Kolumne

Parts Lounge: Die Zukunft des Röhren-Amps – Teil 3

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Lieber reparieren als wegschmeißen? (Bild: Thomas Dorn)

In der letzten Folge über die vermeintliche Zukunft des Röhrenverstärkers widmen wir uns zunächst noch einmal den ästhetischen Gesichtspunkten und dann der sogenannten Nachhaltigkeit.

Wie viele von Euch wissen, schreibe ich nicht nur über Instrumente, sondern repariere seit etwa dreißig Jahren Gitarrenverstärker. Hin und wieder baue ich auch eigene Custom-Modelle auf Kundenwunsch. Das ist keineswegs Raketentechnik. Die Amps sind meist ziemlich simpel aufgebaut. Es geht vor allem darum, die Verstärker klanglich so abzustimmen, dass ein Musiker damit glücklich wird. Und das ist bei älteren Röhrenverstärkern mit etwas Erfahrung durchaus möglich. Meine Kunden suchen nach einem ganz individuellen Klangcharakter. Das heißt sie haben eine oft sehr konkrete Vorstellung wie der Verstärker klingen soll. Das umzusetzen, bleibt mir überlassen. Schließlich kommt der Kunde, um den Amp wieder abzuholen. Und das ist der entscheidende Moment. Die Musiker sitzen hier und spielen, und meist kann man nur am Gesichtsausdruck ablesen, ob ich ihren Geschmack getroffen habe. Das geschieht oft, aber nicht immer. Dann geht es ans Feintuning. Man tauscht Röhren, eventuell Spannungswerte, Lautsprecher oder Kondensatoren. Das meiste davon lagere ich in meiner Werkstatt und verfüge somit über einen Fundus von Möglichkeiten, die ich dem Kunden anbieten kann.

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Dabei fällt auf, dass auch die meisten Musiker ihre Bedürfnisse kaum in Worte fassen können. Vielmehr scheint es wichtig, wie sich der Verstärker „anfühlt”, wie er auf den Anschlag „reagiert” oder sich der Ton im Raum ausbreitet.

Das ist ähnlich wie beim Autokauf. Die meisten Käufer verlangen nach einer Probefahrt. Sie wollen ermitteln, ob sie sich im Auto wohlfühlen. Wie sitzt man im neuen Auto, welcher Diktion folgen die Armaturen, wie ist die Beschleunigung und so weiter…?

Also muss ich solche Bedürfnisse meist erraten. Welche Gitarre spielt er und welche Musik soll damit gemacht werden? Ist er eher Blues-, Rock-, Metal- oder Jazz-Gitarrist? Wenn man Glück hat, bekommt der Kunde am Ende einen Amp, der genau zu seinen Bedürfnissen passt. Vorerst jedenfalls, denn die Klangvorstellungen können sich ja bald auch wieder ändern. Jeder von uns kennt und liebt Gitarristen, wo das aber nie der Fall war. Jeff Beck liebte Marshalls und spielte sie bis zu seinem Ende. Ebenso Angus Young oder Slash. John Mayer liebt Fender- oder Dumble-Amps, Eric Clapton und Keith Richards ihre Tweed Twins. Aber auch alle genannten beschäftigen Techniker oder Tuner, um ihre Amps fit zu halten und für ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie waren und sind an die Interaktion mit ihrem Equipment so gewöhnt, dass sie nie auf die Idee gekommen sind, etwas anderes zu spielen. Solche Beispiele gibt es noch zur Genüge.

Alte Amps! Gewappnet für weitere 50 Jahre? (Bild: Udo Pipper)

Mir fällt mittlerweile auf, dass zahlreiche Kunden von mir, die sich einst erleichtert von mir verabschiedeten, weil sie endlich einen Modeling-Amp gefunden hatten, der angeblich alles kann, vorläufig nie Service brauchte, auch schön leise zuhause funktionierte und entsprechend klein und leicht war, zurückkehren und wieder einen Röhren-Amp suchen. Wenn ich frage warum, höre ich oft: „Na ja, das fühlt sich doch irgendwie anders an.” Was das heißt, verstehe ich persönlich nur zu gut, überlasse die genaue Deutung aber eher den Ästhetik-Fakultäten.

Um den Sound primär geht es gar nicht. Vielmehr um so genannte Entsprechungen. Vorne steht der Gitarrist mit vielleicht Flickenjeans und einer geagten Stratocaster, deren Kabel dann in ein iPhone-artiges Gebilde mündet. Ist das cool?

Und technisch gesehen verhält es sich folgendermaßen: Als neulich unser Haus renoviert wurde, haben wir natürlich auch den Keller ausgemistet. Es wurde Zeit dafür, denn der war bis oben hin voll mit Gebrauchsgegenständen, die wir nicht brauchten oder die defekt waren. Da gab es einen Raum, da fanden wir alle ausrangierten iPhones der letzten 20 Jahre, darunter auch noch alte Handy-Knochen von Siemens und Nokia. Etliche Frühversionen bestimmter Workstations, Kilometer von Netzwerk-Kabeln, alte USB-Kabel, Ghettoblaster, CD- und DVD-Player, Netzteile und Ladegeräte und auch ein paar alte Rack-Delays, die niemand mehr reparieren wollte (Lexicon, Roland, Yamaha). Und zuletzt auch ein paar frühe Industrie-Versuche für Digital-Amps, die ich mir mal interessehalber zugelegt hatte. Alles Schrott. Und da kam es dann auch hin: auf den Wertstoffhof. Ende – Aus!

Um Weihnachten herum bekam ich wieder mal Nachrichten vom Anbieter gesendet, das „Ihr Apple-TV ab dem 01.01.2025 keine Netflix- und Youtube-App unterstützt”. Dann liefen die Lizenzen für etliche meiner teuer erkauften Plug-Ins für mein Heimstudio aus. Denn die hatte ich ja eigentlich nicht gekauft, sondern nur „gemietet”. Aha!

Dann ergab es sich, dass ich einen Dumble hier zum Service hatte. Ein Freund von mir wollte den unbedingt profilen. Und das, sage ich Euch, war für mich reinste Raketentechnik. Das war aus meiner Sicht ziemlich kompliziert, langwierig und auch schon recht einschränkend, denn man kann ja nur jeweils eine Amp-Einstellung profilen. Also hat er acht Profiles mit unterschiedlichen Einstellungen gemacht. Die Klangergebnisse waren gut bis sehr gut und haben mich selbst überrascht. Aber war aus dieser kleinen Modeling-Kiste, die er mitgebracht hatte, nun ein Dumble geworden? Nein! Nur eine kleine Metallkiste ohne jede Anmut und ästhetisch von absoluter Beliebigkeit. Sie hat einen Chip-Satz, der vielleicht in zwei bis drei Jahren nicht mehr hergestellt wird. Dann gibt es eine Upgrade-Version davon, bald dann die dritte, die vierte und so weiter. Bei diesen Versionen dann „mit noch besserer Rechenleistung, mit eingebauten Effekten und verbesserter Speaker-Simulation…” Und schon haben wir alle wieder den Keller voll mit alten Geräten, die nicht mehr zeitgemäß sind. Dieser Turnus steuert auf „jährlich” zu, wie viele Produkte schon zeigen. Und wer repariert, wenn’s mal nicht funktioniert? Gute Frage! Damit bin ich überfordert. Ist die Garantie abgelaufen, ist Schluss mit lustig. Und die meisten Geräte sind genau für diesen knappen Zeitraum ausgerichtet. Nachhaltigkeit Fehlanzeige!

Das ist gesichert die Zukunft der Digital-Amp-Generation (Bild: PitukTV/Shutterstock. No use without permission.)

Die Folge ist ein enormer Zuwachs an Elektroschrott mit wertvollen Rohstoffen, aber auch viel Giftmüll. So sieht jedenfalls gesichert die Zukunft moderner Digitaltechnik aus. Schon jetzt sagen die Fachgremien einen durch KI erzeugten Zuwachs an Elektroschrott bis zum Jahr 2030 um einen Faktor 1000 voraus.

Und dann gehe ich in meinen Showroom und sehe all diese schön designten Amps, die alle mindestens 50 Jahre und mehr auf dem Buckel haben. Ein paar neue Röhren oder Kondensatoren, und schon liefen sie wieder perfekt. Sie mögen nur jeweils einen Sound richtig gut abliefern, aber tut das eine Trompete, ein Saxophon oder ein Klavier nicht auch? Wozu brauche ich 100 Profiles? Ich hab keine Ahnung! Ich hab gerade die Nase voll von kleinen Alleskönnerkisten, die ich übers Netz erst installieren muss und mit allerlei Kenn- und Code-Wörtern freischalten muss. Ich will keine Mini-Schaltnetzteile mehr sammeln und regelmäßig entsorgen, selbst mein Auto fragt mich jeden morgen nach einer Audi-App. Grrr. Wenn ich Gitarre spiele, will ich mich entspannen. Ich schalte haptisch angenehm den Carling-Schalter um, die große Netzleuchte blinkt mir in warmen Rot entgegen und ein leichter Brumm signalisiert mir, dass der Amp spielbereit ist. Auch wenn ich kaum noch auf Bühnen aktiv bin, ist das jedes Mal ein kleines Fest. Mir reichen kleinere Amps, Princetons und Tweeds, die schönen Rock’n’Roll machen. Deswegen hab ich mal angefangen, Gitarre zu spielen. Das war so eine Art ganzheitlicher Wunsch. Ich nutze mein iPhone jeden Tag und auch meinen modernen Rechner. Das reicht. Im Keller fand ich neulich noch das alte, elfenbeinfarbene Bakelit-Telefon meiner Eltern. Viel schöner als ein iPhone. Aber eben aus der Zeit. Eigentlich schade, denn schöne Dinge haben damals das Leben bereichert. Und wenn ich zurückdenke, hatten meine Eltern dieses Telefon ihr Leben lang … Und es konnte nur telefonieren! ●


(erschienen in Gitarre & Bass 03/2025)

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