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Blues Bootcamp: Upper Structure – Dominant-Akkorde, Teil 2

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Greetings and salutations, my dearest Blues friends! Heute geht es um eine leichte Variation, die Family-of-Four-Konzept genannt wird. Erinnert ihr euch noch an Pat Martinos Konzept der Linear Expressions und die dazugehörigen Lines, die er Activities nennt? Falls nicht – diese Blues-Bootcamp-Folgen könnt ihr in den Ausgaben 11/2023 und 05/2024 nachlesen.

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POV – DUR/MOLL VS DORISCH VS MIXOLYDISCH

Nochmal sehr kurz zusammengefasst, geht es beim Pat-Martino-Konzept ja darum, dass man Akkorde einer Akkordverbindung nicht nach ihrer Zugehörigkeit zu einer Dur- oder Molltonart zuordnet, sondern nach ihrer verwandten dorischen Tonart, um dann die Activities oder Auszüge aus ihnen darüber zu spielen. Wie damals schon erwähnt, ist dieses Umrechnen nach Dorisch nicht untypisch für die Ära der 1960er-Jahre. Obwohl ich wusste, dass einige Gitarristen fast ausschließlich über Dominant-Akkorde oder mixolydische Akkordfolgen solieren (wie z.B. Steve Morse), fand ich es doch sehr interessant, in einem Interview mit dem WahlNew-Yorker Oz Noy zu lesen, dass er immer alles aus der verwandten Dominant-Perspektive sieht, weil er dann die meisten Möglichkeiten zum Improvisieren hat. In diesem Zusammenhang fiel dann auch zum ersten Mal der Begriff „Family of Four“.

WORUM GEHT ES?

Ähnlich wie beim Pat-Martino-Konzept, geht es eigentlich um eine Art der harmonischen Vereinfachung. Anstatt von Akkord zu Akkord zu denken, wie es im Jazz üblich ist, soll eine andere Art der Vereinfachung des Denkens ermöglicht werden, die aber deutlich jazziger klingt, als wenn man die Dur/Moll-Tonart „denkt“. Was bedeutet das? Man kann Akkorde oder Akkordverbindungen eher traditionell oder aber auch aus der P.M.-Perspektive bzw. der Family-of-Four-Blickrichtung sehen und einsortieren, was – wenn man darüber improvisiert – zu durchaus anderen Klangergebnissen führt. Nachvollziehbar? Das Family-of-Four-Konzept ist fast identisch mit dem Inhalt der letzten Folge nur mit dem Unterschied, dass anstelle des Dominant-7-Arpeggios eine Dominant-BeBop-Skala benutzt wird. Eine was?

DOMINANT – DORIAN- UND MAJOR-BEBOP-SKALEN

Der Begriff „BeBop-Skala“ ist ähnlich wie der Begriff „Blues-Skala“ ein umgangssprachlicher Begriff, der von dem Posaunisten, Komponisten und Jazz-Educator David Baker geprägt wurde. Streng genommen gibt es drei BeBop-Skalen: eine für Dom-7-Akkorde, eine für Molltyp-Akkorde und eine für Durtyp-Akkorde. Dabei wird an einer bestimmten Stelle jeweils eine chromatische Durchgangsnote in die für den Akkord passende Tonleiter eingesetzt. Bei der DurBeBop-Skala zwischen der Quinte und der Sexte, bei der DomBeBop-Skala zwischen der kleinen Septime und der Oktave und bei der dorischen BeBop-Tonleiter zwischen kleiner Terz und Quarte.

(zum Vergrößern klicken!)

In Beispiel 1 siehst du die drei Tonleitern vom selben Grundton aus. Wie schon in früheren Folgen empfehle ich, sich zuerst den Akkord vorzulegen, dann das passende Arpeggio aufwärts und danach die Tonleiter abwärts zu spielen. So setzt sich der Sound einfach schnell fest. Ganz gut, oder? Diese eine zusätzliche Note klingt doch sehr natürlich, nicht wahr? Diese chromatischen Zwischentöne sind ähnlich stilprägend wie die Blue Note (b5), wenn man diese in eine Mollpentatonik einbaut, nur halt mit einer anderen Klangfarbe.

Ist es nicht interessant, was für einen stilistischen Unterschied der Ort der Durchgangsnote ausmacht? Obwohl man die Major-BeBop-Skala natürlich auch regelmäßig antrifft, sind die mixolydischen und die dorischen Varianten doch deutlich populärer. Spielt man sie über miteinander verwandte Akkorde (also z.B. G7 und Dm7), entdeckt man, dass sie eigentlich dieselben Töne enthalten (siehe Beispiel 2).

Aus diesem Grund differenzieren viele Jazzer auch gar nicht zwischen diesen beiden Tonleitern, sondern denken, wenn um es BeBop-Tonleitern geht, eigentlich immer nur an die DominantBeBop-Skala. In Beispiel 3 findest du vier Fingersätze der Dominant-BeBop-Skala in A. Ich mag ja diese Art des Übens: Den Fingersatz einer Tonleiter oder ähnlichem ab möglichst vielen Startseiten in der Nähe eines Akkordes zu spielen. In Beispiel 4 findest du das Ganze nochmal mit einem etwas größeren Tonumfang.

UND WAS MACHT MAN NUN DAMIT?

Die achttönige BeBop-Skala hat meiner Meinung nach einen sehr angenehmen, linearen Flow. Der Grund dafür ist, dass unabhängig davon, von welchem Akkordton man startet, man einen Akkordton auf den vollen Zählzeiten des Taktes erwischt. In Beispiel 5 siehst du, was ich damit meine. Weil das so ist, spielt man sie in der Regel auch einfach nur so als Tonleiter rauf oder runter und überlässt die abenteuerlichen Dinge und Rhythmen den anderen Tools.

Eine weitere sehr populäre Anwendung ist das, was Jerry Coker in seinem überaus empfehlenswerten Buch ‚Elements Of The Jazz Language‘ „The BeBop Lick“ nennt. Es handelt sich um eine sehr kurze Phrase, die jedoch sehr stilprägend für den Jazz ist. In Beispiel 6 findest du diese Phrase mit ihren ebenso populären Variationen. Lerne dieses Lick! Ernsthaft. Es ist SO effektiv, wenn man mal eine Prise Jazz in sein, wie auch immer geartetes, Spiel bringen will. Ich habe es aus Platzgründen jetzt in nur einer Griffbrettregion notiert. Finde es in allen Lagen.

FAMILY OF FOUR IN DER PRAXIS

Das Pat-Martino-Konzept bestand ja darin, eine jazzige Line über fünf unterschiedliche Akkorde spielen zu können. So funktioniert F.o.F.: In Beispiel 7 findest du die vier Familienmitglieder.

Die Idee ist, dass man über jeden der vier Akkorde (A7 – C#m7b5 – Em7 – Gma7) jedes der vier Tools spielen kann (A Dom BeBop-Skala – C#m7b5 Arp – Em7-Arpeggio – Gmaj7-Arpeggio).

In Beispiel 8 findest du eine Line, die an Sheryl Baileys ‚Microcosmic BeBop Line‘ angelehnt ist. Sie ist wie eine kleine Mini-Etüde, die diese Klänge an dich heften wird. Üben!

(zum Vergrößern klicken!)

WAS BRINGT DAS ALLES EIGENTLICH?

Dieses Konzept ist hervorragend dazu geeignet, den traditionellen Basic-Blues-Sound zu erweitern und etwas aufzumischen, wobei rein gar nichts dagegen spricht, alle Tools von der Artikulation her auch ausgesprochen „bluesig“ mit Punch, Overdrive etc. zu spielen.

IST DAS DENN DANN NOCH RICHTIGER BLUES?

Ja. Natürlich. Nur vielleicht nicht mehr ganz so traditionell klingend, wie man es von den Kings, SRV, Muddy Waters oder so gewohnt ist. Vielleicht eher etwas moderner interpretiert, wie man ihn in den letzten Jahren im Stile von Josh Smith, Kirk Fletcher, Oz Noy uva. kennt.

Nachdem es in den letzten Episoden ein paar Jamtracks gab, habe ich diesmal wieder ein kleines Solo über einen straighten Blues in A vorbereitet (Beispiel 9). Viel Spaß damit. Hier folgt eine kurze Analyse der Ereignisse:

  • Takt 1 und 2: Standard Blues-Licks
  • Takt 3: The BeBop-Lick in A
  • Takt 4: BeBop-Skala in A
  • Takt 5 und 6: D7-Akkordtöne mit chromatischer Annäherung
  • Takt 7 und 8: Standard Blues-Klischees
  • Takt 9: The BeBop-Lick in E
  • Takt 10: The BeBop-Lick in D
  • Takt 11: C#m7b5 und Em7-Arpeggios über A7
  • Takt 12: E7-Arpeggio

So viel für heute. In der nächsten Episode wird es mit diesem Thema vielleicht weitergehen. Mal schauen. Viel Erfolg beim Üben, bei der Metamorphose und auch sonst so. Haltet durch und bleibt echt. Immer


(erschienen in Gitarre & Bass 12/2024)

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