Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen: In der Seitenstraße meiner Ausbildungsstätte in Berlin Charlottenburg befand sich ein kleiner aber feiner Gitarrenladen. Und dort sah ich sie zum ersten Mal: Die Ibanez RG2077XL. Bis dahin kannte ich die Gitarre nur aus dem 2003er Ibanez-EU-Katalog, aber in Natura haute mich die elegante und gleichzeitig imposant aussehende Bariton 7-Saiter geradewegs um.
Meine auf einem schmalen Azubi-Gehalt basierende, juvenil-fatalistische Denkweise resultierte in einem unmittelbaren und vorschnellen Schluss: „Die werde ich mir NIE im Leben leisten können.“ Die RG2077XL wurde in diesem Moment nichtsdestotrotz direkt zu meiner Traumgitarre – und sie sollte für noch weitere zehn Jahre ein Traum bleiben…
Anzeige
geschichte der xl-serie
Auf dem Zenit des New-Metal- und 7- String-Booms erschien es Ibanez nur mehr als logisch, ihre Vorreiterrolle im Bereich Extended-Range-Gitarren um ein paar Zoll zu erweitern. Im Jahre 2000 fertigte man zunächst mit der RG7680 und RG7681 zwei Bariton-7-String-Prototypen in sehr kleiner Auflage, um dann ein Jahr später so richtig loszulegen!
Als XL-Serie brachten die Japaner 2001 dann direkt vier Modelle auf den Markt: Die siebensaitigen RG1077XL Prestige und RG7421XL sowie die 6-String Varianten RG970XL Prestige und RG470XL. Im Promo-Text zur neuen Serie hieß es (unfreiwillig ironisch?), dass man dank der 27-Zoll-Mensur der XL-Serie neue Tiefpunkte seines Gitarrenspiels erreichen könnte. Natürlich wurde auch auf den strafferen Saitenzug und die transparentere Artikulation in den tiefen Registern hingewiesen.
Neben den vier XL-Serienmodellen gab es auch noch die anscheinend vom Ibanez L.A. Custom Shop designten Modelle RG7CSD2 und RG6CSD2. Diese unterschieden sich von den Prestige-Serienmodellen vor allem darin, dass sie eine feste Brücke sowie ein Custom Inlay hatten.
Mein erster Kontakt mit der XL-Serie war aber der Ibanez-Europa-Katalog aus dem Jahre 2003. In diesem räkelte sich eine RG2077XL – das Nachfolgemodell der RG1077XL mit einem neueren Vibrato-System. Die Gitarre war dank des klassischen Bindings mit Abstand die schickste 7-String im ganzen Katalog und weckte bei mir große Begehrlichkeiten. Und kurz darauf stolperte ich über das gute Stück dann – wie bereits in der Einleitung erwähnt – in einem kleinen Gitarrenladen in Berlin.
(Bild: Simon Hawemann)
Mit Ausnahme der AX110XL (erhältlich bis 2005) verschwand die XL-Serie aber nach dem Jahre 2003 auch schon wieder. In den folgenden Jahren produzierte Ibanez zwar noch ein paar verschiedene Bariton Gitarren, aber das Kürzel XL verschwand gänzlich. Dafür verantwortlich dürfte u. a. die nachlassende Nachfrage für 7-Saiter gewesen sein. Der New Metal hatte sich weitestgehend selbst abgeschafft und wurde vom Metalcore abgelöst, der vor allem auf sechssaitigen Gitarren in Drop Tunings gespielt wurde.
Nach der XL-Serie gab es mit der Ibanez RGD 2010 aber immerhin ein Modell, das bis heute ausschließlich mit Bariton Mensur (und seit Neuestem auch als Multiscale) erhältlich ist. Allerdings haben die RGD 6- und 7-Strings „nur“ eine Mensur von 26.5 Zoll – und für die unter uns, die gerne besonders tief stimmen, reicht das vielleicht nicht aus. Ich habe 2010 eine der ersten RGD 7- Strings erstanden und diese in meinem 8- String-Tuning einstellen lassen die Gitarre klang unfassbar gut, selbst mit den Werks-Pickups.
Die letzte Ibanez 7-String mit 27“-Mensur war die Mitte der 2000er ausschließlich in Japan erhältliche (aber nicht produzierte) RG7EXFX. Dank Genres wie Djent, ist die Nachfrage nach Bariton 7-Strings in den letzten Jahren aber wieder stark angestiegen und es gibt sogar Gerüchte, dass Ibanez die XL-Serie zur NAMM 2019 neu auflegt. Man darf also gespannt sein!
(Bild: Simon Hawemann)
später hype
Dass die XL-Serie recht schnell wieder in der Versenkung verschwand zeigt, dass die Nachfrage nach Bariton-Gitarren damals schlichtweg nicht wahnsinnig hoch war. Viele New-Metal-Gitarristen haben sich mit Standard-Mensur-Siebensaitern begnügt. Korn sind dafür ein perfektes Beispiel! Die Band stimmte ihre Gitarren zwar zwei Halbtöne tiefer, benutzte aber dennoch keine Bariton 7-Strings. Die verschiedenen Generationen von Head- und Munky-Signature-Modellen kamen allesamt mit 25.5er-Mensur.
Im Gegensatz zu heute war damals die Sound-Ästhetik auch eine andere. New Metal war selten so überproduziert und glatt wie heutiger Prog Metal und Djent. Demnach war eine verbesserte Artikulation im Low End vielleicht einfach keine Priorität für viele damalige 7- String-Gitarristen.
Nach der Siebensaiter-Flaute Mitte der 2000er verschoben sich die Prioritäten aber zusehends. Die Tunings wurden nun noch tiefer als im New Metal. Dank Trendsettern wie Meshuggah, die mit ihren 30“-8-Strings zeigten, wie viel Mensur notwendig ist, um ein gewisses Soundideal zu erreichen, wurde das Thema extended Scales für 7-String-Gitarristen zunehmend relevant. Und dies katapultierte die Ibanez-XL-Serie schlagartig wieder in die Köpfe und auf die Wunschlisten von Extended-Range-Gitarristen. Besonders die RG1077XL und RG2077XL wurden somit quasi über Nacht wieder begehrt und gesucht.
(Bild: Simon Hawemann)
Irgendwann um den Jahreswechsel 2012/2013 wurde ich dann bei eBay fündig – eine RG2077XL wartete darauf, ersteigert zu werden! Wie es der Zufall so wollte, befand sie sich sogar in Deutschland… also fackelte ich nicht lang. Für wirklich faire € 800 wechselte das gute Stück in meinen Besitz und innerhalb weniger Tage hielt ich sie endlich in meinen Händen. Der Zustand war wirklich tadellos! Erfreulicherweise hielt die Gitarre wirklich alles, was ich mir von ihr versprochen hatte. Sie spielte sich hervorragend und klang super. Einzig das HS-H-Pickup-Layout war nicht ganz nach meinem Geschmack, also ließ ich mir ein Custom Pickguard anfertigen, welches die für mich überflüssigen Fräsungen überdeckte (siehe Fotos).
Mein Hunger auf die Ibanez XL-Serie war aber noch lange nicht gestillt. Da diese Gitarren aber nur für drei Jahre und nicht in großen Stückzahlen gebaut worden waren, dauerte es nochmal 5 Jahre, bis ich vor wenigen Wochen endlich eine RG7421XL ergattern konnte. Ich wurde für faire $ 500 hier lokal in Tampa fündig. Die Gitarre ist in nicht ganz so makellosem Zustand wie meine andere XL, übertrifft aber dennoch in vielerlei Hinsicht meine Erwartungen.
7421XL vs. 2077XL
Beide Gitarren sind offensichtlich Teil der ikonischen RG-Reihe und ähneln sich in vielerlei Hinsicht auch darüber hinaus: Die zwei XL-7-Strings haben jeweils einen Lindekorpus, ein Palisandergriffbrett sowie einen dreiteiligen Ahorn/Bubingahals. Die Hauptunterschiede liegen darin, dass die RG2077XL mit einem Vibrato daherkommt, ab Werk zwischen den Humbuckern einen Singlecoil verbaut hat und, nicht zu vergessen, im Gegensatz zur RG7421XL ein Prestige Logo auf der Kopfplatte trägt. Die Bünde sind 1A abgerichtet und in wirklich guter Form für eine 18 Jahre alte Gitarre, der Hals ist kerzengerade und hat eine schöne Maserung und auch sonst wirkt diese Klampfe rundum solide.
Einzig die Hardware ist nicht so hochwertig wie bei der 2077XL. Dies fällt besonders bei der Bridge auf. Bevor ich aber ins Detail gehe, muss ich doch erst mal eine Lanze für das Bridge Design brechen! Oft findet man dieses zwar auf billigen Gitarren, aber solange die Bridge aus hochwertigen Materialien gefertigt ist, gehört sie zu den komfortabelsten Fixed-Bridges auf dem Markt. Die Brücke der RG7421XL wirkt allerdings weder besonders präzise verarbeitet, noch vermitteln das verwendete Material und das Finish einen besonders soliden Eindruck. Glücklicherweise gibt es von Hipshot eine baugleiche Bridge aus Edelstahl – und drei Mal dürft ihr raten, was auf dem Weg zu mir ist.
Als ich 2013 die RG2077XL zum ersten Mal spielte, stellte sie auf Anhieb viele meiner anderen Ibanez-Gitarren in den Schatten. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mit der RG1527M zwar lediglich eine weitere Ibanez mit sieben Saiten in meiner Sammlung, aber diese fühlte sich trotz kürzerer Mensur nicht halb so flink an. Und das straffe Low End der Ibanez XL wusste vor allem durch mein Live Rig wirklich gewaltig zu überzeugen. Somit musste die RG7421XL in Sachen Erwartungshaltung in wirklich große Fußstapfen treten.
Aber zu meiner (positiven) Überraschung muss ich sagen, dass sie die Bespielbarkeit der 2077XL sogar ein kleines bisschen übertrifft. Ich habe die Gitarre nicht blind gekauft, sondern vorher testen können… und ich war geradezu geschockt, dass Hals und Saitenlage noch flacher waren als bei meiner Prestige XL. Gleichzeitig fühlte sich die 7421 auch direkt sehr vertraut an. Eine gut eingestellte und -gespielte, Made-in-Japan-Ibanez ist schon eine feine Sache!
Wenn sich die Hälse der RG2077XL und RG7421XL auch etwas voneinander unterscheiden, haben sie doch gegenüber aktuellen Ibanez Gitarren eines gemein: Statt dem mittlerweile Ibanez-typischen, flachen D-Profil mit den stark ausgeprägten Schultern, kommen die Hälse der XLs eher mit einem sehr schlanken C-Profil daher. Es ist beim besten Willen nicht so, als wäre das aktuellere D-Profil unbeliebt. Ganz im Gegenteil: Ich kenne sehr viele Gitarristen, die geradezu darauf schwören. Es ist halt Geschmackssache!
(Bild: Simon Hawemann)
fazit
Was hingegen nicht Geschmackssache, sondern schlichtweg Fakt ist, lässt sich so leicht zusammenfassen: Mit den Made-in-Japan-Modellen der XL-Serie haben Ibanez in den frühen 2000ern einen absoluten Volltreffer gelandet! Es handelt sich hierbei ohne Wenn und Aber um zwei der besten in Serie produzierten Bariton-7-Strings aller Zeiten. Großes Statement, ich weiß, aber mir sind ja schon diverse Bariton-7er aller möglichen Hersteller durch die Hände gegangen.
Die RG7421XL mag vielleicht nicht so elegant daherkommen wie das Flaggschiff RG2077XL, aber in Sachen Bespielbarkeit steht sie ihr in Nichts nach. Der späte Hype um die XL-Serie ist absolut gerechtfertigt und die Gitarren damit verständlicherweise nach wie vor sehr gesucht. Wenn ihr eine XL für einen fairen Preis ergattern könnt, schlagt zu! Ich werde sicher auch die nächsten 10 Jahre nach diesen Gitarren jagen – als nächstes ergattere ich hoffentlich einen der Prototypen – bevorzugt die RG7681 mit der fixed Bridge!
Die einzige neue Ibanez mit einem ähnlichen Spielgefühl ist meiner Meinung nach übrigens die DCM100, die ich in diesem Rahmen bereits rezensiert habe. Besonders der Hals erinnert an das C-Profil der XL-Serie. Bei der DCM handelt es sich allerdings um ein Artist Modell – die Spezifikationen des Halses sind nach den Wünschen von Dino Cazares (Fear Factory) designed worden. Die daraus entstandene Signature 7-String ist grundsätzlich der perfekte Brückenschlag zwischen alten und neuen Ibanez Gitarren!