte man darauf achten. Am wenigsten begehrt sind Modelle mit Permeko-Trafos (frühe Sechzigerjahre und ab Ende der Sechziger), da sie angeblich am wenigsten den typisch aggressiven Vox-Sound unterstützten. Haddon-Trafos lieferten angeblich ein Plus an Dynamik und Kontur, Woden den fetten, schmatzigen Vox-Ton und Albion den Ton mit den sagenumwobenen Glitzerhöhen. Bestätigen kann ich hier nur, dass unser Proband mit Albion-Trafos wirklich ein umwerfend schönes Höhenspektrum lieferte. The Edge lässt grüßen! Anderseits habe ich schon AC30 Modelle aus den Siebzigern mit den verschmähten Permeko-Trafos gehört, die fantastisch klangen. Das ist sicher Geschmackssache.
Alles in allem war dieser Amp der vielleicht beste, den ich in dieser Reihe vorstellen durfte. Ein Ton zum Verlieben!
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2019)
Sehr schöner Artikel!
Ich hab hier ein VOX AC30 Super Twin Head von 1966/67 bei dem leider der Woden Netztrafo stark raucht. Jetzt habe ich 2 Fragen:
– wo bekomme ich einen passenden Ersatz her der möglichst nah am Original ist? Oder ist neu wickeln lassen die bessere Alternative?
– ich finde leider nirgends einen Schaltplan zu dem Topteil. Gibt es so etwas überhaupt noch?
Danke und Grüße