Workshop
Americana: Amazing Grace
von Martin Schmidt, Artikel aus dem Archiv
In dieser Folge gibt es mal wieder einen Americana-Standard in einem Arrangement von mir. Thema ist das Stück ‚Amazing Grace‘.
DER SONG
‚Amazing Grace‘ ist eine christliche Hymne. Der Text wurde vom englischen Seemann und späteren Geistlichen John Newton geschrieben. Newton war zuerst Mitglied der Royal Navy und später im Sklavenhandel involviert. Nachdem sein Schiff 1748 vor der irischen Küste in Seenot geriet, fand er zur Religion und schrieb Jahre später aus Dankbarkeit für sein Überleben den Text zu ‚Amazing Grace‘.
Die Melodie, zu der heute der Text gesungen wird, entstammt der Komposition ‚New Britain‘ aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. 1835 wurde die Melodie mit dem Text von John Newton zusammengeführt und im Songbook ‚The Southern Harmony And Musical Companion‘ veröffentlicht. Seit 1877 ist es unter dem jetzigen Namen bekannt.
Obwohl Text und Melodie aus England stammen, ist das Stück besonders in den USA populär und wird zu religiösen und weltlichen Anlässen gesungen. Nachdem es im 19. Jahrhundert vor allem im Süden der USA von Baptisten und Methodisten gesungen wurde, entwickelte sich das Stück in den 1960ern zur Hymne von Bürgerrechts- und Anti-Vietnam-Kriegs-Bewegungen.
Die Beliebtheit bei der afro-amerikanischen US-Bevölkerung entstand durch die Aufnahme von Mahalia Jackson im Jahre 1947, die oft im Radio gespielt wurde. Weitere bekannte Versionen gibt es von der englischen Folksängerin Judy Collins, Joan Baez und dem King of Rock’n’Roll Elvis Presley. Selbst die deutsche Schlagerikone Helene Fischer schreckte nicht davor zurück, das Lied in Pathos, Dudelsack- und Streicherklängen zu ertränken. Schöner und spartanischer ist die Version von Arlen Roth auf dem 2015er Album ‚Slide Guitar Summit‘. Es lohnt sich auf jeden Fall, verschiedene Versionen anzuhören, um zu sehen, wie unterschiedlich man den Song interpretieren kann.
RHYTHM GUITAR
‚Amazing Grace‘ basiert auf einer simplen Akkordfolge in C-Dur. Zur Anwendung kommen die Akkorde der ersten, vierten und fünften Stufe, also C, F und G. Vor und nach der eigentlichen Form habe ich noch ein Intro und Outro hinzugefügt, das folgenden Akkorde verwendet:
C I Fm I C I G7alt
Im Intro spiele ich die Akkorde als Arpeggio in einem klassischen 6/8 Pattern. Sobald die Melodie einsetzt, wechsele ich zu einem Country-artigem Wechselbass-Groove. Da der Song im ¾ Takt geschrieben ist, kommt die Quinte zwar immer noch auf die Zählzeit 3, ist aber nur eine Viertelnote lang. Aufgelockert wird das Bass-Pattern durch einige Bassläufe und Fill-Ins im Carter-Family-Style. Spieltechnisch sollte das keine große Herausforderung darstellen, da fast der gesamte Part auf einfachen Cowboy-Chords basiert. Lediglich am Ende von Intro und Outro breche ich etwas aus und verwende ein paar jazzige Voicings.
LEAD GUITAR
Auch die Leadgitarre ist eher simpel gehalten. Im Intro kreiere ich aus Dreiklängen auf der D-, G- und H-Saite eine zweite Stimme zu den Akkordarpeggios der Rhythmusgitarre.
Die Melodie kombiniert Hammer Ons, Hendrix-Double-Stops, Terzen und ein paar weitere Dreiklänge zu einem effektiven, aber nicht zu komplizierten Arrangement. Da das Tempo nicht sehr hoch ist, verwende ich verschiedene Positionen. Der Großteil spielt sich in der 5. Lage ab, kombiniert mit Ausflügen in die 8. Lage für die Hendrix-Double-Stops und Dreiklängen am 3. und 12. Bund. In Kombination mit Leersaiten versuche ich so etwas klangliche Abwechslung zu schaffen.
Was mir an solch klassischen Gospel-Stücken unheimlich gut gefällt, ist die Eingängigkeit der Melodie. Als Bausteine dienen zwar nur die einfachsten Mittel (I-IV-V-Verbindung mit der dazugehörigen Dur-Pentatonik), aber das musikalische Ergebnis ist trotzdem extrem ansprechend und vermittelt unabhängig von der religiösen Einstellung des Hörers perfekt das Thema des Textes.
Anregungen und Kritik könnt ihr wie immer unter martin@the-incredible-mr-smith.com loswerden!
(Die Noten können durch Anklicken vergrößert werden!)
(erschienen in Gitarre & Bass 10/2023)
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