Denkt man an Verstärkersammelware aus den USA, kommt einem automatisch der Name Fender in den Sinn. Nachdem die Tweed-Modelle aus den Fünfzigerjahren in den letzten beiden Jahrzehnten sagenhaft begehrt und daher teuer geworden sind, schauen sich Liebhaber alter Vintage-Klänge auch gerne mal nach anderen Marken um. Zumal diese Amps auch verdammt hübsch gestaltet sein können und durchaus noch mehr als ein Tweed-Combo an Vaters altes Röhrenradio erinnern. Zu diesen Amps gehört auch der hier vorgestellte Gibson GA-9 aus dem Jahr 1956.
Was hierzulande kaum jemand weiß: Die Gibson-Combos dieser Zeit waren in den USA mindestens genauso beliebt wie die Konkurrenten von Fender. Da sich beide Unternehmen an alten Westinghouse-Schaltungen bedienten, waren sie klanglich auch gar nicht so unterschiedlich. Freilich war Fender in Sachen Export weitaus aktiver, weshalb es nicht so viele Gibson-Amps über den großen Teich zu uns nach Europa geschafft haben. Sie sind heutzutage bei uns viel seltener als alte Tweed Amps von Fender.
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Immerhin restauriere ich schon seit 20 Jahren Vintage-Amps, und der GA-9 ist der erste, den ich je zu Gesicht bekam. Dagegen erreichten meine Werkstatt schon sämtliche Fender-Modelle. Der GA-9 stammt aus einer Modell-Reihe, die bei Gibson erstaunlicherweise viel größer aufgestellt war als bei Fender. Schaut man sich alte Gibson-Kataloge an, ist die Anzahl an Modellen wirklich enorm und daher entsprechend unübersichtlich. Man steigt da wirklich nicht mehr durch.
In den Fünfzigern wurden von Gibson über 10.000 Amps pro Jahr produziert. Darunter die gesamte Palette von kleinsten Bedroom-Combos zu großen Bühnen-Amps in nahezu jeder erdenklichen Variation. Dabei war es gar nicht mal so sehr der Rock’n’Roll-Hype, den Gibson bediente, sondern viel mehr die unzähligen Kirchen-, Heim- und Jazz-Musiker. Hier fand man die ideale Zielgruppe. Und natürlich spekulierte man darauf, dass Käufer einer Gibson-Gitarre auch einen Verstärker aus gleichem Hause dazu kauften. Und so geschah es auch oft.
Der GA-9 gehörte zu den kleinsten Modellen, sowohl von den Abmessungen als auch von der Leistung her. Dieser Amp ist beinahe identisch mit Fenders Tweed Champ 5C1 aus der gleichen Ära. Beide Amps haben eine 6SJ7 Vorstufenröhre, die das Signal direkt in die 6V6-Endstufe speist. Der GA-9 hat allerdings zwei 6V6, die parallel geschaltet wurden, wohl um etwas mehr Headroom zu bekommen. Somit schafft es der Amp trotz extrem niedriger Spannungen (nur 265 Volt in der Endstufe und 80 Volt in der Vorstufe) auf etwa 8 Watt Leistung.
Außerdem hat er mit einem Jensen 10-Zöller schon einen größeren Speaker als sein Konkurrent. Die Bedienung war einfach und selbsterklärend. Außer einem Netzschalter und einem Volume-Regler bleibt das Bedien-Panel leer. Gitarre, Lap-Steel oder Mikro rein, Lautstärke aufdrehen und los…
Aufgrund des relativ großen Speakers gilt der GA-9 heute auch als Geheimtipp für Harpspieler. Das Gehäuse ist nur ein klein wenig größer als beim Fender Champ. Es fällt etwas breiter aus, ist dafür aber nicht so tief und erinnert daher noch mehr an das alte Röhrenradio. Eine helle Textilbespannung, die mit Lack überzogen wurde und eine grob gewobene SpeakerFront sorgen für den einmaligen Retro-Look, der einfach jedem Musikzimmer bestens zu Gesicht steht.
Das Gibson-Logo wurde per Siebdruck einfach auf die Front gepinselt und gleicht natürlich dem Schriftzug, der jede Gibson-Kopfplatte ziert. Die Ziffer „9“ gibt Aufschluss über das Modell. „GA“ stand wohl für Gibson Amplifier. Also handelt es sich schlicht um die „Number 9“.
Der hier vorgestellte Amp wurde bereits vor geraumer Zeit in Deutschland restauriert. Der Ausgangsübertrager, ursprünglich auf dem alten Jensen-Speaker huckepack montiert, ist leider Geschichte und wurde durch ein entsprechendes Modell der Firma Welter ersetzt. Keine schlechte Wahl, wie sich noch herausstellen soll. Außerdem wurde der Alnico-Jensen gegen ein aktuelles Reissue-Modell getauscht. Die Koppelkondensatoren wurden durch die zur Zeit der Restaurierung üblichen WIMA MKP-Typen ersetzt.
Meine Aufgabe bestand darin, dem Amp wieder zur typisch glorreichen Gibson-Wärme zu verhelfen. Außerdem sollte das alte zweiadrige Netzkabel durch ein aktuelles mit Schutzleiter und Erde ersetzt werden. Das war wieder mal ein Fall für meine „Wühlkiste“, in der ich alte Bauteile aus den Fünfzigern aufhebe. Dort fand ich eine drastisch besser klingende 6SJ7 von Tungsol, zwei Astron Papier-Kondensatoren aus dem Jahr 1954 sowie eine uralte RCA 5V4 Gleichrichterröhre. Solche Bauteile sind auf dem freien Markt kaum noch zu finden und dieses Mal halfen sie dem kleinen Amp ordentlich auf die Sprünge.
Der ursprünglich etwas nasale und harsche Sound des Amps verwandelte sich nach dem Umbau in eine warme, klare „Jazz-Box“, deren Klangqualität, abgesehen von der begrenzten Lautstärke-Reserve, ihresgleichen sucht. Diese Verstärker besitzen aufgrund der einfachen Schaltung meist einen sagenhaft offenen und zugleich warmen Ton. Das ist in Worten nicht leicht zu beschreiben. In den unteren Registern klingt der Amp selbst mit Front-Humbuckern klar, hölzern und knackig, während sich der Hochton kristallklar, aber niemals unangenehm oder harsch präsentiert.
In dieser Ausprägung demontiert der kleine GA-9 sogar jeden Fender Champ. Durch den größeren Speaker erreicht er einen tieferen Grundton als sein Mitbewerber, und die doppelte 6V6- Bestückung beschert ihm offenbar einen größeren Headroom, der auch einer 56er-E-Saite einer Jazz-Gitarre standhalten kann.
Der Höhepunkt der Testversuche ergab sich jedoch erst mit der Verwendung unterschiedlicher Pedale aus meiner Overdrive-Sammlung. Mit dabei: ein alter Narrow-Box Tubescreamer von 1979 und ein Hughes&Kettner Tubeman 1 mit Klangregelung. Während der Tubescreamer verdammt gute Fusion-Klänge à la Lee Ritenour oder Larry Carlton ablieferte, verwandelte sich der GA-9 mit dem Tubeman 1 in eine Bedroom-Marshall-Wand erster Güte.
Dank der Klangregelung des Tubemans darf man dem grundsätzlich kompakten Sound noch etwas Bässe und Höhen spendieren – das öffnet die scheinbar physisch begrenzte Abbildungsgröße des kleinen Combos ganz entscheidend. Das klingt wirklich schon ganz groß, bleibt aber aufgrund der kleinen Endstufe wirklich zimmerlaut. Perfekt! So ergab es sich, dass der Nachmittag, an dem ich diese Kolumne schreiben wollte, ganz der Freude mit diesem fantastischen Amp gewidmet wurde. Man kann einfach nicht mehr aufhören, zu spielen…
Bleibt noch zu erwähnen, dass der Verstärker absolut ruhig und stabil lief – kein Rauschen oder Brummen, der Ton kommt buchstäblich aus dem Nichts.
Und ganz zum Schluss soll noch darauf hingewiesen werden, dass man solche Schätze wirklich noch weit unter € 1.000,– findet. Auf eBay oder Reverb.com fand ich Gebrauchtpreise um € 550 bis 650. Das ist im Vergleich zum Fender-Tweed-Champ nun wirklich ein Schnäppchen. Hoffentlich bleibt das noch einen Weile so, denn der kleine Gibson steht ab sofort auf meiner Wunschliste.