Extended Range Guitars (kurz: ERGs), also Gitarren mit mehr als 6 Saiten, erfreuen sich in den letzten Jahren wieder einer stetig zunehmendem Popularität. Grund genug für uns, das Phänomen ausführlich unter die Lupe zu nehmen.
Die Anfänge
Seit nunmehr 17 Jahren spiele ich Gitarren mit 7 Saiten und mehr. Dem Einfluss der Industrial-Metal-Band Fear Factory und ihrem Gitarristen Dino Cazares habe ich es zu verdanken, dass meine zweite Gitarre bereits ein siebensaitiges Modell war. Sein aggressives Stakkato-Spiel hat mich als jungen Metal-Fan damals so nachhaltig beeindruckt, dass ich selbst Gitarrist werden wollte.
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Zunächst mal reichte es bei mir nur für eine erschwingliche Cort VIVA7, aber als 2014 endlich Dinos Signature-Modell von Ibanez auf den Markt kam, habe ich es mir selbstredend auch zugelegt.
Aber drehen wir die Uhr doch mal ein bisschen weiter zurück! Siebensaitige Gitarren befanden sich dank des New-Metal-Booms um die Jahrtausendwende auf dem Höhepunkt ihrer zweiten Popularitätswelle und waren daher in Hülle und Fülle im Handel erhältlich. Der Grundstein wurde aber bereits 10 Jahre zuvor von Shred-Virtuoso Steve Vai gelegt.
Dieser entwickelte Ende der 80er mit Ibanez die Universe, welche 1990 als erste in Masse produzierte 7-Saiter den Gitarrenmarkt eroberte. Neben der Shred-Fraktion konnten sich auch Gitarristen extremerer Musikrichtungen früh für das Konzept begeistern. Bereits 1993 veröffentlichte die Death Metal-Institution Morbid Angel ihr drittes Album ‚Covenant‘ und die Grindcore-Frickler Human Remains wirbelten im Underground ordentlich Staub auf – und beide Bands spielten damals die Ibanez Universe.
Das New-Metal-Urgestein Korn konnte mit dem Überraschungserfolg ihres Debütalbums 1994 die 7-Saiter endgültig im Metal-Mainstream etablieren – und trat damit nicht nur einen Trend los, der ohne diese Instrumente undenkbar gewesen wäre, sondern wurde 2001 auch mit einem eigenen Signature-Modell belohnt – der Ibanez K-7.
Was folgte waren ein paar fette Jahre – und jeder wollte ein Stück vom Kuchen abhaben. Nicht nur Ibanez bereicherten ihr Sortiment um mehrere siebensaitige Serienmodelle, auch viele andere populäre Hersteller zogen nach.
Der exzessive Neustart
Während New Metal gegen Mitte der 2000er schnell an Popularität verlor und vom nächsten Trend im modernen Metal – dem Metalcore – abgelöst wurde, verloren auch 7-Strings schnell an Relevanz. Bis auf wenige Ausnahmen, wie die Bands Unearth und Reflux, waren siebensaitige Gitarren in dieser Szene beinahe schon verpönt und eng verknüpft mit New Metal, mit dem man lieber nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollte. Gänzlich davon unbeeindruckt braute sich allerdings in Schweden ein Sturm zusammen, der den Begriff Extended Range Guitars nicht nur redefinieren, sondern auch gänzlich neue Trends setzen sollte.
Die Rede ist natürlich von Meshuggah, die schon seit Ende der 90er-Jahre siebensaitige Ibanez-Gitarren spielten. Ich entdeckte die Band tatsächlich aufgrund eines Photos in einem Ibanez-Katalog um 2000, den mir der deutsche Vertrieb Meinl neben dem beinahe legendären 7th-Heaven-Promo-VHS-Video auf Anfrage zugeschickt hatte.
Das Photo zeigte die beiden Gitarristen Frederik Thordendal und Mårten Hagström mit ihren langen Haaren und RG 7-Saitern – Grund genug für mich in den Plattenladen meines Vertrauens zu fahren und das enorm sperrige ‚Chaosphere‘ zu kaufen, was mir damals erstmal die musikalische Pubertät aus dem Gesicht föhnte.
Der große Knall folgte allerdings erst mit dem darauffolgenden Album. Für ‚Nothing‘ stimmten Meshuggah im Jahre 2002 ihre Ibanez Custom Shop Bariton 7- Strings noch tiefer und wilderten somit streng genommen bereits in Bass-Gefilden. Das Album wurde unter Zeitdruck gemixt und veröffentlicht, und die Schweden waren lange unglücklich über den Gitarren Sound. Auf der Suche nach einer Lösung ließen sich Frederik Thordendal und Mårten Hagström zunächst von einem schwedischen Gitarrenbauer (namens Fredrik Nevborn) und schlussendlich vom Ibanez-Custom-Shop achtseitige Gitarren mit einer gigantischen 30 Zoll Mensur bauen und spielten ‚Nothing‘abermals ein.
Fortan waren die 8-Saiter aus Meshuggahs unverwechselbarem, neuen Sound nicht mehr wegzudenken und das Interesse an diesen monströsen Gitarren stieg mit der zunehmenden Popularität der Band rapide. Meshuggah hatten also über Nacht ein neues Genre erschaffen und der wachsenden Anhängerschaft dürstete nach Möglichkeiten, Teil dieses neuen Sounds zu werden. Es dauerte allerdings bis 2007, bis Ibanez aufgrund der wachsenden Nachfrage mit der RG2228 die erste in Serie produzierte 8-String überhaupt veröffentlichte. Während das Feld bis dahin teils obskuren Custom Shops überlassen war, bekam das Instrument dadurch eine gänzlich neue Legitimität und trat eine Welle los, die bis heute anhält. Ich selbst war auch sofort Feuer und Flamme, konnte mir die Gitarre aber zum damaligen Zeitpunkt nicht leisten.
Ich versuchte das Konzept allerdings trotzdem schon meiner damaligen Band War From a Harlots Mouth schmackhaft zu machen und als 2010 mit der RGA8 eine erschwinglichere Variante auf den Markt kam, gab es kein Halten mehr. Wir legten uns zwei Exemplare zu und schrieben auf denen Material für zwei weitere Alben (‚MMX‘ und ‚Voyeur‘). Der Erfolg der 8-Saiter war zu diesem Zeitpunkt so groß, dass auch die meisten anderen namhaften Hersteller wieder nachgezogen hatten und mit einer Vielzahl achtseitiger Modelle diese neue Nische des Marktes versorgten. Zusätzlicher Erfolg wurde den Extended Range Guitars besonders dank einer frischen Szene jüngerer Musiker zuteil. Misha Mansoor alias „Bulb“ spielte z.B. schon in der zweiten Hälfte der 2000er stark von Meshuggah und modernem, eingängigerem Metal beeinflusste Instrumentals und prägte nicht nur das (Un)-Wort „Djent“, sondern gründete auch die Band Periphery, die man durchaus als Vorreiter und erfolgreichsten Vertreter dieser jungen Szene beschreiben kann.
Auch eine neue Generation Virtuosos trat, angeführt von Tosin Abasi, auf den Plan. Dieser nahm nach der Auflösung seiner alten Band Reflux ein Soloalbum unter dem Namen Animals as Leaders auf und der Erfolg war so groß, dass er das Lineup u.A. mit Javier Reyes als zweiten Gitarristen vervollständigen musste und seitdem aktiv mit kompletter Bandbesetzung durch die Welt tourt. Bemerkenswert ist, dass all diese Gitarristen mittlerweile nicht nur selbst Signature Modelle von Jackson, Ibanez und LTD ESP vorweisen können, sondern auch individuell weltweit für Workshops gebucht werden. Und auch in deutlich extremere Spielarten des Metals, wie Death und Black Metal, konnten ERGs vorstoßen.
Die legendären Gorguts spielen nicht erst seit ihres Comebacks 2013 verstärkt 7-Strings und haben mit ‚Pleiades‘ Dust‘ soeben ein von Kritikern gefeiertes Konzeptalbum veröffentlicht, welches die Grenzen des Death Metal weit überschreitet. Auch die australischen Avantgarde Death Metaller Portal greifen für ihren tiefschwarzen und zähen Sound auf sieben- und achtsaitige Gitarren zurück und geben diesen Instrumenten mit ihrer eigenwilligen Sound-Ästhetik eine weitere Facette, die noch viel Spielraum zum Erschließen bietet. Der wohl ungewöhnlichste Einsatz einer achtsaitigen Gitarre dürfte jedoch auf das Konto von Little-Tybee-Gitarrist Josh Martin gehen.
Seine sogenannte Glitch-Tapping-Technik ist nicht nur unglaublich mit anzusehen, sie erzeugt zu allgemeiner Verwunderung auch eher liebliche Klänge. Ich kann nur das folgende Video von Little Tybee empfehlen und verspreche, dass ihr euch bei seiner Performance ungläubig die Augen reiben werdet.
Dank des unerwarteten Erfolgs der 8- String konnten sich schlussendlich auch die zeitweise verpönten, siebensaitigen Gitarren längst wieder rehabilitieren. Diese feiern seitdem ein Comeback, dass jeden Popularitätsschub zuvor in den Schatten stellt. Nun blicken wir also bereits auf eine knappe Dekade konstanten Erfolges für Extended Range Gitarren zurück – vermutlich dem größten, den diese Instrumente je erlebt haben. Und noch ist kein Ende in Sicht!
Allen Unkenrufen zu Trotz haben sich ERGs also nicht nur durchsetzen können, sondern auch für einen gewissen Paradigmenwechsel und viele Innovationen in der Industrie gesorgt. Die Zielgruppe ist sehr Internet-affin, Feedback-freudig, und hat neben den großen Gitarrenmarken auch eine Vielzahl von (Semi-)Custom-Shops im Visier. Manche dieser Custom Schmieden haben sich sogar auf den ERG-Bereich spezialisiert und setzen munter Trends, die dann früher oder später von der in Masse produzierenden Industrie übernommen werden. Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist die sogenannte Multiscale-Konstruktion, auch bekannt unter der Bezeichnung Fanned Frets, bei der der Hals eine zur hohen E-Saite abnehmende Mensur hat.
Auch Headless-Gitarren erfahren speziell unter Extended-Range-Gitarristen eine unerwartet erfolgreiche Rückkehr. Auf diese und andere Konstruktions-Finessen werde ich in den kommenden Ausgaben natürlich noch im Detail eingehen, aber so viel sei schonmal gesagt: Die großen Gitarrenmanufakturen sind dank dieser Entwicklungen näher am Geschehen und hören mehr auf ihre Kunden denn je. Und das gilt natürlich auch für die Peripherie: Speziell auf den erweiterten Frequenzumfang abgestimmte digitale und analoge Amps, Cabs, Tonabnehmer, Saiten, Stompboxes, und viel mehr als man hier aufzählen könnte, sind heutzutage jederzeit und in allen Preisklassen leicht zu haben. Und die Umsetzung ist, dank Untereinflussnahme vieler Musiker direkt aus der Nische, weitaus weniger stümperhaft als es teilweise zum New-Metal-Boom der Fall war.
Oder muss ich erst an Fehlschläge wie den Hughes & Kettner Warp7 erinnern?! Solche Pleiten sind dem Extrendend Range Boom seit den späten 2000ern bisher glücklicherweise weitesgehend erspart geblieben.
Zu guter Letzt
Aufregende Zeiten sind es für Gitarristen also, so viel steht fest. Ob man nun Fan von Gitarren mit mehr als 6 Saiten ist oder nicht – man kommt um das Thema Extended Range kaum mehr herum. Und ich denke, dass dies eine überwiegend positive Entwicklung mit sich bringt. Mehr Auswahl schadet nie und Puristen werden nach wie vor nicht vernachlässigt. Keiner zieht den Kürzeren. Die Erkenntnisse aus dieser Nische werden der Gitarrenindustrie mit Sicherheit noch einige interessante Innovationen entlocken, da habe ich keine Zweifel.
Ich fand den Bericht sehr interessant, da ich kein Fan dieser Musikrichtungen bin kannte ich mich damit nicht aus, ich dachte bis hierhin ist Dream Theater und John Patituci der einzige mit mehr als 6 Saiten. Den Bericht hatte ich ebenfalls in der G&B gelesen.
Ich fand den Bericht sehr interessant, da ich kein Fan dieser Musikrichtungen bin kannte ich mich damit nicht aus, ich dachte bis hierhin ist Dream Theater und John Patituci der einzige mit mehr als 6 Saiten. Den Bericht hatte ich ebenfalls in der G&B gelesen.
Vielen Dank
Besser – siehe Keith Richards – 5-saitig!