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Blues Bootcamp: Chromatik – Part 1

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Greetings and salutations, my dearest Blues friends! Sind die vier Familienmitglieder der „Family Of Four“ schon heimisch geworden? Erinnerst du dich noch an die Blues-Bootcamp-Episode in Ausgabe 10/2024, in der ich kurz auf die Themen eingegangen bin, die mich an der Gitarre gerade interessieren? Nachdem wir uns in den letzten drei Blues-Bootcamp-Folgen um das erste meiner Lieblingsthemen, nämlich das „Upper Structure“-Denken, gekümmert haben, geht es diesmal weiter mit dem Thema Chromatik.

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DAS „GODLIKE GUITAR“ MIXTAPE

Ich glaube, ich war etwa 15 oder 16 Jahre alt, als ich ein Mixtape von einem viel älteren Gitarristen aus Hagen namens Hans Wegerhoff bekam, der Stammkunde in dem Musikladen war, der sich im selben Haus befand, in dem ich wohnte. Dieses Mixtape war für mich das, was man heutzutage einen „Game Changer“ nennen würde. Ich konnte zu dieser Zeit schon für mein Alter recht passabel Gitarre spielen und meine Lieblingsbands waren Kiss, Van Halen, The Police, ABBA und Queen.

Dieses Mixtape habe ich, nachdem ich es erhalten hatte, sehr schnell „GODlike Guitar“ getauft. Es war ein 90Min-Tape, mit jeweils ca. 20 Min Larry Carlton (‚Room 335‘), Ray Gomez (‚Volume‘), Steve Morse (‚Dregs Of The Earth‘) und Allan Holdsworth (U.K. und Bill Brufords ‚One Of A Kind‘). Ich war aufs Äußerste positiv schockiert. Solche Musik war mir fremd und SO hatte ich noch nie jemanden spielen hören.

Obwohl alle vier Künstler mich sehr beeindruckt hatten, war es in erster Linie der Teil des Mixtapes mit Allan Holdsworth, der mich am meisten begeisterte. Dieser mittige, weiche Sound, sein Legato-Spiel, das Hineingleiten in Töne mit dem Tremolo-Hebel und vor allen Dingen seine Tonauswahl weckten mein Interesse und hinterließen Spuren bei mir. Zu diesem Zeitpunkt war Holdsworth bei einigen Bands und Künstlern Sideman. Strebt man den Zugang zu seinem Gitarrenspiel an, ist es auf jeden Fall sehr, sehr ratsam, sich mit Alben aus diesem Zeitraum zu beschäftigen. Also Jean-Luc Ponty ‚Enigmatic Ocean‘, das Debutalbum von U.K. und die beiden Soloalben von Bill Bruford ‚One Of A Kind‘ und ‚Feels Good To Me‘.

Warum? Auf seinen späteren Soloalben sind Holdsworths Eigenkompositionen harmonisch derart komplex, dass man als „normaler“ Blues/Rock/Fusion-Gitarrist erstmal nicht ohne Weiteres Zugang zur Musik bekommt. Auf den oben genannten Alben sind die harmonischen Strukturen in der Regel eher einfacher und man kann besser zuordnen, was eigentlich solistisch passiert.

Nimmt man einen beliebigen Akkord wie zum Beispiel einen A-Moll-Akkord und spielt die zwölf verfügbaren Töne, gibt es durchaus unterschiedliche Ergebnisse und Klangqualitäten. Die Akkordtöne A (1), C (b3) und E (5) erzeugen gar keine klangliche Spannung, sondern Ruhe und Übereinstimmung.

Die Töne G (b7), H (9), D (11) und F# (13) als tonleitereigene Akkorderweiterungen, erzeugen zwar schon eine Reihe von unterschiedlichen Klangfarben, bewegen sich aber aufgrund ihrer Verwandtschaft zur Tonleiter immer noch in einem sehr vertrauten Rahmen.

Bleiben noch fünf andere Töne, die eigentlich nicht passen und die Frage, wie man sie so organisieren und einsetzen kann, dass es cool klingt.

NETTE LÜCKENFÜLLER

Ausgestattet mit einem UHER-Reporter-Tonbandgerät, fing ich damals dann an, meine Lieblingssongs mit Holdsworths Mitwirkung auf Halb- und Viertelgeschwindigkeit zu hören und entdeckte, dass AH – übrigens ähnlich wie Steve Morse und Ace Frehley – sich eines ganz einfachen Tricks bediente, in dem er lediglich die Lücken in Tonleiter-Patterns auffüllte. Natürlich nicht immer und ausschließlich, aber regelmäßig.

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In Beispiel 1 findest du drei Fingersätze unserer beliebten Bluestonleiter in A. Einmal das reguläre Pattern und einmal mit aufgefüllten Lücken. In Beispiel 2 geschieht das Gleiche – diesmal nur mit einigen nebeneinanderliegenden Patterns der dorischen Tonleiter. Interessante Beobachtung: Je nach Fingersatz befinden sich die chromatischen Durchgangstöne an anderen Stellen, was den Klang etwas unberechenbarer macht.

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In Beispiel 3 findest du eine kurze, viertaktige Etüde mit diesem Konzept. Solch eine Line könnte man übrigens durchaus auch bei Typen wie John Petrucci oder Guthrie Govan finden. Vielleicht nicht 100% straighter, traditioneller Blues, aber eventuell auch mal interessant.

APROPOS GUTHRIE GOVAN …

Das bringt uns direkt zum Solo der heutigen Episode. Der britische Ausnahmegitarrist Guthrie Govan ist einer der wichtigsten, wenn nicht der größte Impulsgeber für die E-Gitarre der letzten 20 Jahre. Seine mittlerweile fast legendären Beispiel-Soli über einfache (Blues)Akkordverbindungen, die er vor gut 15 Jahren für den britischen Verlag JTC als YouTube-Promoclips einspielte, verpassten nicht nur seiner Karriere einen unfassbaren Boost, sondern ebneten nebenbei auch eine ganz neue Selbstvermarkungsstrategie für Musiker, die heutzutage eigentlich schon fast Standard ist.

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Das Solo in Beispiel 5 basiert auf einer sehr einfachen Moll-Blues-Akkordverbindung in A (siehe Beispiel 4) und ist ansatzweise an Guthrie Govan angelehnt. Natürlich nicht so rasant, wie man es von ihm in der Regel gewohnt ist, aber mit einer von ihm gerne benutzten Idee, dem Setzen von Kontrasten. Hat man nur einige wenige, einfache Akkorde, bietet es sich an, komplexere Ideen und Linien zu spielen und tonal aus dem Vollen zu schöpfen. Bei vielen Akkorden funktioniert oft das Gegenteil besser, indem man tonal etwas einfacher denkt und die „Arbeit“ den Akkorden überlässt.

Beim Solo erkennt man, dass es, wenn man in Bewegung und im Flow ist, gar nicht mal so sehr genau darauf ankommt, welche Note man über den jeweiligen Akkord spielt. Der Gesamtverlauf und die Kontur der Linie dominieren die Wahrnehmung mehr als der Sekundenbruchteil, den eine tonartfremde Note einnimmt. Wichtig ist jedoch, bei Statik im Spiel durch lange Notenwerte auf Akkordtönen zu landen und dort zu bleiben.

Hier ist wie gewohnt eine kurze Analyse des Solos:

  • Auftakt: Eine Am9-Idee über einen E7 erzeugt einen melodischen E7#5#9-Sound.
  • Takt 2 zeigt eine typisch aufgefüllte A-Blues-Skala.
  • Takt 4: Hier spiele ich ein flinkes Cmaj7-Arpeggio plus eine chromatisch aufgefüllte dorische Tonleiter in A.
  • Takt 6: bei diatonischen Tonleitern ist es eine populäre Idee, die Tonleiter in Sekundschritten rückwärts zu spielen. Hier geschieht dies mit einer aufgefüllten D-Moll-Pentatonik
  • Takt 9 zeigt eine Line, die ich mal von Pat Metheny ausgeborgt habe. Er benutzt sie oft als Füllelement in seinen Soli. Interessant sind die abwärts in Halbtonschritten gerückten Terzintervalle
  • Takt 10: nochmal etwas geborgtes, diesmal von Ray Gomez. Ein bisschen BeBop plus gerückte Terzen abwärts, geben hier ein eigenes Flair.
  • Takt 11: nothing but the blues (scale)
  • In Takt 12 findet man ein Gmaj7-Arpeggio über Em7 plus etwas E-Dorisch mit chromatischen Durchgangstönen.

So viel für heute. Chromatik stammt ja im auf die Musik übertragenen Sinn vom griechischen Begriff „Chromos“ (Farbe) ab. In der nächsten Episode wird es daher weiterhin bunt zugehen. Viel Erfolg beim Üben und auch sonst so. Haltet durch und bleibt echt. Immer.


(erschienen in Gitarre & Bass 01/2025)

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