Parts Lounge: Lautsprecher − Celestion 100

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Celestion 100

Vor ein paar Tagen klingelte der DHL-Mann und übergab mir ein Paket, das ich gar nicht bestellt hatte. Neugierig riss ich den Karton auf und fand einen nagelneuen Celestion-100-Jubiläums-Lautsprecher, den mir der Tube Amp Doctor aus Worms zugesendet hatte. Klasse, denn gerade zu dieser Zeit testete ich verschiedene Alnico-Lautsprecher von diesem Hersteller. Die Suche nach dem idealen Lautsprecher endet ja bekanntlich nie.

Ich habe ja schon oft erwähnt, dass ich seit nunmehr 50 Jahren stets Celestion-Lautsprecher bevorzuge. Und auch in meinen geliebten Tweed-Raptoren, die eine Hommage an den legendären 5E3 Tweed Deluxe sind (vergl. letzte Ausgabe), klingen eigentlich alle Celestion Alnicos ganz hervorragend. Die typische Offenheit im Hochtonbereich erinnert an die alten Jensen-Speaker, die aufgrund ihres Alters meist unbrauchbar geworden sind, während der gesamte Charakter dieser Speaker einen Schuss Marshall oder Vox ins Klangbild zaubert. Das ist genau mein Ding.

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Der Name des neuen Lautsprechers leitet sich vom Jubiläum des Herstellers ab. Tatsächlich wurde die Firma bereits 1924 gegründet und hat bis heute ihre Vormachtstellung zumindest in Europa tapfer verteidigt. Die Verbindung mit Vox und Marshall haben einen sehr großen Anteil daran.

Daher wundert es kaum, dass man das Jubiläumsmodell nach einem legendären Vorbild gestaltete. Gemeint ist der G12 T530, den man ab Anfang der Sechziger in zahlreichen Vox-, Selmer- und Marshall-Amps fand. Der Sound dieses Speakers schrieb buchstäblich Geschichte. Vor zwölf Jahren präsentierte ich hier eine 4×12 Marshall-Box aus dem Baujahr 1963, in der vier dieser Speaker verbaut waren, und schon ein paar Jahre zuvor hatte ich eine extrem seltene Bluesbreaker-One-2×12-Box mit zwei dieser Speaker.

1963er Marshall 4×12 mit vier Celestion Alnicos

Und jetzt gerade steht in meinem Keller ein Selmer Zodiac Kombo mit T 0731 Modellen, die von gleicher Bauart, aber leicht anders abgestimmt sind. Die graue Hammerschlag-Optik ist markant und verortet das Design tatsächlich in eine Art Vintage-Zeitalter. Der Celestion 100 wurde bewusst an diese Tradition angelehnt, obwohl man es sich nicht nehmen ließ, den Klangcharakter – nennen wir es mal – weiter zu verfeinern. Da ist zunächst die höhere Leistung, die mit 30 Watt angegeben wird. Die Originale haben dagegen „nur“ 15 Watt. Die Schwingspule verträgt jetzt aber mehr Hitze und arbeitet präziser als das Vorbild. Geblieben ist die typische Cone, die exakt dem berühmten Pulsonic-Design folgt.

Jim Marshall erzählte mir einmal, dass er zwar gezwungen war, die Lautsprecher-Designs stets für modernere Anwendungen zusammen mit Celestion weiterzuentwickeln, ihm persönlich für den echten Marshall-Sound die frühen Pulsonic-Cones immer am besten gefielen. Erst recht, wenn man, wie Clapton, eine Les Paul spielt. „Nur das ist der wahre Klassiker“, erklärte er mir.

Man muss dazu aber auch erwähnen, dass der ursprüngliche Alnico-Sound dieser frühen Hammerschlag-Celestion keineswegs das berüchtigte Rockbrett lieferte, wofür die mit Kermikmagneten ausgestatten „Greenback“ G12 T1222 später berühmt wurden. Die erste Begegnung mit diesen Speakern erinnerte mich eher an die SABA Greencones in meinem Kinderzimmer, wo ich über das alte Röhren-Radio meiner Eltern spielte. Für Clean-Sounds eine wahre Offenbarung, aber die Rockriffs schienen immer etwas harsch und verwaschen. Es fehlten auch die typisch tiefen Mitten.

Dennoch hatten diese Speaker etwas, das einen süchtig machen konnte. Im leichten Crunch-Betrieb präsentierten sie eine unfassbar schmatzige Kompression, wohl ihrer niedrigen Leistung und der Pulsonic-Membran geschuldet. Das Nachfolge-Modell in dunkelblauem Anstrich besaß da schon mehr Mitten und ging als „Alnico Blue“ noch vehementer in die Geschichte ein. Zuerst dachte ich, der Celestion 100 sei so ein typisches Marketing-Schmankerl, den sich Celestion zum Jubiläum gönnt und mit einem Verkaufspreis von satten 369 Euro ausschließlich etwas für Sammler ist. Das würde einen heutzutage nicht wundern.

So eine „Murphy-Lab-Master-Build“-Geschichte für den, der schon alles hat. Getestet habe ich den 100er natürlich in einem Tweed Deluxe sowie über einen 63er Marshall JTM45 inklusive Powersoak. Man weiß ja nie! Und gleich bei den ersten Riffs war klar, dass es sich hier um ein ganz eigenes Design handelt. Der Speaker besitzt zwar die bekannten Alnico-Tugenden wie jene Offenheit, die mit guten Amps diesen dreidimensionalen Sound abliefert, allerdings mit viel größerer Dynamik und vor allem einer fantastischen Saitentrennung, welche die zum Vergleich angehörten Alnico-Blue- und -Gold-Speaker einfach nicht bieten können.

Der Gold ist deutlich dunkler, der Blue zwar etwas wärmer, aber auch unschärfer. Dieser Charakter, der auch wieder an die besagte SABA Greencone erinnert, ist hier aber wesentlich autoritärer und punchiger als das Vergleich angehörte Original von 1964 mit 15 Watt. Vielleicht liegt es nun daran, dass der alte Speaker nun seine besten Zeiten bereits überschritten hatte. Das spielte beim Vergleich sicher eine Rolle. Aber diese perfekte Durchzeichnung des 100 ist sicher auch seiner höheren Leistung und der überarbeiteten Schwingspule zu verdanken.

Celestion 100 mit 64er Celestion Alnico

Der Tweed Deluxe oder auch der JTM 45 sind bekannt für ihren eher dunklen Klangcharakter. Gepaart mit einem Alnico Gold passt das meiner Meinung nach oft nicht, denn auch dieser Lautsprecher featured eher die tiefen Mitten. Der Alnico Blue bietet in den unteren Registern oft schon zu viel des Guten und wummert vor allem im Tweed Deluxe schon ein wenig, während die Höhen manchmal etwas kratzig geraten. Letzteres bewältig man dann mit dem Tone-Regler an der Gitarre.

Anders der 100: er klingt noch offener als der Alnico Blue oder das alte Vorbild, besitzt aber gleichzeitig ungemein straffe Bässe, worüber sich alle Spieler freuen dürften, die mit ihrer Les Paul oder ES gern den Hals-Pickup benutzen. Hier passt alles perfekt. Von U2-artigen Glockenklängen über bluesig singenden Singlenotes bis zu durchsetzungsstarken Crunch-Riffs ist hier alles drin. Mit einer Stratocaster gelingen klare John-Mayer-Licks oder schwebende David-Gilmour-Soli absolut perfekt.

Fetzige Sounds – das heißt laut und mit hartem Anschlag – erinnern sofort an Pete Townshends Windmühle oder das eine oder andere Steve-Marriott-Riff während seiner Zeit bei den Small Faces. Zum Schluss habe ich den 100 mit seinen rockigeren Kollegen G12M Heritage Made in England und dem G12M 65 Creamback verglichen, die überraschend anders klangen. Hier werden eher wieder die tiefen Mitten gefördert.

Außerdem haben sie diesen für Marshall typischen „Schmier“, der einfach für ein ZZ-Top-Lick unverzichtbar erscheint. Auch Heavy-Rock-Klänge gelingen mit dem 100 nicht annähernd so gut wie mit den Keramik-Modellen. Und dennoch schaltet man immer wieder mit Verzückung auf den 100 zurück und entdeckt dabei die Möglichkeiten von Gitarre und Amp völlig neu. Und das ist ja auch gut so.

Die Verdichtung in den Greenbacks und Creambacks löst dieser Lautsprecher wieder in Einzelfarben auf und schafft so eine unfassbar scharf umrissene Klarheit. Der einzige Wermutstropfen scheint wirklich der durchaus hohe Preis zu sein. Zwar ist dieser Speaker auch ein echter Hingucker, aber nicht jeder wird sich solch exquisite Ware gönnen können. Erst recht, wenn man damit seine 4×12 bestücken möchte.

Bedenkt man jedoch, dass der Speaker mindestens zu 50 Prozent am Klangergebnis eines Amps beteiligt ist, scheint der Preis gar nicht mehr so hoch. Man kann zum Beispiel recht günstige Combos entscheidend damit aufwerten. Mein Blues Deluxe zum Beispiel (gebraucht ca. € 650) klang mit dem 100 um drei Klassen besser. Ach ja, und natürlich herzlichen Glückwunsch an Celestion zum Jubiläum! Bis zum nächsten Mal!

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2024)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Schön mal was über Lautsprecher zu lesen!
    Die sind so wichtig für den Sound, aber kaum jemand schenkt dem Bedeutung.

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  2. So ziemlich der beste Speaker, den ich jemals gespielt habe!

    Einerseits durchaus ein echter Celestion, aber so ganz anders als ein typischer G12M oder V30.

    Zeigt, was mit entsprechendem Aufwand technisch möglich ist oder wäre, was sich allerdings dann auch im Preis niederschlägt. Ist halt keine China-Ware….

    Positiv ist der bewusst gewählte Vintage-Modern Charakter, mit diesem Speaker geht alles von Vintage Clean bis sogar Metal, wenn man beispielsweise einen frischere, transparentere, dynamischere Alternative zum V30 Industriestandard sucht.

    Mir persönlich gefällt er am besten in einem 212 oder 412 Closed Back Cabinet in Kombination mit einem Vox, Marshall oder Orange Amp, oder auch mit einem Engl, EVH oder Diezel. Ach was, mit Tweed Amps klingt er auch super, also eigentlich mit allem, was ich bisher probiert habe…

    Bester Speaker-Breakup ever für mich, außergewöhnlich gut ist auch die Harmonics Wiedergabe.

    Klanglich gibt’s für einen Alnico Speaker gute, aber tighte, fuzzfreie Bässe, eher dezente aber genügend präsente Mitten für auch heißere Sounds und superschöne, intensive Höhen und Obertöne ohne Kratzigkeit und mit einem Tick Sweetness kombiniert mit genügen Biss.

    Lifetime-Investment, sage ich mal. Wem diese Investition doch zu teuer ist, der kann immer noch auf das deutlich günstigere, aber ebenfalls exzellent klingende Celestion IR-Set zurückgreifen 😉

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