(Bild: Ibanez)
Hallo, liebe Blues-Fans. Wie ist die Lage? Was machen die Changes? Was macht das Spiel mit Dominant-Pentatoniken? Was machen die sechs Tonarten? Keine Sorge, heute geht es nicht um einen Agentenfilm oder eine Alternative zu Indiana Jones, sondern um ein Konzept, was man bei vielen Jazzgitarristen, aber auch bei momentan so populären Gitarristen wie Josh Smith, Greg Koch, Guthrie Trapp oder bei Evergreens wie Larry Carlton & Co. häufig angewendet findet.
Unsichtbare Akkorde? Invisible Chords? Diesen Begriff habe ich mal bei der amerikanischen Gitarristin Sheryl Bailey in einem anderen Zusammenhang aufgeschnappt und er ist bei mir hängen geblieben. Hat mir gefallen. Tolle Spielerin und Lehrerin übrigens, auf jeden Fall verfolgenswert.
Wenn ich es einsetze, kommen regelmäßig Nachfragen zu meinen Outside-Konzepten. Vorab muss ich allerdings sagen, dass ich den Begriff des Outside-Spielens eigentlich nicht benutze (und innerlich ein klein wenig ablehne) und auch überhaupt nicht so denke. Ich bevorzuge Begriffe wie Spannung/Tension vs. Entspannung/Resolution oder Bewegung/Dynamik vs. Statik. Woher kommen also die ganzen Noten, die offensichtlich nicht zum gewohnten Pentatonik-Sound gehören und die gefährlich nach Jazz klingen? Welches intellektuell anspruchsvolle Konzept steckt wohl dahinter? Die Antwort ist hier beim Blues viel einfacher als vielleicht erwartet. Klar, es gibt viele Ideen, die auf Tonleitern basieren für „diesen“ Klang. Um die kümmern wir uns heute aber nicht. Bei uns geht es um Akkorde und Akkordtöne.
In Episode 3 des Bootcamps (Ausgabe 09/22) haben wir unseren Haupt-Harmonien an einigen Stellen chromatische Rückungsakkorde vorangestellt, mit denen man sich dem jeweiligen Zielakkord nähert (Approach Chords).
In Beispiel 1 kannst du das nochmal gut nachvollziehen. Noch eine Bemerkung zur Akkordfolge: Sie hat in Takt 2 wieder einen Quick Change auf D7 und enthält einen am Ende leicht veränderten Turnaround, nämlich A7 – F#7 – B7 – E7. Diesen habe ich allerdings auch wieder mit den „Approach Chords“ garniert: C7 nähert sich B7, und Bb7 nähert sich A7. Die sich daraus ergebende chromatische Akkordverbindung klingt hübsch und kommt oft vor. Im ersten Hörbeispiel habe ich das Solo diesen Monats über fast übertrieben eindeutig gespielte Akkorde gelegt, ohne irgendwelche stiltypischen Begleitmuster oder andere Ablenkungen. Dabei wird sehr deutlich, an welcher Stelle im Solo – nämlich immer über die Approach Chords – ich anstelle irgendeiner Pentatonik oder eines Licks, ganz einfach die Akkordtöne des Näherungs-Akkordes spiele.
ICH DENKE WAS, DAS DU NICHT HÖRST
Der Trick besteht nun darin – und das ist eine einfache wie effektive Idee – diese Akkorde auch dann weiterhin zu „denken“ und solistisch auszuspielen, obwohl die Band oder die Begleitung diese gar nicht spielt. Im zweiten Audiobeispiel unseres Solos, spielt der Bass zum Beispiel ganz einfache, traditionelle Achtel. Null jazzig. Schon klingen aber die solistischen Momente, die über die gerückten Akkorde eben noch ganz selbstverständlich klangen, nach „Outside“ oder zumindest dezent nach Jazz. Dieser Effekt verstärkt sich sogar noch, wenn der Bass auf einen Walking Bass umsteigt.
Hier sind ein paar weitere, erwähnenswerte Punkte im Solo:
• Takt 2: anstelle eines normalen D7 „denke“ ich einen D7b9 und spiele ein D#°7-Arpeggio (D# – F# – A – C) darüber. Das ist ein wunderbar altmodischer Jazz-Sound, den ich sehr mag und den man bei Josh Smith (und Danny Gatton und Les Paul, seiner Einflusslinie) entdecken kann.
• Takt 3: ein kurzes Jazz-Klischee, aus der A-Dominant-BeBop-Skala generiert (A-B-C#-D-E-F#-G-G#)
• Takt 4: Akkordtöne von Eb9
• Takt 6: Ab7-Arpeggio und BeBop-Rhythmusklischee
• Takt 8: Eb-Dur-Arpeggio
• Takt 11 und 12: A-, C-, H- und Bb-Dur-Dreiklänge.
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass eine Grundidee im Solospiel von Josh Smith, Guthrie Trapp, Greg Koch etc. in BluesSituationen darin besteht, traditionelles Bluesspiel an strategischen Stellen durch Jazz-Ideen, in diesem Fall Akkordtöne, zu ergänzen. Das ist meiner Meinung nach ein ganz prima Konzept: Das zu spielen, was einem vertraut ist (Blues, Pentatonik etc.) und bei dann einigen kurzen Passagen umzuschalten auf einen anderen Ansatz und wieder retour. Ich finde, es klingt dabei übrigens besonders reizvoll, wenn man in diesen Momenten auf alte Jazz-Phrasen zurückgreift, die so richtig schön oldschool klingen. Ab der nächsten Episode, werden wir uns mit dem Thema Jazzblues befassen. Ich freu mich drauf. Bis dahin, euer Onkel P.
(Die Noten können durch Anklicken vergrößert werden!)
(erschienen in Gitarre & Bass 02/2023)