Günstige Arbeitstiere, unterschätzte Underdogs, übersehene Youngtimer und vergessene Exoten: In den „Kleinanzeigen Heroes“ stellen wir euch die Geheimtipps des Gebrauchtmarkts vor, die einen maximalen „Bang for the buck“ liefern.
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Cort HBS Hiram Bullock Signature
Er war 1,91 m groß und pflegte einen derart großartigen Gitarrenstil irgendwo zwischen Rock, Funk und Jazz, dass er für mich in seiner Glanzzeit einer der Allergrößten gewesen war.
Hiram Bullock, 1955 in Osaka, Japan, geboren, studierte am Miami Conservatory of Music, u.a. bei Pat Metheny und Jaco Pistorius, bevor er nach New York zog, wo seine eindrucksvolle Karriere ihren Lauf nahm.
Er wurde einer der bestgebuchten Sidemen unzähliger Berühmtheiten und ab 1982 als „The Barefoot Guitarist“ selbst zum Star – als stets barfuß auftretender Gitarrist der ‚The World’s Most Dangerous Band‘, die in der populären David-Letterman-Show den Ton angab.
Zudem nahm er im Laufe der Zeit 13 Solo-Alben auf, darunter das 2009 veröffentlichte ‚Plays the Music of Jimi Hendrix‘ – ein 2004 aufgenommener Live-Mitschnitt der WDR-Bigband mit ihm und Billy Cobham.
Bullock wurde nur 52 Jahre alt und starb 2008 nach einer Krebsoperation, die zunächst als erfolgreich eingestuft wurde. Andere Quellen behaupten jedoch, dass sein Leben auf der Überholspur auch seinen Tribut gefordert haben könnte …
THE BASTARD
Hirams Hauptgitarre war eine schwer heruntergekommene Fender Stratocaster mit Spitznamen „The Bastard“. Sie bestand aus einem 1963er Body und einem 1961er Hals und war in den Hals- und Steg-Positionen mit je einem Gibson PAF bestückt.
Außerdem hatte sich Bullock vom japanischen Gitarrenbauer Ryuou Motoyama ein Instrument bauen lassen, das recht frei seine alte Fender Strat interpretierte. Gegen Ende der 1990er-Jahre begann der renommierte koreanische Hersteller Cort vermehrt bekannte amerikanische Musiker zu rekrutieren, um mit ihnen werbewirksame Signature-Instrumente zu entwickeln.
Zu dieser Zeit folgten Größen der Zunft wie Larry Coryell, Joe Beck, Matt “Guitar” Murphy, Billy Cox und eben auch Hiram Bullock dem lockenden Ruf aus Korea.
FEINCORT
Vorlage für Corts Bullock Signature HBS war die Motoyama-Gitarre, und die Features der HBS zeigen auf beeindruckende Weise, dass der Hersteller tatsächlich aufs Ganze ging:
• Korpus aus leichter Sumpf-Esche (Gewicht: 3,3 kg)
• Hals und aufgeleimtes Griffbrett („maple cap“) aus attraktiv gemasertem Ahorn; Halsrückseite matt lackiert, Vorderseite hochglänzend
• Wilkinson VS50 2-Punkt-Tremolosystem
• Sperzel-Trim-Lock-Mechaniken, locking und staggered
• Rollensattel und Rollen-Saitenniederhalter
• Mighty-Mite-Pickups in der von Bullock geliebten HSH-Formation
Kurz gesagt: Diese Gitarre ist großartig! Sie liegt extrem gut in der Hand, die Dynamik und Tonentfaltung ist erstklassig, die Handhabung des Vibratosystems extrem wirkungsvoll und stimmstabil! Herausragend auch die extreme Vielseitigkeit, denn diese Pickup-Bestückung kann glaubwürdig Jazz, Funk und Rock.
Und alles dazwischen. Die wenigen Mängel sind schnell erzählt. Vor allem kann dieser Rollensattel nerven, denn bei heftigeren Bendings hüpfen die Saiten gerne mal aus den Kerben heraus und liegen dann neben der Spur. Wer einen kräftigen Spielstil bevorzugt, dem sei der Einbau eines Knochen- oder Graphitsattel sehr ans Herz gelegt.
Abgesehen davon wirken die beiden Roller-Stringtrees etwas übermotiviert, denn die staggered Sperzel-Mechaniken könnten auch alleine dafür sorgen, dass die Saiten genügend Druck auf den Sattel ausüben. Aber gut – das ist Meckern auf hohem Niveau. Der übergroße Rest der Gitarre versprüht besten Premium-Glanz in der bunten Kleinanzeigen-Welt.
INFOS & PREISE
Cort baute zwei HBS-Reihen – die HBS wurde in Korea gefertigt und kam in Schwarz mit MapleNeck bzw. 3-Tone-Sunburst mit Palisander-Griffbrett. Die nahezu baugleiche HBS-II erschien ab Mitte der 2000er-Jahre und wurde in Indonesien gebaut. Sie gab es u.a. in einem auffälligen Natur-Esche-Finish mit aged Hardware.
Eines ist unbedingt zu beachten, wenn man gebraucht kauft: Die HBS ist ab Werk mit dem eleganten, originalen Straplock-System ausgerüstet, das nur mit den passenden Gegenstücken am Gurt zu nutzen ist. Also unbedingt darauf achten, dass diese Gegenstücke dabei sind.
Die Bullock Signature ist in Europa relativ selten. Einige wenige Cort HBS, die damals neu rund € 650 kostete, habe ich dennoch gefunden. Sie werden zwischen € 350 und € 450 angeboten und bieten dafür einen nahezu unglaublichen Gegenwert. Zuschlagen ist hier oberste Jäger-&-Sammler-Pflicht! ●
Squier Contemporary Stratocaster HT
Da nennt man eine ganze Serie „contemporary“, also: zeitgenössisch, und dann rauscht sie komplett am Zeitgeist vorbei. Sehr schade …
Wirklich schade, dass Squier mit dieser progressiven Serie den Zeitgeist nicht getroffen haben, denn derselbige scheint sich auf den ausgetretenen Vintage-Pfaden hoffnungslos verlaufen zu haben. Dabei hatten sich die Verantwortlichen alle Mühe gegeben, neue Aspekte in das alte Bild zu geben, um vor allem jungen Gitarrist*innen zu gefallen.
Doch das hat auch sein Gutes: Zum einen werden die Contemporary-Instrumente auf dem Second-Hand-Markt günstig angeboten, zum anderen verkaufen einige größere Shops in gezielten Aktionen einige dieser Modelle zu sehr günstigen Preisen aus. Beides liefert reichlich Stoff für diese Artikel-Serie, denn fast alle Contemporaries haben das Zeug zu veritablen Kleinanzeigen-Heldinnen.
HARD TAIL
Wat schwärmt die gesamte Strat-Welt doch immer wieder über Hardtail-Strats! Wie gut sie seien, wie anders sie klingen würden – aber mal im Ernst: Wer spielt denn eine Hardtail-Strat? Eben – so gut wie keiner. Außer Kollege Till Hoheneder!
Doch das kann sich jetzt ändern, denn diese Contemporary hat allemal das Zeug dazu, in den ein oder anderen Strat-Harem als Zweit- oder Dritt-Liebschaft einzuziehen. So sitzt auf dem Pappelkorpus über einem sehr ergonomisch geformten Übergang ein Hals aus geröstetem Ahorn mit großer Strat-Kopfplatte im Format der späten 60er-/frühen 70er-Jahre.
Das Lorbeer-Griffbrett hat einen zeitgenössischen 12“-Radius, und das Hals-Profil ist relativ flach. Lackiert wurde mit Polyurethan, seidenmatt der Hals, hochglänzend schwarz die Kopfplatte, hochglänzend, im wunderbaren ‚Sunset Metallic‘ der Korpus. Die Saiten werden durch den Body geführt und laufen über solide Block-Saitenreiter über einen Graphit-Sattel hin zu den Mechaniken.
Die gesamte Hardware ist schwarzverchromt und das Squier-Logo erscheint als verchromte Applikation auf der schwarz lackierten Kopfplatte. Drei SQR-Alnico-Singlecoils mit einzelnen Magnetstiften wurden verbaut, wobei der mittlere Pickup eng an den Steg-Pickup gerückt ist. Der typische Fünfweg-Klingenschalter liefert Konstellationen, die wirklich speziell sind. Von hinten (Pos. 1) nach vorne:
1.Steg- und Mittel-Pickup seriell
2. Mittel-Pickup
3. Mittel- und Hals-Pickup parallel
4. Steg-, Mittel- und Hals-Pickup parallel
5. Hals-Pickup
Sagen wir mal so: Langweiliges Zeug wie Country, Surf und Rock ’n’ Roll soll auf dieser Strat mit dieser Schaltung wohl nicht gespielt werden … In meinem Exemplar hatte der Vorbesitzer dankenswerterweise noch eine Push-/Pull-Funktion integriert, mit dem der Steg-Pickup solo aktiviert wird und so die Parallel-Sounds mit Mittel- oder Hals-Pickup erreicht werden können.
Doch die originale Verschaltung bietet auch schon so eine Reihe richtig guter Sounds. Position 1 ist ein brummfreier, für eine Strat schön fett klingender Humbucker-Sound, Pos. 2 liefert den reinen Singlecoil-Sound, Pos. 3 den ausgehöhlten Quack, und Pos. 5 bringt uns den Soul und den Blues.
Position 4, also alle drei Pickups parallel, gibt mir persönlich nichts, aber gut, die Zugabe kostet uns ja nichts. Mein persönliches Highlight an diesem Instrument und an der ganzen Serie ist der Hals aus geröstetem Ahorn.
Er hat ein wirklich stimmiges Profil, liegt gut in der Hand und ist hauptverantwortlich für den guten und durchaus speziellen, weil trockenen und sehr direkten Primärklang dieser Gitarre. Auch die Pickups machen einen guten Job, so dass man hier keine Modifikationen vornehmen muss.
INFOS & PREISE
Der Neupreis der Contemporary Stratocaster Deluxe HT liegt bei rund € 400, aber als gebrauchtes Instrument kann man sie schon ab € 200 bis € 250 bekommen, und das ist ein großartiger Preis für
solch eine gute Gitarre!
Das Schwestermodell mit Vibratosystem wurden vor rund einem Jahr von einem großen Musikhaus sogar für € 219 verramscht – ein lächerlich guter Neupreis für das, was da geboten wird. Die Redaktion hat schon etwas schräg geschaut, als ich wieder mal eine Squier-Gitarre als Kleinanzeigen-Hero präsentieren wollte.
Aber was soll ich machen? Solange solch eine Marke vom Mutterkonzern auch dazu genutzt wird, um neue Konzepte zu testen, wird sie uns immer wieder solche wunderbaren Modelle abseits des Mainstreams liefern. Und die werden alle irgendwann in den Verkaufsportalen zu günstigen Preisen landen, denn nur Mainstream erzielt bekanntermaßen gute Preise …!