(Bild: KRIACHKO OLEKSII/Shutterstock)
Phrygisch ist nicht so verbreitet wie die beiden anderen Moll-Modes Äolisch und Dorisch. Und hört man sich die Beispiele an, die eine Google-Suche nach phrygischen Songs vorschlägt, stößt man auf viele falsche Analysen. Was da als Phrygisch deklariert wird, ist in Wirklichkeit oft etwas ganz Anderes. Es ist aber in der Tat schwierig, Songs zu finden, die über längere Strecken ausschließlich das phrygische Tonmaterial verwenden. ‚Stranded‘ von Gojira ist ein seltener Vertreter der rein phrygischen Spezies. Aber was ist Phrygisch überhaupt?
Wie in Beispiel 1 zu sehen, entsteht E-Phrygisch, wenn wir die C-Durtonleiter ab dem dritten Ton spielen.
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Beispiel 2 zeigt die Intervallstruktur von E-Phrygisch, die der von Äolisch sehr ähnlich ist. Allerdings macht der Halbtonschritt vom Grundton e zum f einen großen klanglichen Unterschied und markiert so den charakteristischen Ton dieses Modes. Die kleine Sekunde b2 ist ein sehr dissonantes Intervall, dementsprechend vorsichtig muss man mit diesem Ton des Modes umgehen.
In Beispiel 3 sind die Stufendreiklänge von E-Phrygisch abgebildet. Auf Em folgt im Abstand einer kleinen Sekunde der Durdreiklang F, eine kleine Terz vom Grundton E entfernt dann der Durdreiklang G. Mit der einfachen Akkordfolge I Em I F I G I F I – gespielt über der ausklingenden tiefen E-Saite – bekommt man schon einen ziemlich guten Eindruck vom phrygischen Sound.
Die Stufenvierklänge in Beispiel 4 klingen durch die Septimen noch vielschichtiger. Die hier notierten Akkorde sind übrigens – kleiner Exkurs – sogenannten „Drop 2-Voicings“. Wer genauer wissen will, was dahintersteckt, wird auf YouTube schnell fündig.
Beispiel 5 zeigt, wie die einzelnen Töne von E-Phrygisch in Verbindung mit dem Grundton klingen. Nur beim F, das, wie oben schon erwähnt, mit dem Grundton E das dissonante Intervall einer kleinen Sekund (b2) bildet, machen wir eine Ausnahme. Ist bequemer zu greifen und klingt besser!
Beispiel 6 zeigt die diatonischen Terzen von E-Phrygisch in der XII. Lage. Der Idealzustand wäre, die leitereigenen Terzen in allen Lagen spielen zu können.
In der XII. Lage lässt sich E-Phrygisch auch bequem in Terzschichtung spielen (siehe Beispiel 7). So erhalten wir zunächst den Basis-Vierklang Em7, es folgen mit den nächsten vier Tönen – die übrigens dem Arpeggio von Fmaj7 entsprechen – die Optionstöne b9, 11 und b13. Die Angabe „(b2/b9)“ ist hier eingeklammert, weil die b9 als Erweiterung eines Mollseptakkords gar nicht gut klingt und deshalb ungebräuchlich ist.
Jetzt folgen die obligatorischen Arpeggio-Studien der leitereigenen Dreiklänge in Beispiel 8 und Vierklänge in Beispiel 9.
Diese verbinden in idealer Weise musikalische Grundbausteine mit Spieltechnik und eignen sich auch perfekt als Aufwärmübungen.
Beispiel 10 zeigt eine interessante Variante von Beispiel 9. Statt die Akkordtöne 1, 3, 5, 7 immer in starrer Reihenfolge aufwärts und abwärts zu spielen, kann man die Abfolge der Akkordtöne beliebig ändern. Hier spielen wir die Reihenfolge 3, 7, 1, 5, und so entsteht eine Sequenz, bei der man die zugrundeliegenden Vierklänge kaum mehr wiedererkennt. Klingt ziemlich flashy und liegt dabei noch bequem auf dem Griffbrett.
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Mit Beispiel 11 wenden wir uns konkreten Song-Beispielen zu. Joe Satriani ist ja ein bekannter und bekennender Fan von modalen Songs. Das Riff seines Songs ‚War‘ (im Original mit Eb-Tuning gespielt) ist tonal gesehen E-Phrygisch pur und kombiniert Singlenotes mit einem eingestreuten Fmaj7#11-Akkord.
Das hypnotische Unisono-Riff im Deep-Purple-Song ‚Perfect Stranger‘ besteht ausschließlich aus dem Tonmaterial von A-Phrygisch (Beispiel 12).
Wie entsteht A-Phrygisch? Analog zu Beispiel 1 muss A der dritte Ton unserer gesuchten Durtonleiter sein. Mit F-Dur werden wir fündig: F G A Bb C D E! Nicht schwer, oder?
Das Basisriff des Metallica-Songs ‚Harvester of Sorrow‘ – zunächst clean, dann mit massiver Zerre gespielt – besteht ausschließlich aus den Tönen von E-Phrygisch (Beispiel 13). Allerdings wird der phrygische Pfad in anderen Teilen des Songs mehrfach verlassen.
In Intro und Verse des Porcupine-Tree-Klassikers ‚Sound Of Muzak‘ hören wir im Gesang und in der Begleitung Akustikgitarre D-Phrygisch (Beispiel 14). Hier wird die tiefe E-Saite auf D heruntergestimmt.
Das letzte Klangbespiel liefert in Beispiel 15 ein Liebhaber rasend schnell gespielter modaler Riffs. Al Di Meola, der auch Gast auf dem diesjährigen Guitar Summit sein wird, schrieb seinen Klassiker ‚Race With Devil On A Spanish Highway‘ noch als Teenager. Zu dem Basisriff des Songs inspirierte ihn nach eigener Aussage der Kinks-Gassenhauer ‚You Really Got Me‘.
Das sich anschließende schnelle Sechzehntel-Unisono wird im Song zunächst nur bis zum doppelten Taktstrich gespielt. Später wird das Unisono dann um den von mir so genannten Appendix verlängert. In diesem tauchen mit den durch Pfeile markierten Noten (G#) leiterfremde Töne auf. Viel Spaß beim Erkunden phrygischer Sounds!
(erschienen in Gitarre & Bass 09/2023)
Lieber Wolfgang,
Du hast so einen umfassenden Überblick, warum wer wann wie welche Note wo greift, und zugleich die geniale Fähigkeit, deine Einordnungen verständlich rüberzubringen. Ich wünschte, du würdest mal was zur Anschlaghand machen.
Gerade beim Plektrumspiel geht’s m.E. drunter und drüber: Das oberste Gelenk des Zeigefingers *muss* parallel zur Saite am Plektrum liegen, sagen fast alle, aber so spielt kaum einer (praktisch geht’s bis zum “Pinzettengriff”). Beim Akkordanschlag *muss* das Plektrum ganz grade über die Saiten geführt werden (“nicht ‘malen'”, Phil Capone)
oder so im Bogen, dass es die 1. Saite nicht mehr erwischt (William Leavitt und seine Jünger). Das Plektrum *muss* dabei tief zwischen den Saiten eintauchen oder darf nur leicht über die Saiten streichen. Der Anschlagwinkel scheint von -90 bis + 90 Grad sein zu *müssen*; usw.
Wie kriegt wer warum welchen Klang in welchem Umfeld hin? Und wie hängt alles mit der Anschlagstärke, Geschwindigkeit, Armhaltung, Gitarrenhaltung usw. zusammen? Stoff für mindestens sieben Folgen Guitar Basics!
Wenn es einer weiß (und vermitteln kann!), dann du 😉
Super Idee!!
Lieber Rainer,
Deine Anmerkungen zum Plektrumspiel sind auch interessant.
Ich spiele meine Akkorde seit je her mit Daumen, Zeigefinger +
Mittelfinger am Plektrum. Außerdem schlage ich die Saiten
über den letzten Bünden des Gitarrenhalses an und tauche nie
tief in die einzelnen Saiten ein. Damit kann ich auch Arpeggien
bewusst am Steg-Pick-Up stark oder wenig betont einfliessen
lassen. Es ist immer ein sensitives Spiel möglich im besten Winkel
zu den Saiten. Mir ist beim Spiel noch nie eine Saite gerissen,
weder bei der Bandprobe noch auf der Bühne…..
Das eine schließt das andere ja nicht aus.
Manchmal haben “Normen”, die sich in der Praxis und auch in der Theorie bzw. Lehre durchgesetzt haben, gute Gründe. Peter Autschbach schreibt etwa, er habe “in technischer Hinsicht mehrmals von vorn anfangen müssen! Zum Beispiel die Anschlagshaltung der rechten Hand: Ab Tempo 120 in Sechzehnteln musste ich mit meiner hausgemachten Plekrumhaltung den Notstand ausrufen” (in Gitarre pur, Band 1, Vorwort).
Solche “Normen” können mir vielleicht eine neue Orientierung geben, wenn ich selbst eine Grenze überwinden möchte (lange vor 120 😉 Oder ich finde mich mit dieser Grenze ab und verlege mich auf Langsameres. Geht beides, ohne Dilettantismus-Vorwurf.
Und dann noch: Ich bin auch alt. Was ich vor 50 Jahren, ganz im Sinne von Segovia, gelernt habe, hat sich z.T. längst als ziemlich blöd herausgestellt. Die Klassiker haben sich so einige hilfreiche Gedanken dazu gemacht und sie auch veröffentlicht (ganz berühmt: Scott Tennants Pumping Nylon). Warum dürfen Plekrum-Spieler so was nicht auch haben? Ich liebe William Leavitts Modern Method. aber soll ich wirklich noch mit Rest Strokes spielen?
Tschuldigung, wieder tl;dr
Hallo Rolf,
mir geht es seit nunmehr 60 Jahren genauso, immer getreu dem Motto “If it sounds good it is good – if it sounds shit it is shhit” egal welche theoretischen Überlegungen vorher anzustellen sind.
Du sprichst mir aus der Seele – und vermutlich auch unzaehligen anderen gestandenen “Bauchmusikern”, die es als Autodidakten auf viele, viele Buehnen geschafft haben. Wer’s kann tut’s, wer’s nicht kann lehrt’s …
Vielleicht klappt’s diesmal. Schon mein Beitrag vom 19. sollte eine Antwort auf deinen ersten Kommentar vom 17. sein. War’s die Technik? Meine Unfähigkeit? Die Moderation? Wer weiss.
Ich möchte gar nichts gegen Musik “aus dem Bauch” sagen, und ich bin mir sicher, zwischen den Extremen liegt eine ganze Menge Gemischtes.
Selbst das mit den Musikanten, die “keine Noten lesen” können, gilt wohl nicht so absolut. Als Werbeträger für diese Richtung muss oft Paul McCartney herhalten – glaubst du wirklich, der weiss nicht, was er tut? Vielleicht hat er eine etwas andere “Sprache” dafür. Auch Jimi Hendrix wird zwischen Moll und Dur zu unterscheiden gewusst haben, obwohl er nirgends E7#9 hingeschrieben haben mag.
Also noch mal kurz: Ich finde diese Art von Orientierung hilfreich; manch anderer auch, vermute ich.
Und dass hier (und anderswo) in Workshops usw. so oft wie selbstverständlich musiktheoretische Bezeichnungen vorkommen, hat einen ganz einfachen Grund: Wie sonst soll man’s zu Papier bringen? Das mag inzwischen historisch sein, aber schau dir die Kommentare unter Peter Fischers Lick-Videos an: Die Variante ist offensichtlich auch nicht jedermanns Sache.