Das Handwerkszeug von Slash: abgegriffen, seine Technik: Schnee von gestern, sein Rocker-Image: viel zu oldschool, seine Musik: ebenfalls altbacken. Was man aus heutiger Sicht vielleicht über fast jeden Gitarristen des letzten Jahrhunderts sagen könnte, trifft ganz gewiss auch auf den als Saul Hudson in England geborenen Slash zu. Nur mit dem Unterschied, dass er schon in seinen Anfangstagen mit voller Innbrunst absolut retro war.
Umso erstaunlicher, wie viel Frische und Innovation man der Musik von Slash‘s Band Guns N‘ Roses und vor allem seiner Gitarrenarbeit heute bescheinigen kann bzw. muss. Er selbst sagte damals schon: „Ich bin das Gegenteil von alledem, was Mitte der 80er populär war“, womit er auch wieder Recht hat. Einigen wir uns darauf: Wäre Slash nicht so gut und eigenständig an seinem Instrument, wäre er mindestens zwei Jahrzehnte zu spät dran gewesen.
Ist ja auch kein Wunder: Wer sich schon von Kindheit an für Bands wie Aerosmith, die Rolling Stones, Led Zeppelin oder Cream begeistert, der kann nur zu einem Freund des energetischen, bluesrockenden Gitarrenspiels werden.
Seine ersten Gitarren bekam Slash als Teenager, erst eine Nylon-Saiten-Akustik, und später die heißersehnte Les Paul-Kopie von Memphis – und dies war der Anfang einer Liebe, die bis heute nicht rostet: Seine Lieblingsgitarre ist immer noch die Les Paul.
Schnell wusste Saul Hudson, dass er professioneller Gitarrist werden wollte, vielleicht auch angetrieben durch seine ebenfalls im Musikbusiness tätigen Eltern. Er begann bis zu 12 Stunden am Tag zu üben, nahm ein paar Stunden Unterricht, schmiss diesen aber bald wieder und verließ sich fortan aufs Learning-By-Doing.
„Ein paar pentatonische Skalen habe ich wohl gelernt“, sagt er, ließ diese aber schnell links liegen und konzentrierte sich aufs Raushören und Nachspielen seiner Lieblingsaufnahmen. Er mochte „jede Band, die eine Gitarre hatte und gute Musik spielte“ und war großer Fan von Gitarristen wie Jimi Hendrix, Johnny Winter und Ted Nugent.
Somit wurde er des Transkribierens nicht müde, denn „allein schon zwei Töne zu spielen und zu merken, dass sie genauso wie auf der Aufnahme klingen, war für mich die absolute Erfüllung“. Auf diese Weise erarbeitete Slash sich im Laufe der Zeit ein großes Repertoire, sowohl auf solistischer als auch auf rhythmischer Ebene, spielte in diversen Cover-Bands, bis er schließlich die Kollegen von Guns N‘ Roses traf und anfing, Rock-Geschichte zu schreiben.
Um Slashs Equipment zu benennen reichen vier Worte: Les Paul plus Marshall. Das sind die soliden Säulen seines Sounds. Slash gilt zwar seit je her als fanatischer Gitarrensammler, jedoch ist er meist mit seiner Gibson Les Paul Standard von 1987 (oder seiner berühmten 1959er-Les-Paul-Kopie von Chris Derrig) und mehreren Marshall-JCM-Topteilen auf der Bühne. So gewöhnlich sein Equipment ist, so unüblich sind seine Einstellungen.
Die Knöpfe seines Amps stehen allesamt fast auf gleicher Position etwas über der Mitte, also Bässe, Höhen und Volume bei 7, Mitten und Presence bei 6. An seiner Gitarre, die meistens einen Halbton tiefer gestimmt ist, verwendet er für Solopassagen den ja eher etwas schwammigen Hals-Tonabnehmer und dreht noch dazu den Höhenregler etwas zurück. Dadurch wird sein Ton zwar fett, verliert verständlicherweise aber an Durchsetzung in den Höhen, was Slash mit seinem harten Anschlag kompensiert. Mit Bodentretern oder sonstigen Effekten geht Slash sehr sparsam um. Lediglich ein Delay-Pedal von Boss schleift er in den Effektweg des Amps ein. Für cleane Passagen werden etwas Hall und Chorus aus einem Yamaha-MultieffektProzessor dazugeschaltet.
Wer mehr über Slashs Geräte und deren Einstellungen wissen möchte, der schaue in zurückliegende Features dieses Magazins (u.a. 03/1992, 04/2000, 03/2001 und 04/2010) oder unter: www.slashsworld.com/equipment.
Erfahre mehr über die Technik von Slash in dem großen Equipment Special!
Viel interessanter als die Techniken, die Slash benutzt, ist, welche er weglässt. Aufgewachsen in einer Zeit, in der Guitar Heroes nur so aus dem Boden schossen und mit ihnen neue Techniken wie Sweeping, Tapping, Whammy-Bar-Gewitter etc. populär wurden, hat er sich nie für virtuose Show-Einlagen erwärmen können. „Ich bin kein begnadeter Solist“ konstatierte er einmal in diesem Magazin.
Wenn man es sportlich betrachtet, hat er recht, musikalisch gesehen liegt er mit dieser Einschätzung völlig daneben. Wie gesagt, er ist das Gegenstück zu allem, was in den 80ern populär war, einer Zeit also, als Satriani den ‚Satch Boogie‘ (1987) unters Volk brachte, Van Halen mit ‚Eruption‘ 1977 das Tapping längst populär gemacht hatte und Gitarristen wie Frank Gambale oder Vinnie Moore gitarrenaffinen Musikliebhabern mit ihren Sweepings zeigten, wo der Hammer hängt.
All das findet man bei Slash nicht. Er beschränkt sich auf profane Techniken – wie Bending, Legato und Vibrato – und lässt damit oftmals sehr viel mehr Musik entstehen als seine effektheischenden Kollegen. Auffällig ist bei Slash die lockere, aber hart anschlagende rechte Hand. Durch die tief hängende Gitarre ist sein Arm fast gestreckt, dafür aber das Handgelenk sehr stark geknickt, um eine parallele Position der Hand zu den Saiten herzustellen.
Von Slashs linker Hand kommen meist nur Zeige-, Mittel- und Ringfinger zum Einsatz, was in häufigem Positionenwechsel resultiert. Dies überrascht, da Slash in fast allen Soli die zwei bekanntesten Grundpositionen der Moll-Pentatonik (mit dem Grundton auf der tiefen E- bzw. A-Saite) als Angelpunkt nimmt und somit tonal recht festgelegt ist.
Durch die beschränkte Spannweite der drei Finger bricht er aus dieser Position immer wieder zwei bis drei Bünde nach oben und unten aus. Wie im Erklärungstext zu den Transkriptionen noch näher beschrieben wird, ist also die Pentatonik sein Hauptarbeitsutensil, jedoch lange nicht der einzige Bestandteil seines Vokabulars.
Vor allem für seine Melodien in Balladen verwendet er vorzugsweise die Dur-Tonleiter und in schnelleren Rock-Songs eine Mischung aus Mixolydisch und Blues-Tonleiter. Dieses Tonmaterial inszeniert er mit vielen Bendings, Legato-Läufen, einem weiten, aber langsamen Vibrato und vor allem einer sehr variantenreichen Rhythmik.
Slash ist am 23. Juli 1965 in London Hampstead geboren. Sein richtiger Name ist Saul Hudson. Mit elf zog er nach der Trennung seiner Eltern mit seiner Mutter nach Los Angeles. Hier ging Slash auf die Beverly Hills Continuation High School – privat vertrieb er sich die Zeit mit BMX fahren und Gitarre spielen. In der 11. Klasse brach er die Schule ab und gründete mit Steven Adler seine erste Band namens „Road Crew“. Diese fusionierte 1985 mit der Band „Hollywood Rose“ und wurde zu Guns N’ Roses. Der Rest ist Musikgeschichte – wer diese noch mal nachlesen möchte, erfährt hier alles über die Bandgeschichte.
Privat hat Slash nach zwei missglückten Ehen (mit Renee Suran und Perla Ferrar) sein Glück mit Meegan Hodges gefunden, mit der er seit 2015 in einem Anwesen in San Fernando, LA, lebt.
Aus seiner Ehe mit Perla Ferrar hat Slash zwei Söhne – hier gibt die Familie 2012 ein Interview bei einem gemeinsamen Stadion-Besuch bei LA Galaxy:
Im Gitarre-&-Bass-Interview 2014 erwies sich der zweifache Familienvater als kurzweiliger Gesprächspartner, der offen aus dem Nähkästchen plaudert – und sichtlich Spaß daran hat.
Slash, drei Alben in sechs Jahren, dazu zig Tourneen, Gastauftritte und Nebenprojekte – wieso der plötzliche Ehrgeiz?
Slash: Der war schon immer da. Das Problem war nur, dass ich meist in Bands gespielt habe, in denen ich ihn nicht wirklich ausleben konnte. Oder auch dass ich lange Zeit viel zu stoned war, um richtig kreativ zu sein. (lacht)
Aber sollten Drogen nicht eher als Stimulans und Katalysator dienen? Sprich: Zur Steigerung der Kreativität?
Slash: Das mag schon sein. In meinem Fall waren sie eher eine Flucht, um mit dem ganzen Stress und dem tagtäglichen Wahnsinn bei Guns N’ Roses klarzukommen. Da war ich meistens so dicht, dass an Kreativität nun wirklich nicht zu denken war …
Und das versuchst du zu kompensieren, indem du jetzt besonders aktiv bist?
Slash: Das spielt da auch mit rein. Wobei ich aber nicht weiß, ob ich all die Zeit, die ich sinnlos verplempert habe, tatsächlich wieder aufholen kann. Aber ich versuche heute, die beste Musik zu machen, die in mir steckt und zudem konstant zu sein. In dem Sinne, dass ich mich nicht zurücklehne und auf meinen Lorbeeren ausruhe, sondern jeden verfügbaren Moment für Dinge nutze, die mich weiterbringen, die mir wichtig sind und die Spaß machen. Die mich als Mensch wie Musiker ausfüllen.
Wie bist du die Soli auf ,World On Fire‘ angegangen? In jedem Song ist eins zu hören …
Slash: Beim Hauptsolo ist es im Grunde immer dasselbe: Wir gehen da rein, setzen den Song zusammen und dann schaue ich, was ich für ein Solo beisteuern kann. Soll heißen: Es ist immer das Allerletzte in der Arbeitskette, quasi der Zuckerguss, der ganz am Ende hinzugefügt wird. Zunächst hast du meist das Intro, dann überlegst du dir, wie die Strophen aussehen könnten, und so weiter. Wenn es dann an die Gitarrensoli geht, ist es in 99,9 Prozent aller Fälle so, dass ich es einfach höre. Also dass mir instinktiv klar ist, was da an diese Stelle muss. Und das impliziert auch, dass ich weiß, in welche Richtung es geht. Sprich: Es gibt einen Anfang, einen Mittelteil, ein Ende und einen bestimmten Raum für ein Solo, in dem ich mich bewege.
Wobei es in neun von zehn Fällen so ist, dass ich die erste Idee behalte, die ich hatte. Was auch bedeutet: Wenn wir den Song anschlie- ßend spielen, bringe ich vielleicht nicht haargenau dasselbe Solo, aber doch dasselbe Gefühl, dieselbe Melodie und dieselbe Struktur. Denn all meine Soli haben immer etwas Melodisches. Sie sind in etwa so, als würde ich den Song an dieser Stelle singen. Wobei ich mich ganz auf das verlasse, was ich höre und fühle. Und das vom ersten Moment an, da ich ein Solo entwickle, bis zu dem Augenblick, da ich es aufnehme. In diesem Prozess verändert es sich ständig, während die Struktur dieselbe bleibt. Was auch bedeutet: Bei aller Improvisation folgt es einem ganz bestimmten Modus. Und so ist es bei allem, was ich mache. Denn letztlich ist es immer so: Der Song diktiert das Solo und nicht umgekehrt.
Du besitzt angeblich weit über hundert Gitarren, die du aber kaum spielst. Darf man fragen, wo du sie aufhebst?
Slash: Die meisten sind irgendwo eingelagert. Und früher ist es durchaus schon mal vorgekommen, dass ich nicht mehr genau wusste, wo. Was ein ziemliches Chaos war. Mittlerweile bin ich besser organisiert, und das muss ich auch sein. Einfach, weil ich über die Jahre so viel Kram gekauft habe. Die meisten Sachen stammen aus den frühen 90ern als ich ,Use Your Illusion‘ aufgenommen habe. Denn damals hatte ich die finanziellen Möglichkeiten, konnte aber einfach nicht mit Geld umgehen. Im Sinne von: Es hat mir förmlich unter den Fingern gebrannt, und ich wusste nichts damit anzufangen. Einfach, weil ich es nicht brauchte.
Bis ich irgendwann dachte: Wir nehmen 36 Songs auf, und dafür benö- tige ich all diese unterschiedlichen Gitarren! Also habe ich mir eine stattliche Auswahl an teuren Vintage-Modellen zugelegt, die ich bis heute habe. Allerdings musste ich über die Jahre erkennen, dass ich mich da dezent verkalkuliert habe. Denn eine richtig gute Gitarre reicht eigentlich auch. Zumal ich mit einer neuen genauso gut klarkomme wie mit einer Vintage-Ausführung. Wenn man es richtig anstellt, hört man da kaum einen Unterschied.
Sie dürften über die Jahre enorm an Wert gewonnen haben.
Slash: Das haben sie auf jeden Fall. Nur: Ich hasse es, Gitarren als reine Investitionen zu betrachten. Es handelt sich schließlich um Sachen, die du nie verkaufen würdest, wenn du nicht unbedingt musst. Also wenn du richtig am Boden bist und nicht weiterweißt. Ich hoffe, das wird nie passieren. Und ich hätte auch gerne einen Ort, wo ich sie ausstellen könnte. Einfach, weil viele von ihnen eine nette, kleine Geschichte aufweisen. Und weil es toll wäre, wenn sich auch andere Menschen daran erfreuen könnten.
Wie viele Slash-Signature-Modelle gibt es mittlerweile?
Slash: Ich schätze, es sind elf oder zwölf. Wobei ich mir aber nicht sicher bin. Ich weiß nur, dass sie toll sind – einfach, weil ich sie ja selbst benutze.
Darf man fragen inwiefern du diese Modelle personalisierst und wie involviert du da bist?
Slash: Das ist eine Sache, bei der ich sehr aktiv bin. Einfach, weil es mir wichtig ist. Ich will zum Beispiel, dass der Hals eine gewisse Beschaffenheit hat, ich will eine TonePros-Brücke, ich will bestimmte Pickups, ich will ganz bestimmte Tuner und so weiter und so fort. Von daher bin ich sehr spezifisch, was die Gitarren und ihre Elektronik betrifft. Ich mag zum Beispiel altmodische Bumblebee-Kondensatoren und viele andere kleine Dinge, die wahnsinnig wichtig sind. Zumindest für mich. Nur: Letztendlich – und das ist der Punkt – ist es immer dieselbe Gitarre. (kichert)
Vermisst du Jim Marshall?
Slash: Sogar sehr. Denn er war wirklich toll. Ein großartiger Typ. Und er hatte eine wirklich lange und erfolgreiche Karriere, in der er ein paar Sachen erschaffen hat, die wohl für immer halten werden. Die quasi für die Ewigkeit geschaffen sind. Was das betrifft, hat er der Musikindustrie nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt. Und er ist ja auch ziemlich alt geworden. Sprich: Er konnte die Früchte seiner Arbeit durchaus genießen. Ganz abgesehen davon, dass er ein großes Erbe und eine gesunde Firma hinterlässt.
Du selbst wirst nächstes Jahr 50* – ein schrecklicher Gedanke?
Slash: Nein, ich freue mich sogar darauf. Und sei es nur, weil ich nie damit gerechnet hätte, dass ich mal so alt würde. Was auch für mein Umfeld gilt. Ich meine, Leute haben Wetten darauf abgeschlossen, dass ich es nicht bis 30 schaffe. Einfach, weil ich so viel Gas gegeben habe, dass es für zwei Leben reicht – mindestens. Und ich bin froh, dass ich die Kurve gekriegt und gerade noch rechtzeitig auf die Bremse getreten habe. Sonst wäre ich jetzt nicht hier – und hätte etwas Bemerkenswertes verpasst. Nämlich dass mit zunehmendem Alter alles ein bisschen besser und leichter wird. Was ich allein an meinem Gitarrenspiel festmachen kann, in dem heute viel mehr Gefühl, aber auch Erfahrung steckt als früher.
Im Ernst: Ich verstehe das Instrument viel besser, ich habe eine intimere Beziehung zu ihm und ein größeres Verständnis dafür. Sprich: Ich bin längst nicht mehr so eingeschränkt wie früher. Wenn ich heute spiele, ist das ein ganz anderer, ein viel berauschenderer Trip – und auch der Sex ist besser.
Woran machst du das fest?
Slash: (lacht) Frag meine Frau
*Das Interview stammt von 2014
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Interview/Text: Marcel Anders/Arnd Müller