Nachdem wir uns Thema und Begleitung des Klassikers ‚Summertime‘ genau angeschaut haben (siehe Teil 1 und Teil 2), geht es in dieser Americana-Folge um ein Solo über den Standard. Um das ganze etwas konkreter zu machen, habe ich zwei komplette Chorusse ausnotiert und erkläre die dahinterstehenden Konzepte.
WENIGER IST MEHR
Ein Konzept, das vielen Rockmusikern den Zugang zum Jazz verwehrt, ist es, den Neuling im Jazz-Gewerbe mit einer großen Anzahl an Skalen zu konfrontieren. Im Gitarrenunterricht würde das in etwa so klingen: „Ah, Summertime-Impro. Ist ganz einfach. Über A-Moll spielst du A-aeolisch oder dorisch, dann gehst du nach D-dorisch, B-lokrisch und E-HM5 oder alteriert oder HTGT. Beim F spielst du Mixo#11. Beim Cmaj7 klingt lydisch ganz gut oder du nutzt ein paar Oberdreiklänge oder Arpeggios … alles klar? Wer vorher mit einer Pentatonik oder Molltonleiter nach Gehör improvisiert hat, versteht so nur Bahnhof und denkt frustriert: „Jazz ist wohl nichts für mich.“ Das muss nicht sein, denn man kann auch mit anderen Konzepten gut über einen Song wie ‚Summertime‘ solieren.
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SKALEN UND DREIKLÄNGE
In Beispiel 1 siehst du das harmonische Material, das ich im Solo verwende. Neben der A-Moll-Pentatonik und der natürlichen Molltonleiter sind das vor allem die Dreiklänge der Akkorde. Beginnen wir deshalb mit der Analyse der Akkorde.
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Fast alle stammen aus der Tonart A-Moll/C-Dur: Am7, Dm7, B-7b5 und Cmaj7 sind leitereigene Akkorde. F7 und E7 sind vom Grundton her ebenfalls in A-Moll/C-Dur enthalten, wurden aber in einem Akkordton verändert: Aus Em7 (V. Stufe von A-Moll) wurde ein E7, die Terz des Akkordes ist jetzt ein G# statt G. Beim F7 wird – statt des in A-Moll/C-Dur enthaltenen Fmaj7 mit der großen Septime – ein Dominantseptakkord mit der kleinen Septime Eb verwendet. Denkt man jetzt daran, die A-Moll-Tonleiter zu spielen und beim Auftauchen der zwei erwähnten Akkorde die veränderten Töne hinzuzufügen, landet man bei demselben Konzept wie anfangs beschrieben, bezieht sich aber nur auf eine Tonleiter. In Beispiel 2 siehst du Fingersätze für die Tonleiter und die erwähnten Akkordtöne in der 5. Lage.
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DAS SOLO
Kommen wir also zum Solo in Beispiel 3. In den ersten vier Takten verwenden wir nur die Pentatonik und die natürliche Molltonleiter. Über den D-Moll sehe ich die Dm-Dreiklänge am 5. und 10. Bund als Zieltöne. Über den E7 verwende ich den Dreiklang am 9. Bund.
Anschließend geht es zurück in die zwei A-Moll-Skalen. Den F7 und E7 aus Takt 14 spiele ich mit einem Dreiklangsarpeggio aus. Über den E7 in Takt 16 steuere ich das G# (die Terz des Akkords an), kombiniert mit dem Grundton auf der tiefen E-Saite.
Chorus 2 beginnt mit einer chromatischen Umspielung des A-Moll-Dreiklangs am 5. Bund. Außerdem steuere ich das F#, die Sexte des Akkordes an. Das kann man als Dorisch denken, oder einfach als zusätzliche Farbe, die man der Moll-Pentatonik hinzufügt. Über Dm bemühe ich wieder die zwei Dreiklänge am 5. und 10. Bund. Den E7 stelle ich mit einem Dreiklang am 12. Bund dar. Beim Am kommen dieselben Voicings wie beim Dm zum Einsatz, die sich jetzt am 12. und 5. Bund befinden. Über Cmaj7 und Am7 hörst du ein Barney-Kessel-Lick, das auf einem Cmaj7-Arpeggio basiert. Beim Am7 wird wieder der Dreiklang umspielt, bevor ich mit einer absteigenden Figur aus der A-Moll-Tonleiter zum Grundton zurückgehe.
Versuche, dir die Bausteine nach und nach zu erschließen:
Schritt 1: Improvisation mit der Pentatonik
Schritt 2: Improvisation mit der natürlichen Molltonleiter
Schritt 3: Dreiklänge einbauen
Schritt 4: alles kombinieren und Töne chromatisch ansteuern (einen Halbton tiefer oder höher als der Zielton)
Das eröffnet – ohne das Üben vieler Skalen – zahlreiche neue Möglichkeiten abseits der Pentatonik. Viel Spaß in der Jazzwelt!