Das verzerrte Signal, das wir in der letzten Ausgabe bereits analysiert haben, trifft als erstes auf die sogenannte Punch Control – gebildet mit dem OP2b (Abb. 1). Dahinter verbirgt sich ein aktives Bass-Filter aus einem Baxandell-Netzwerk, das auch als komplettes Filter (Bass und Treble) unter der Bezeichnung „Kuhschwanz“-Entzerrrer bekannt ist. Dieses aktive Bass-Baxandell zeichnet sich durch konstante Flankensteilheit und variable Cutoff-Frequenzen aus (Abb. 2). Im Gegensatz zu dem Tiefton-Filter des HM-2, das sehr steilflankig arbeitet, liegt hier der Frequenzgang in seiner maximalen Steigung eher gemä- ßigt bei 6dB/Okt. Damit bekommt man – nebenbei bemerkt – kein ähnliches TiefMitten-Loch hin wie beim HM-2, denn zu weit reicht hier die Cutoff-Frequenz flachflankig in den Mittenbereich hinein.
Edge Control
Das der Punch Control folgende Edge Filter ist ein Mitten-Hochton-Filter, gebildet mit zwei Gyratoren, deren Wirkungen sich addieren. Der linke Gyrator (IC3a) besorgt den Mittenanteil (Center-Frequenz etwa 1 kHz), der rechte (Center-Frequenz etwa 2,5 kHz) die Höhen bis etwa 3 kHz (Abb. 3). Als „Stand-alone“-Filter ginge der Frequenzgang des Edge Filter in Ordnung. Aber es gibt auch hier wieder die geringe Flankensteilheit im Mittenbereich. Außerdem hat das Edge Filter eine generelle Pegelverminderung um 6 dB eingebaut.
Punch & Edge
Wichtiger als die beiden einzelnen Frequenzgänge ist jedoch deren Zusammenwirken. Dann wollen wir doch mal sehen, was für einen Frequenzgang „Über Alles“ wir bekommen, also beide Controller (Punch und Edge) voll aufgedreht (Abb. 4). Die beiden Filter addieren sich nun fast zu einem linearen Frequenzgang im interessierenden Frequenzbereich, geschuldet den flachen Übergängen und den (unglücklich?) gewählten Cutoff-Frequenzen. Die Summe dieser beiden maximal eingestellten Controller wirkt ähnlich einem Level Control, bei dem einfach der Pegel auf etwa 12 dB angehoben wurde. Eine solch redundante Betriebseinstellung ist natürlich wenig nutzbringend. Genau das Gleiche – nur umgekehrt – passiert mit den beiden Einstellern, wenn sie zugedreht sind. Das wirkt tatsächlich mehr wie eine frequenzneutrale Absenkung des Signals und ist ebenfalls wenig nutzbringend.
Man könnte jetzt hingehen und den Mitten-Gyrator dahingehend modifizieren, dass die Mittenflanke steilflankiger arbeitet. Aber das ist zu diffizil und, wie sich zeigt, müsste auch der Treble-Gyrator sinnigerweise neu abgeglichen werden. Das Ergebnis kommt sowieso nicht an dies steilflankige Tief-Mitten-Loch des erfolgreichen Metal-Bruders HM-2 heran. Wir erinnern uns … diese Steilflankigkeit rührt von dessen Bass-Filter her, das mit einem Gyrator, ein steilflankiger Saugkreis, realisiert wurde. Dagegen liefert das flache Bass-Baxandell des SM-9 ein aussichtsloses Szenario. Man kann dieses Baxandell-Netzwerk auch nicht in der Art modifizieren, dass es mal so eben so steilflankiger als die diesem System zugehörigen max. 6 dB/Okt wird. Aber trotzdem lassen sich die beiden frequenzbestimmenden Cs des Bass-Baxandells auf 47 nF vergrößern, um die Cutoff-Frequenzen deutlich tiefer anzusiedeln; dadurch entsteht immerhin eine merkliche Delle bei etwa 300 Hz im Frequenzband. Das allein ist schon ein Vorteil gegenüber dem originalen Frequenzgang.
Auch die Zuhilfenahme des Höhenfilters – hier Attack genannt (siehe vergangene Folge) – führt nicht zum Ziel, wenn man ein vernünftiges Loch im Frequenzgang erzeugen will. Und selbst wenn ein solches Loch formal entstünde, würde es dann daran scheitern, dass der „Attack“-Filter vor und nicht nach dem Distortion liegt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im Anschluss an das Höhenfilter die Level Control folgt, vor der noch ein Level begrenzender R (= 10 kOhm) platziert ist. Wer von diesem Metal-Pedal mehr Output braucht, der kann den Pegel auf das Doppelte erhöhen, indem er diesen 10-k OhmR durch eine simple Drahtbrücke ersetzt. Rock On!
Metal Charger
MS-10 In der 10er-Serie von Ibanez hatte man den SM-9 in MS-10 Metal Charger umbenannt. Dieser Bolide entspricht technisch weitgehend dem SM-9. Auch wurde die OP-Bestückung mit den beliebten Standard-Chips JRC4558 (und MC1458) beibehalten. Diese Oldschool-Typen können hier übrigens durchaus durch neuzeitliche, leistungsfähigere Typen mit höherer Aussteuerbarkeit ersetzt werden. Z. B. durch den Rail-to-rail-OP-Amp des Typs TLC2272. Das hat noch den positiven Nebeneffekt, dass die JRCs für andere Zwecke genutzt werden können; denn diese Chips, die sich ja in den originalen TS-9-Tube-Screamer-Schaltkreisen so gut bewährt haben, lassen sich gut in neuere TS-Clones implantieren. Durch diese Mod profitieren dann beide Geräte-Typen, das Metal-Pedal und der Tube-Screamer-Clone.
Fazit Insbesondere die drei (!) Filter des Boliden SM-9, von denen eines vor und die beiden anderen nach der Distortion-Einheit platziert sind, wurden trickreich designed, passen aber nicht so recht zu dem dröhnendpunchigen Ziel-Sound, wenngleich die Bezeichnungen der Controller dies suggerieren mögen. Es war aber zugegebenermaßen Anfang der 1980erJahre recht schwer, dem aufkommenden Metal die passenden Effekte quasi vorab auf den Leib zu schneidern. Die Analyse zeigt, dass die Ergebnisse schon ein wenig wie das Stochern im Nebel daherkamen – entweder, man trifft den Sound, oder eben nicht. Insgesamt gesehen tönen der SM-9 und der MS-10 nicht schlecht, aber für den typischen Metal-Sound fehlt es dann doch an arteigener Wiedererkennung. Im Nachhinein hat der Boss HM-2 hier eindeutig mit seiner trickreichen Distortion und einzigartigem Frequenzgang das Rennen gemacht. Doch eines blieb in den späteren Tretern erhalten: Das Arbeiten mit Gyratoren zur feinen Frequenzgang-Manipulation, wie die Konstruktions-Ideen der folgenden Pedal-Generationen noch zeigen werden. Stay tuned!