Parts Lounge: Die Zukunft des Röhren-Amps

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Fender Princeton Combos über sieben Jahrzehnte (1959 – 2024)

Neulich beim Abendessen schwärmte ein guter Freund von seinem neuen ToneX Modeling-Amp. „Das Ding ist der Hammer”, entfuhr es ihm. Und dann: „Der Röhren-Amp ist nun endgültig tot. Hat keine Zukunft mehr! Basta.” Natürlich fühlte ich mich da nicht angegriffen. Ich hab ja im Prinzip nichts gegen Fortschritt und erst recht nichts gegen Modeling oder KI-gesteuerte Amps. Und dennoch gibt es da ein paar Überlegungen, die mir diesen Text hier wert sind.

Wie es täglich in unseren Nachrichten heißt, sind unsere Gesellschaften vor allem politisch zunehmend „gespalten”. Die einen mögen das, die anderen eben etwas anderes. Diskussionen darüber seien unmöglich, weil die Fronten verhärtet sind und jeder des anderen Meinung geradezu hasst. Und schaut man in Musiker-Foren, dann findet man ähnliche Situationen. Während die einen nur noch programmieren und profilen und sich einen Amp mit endlos vielen Sounds wünschen, vertrauen die anderen hartnäckig auf vintage Röhre. Und diese Lager scheinen geradezu verfeindet.

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Ein Kunde sagte mir dazu neulich: „Während wir alten Rock’n’Roller sinngemäß noch mit echten Frauen schlafen, treiben es die Modeling-Typen mit Gummi-Puppen aus dem Sex-Shop.” Entschuldigt bitte den derben Vergleich, aber er verdeutlicht um was es geht. Jeder hält sich für den Hüter der Wahrheit. Die einen feiern Fortschritt und „gehen mit der Zeit”, die anderen huldigen dem Wahren, Schönen, Guten, sprich dem Röhren-Amp. Romantik gegen Cyber-Sex?

Die Fortschrittlichen feiern die Praxistauglichkeit der neuen Verstärker-Systeme, die so klein sind, dass sie auf ein Effektboard passen, die anderen geben ein Vermögen für einen alten Fender Tweed Deluxe aus oder sitzen ein Jahr im Keller, um John Mayers Lieblings-Dumble-Amp so originalgetreu wie möglich nachzubauen. Wen davon sollte ich verurteilen oder anfeinden, solange damit Musik gemacht wird?

Das scheint mir absurd. Obwohl ich seit dreißig Jahren ausschließlich an Röhren-Amps herumschraube und auch solche Konstrukte immer wieder selbst baue, habe ich kein Problem mit Fortschritt, namentlich wirklich praktischen, chipbasierten kleinen Amp-Lösungen mit zahlreichen Optionen.

MODELING FRÜHER

Mitte der Neunziger Jahre traf ich Thomas Blug in einem Tonstudio in Mannheim. Sofort fingen wir an zu fachsimpeln und irgendwann sagte ich ihm, dass ich mir einen Fußtreter wünschte, der eine Marshall-JTM45-Vorstufe nachbildet und den ich dann vor jeden beliebigen Amp hängen könnte. Thomas lächelte breit, ging raus an sein Auto und holte einen Hughes & Kettner Tubeman 1 und sagte: „Hier probier mal! Das müsste passen!”

Gesagt, getan, und seither bin ich begeistert von dieser sehr frühen „Amp- auf-dem-Board-Lösung”. Der Tubeman 1, damals der maximale Fortschritt, war seither ein treuer Begleiter, denn ich bekam mit ihm nahezu wirklich den Sound eines JTM45 aus meinem Fender-Amp. „Kein Wunder”, erklärte mir Thomas, „denn dieser Preamp hat exakt das Voicing, das du suchst – plus ein paar Optionen.”

Thomas arbeitete damals für das saarländische Unternehmen als Berater, Vorführer und Ideengeber. Und die waren damals wirklich fortschrittlich. Sie erfanden nicht nur den Tubeman, sondern auch die sogenannte Cream-Machine oder das Rotosphere, das auch heute noch Profis wie Bonamassa oder Warren Haynes auf ihren Boards haben. Jeff Beck hatte auch eins. Konkurrenten waren damals der durch David Gilmour berühmt gewordene Chandler Tubedriver und später der ähnlich aufgebaute Mesa Boogie V-Twin. Eine wahre Revolution für User, die sich endlich eine Alternative zum Boss DS-1 oder Tube Screamer wünschten. So wie ich.

Thomas sagte mir vor einigen Jahren, dass der Tubeman 1 ein Wegbereiter für seinen BluGuitar Amp 1 gewesen sei. Kein Wunder, das so etwas gut ankommt. Ende der Neunziger setzte Line 6 mit dem „Pod” einen ähnlichen Trend in Gang und kurz darauf folgte das Fractal-Audio-System, dass sich noch professioneller und vielseitiger gab. Alle hatten jedoch zum Ziel, möglichst originalgetreu die Sounds von berühmten Röhren-Amps nachzubilden. Das fand ich damals schon ein bisschen schade, denn man hätte sie ja auch nutzen können, um völlig neue bisher unbekannte Gitarrensounds zu kreieren.

Dann kam der Kemper-Amp und revolutionierte die Verstärker-Welt wie kein anderer. Obwohl ich ein unbeirrbarer Röhren-Amp-Fan bin, kann ich nur sagen „Hut ab” vor so einer wegweisenden Entwicklung. Noch dazu Made in Germany. Heute steht in beinahe jedem Studio auf der Welt so ein Teil und unzählige Musiker nutzen den Kemper live und zuhause für Aufnahmen.

Die Idee dahinter? Man profiled seinen Lieblings-Amp oder gleich mehrere davon und kann sie jederzeit und vor allem in jeder Lautstärke abrufen. Gitarrensounds steckten jetzt endgültig in Rechnern und Algorithmen. Auch Thomas Blug hat solche Geräte damals ausgiebig probiert, blieb aber bei seiner Ansicht, dass das ganze analog bleiben sollte und entwickelte schließlich seinen Amp 1, der einen analogen Gitarren-Amp nun im Fußtreter-Format bot.

Nach etlichen Jahren, in denen Kemper und Fractial Audio praktisch konkurrenzlos den Markt beherrschten, kamen parallel zum Amp 1 zahlreiche Board-Amps gleichzeitig auf den Markt. Natürlich auch von Yamaha oder Mooer. Heute wird der Markt davon regelrecht überschwemmt. Auch Fender und Marshall bauen mittlerweile auf digitale Modeling-Technik.

Es scheint fast wie in den Sechzigern, wo jeder, der einen Lötkolben halten konnte, einen Röhren-Amp bauen wollte. Doch eigentlich sind die Marken, die da um die Gunst der „Hobby”-Gitarristen wetteifern, heute noch zahlreicher. Und sie schauen voneinander ab. Blackstar soll gar einen BluGuitar Amp geklont haben. „Geheimagenten und Whistelblower” kommen ins Spiel, so hart wird um jeden Dollar gekämpft.

RÖHRE WAR GESTERN?

Gleichzeitig befinden sich derzeit die Preise für alte Vintage-Amps im Sturzflug. Will die jetzt keiner mehr haben? Waren die nicht in den letzten Jahren sowieso viel zu teuer geworden? Ich sehe da Dumble-Overdrive-Special-Amps für 250.000 bis über 400.000 Dollar im Netz. Sind die jetzt bekloppt? Ein Tweed Deluxe – meinen ersten eigenen hab ich 1992 in Londons Denmark Street für 400 Mark gekauft – sollte letztes Jahr noch über 10.000 Dollar kosten. Mittlerweile ist aber auch diese Blase geplatzt.

Innenleben eines 1959 Fender Tweed Deluxe

Diese Amps haben vielleicht 12 bis 15 Watt, einen Volume- und einen Tone-Regler, und that’s it. Außerdem gibt es mittlerweile ebenfalls mindestens gefühlte 400.000 Repliken dieser Amps, meine eigenen eingeschlossen. Es gibt auch gefühlte 100.000 Dumble-Klone von allen möglichen Anbietern und jeder will der Beste sein. Wenn man John Mayer als Zugpferd hat, kann man 6.500 Euro dafür verlangen, wenn nicht, dann vielleicht 3.500 Euro. Aber welcher Musiker soll, will, und kann sich das leisten?

Ist ja schön und klingt auch ganz toll, wenn Joey Landreth seine Slides über den eigens für ihn entwickelten Two Rock erklingen lässt. Aber muss der dafür bezahlen? Und wenn ja, kann der sich das eben auch leisten. Den weniger betuchten Musikern bleibt dann nichts anderes übrig, als sich im Netz ein Profile von diesen Sounds zu kaufen und in ihren Kemper oder ToneX zu laden.

Macht das dann Spaß? Im ersten Moment vielleicht schon. Aber schon als sechsjähriger musste ich mich über das sinnentleerte Sammeln von Fußballbildern wundern, nur um das Album vollzukriegen. Ich war dann sogar noch überrascht, dass die erwartete Genugtuung ausblieb, als es endlich komplett war. Und so ist es mit dem Sammeln von Soundfiles. „Wer hat mehr?” „Was, du hast das aktuelle 2024er Setup von Bonamassa geladen? Hendrix’ Woodstock-Sound, Stevie Lukathers ‚Rosanna’-Setup oder John Mayers ‚Gravity’? Her damit, aber sofort!”

Nebenbei explodiert eine ungeheure Flut von Fußtretern. Sind es nur Millionen oder schon Milliarden? Gefühlt sind es Trilliarden… Im Fernsehen kommt sowieso nix, also schaut man abends die Pedal-Show mit Mick und seinem Partner und darf sämtliche clones vom echten Klon Centaur Pedal anhören. Alle geil, und vor allem günstiger als ein Original. Dazu noch unzählige Delays, Booster, Fuzzfaces und oft komische Noise-Macher jeglicher Coleur. Nur Musik machen die nie damit, sondern klampfen rum, nicken begeistert und freuen sich scheinbar über jede Note.

Ich habe bereits Kunden, die Vintage Amps kaufen, nur um sie zu profilen. Danach werden sie sofort wieder verkauft. Ich selbst habe da bereits jegliche Orientierung verloren. Ich hab nur einen Tubescreamer und einen Tubeman 1, und das schon seit der gefühlten Steinzeit. Irgendwie haben die immer gepasst und ich spiele schon lange nicht mehr in bestimmten Projekten, wo mehr Sounds gefragt wären.

Ist angesichts dieser unübersichtlichen und mit technologischer Lichtgeschwindigkeit fortschreitenden Marktvielfalt der Röhren-Amp nun wirklich tot? Ich glaube kaum. Und schon wird da geflüstert, dass sich da bald eine Kehrtwende in Richtung „neue Einfachheit” ankündigt. Es bleibt spannend, mehr dazu natürlich in der nächsten Ausgabe.

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2025)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Die Leute sind alt genug. Es ist ihr Leben. Sie müssen wissen was sich zulegen und was nicht. Der Preis-/Leistung-/Kosten-/Nutzenfaktor ist ein Thema, bzw. was man sich für sein hart erarbeitetes Geld leisten möchte und kann. Wenn es für einen selbst passt, dann ist doch alles super. Was die anderen machen nur Nebensache. Optisch muss es ebenfalls passen. Das Auge spielt schließlich mit. Vielleicht ist das alles auch so ein Generationen-Ding. So lange ich glücklich und zufrieden mit meinem Gear bin passt es für mich. Freude den Fischen im tiefen, blauen Meer. Freude auch dir und mir.

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