Jazzgitarrist mit 77 Jahren verstorben

Pat Martino: Einflüsse, Spieltechnik und Equipment

Anzeige
(Bild: EMI)

Der einflussreiche Jazz-Gitarrist Pat Martino ist am 1. November in seiner Heimat Philadelphia im Alter von 77 Jahren verstorben.

„Die Gitarre ist mein Lieblingsspielzeug. Ich muss sie jeden Tag in den Händen halten und mit Ihr herumspielen.“ Bei so viel kindlicher Begeisterung verwundert es kaum, dass er mit seiner Virtuosität, seinem Sinn für lange, fließende Melodiebögen und mit seinem warmen, dunklen Timbre in der Gitarre Generationen von Musikern beeinflusste und nebenbei auch noch eines der bewundernswertesten Comebacks der Jazz-Geschichte schaffte.

Anzeige

einflüsse

Pat Martino (ursprünglich Pat Azzara) wurde 1944 in Philadelphia geboren, wo er die ersten 14 Jahre seines Lebens verbrachte. Durch seinen Vater, der Jazz-Sänger war, kam er schon früh in Kontakt mit Musik und begann mit elf Jahren größtenteils autodidaktisch Gitarre zu lernen. Pat Martino wuchs als Einzelkind in einer Umgebung auf, in der er nur wenig Umgang mit anderen Kindern hatte. So lernte er schnell, sich in der Welt der Erwachsenen zurechtzufinden, sehnte sich dabei aber nach Menschen, die sich in seiner Sprache über seine Interessen austauschen konnten.

Mit 15 ging er nach New York, wo er sich schon sehr früh ins kalte Wasser des Profi-Musiker-Daseins warf, jedoch endlich das fand, wonach er suchte. „Meine Sprache war Jazz“, sagt er heute und da er sie mit jungen Jahren schon beeindruckend beherrschte, kam er in Harlem schnell mit Gleichgesinnten ins Gespräch. „Ich lebte in einem Traum und Jazz war der Himmel. Jazz war für mich Disneyland. Ich wollte all diese Leute treffen, zu denen ich als kleiner Junge aufgeschaut hatte. Und dieser Traum wurde wahr.“

So lernt er in dieser Zeit, Anfang der 60er Jahre, tatsächlich seine größten Einflüsse aus BeBop und Mainstream-Jazz persönlich kennen. Allen voran Wes Montgomery, den er nicht nur für sein außergewöhnliches Gitarrenspiel bewunderte, sondern vor allem von dessen Werdegang als Autodidakt und der daraus resultierenden Emotionalität und Hingabe beeindruckt war.

Aber Pat Martino verstand es immer, sich seine Einflüsse und Inspirationen von überall her zu holen. So ist ein anderer Gitarrist, Johnny Smith, mitverantwortlich für seinen harten Anschlag und sein präzises Timing. Doch die Liste könnte endlos werden: Joe Pass, Hank Garland, George Benson, Les Paul, Howard Roberts … Doch auch Vertreter anderer Instrumente müssen genannt werden, am wichtigsten war hier wohl der Saxofonist John Coltrane.

Viele dieser Musiker konnte Martino zu seinen Freunden zählen und mit den meisten arbeitete er er auch zusammen: die ersten Jahre zumeist als Sideman in Orgel-Trios, bis er 1967 seine ersten eigenen Projekte startete, um sich den Vorgaben anderer Musiker zu entziehen. Er experimentierte viel mit elektronischen Instrumenten, mit unterschiedlichen Tunings und verschiedenen Gitarren, und er veröffentlichte in den Jahren 1967 bis 1978 13 Alben unter eigenem Namen.

Leider kam dann 1980 der Einschnitt: Nach einer Operation, bei der ihm eine erweiterte Arterie im Gehirn entfernt worden war, hatte er fast sein komplettes Gedächtnis verloren. Er erkannte kaum seine Eltern, noch konnte er sich an sein früheres Leben als Pionier der Fusion-Gitarre erinnern, noch überhaupt an die Fähigkeit Gitarre zu spielen. Es folgte eine sieben Jahre dauernde Pause, in der sich Martino nach anfänglichen Schwierigkeiten („Ich hatte überhaupt kein Interesse mehr an Musik.“) wieder an das Gitarrespielen heranführte, was er einerseits mittels Hören der eigenen Platten tat, andererseits durch intensive Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit, den Freunden, die er vergessen hatte und der Faszination, die für ihn einmal von diesem Instrument ausgegangen war.

Es ist seiner Beharrlichkeit und der Hilfe seiner Eltern und vieler Freunde zu verdanken, dass er 1987 ‚The Return‘ (muse) feiern konnte. Seitdem nahm er wieder regelmäßig Platten auf, auf denen er sich zwar weniger experimentierfreudig zeigt, aber nichts an der Kraft, Prägnanz und Virtuosität vergangener Tage eingebüßt hat.

tonmaterial

Seine eigene Sicht- und Herangehensweise an das Thema Improvisation hat Pat Martino selbst in einigen Büchern und Lehrvideos dargelegt. Das beginnt bei „Linear Expressions“, das seinen Ansatz allein auf Basis der verschiedenen Griff-Pattern von Moll-Tonleitern beleuchtet, bis hin zu „The Nature Of Guitar“, das versucht, Musik allgemein und speziell die Tonkonstellationen auf dem Griffbrett zu entschlüsseln und auf Basis der Lehren von Alexandre Saint-Yves d’Alveydre grafisch darzustellen und miteinander in Zusammenhang zu bringen. Diese Darstellungsweisen sollten jedoch nicht davon ablenken, dass man schon beim Hören leicht die groben Eckpunkte von Martinos Spiel erkennen und herausfiltern kann.

Zu allererst fallen da natürlich seine berühmten, endlos fließenden Singlenote-Linien auf, die oft in sich schon einen ganz eigenartigen Spannungsbogen erzeugen. Diesen fließenden Charakter erlangt Martino durch eine durchgehende Achtel- oder Sechzehntel-Rhythmik, innerhalb derer er Tonleitern und Arpeggios mit Chromatik verbindet, wobei er große Tonsprünge stets vermeidet. Diese drei Dinge kann man fast gleichberechtigt nebeneinanderstellen, da sie in ständigem Wechsel vorkommen.

Zwar „denkt“ er dabei in Moll, dessen vier Hauptfarben Aeolisch, Dorisch, Melodisch und selten auch Harmonisch er je nach gewünschter Spannung abwechselt und miteinander kombiniert, er scheint dabei aber nicht immer auf „theoretisch Richtiges“ zurückzugreifen, sondern vielmehr seinen Fingern freien Lauf zu lassen, um die Linien schlüssig fortzuspinnen.

Auf der einen Seite stehen diese Linien – aber ihre Wirkung wäre nicht halb so stark, würden sie nicht immer wieder von einigen dieser unverkennbaren Martino-Gimmicks unterbrochen. Pat Martino liebt zum Beispiel Repeating-Patterns, die sich bei ihm auch gern mal länger als gewöhnlich hinziehen können. Eine ähnliche Wirkung haben auch seine Pedalton-Licks, bei denen er meist durchgehend auf der hohen, leeren E-Saite spielt und in einem bestimmten rhythmischen Muster Töne greift.

Interessant ist auch die Analyse seiner Solo-Anfänge, die meistens mit einem kleinen Motiv beginnen, das er dann verarbeitet: er verändert die Rhythmik oder fügt hier und da einen Ton hinzu. Oft geschieht dies mit Tönen der Blues-Tonleiter, die er sonst weniger verwendet. Ab und zu benutzt er auch Arpeggios, die über die obersten vier Saiten gehen, die er mittels Sweeping hoch- und runterspielt und dann chromatisch verschoben wiederholt. All diese Gimmicks stehen natürlich für sich selbst, aber sie haben auch immer die Wirkung eines Gegenpols gegen seine langen Linien.

Ein Akkordspieler ist Pat Martino nicht, auch wenn er Joe Pass als einen Einfluss nennt. Er begleitet selten, und wenn, dann nur mit ganz vereinzelt eingestreuten Standard-Voicings. In seinen Soli findet man ebenfalls nur selten mal einen eingestreuten Akkord. Im Gegensatz dazu finden sich auf seinen Veröffentlichungen ab und zu kurze aber ebenso virtuose Solo-Stücke.

spieltechnik

Alles oben Beschriebene intoniert Pat Martino auf diese unverwechselbare Art und Weise: Dumpfer Ton und eine sehr hart agierende rechte Hand, die fast jeden Ton anschlägt. Bisweilen benutzt er aber auch Hammer-Ons und Pull-Offs sowie Slides zur flüssigeren Verbindung von Tönen innerhalb seiner Linien. Ganz selten hört man mal ein Viertelton-Bending.

equipment

Was sein Equipment angeht, ist Pat Martino – abgesehen von der experimentellen Frühphase seiner Karriere und Basteleien am heimischen Rechner – immer eher einen bescheidenen Weg gegangen. Als Hauptarbeitsgerät wählte er entweder Hollowbody-Electrics im typischen Jazz-Gitarren-Bereich oder die etwas schwereren, dickeren Solidbody-Modelle, um diesen für ihn typischen weichen, runden Ton zu bekommen.

So spielte er in den 60ern fast ausschließlich Gibson-Gitarren (Les Paul, ES-175, L5, Johnny Smith Signature). Davon überlebte in den 70ern nur die L5, zu der sich einige von Sam Koontz gebaute Gitarren (eine davon mit integriertem TC-Electronic-Effektgerät) hinzugesellten. Nach seiner krankheitsbedingten Pause verwendete er eine Reihe für ihn gebaute Instrumente, darunter Solidbodies von Polytone, Abe Riviera und Ken Parker (Fly).

Letztenendes kehrte Pat aber zu seiner Hausmarke Gibson zurück, von denen er ein Signature-Modell bekam. Von dieser mit zwei Humbuckern ausgestatteten, etwas dünneren Hollowbody-Gitarre verwendet Martino nach eigener Aussage fast ausschließlich den Halstonabnehmer, dessen Tone-Regler er ziemlich weit zurückdreht. Das Signal dieses Instrument geht meist ohne Umwege in sein von Mesa/Boogie-Produkten dominiertes Setup: TriAxis-Preamp, Stereo Simul-Class 2:90 Endstufe und zwei 2×12-Boxen.

Für ein perfektes, brummfreies Zusammenspiel mit seiner Verwendung des Hals-Pickups, fährt er Bässe und Höhen am Verstärker eher etwas dezenter, hebt dafür aber die Mitten stark an. Dadurch erlangt er diesen wuchtigen, bassigen Sound ohne zu viel an Attack einzubüßen. Ab und zu ist er aber auch mit einem Roland-JC120-TransistorCombo (Jazz-Chorus) unterwegs. Die wenigen Effekte, die er benutzt, kommen aus einem Lexicon MPX-1.

Ein weiterer Aspekt von Pat Martinos Sound ist seine Saiten-Wahl. „Ich tendiere dazu, mit meiner rechten Hand sehr aggressiv anzuschlagen, um mein Spiel dynamischer zu gestalten. Als ich jung war und noch auf dünneren Saiten spielte, sind mir diese ständig gerissen. Ich entschied mich also dafür, mich an andere Saiten zu gewöhnen, anstatt meine Anschlagstechnik komplett umzustellen“ meint Martino. Deswegen benutzt er heute GHS-Strings in den Stärken .015, .017, .024, .032, .042 und .052.

drei licks

In den Noten zu diesem Beitrag finden sich drei Musikbeispiele aus unterschiedlichen Schaffenszeiten Pat Martinos; jedoch haben sie alle einen gewissen BeBop-Hintergrund gemeinsam und sind für ihn typische Passagen.

Beispiel 1 zeigt einen dieser oben erwähnten Solo-Anfänge und ist aus dem Titel ‚With All The People‘ vom zweiten Album seiner Band Joyous Lake ‚Stone Blue‘ (blue note), das 1998 veröffentlicht wurde. Der Ausschnitt beginnt nicht direkt am Anfang des Solos, zeigt aber, wie Pat Martino mit Motiven spielt und sie gekonnt weiterverarbeitet und verändert. Hier kombiniert er ein rhythmisches Doublestop-Motiv mit einem kurzen Blues-Lick.

In Beispiel 2 – aus ‚All Blues‘ von ‚Live At Yoshi’s‘ (blue note, 2001) – folgt dann eine dieser langen, fließenden Sechzehntel-Linien, die so ziemlich alles beinhaltet, was das Martino-Herz begehrt: In Takt 1 die Kombination aus Tonleiter und chromatischen Verbindungstönen, in Takt 2 ein Dm7-Arpeggio gefolgt von einer Akkordbrechungs-Sequenz. In Takt 5 findet sich dann ein Beispiel für die selten eingestreuten Akkorde, bevor die Linie im letzten Takt mit einer chromatischen Rückung endet.

Zuguterletzt sieht man in Beispiel 3 eines dieser Pedalton-Licks, wie man es auch aus vielen Rock-Soli kennt. Pat Martino verwendet es auch heute noch oft, dieser Ausschnitt ist jedoch bereits von seiner 1972 entstandenen Aufnahme von ‚Footprints’, zu finden auf dem Album ‚The Visit’ (muse).

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2007)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Welches Plektrum spielte Pat Martino? Dunlop Jazz3?

    Auf diesen Kommentar antworten
  2. hat er nicht zuletzt ein Signature Modell von Benedetto Guitars verwendet ?

    Auf diesen Kommentar antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.