Teil 17

Homerecording: Songproduktion Teil 6 – Keyboards

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Hamburg, London, Simmerath. Nein, das ist nicht der noch ausstehende Titel des Workshop-Songs. Hierbei handelt es sich um die chronologische Auflistung der bisherigen Aufnahmeorte unserer Songproduktion. Wem Simmerath gerade nichts sagt, das liegt in der Eifel und ist in einem sehr kleinen Umkreis um das Haus des „begnadeten“ (Kölner Stadtanzeiger) Pianisten und Keyboarders Gero Körner zu finden.

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Da sich das bei mir um die Ecke befindet, konnte ich diesmal für die aktuelle Workshop-Reihe persönlich an einer sehr produktiven und spaßigen Aufnahmesession teilnehmen. Aber jetzt erst einmal der Reihe nach. Wenn man sich (aus welchen Gründen auch immer) für Keyboards in einem Song entscheidet, muss man bei einer so breit gefächerten Kategorie zunächst überlegen, in welche Richtung es ungefähr gehen sollte.

Elektronische Synthie-Klänge, FX-Basteleien oder Loops wären z. B. denkbar, würden aber in unserem Fall dem ursprünglichen Old-School-Konzept etwas widersprechen. Wenn schon Keyboards, dann sollten sie eher organisch und handgemacht sein, wenn auch nicht zu konservativ. Wie genau die Ausgestaltung aussehen könnte, wollte ich aber lieber dem Fachmann überlassen, wofür mir Gero Körner mit seiner Erfahrung und seinem offensichtlichen Gespür für Musik als erste Wahl in den Sinn kam.

Nachdem Gero sehr zu meiner Freude trotz seiner wenigen Zeit für dieses Projekt zugesagt hatte, kam es schließlich zu besagter Session Anfang Juni im Hause Körner. Dabei hatte ich zuvor insgeheim die Hoffnung, Gero würde einige seiner alten analogen Klassiker an den Start bringen: Hammond B3 mit Leslie, Fender Rhodes, Roland Space Echo und einiges mehr stapelt sich in seinem kleinen Eifeler Studio. Als mir zu Beginn der Session jedoch eine verblüffend komplett klingende B3-Nachbildung aus Geros Arbeitspferd, dem Clavia NordStage EX, unter die Ohren gehalten wurde war klar: Die Mikrofone können getrost eingepackt bleiben.

Für den Workshop bedeutete dies natürlich, dass ich mir nun irgendwas Recording-relevantes aus den Rippen leiern musste. Das wichtigste beim Keyboard-Recording ist, dass man das Kabel des linken Kanals genau in den linken Eingang der Soundkarte steckt, und das rechte und dann – noch bevor der Keyboarder anfängt zu spielen – auf den Aufnahmeknopf drückt. Nee, halt, hab was vergessen.

Bevor wir nun bei Geros Ableton Live den Aufnahmeknopf betätigen konnten, waren doch noch ein paar Recording-Aspekte auszuloten: Z. B. der Platz der Orgel im Arrangement. Sinnvollerweise sollte sie im Vergleich zur Gitarre weiter oben angesiedelt sein. Bleiben also noch die obersten beiden Oktaven der Hammond (um C’’’). Für die linke Hand würde zudem (wie im Studio oft üblich) kein Raum mehr sein, da sich unten rum schon genügend Instrumentierung knubbelt.

Auch über die zahlreichen Parameter einer Hammond kann man ein paar Worte verlieren. Bei einer B3 handelt es sich um ein sehr lebendiges Tasteninstrument, dessen kompetente Bedienung deutlich über das Drücken von Tasten hinausgeht. Am wichtigsten ist hier die Abstimmung der neun Register samt neun Lautstärkestufen (ganz viele Kombinationen!), welche den Grundcharakter und Obertongehalt der Orgel bestimmt. So hat Gero, passend zur Spiellage und zum noch verfügbaren Frequenzraum, die virtuellen Zugriegel souverän eingestellt.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Hammond-Sounds ist die Chorus/Vibrato-Instanz (noch nicht das Leslie-Vibrato!), welche den Sound durch ihre überlagerten Modulationen etwas indifferenter macht und in unserem Fall die Orgel besser im Gitarrenb(r)ett einbetten lässt. Eine weitere Klangoption bietet das Percussion-Register, welches allerdings nur für Staccato-Passagen eingesetzt wird und bei uns somit nicht aktiv war.

Nach dem Einstellen des Sounds kam es nun endlich zur eigentlichen Aufnahme, wobei während des Spiels weitere Parameter eine wichtige Rolle spielen. Vor allem kommt es beim gekonnten Hammond-Spielen auf den richtigen Einsatz von Leslie und Volume-Pedal an. Letzteres sitzt vor der Verstärkereinheit und hat so nicht nur Einfluss auf die Lautstärke sondern auch auf den Klang. Sprich: Höhere Pedallautstärke ergibt einen bissigeren, offeneren Sound (ähnlich wie der Anschlag bei der Gitarre).

Gero benutzt dieses Pedal exzessiv, vor allem um möglichst viele Klangnuancen aus dem Instrument herauszukitzeln und musikalisch einzusetzen. Zu guter Letzt gehört natürlich das Leslie-Jaulen zur Rock-Orgel. Dahinter verbirgt sich ein rotierender Lautsprecher, welcher durch den Dopplereffekt eine Tonhöhen-Modulation erzeugt. Die simulierte Ausführung des Clavia wird mit der linken Hand über einen kleinen Schalter gesteuert (schnell/langsam), was Gero ebenfalls gerne und viel macht.

In Sachen Dynamik ist das Resultat ziemlich anspruchsvoll: Zum einen erzeugt das Leslie starke Pegelsprünge, zudem sorgt der Einsatz des Volume-Pedals in dieser Form für extreme Lautstärkekurven. Deshalb verwendet Gero schon bei der Aufnahme einen einfachen Kompressor (in Ableton eingeschliffen), welcher mit einer Ratio von 2:1 die Dynamik quasi halbiert und mit einem Threshold bei -40 dB immer aktiv ist, wodurch ein Pumpen des unruhigen Leslies vermieden wird.

Ebenfalls schon auf der Aufnahme befindet sich ein dezenter Ambience-Raum, welcher dem Klang etwas Atmosphäre mitgibt. Zum musikalischen Aspekt lässt sich noch sagen, dass es bei solchen Produktionen im Studio zum guten Ton gehört, dass der Musiker sich auch mal traut ganze Noten zu spielen und nicht unbedingt die komplette Bandbreite seines Könnens unter Beweis stellen muss. Auch in unserem Stück hat Gero sich dem gitarrenlastigen Arrangement nach dem Motto „weniger ist mehr“ untergeordnet, und wie ich finde sehr geschmackvoll eine Balance aus Platz lassen und Lücken füllen gefunden.

Nach den Hammond-Aufnahmen wollten wir für den Mix noch etwas Füllmaterial erstellen. Dafür schlug Gero als Kontrast zur flächendeckenden Orgel ein anschlagbetontes Wurlitzer 200A vor. Um es aus Workshop-technischer Sicht etwas abwechslungsreicher zu gestalten, haben wir diesmal nicht den ebenfalls äußerst brauchbaren Clavia-Wurli als Audiospur aufgenommen, sondern dem beliebten, in Logic vorhandenen Software-Instrument EVP88 eine Chance gegeben. Dafür wurden die Einspielungen in Ableton als MIDI-Spur aufgenommen, welche wir dann in Logic importiert haben.

Dort hat Gero ein 200A Preset genommen und mit starkem Tremolo, reichlich Verzerrung und abgespecktem Bass einen ziemlich extremen, modernen Wurli-Sound eingestellt. Obwohl wir in diesem Fall alle Möglichkeiten der MIDI-Bearbeitung hätten nutzen können, wurde an den MIDI-Daten nichts editiert, quantisiert oder ähnliches. Das Zusammenspiel aus B3 und minimalistischem A200 Einsatz rahmt den Song nun gut ein, ohne dass sich die Tasteninstrumente mit der Gitarre ins Gehege kommen – sehr schön!

Das Frequenzspektrum wurde nach oben hin musikalisch erweitert, ohne dass der Hörer mit zu vielen Informationen überfordert wird. Zum Schluss hat Gero auf meinen Wunsch nach etwas Verrücktem für das Intro doch noch eine kleine Elektro-Spielerei ausgetüftelt. Was sich so anhört wie ein landendes Ufo ist folgendermaßen entstanden: zwei verschiedene Synth-Sounds aus Native Instrument’s Absynth und Massive wurden mit Hilfe mehrerer Automationen (u. a. aufsteigender HiCut) kontinuierlich verändert.

Die Noten für diese Sechzehntel-Sequenz liefert ein Zufalls-Arpeggiator, welcher von einer MIDI-Spur gefüttert wurde, in der Gero als Steigerung nach und nach mehr Töne hinzugefügt hat. Ob diese Passage es in den Final-Mix schaffen wird, weiß ich nicht, aber als Anschauungsobjekt taugt es allemal. Vielen Dank, Gero, und den Lesern: Viel Bass!


Alle Folgen zum Homerecording: www.gitarrebass.de/thema/homerecording

Tiefergehende Informationen zur gesamten Bandbreite der Recording-Welt gibt es auf: www.soundandrecording.de

Die Workshop- & Community-Plattform für alle Recording-, Mixing- & Mastering-Engineers sowie Produzenten: www.studioszene.de

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