Licks, Spieltechnik, Einflüsse und Songwriting einer Ikone

Jeff Beck: The Strat Cat

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(Bild: Warner)

Jeff Beck ist gestorben. Eine über 50 Jahre währende Karriere nimmt damit ihr Ende. Wie beschreibt und erklärt man die musikalische Seite eines Ausnahmekünstlers, der sich besonders in den letzten 30 Jahren zu einem wirklich einzigartigen Interpreten entwickelt hat und der klingt wie kein anderer?

Jeff Becks Spielstil war so spezialisiert und einzigartig, dass man ihn tatsächlich oft anhand eines oder nur sehr weniger Töne identifizieren konnte. Über welche Aspekte könnte man schreiben, von denen viele interessierte (Hobby-)Musiker profitieren könnten? Fangen wir mal vorne an …

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PERSÖNLICHE EINFLÜSSE

Die ersten musikalischen Erfahrungen sammelte Jeff Beck als Kind in Form von Klavierstunden, auf die seine Mutter bestanden hatte. Der Legende nach, baute er sich seine erste Gitarre als Junge selbst, nachdem er die Musik von Buddy Holly und Gene Vincent gehört hatte. Als seine frühen musikalischen Einflüsse nennt JB in vielen Interviews Paul Burlison, Lonnie Mack, Steve Cropper, Chet Atkins, Les Paul, seinen vorübergehenden Zeitgenossen Jimi Hendrix, aber vor allen Dingen Cliff Gallup, den Gitarristen der Gene Vincent Band. Im Jahr 1993 veröffentlichte er mit Crazy Legs sogar ein Tribute-Album mit Vincent-Songs. Interessanterweise hört man den Einfluss dieses frühen Rock’n’Roll durch den Einsatz von typischen Phrasen der 50s sogar noch bei den sehr modernen letzten Platten Jeff Becks.

THE INNER GAME OF JEFF BECK

„I don’t care about the rules. In fact, if I don’t break the rules at least ten times in every song, then I’m not doing my job properly.” Ah, ok. Ähnlich wie bei Eddie Van Halen haben wir es also mal wieder mit einem überzeugten Rebellen zu tun. Fein. Wollte man eine komplette Stilanalyse seines Spielstils verfassen, ließe sich sicher ein ganzes Buch füllen! In diesem Feature geht es daher eher um den Ansatz, wie man das eigene Gitarrenspiel, den eigenen Stil mit den ganz prägenden Elementen Jeff Becks und seinen Must-Know-Licks anreichern kann.

SONGWRITING

Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, wie Page, Clapton und Co., tritt Jeff Beck während seiner gesamten Karriere eher weniger als Komponist, sondern vorrangig als ein herausragender Interpret von Fremdkompositionen in Erscheinung. Auf einigen seiner populärsten Alben (z. B. ‚Wired‘ und ‚Flash‘) hat er keinen einzigen Song als Komponist beigesteuert, und bei allen anderen Alben tritt er lediglich als Mitkomponist einiger Lieder auf. An dieser Stelle kann ich leider nicht detailliert auf die verwendeten Kompositionskonzepte eingehen, da dies den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Hier daher nur eine grobe Aufteilung der Ereignisse:

● Phase 1 – 1960s bis inkl. Beck-ola: Stark von Blues-Harmonik und -Abläufen geprägte Songs. Grooves oft binärer Natur, was es nach Bluesrock klingen lässt.

● Phase 2 – Frühe 1970er: Funky Grooves und Modale Harmonik halten Einzug, meistens Mixolydisch und manchmal auch Dorisch.

● Phase 3 – Mid 1970s: Es wird etwas „jazziger“, wobei Beck solistisch nicht die Chord Changes im eigentlichen Sinn ausspielt, sondern leichte, modale Soloparts hinzugefügt werden, um einfacher darüber improvisieren zu können (bestes Beispiel Goodbye Pork Pie Hat). Das Ganze wird dann gerne – was typisch für die Ära ist – mit ungeraden Taktarten kombiniert. Dom7-Akkorde werden durch Dom11er ersetzt, was wiederum typisch für den Sound der Zeit ist.

● Phase 4 – Ab den 80ern: Wechsel zu deutlich diatonisch orientierter Musik. Die „großen“ Stücke verfolgen oft ein Rezept: sehr blumige, offene Harmonien, die mit atmosphärischen Sounds und Arrangements kombiniert werden. Darüber spielt Beck dann oft an Banalität grenzende Melodien, die er durch seine herausragende Artikulation beeindruckend und emotional berührend gestaltet. Der Dramatik dieser Kombination kann man sich als Zuhörer kaum entziehen. Bemerkenswert ist auch, wie sehr sich JB auf aktuelle Trends einlässt: Sei es auf 80s-Sound mit Nile Rodgers oder in den 2000ern, in denen er sich auf moderne Produktionsmittel und Verfahren einlässt.

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RHYTHMUSGITARRE

Vor allen Dingen auf den ersten Soloalben – ca. bis zu ‚There & Back‘ – findet man zahlreiche Rhythmusgitarren-Parts, da auf den ersten Alben überwiegend Gesangstitel sind. Das sind Rockriffs und Funkgitarren-Parts, die man so oder so ähnlich bei vielen anderen Zeitgenossen auch findet. Ab ‚Flash‘ nimmt dies drastisch ab. Ehrlicherweise muss man allerdings auch sagen, dass Becks Rhythmusgitarrenspiel deutlich hinter seinem Solospiel zurücksteht.

SOLOGITARRE

Meiner Auffassung nach, gibt es in Becks Dasein als Solist zwei Zeitspannen: bis Mitte der 80er und danach, das ‚Flash‘-Album als Zäsur, da er seitdem überwiegend nur noch als Solist agiert. Bevor es zu den Licks geht, eines vorab: der Gitarren-Sound und das Gitarren-Setup sind äußerst wichtig, wenn man den Stil Jeff Becks nachempfinden möchte!

Obwohl man ihn in den ersten Jahrzehnten auch schon mal mit einer Jaguar, Telecaster-artigen Gitarren und Les Pauls gesehen hat, ist sein Hauptinstrument die Stratocaster. Interessanterweise wurden ‚Flash‘ und auch ‚Guitar Shop‘ mit „Tina Turner“, einer pinken Jackson Soloist mit Kahler-Vibrato eingespielt. Ab 1990 sind es dann fast nur Prototypen und Serienmodelle seiner Fender-Signature. Die Ausnahme ist eine 1956er Gretsch Duo Jet zum Cliff-Gallup-Tribute-Album.

Will man auf Jeff Becks Pfaden wandeln, muss man das Vibrato so einstellen, dass die G-Saite mindestens einen genauen Ganzton nach oben verstimmt werden kann. Bei Beck selbst ist es eine kleine Terz.

Zum Sound: Der Grund-Sound ist recht stark verzerrt, mit nicht zu viel Höhen, jedoch wird das Volume-Poti nur selten ganz aufgedreht. Eigentlich ist es so, dass fast jede Phrase mit einer anderen Poti-Einstellung gespielt wird und Noten oftmals mit dem Poti eingeblendet werden. Will man dann auch noch gleichzeitig den Vibratohebel zum Gestalten benutzen, ist das ein sehr anspruchsvoller Vorgang. Um das zu schaffen, hatte sich Beck eine doch recht eigentümliche Handhaltung zugelegt, in der er oft spielte: Mit dem Daumen wird angeschlagen, der kleine Finger regelt das Volume-Poti, der Zeigefinger kontrolliert den Hebel, Mittel- und Ringfinger halten ihn noch etwas fest.

Ab den frühen 80ern spielte Jeff Beck – zuerst aus praktischen Erwägungen – immer seltener mit Pick. Vorher eigentlich alles mit Plektron bzw. abwechselnd mit den Fingern. Nur mit Fingern anzuschlagen birgt immer ein gewisses Überraschungsmoment in sich, da das Klangergebnis weniger kalkulierbar ist als mit dem Plättchen. Passt zu ihm! Wenn man mit Pick spielt, einfach mal die unterschiedlichen Sounds durch Anschlagorte, Anschlaghärten und Tonabnehmerwahl ausprobieren. Wenn man z. B. weich genug vor der Griffbrettkante anschlägt und vielleicht noch etwas Volume zurücknimmt, kann sogar der schrillste Stegtonabnehmer angenehm klingen.

Allgemein könnte man sagen, dass folgende Hauptelemente bestimmend für Becks Solostil sind:

● Klassische Bluesrock-Gitarre mit der ab den späten 60ern typischen Vermischung von Dur und Moll

● Einfachste Melodien maximal gefühlvoll, artikuliert und abwechslungsreich gespielt

● Ausnutzen einer breiten Palette von Geräuschen

Für alles gilt: An Grenzen gehen was die Dynamik/Anschlagshärte in alle Richtungen betrifft und möglichst kontrastreich spielen, auch wenn das manchmal schon fast nervt. Die sehr abwechslungsreiche Gestaltung einzelner Töne hört man schon auf ‚Blow By Blow‘ und ‚Wired‘. Sie entwickelt sich ab ‚Guitar Shop‘ ins Extreme.

TONMATERIAL – INTONATION

Sehr viele Songs und Soloparts basieren auf dem Blues und enthalten daher überwiegend Dom7-Akkorde. Über diese spielt JB den populären Dur-/Moll-Pentatonik-Mix wie auch Clapton, Page, Peter Green oder Mick Taylor (siehe auch Blues Bootcamp 12/2022). Das war damals einfach der angesagte Sound. Über den Umweg Jan Hammer, setzte er den durch John McLaughlin importierten Sound einer Indischen Pentatonik ein, die im Laufe der Zeit viele Namen bekommen hat: Indische Pentatonik, verdurte Moll-Pentatonik, Raga Joy oder auch Jan-Hammer-Skala.

Der Einfachheit halber könnte man diese Tonleiter als eine Moll-Pentatonik sehen, bei der die Moll-Terz gegen eine Dur-Terz ausgetauscht wird. Alternativ dazu auch als Dom7-Arpeggio mit hinzugefügter Quarte, was ein Grund ist, dass sie so gut über die in den 70er-Jahre beliebten Dom11-Akkorde passt. Sie klingt gut, hat aber nicht so diesen typischen Blues-Sound. Diese Skala ist mittlerweile schon fast ein Sound-Klischee, das gerne benutzt wird, wenn man leicht indisch klingen möchte.

Sehr prominent benutzt kann man diese Skala zum Beispiel beim Thema von ‚Led Boots‘ (‚Wired‘-Album) hören und in sehr vielen Synthi-Solos von Jan Hammer, deren Sound auf Beck abgefärbt haben. In Beispiel 1 findest du drei Fingersätze dazu. Darüber hinaus hört man ab den 1970er-Jahren komplett ausgespielte dorische und mixolydische Skalen.

Noch ein paar Bemerkungen zu einem weiteren ganz interessanten Aspekt in Becks Gitarrenstil: Intonation. Wenn man es mal ganz, ganz nüchtern betrachten wollte, könnte man eventuell sagen, dass Jeff Beck gut beraten gewesen wäre, wenn er früher insgesamt etwas gründlicher und auch häufiger nachgestimmt hätte. Man muss aber auch mal deutlich feststellen, dass wir heutzutage durch Harddisk Recording, Autotune und Melodyne ganz schön verkorkst sind. Alles ist immer 100 % auf dem Timing-Raster und tonhöhenkorrigiert. Das war halt bis in die 90er-Jahre nicht so.

Wenn man in den 70s den Tremolohebel eingesetzt hat, dann hat man Verstimmungen eben in Kauf genommen. Wenn man so sehr auf Risiko spielt, ist es ja fast unvermeidbar, dass nicht jede Note so klingt, als sei sie dreimal chemisch gereinigt. Ob manche Phrasen vielleicht sogar absichtlich etwas off pitch von JB gespielt wurden, um etwas „menschlicher“ zu klingen, lässt sich heute nur schwer sagen, ist aber nicht undenkbar.

Alle Licks sind wieder mal in A notiert, bis auf die Beispiele, bei denen es durch die verwendeten Obertöne unausweichlich ist, in bestimmten Tonarten zu sein. Ich gehe in diesem Artikel nicht auf Becks Slide-Spiel ein (das übrigens immer im Standard-Tuning stattfand). Dazu müsste man jetzt zu viele grundlegende Aspekte klären, und nicht jeder besitzt einen Slide. Repeating Pattern: In Beispiel 2 findest du einige typische Repeating Patterns, die ihren Ursprung im Early Rock der 1950er haben, aber durch Jeff Beck leicht verändert wurden.

Blues with a twist: Die Licks aus Beispiel 3 bis 6 lassen sich gut in Situationen einsetzen, in denen Dom7-Akkorde eine große Rolle spielen, also Classic Rock, Blues, R’n’B etc.

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WELCOME TO THE WHAMMY BAR – SAITENZIEHEN ODER VIBRATOHEBEL?

Eines der auffälligsten Merkmale Jeff Becks ist sein Einsatz des Vibratohebels, um damit ein meist recht schnelles Vibrato zu erzeugen. Hank Marvin lässt grüßen. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass dieses Element vielleicht sogar am plakativsten, stiltypischsten und gleichzeitig am leichtesten umzusetzen ist (ein schwebendes Vibrato-Setup vorausgesetzt). Das etwas längere Lick über eine populäre Akkordfolge aus Beispiel 7 bietet weitere interessante Möglichkeiten: old school Jeff Beck würde die melodiösen Bending-Licks in Takt 2 und 6 mit regulärem Saitenziehen spielen, modern Jeff Beck würde mit dem Vibratohebel nachhelfen, was etwas mehr nach menschlicher Stimme klingt. Auf jeden Fall bei allen längeren Noten: schnelles Vibrato mit dem Hebel!

Der Einsatz des Hebels zur Gestaltung von Noten ist seit Mitte der 80er ja ein sehr stilprägendes Tool, das von JB permanent eingesetzt wird. In Beispiel 8 wird ein Repeating-Pattern mit einem typischen Move, um von A nach B zu kommen, kombiniert. The 80s are back!

Jeff Beck war sicherlich nicht der erste, der Melodien mit dem Whammy Bar gespielt hat. Ray Gomez und Steve Vai haben dies nachweislich vorher schon getan. Als dann 1989 allerdings ‚Guitar Shop‘ mit ‚Where Were You‘ droppte, fiel allen zurecht die Kinnlade herunter. Die Art und Weise mit der Beck bei diesem Stück Melodien mit durch den Tremolohebel manipulierten Obertönen spielt, war einfach ein Level weiter.

Die typische Jeff-Beck-Handhaltung

Mit der o.g. Handhaltung hat man einen sehr guten Zugriff und Kontrolle über den Hebel. Wenn man die Gitarre passend eingestellt hat, ist die präzise Verstimmung nach oben relativ einfach. Die gezielte Verstimmung nach unten kann aber zu einer echten Geduldsprobe werden und fühlt sich obendrein auch noch auf jeder Gitarre anders an. Das muss man echt lange üben und geduldig sein, um das notwendige Feingefühl zu entwickeln.

Beispiel 9 und 10 sind leichte Einstiege in dieses Konzept.

FAKE SLIDE

Ein weiteres wichtiges Element ist „fake slide“-Spiel. Sehr oft klingt es bei JB so, als würde er nicht normal, sondern Slide-Gitarre spielen, indem er permanent mit dem Whammy Bar die Tonhöhe der Noten manipuliert.

In Beispiel 11 findest du ein paar kurze Fragmente in dieser Art über einen A7. Man kann sie mit PreBends übrigens auch ohne Hebel spielen – klingt auch hübsch. Diese Fragmente sollen so klingen, als würde man typische Slide-Phrasen im Open-G-Tuning spielen. Man kann diese Phrasen auch gut auf anderen Saitenpärchen spielen. Hört man übrigens auch gerne mal bei Steve Lukather, Michael Lee Firkins oder Scott Henderson.

Und dann noch ein Lick für Spezialisten: In Beispiel 12 spiele ich die Tonleiter A-Mixolydisch mit Hilfe des Vibratohebels. Alle Halbtonschritte werden durch die Verstimmung der Saite nach unten mittels des Hebels erzeugt. Hört man auch SEHR oft bei Scott Henderson.

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WAS KANN MAN VON JEFF BECK LERNEN?

„It’s not what you play – it’s how you play it!“ Die Gestaltung des Tons ist alles. Die Liebe zum Detail einer jeden Note und beim Spielen möglichst viele Kontraste zu setzen. Angst vor falschen Tönen ist dabei kein guter Ratgeber. Jeff Beck ist sich während seiner enormen Karriere immer treu und hungrig geblieben und hat sich konstant weiterentwickelt.

Mich hat sein Ableben doch stärker berührt, als ich erwartet hätte. Warum war ich eigentlich nie ein wirklicher Jeff-Beck-Nerd? Gute Frage. Natürlich war ich mir seiner historischen Wichtigkeit bewusst. Klar, habe ich vor über 30 Jahren schon mal in meinem Buch ‚Masters Of Rock Guitar‘ etwas über ihn geschrieben und bei zahlreichen, darauffolgenden Gelegenheiten über Aspekte seines Spiels erzählt, aber so richtig lichterloh gebrannt habe ich eigentlich nie für seine Musik. Woran liegt das?

Nach dem Schreiben und dem erneuten Eintauchen in seine Musik, habe ich vielleicht eine Antwort gefunden: weil Jeff Beck so dermaßen einzigartig war, dass ich diese Individualität wahrscheinlich zu seinen Lebzeiten einfach nicht erfassen und verarbeiten konnte. Na ja … mal wieder zu spät zur Party gekommen. Jeff Beck ist tot. Lang lebe Jeff Beck!

Noten

(Die Noten können durch Anklicken vergrößert werden!)

 

Spotify-Playlist

Ich habe bei Spotify eine Playlist mit schönen Gitarrenmomenten von Jeff zusammengestellt. Zum Einstieg in das Thema oder einfach nur zum Hören. Mein Username dort lautet Gitarrenpeter.

(erschienen in G&B 03/2023)

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