Der Musiker Johnny Winter wurde am 23. Februar 1944 in Lealand, Mississippi geboren. Die Natur meint es nicht allzu gut mit ihm. Er schielt, sieht schlecht, und es fehlen die Haut- und Haarpigmente. Johnny ist Albino. Die Winters ziehen um nach Beaumont, Texas und Ende 1946 wird der zweite Sohn, Edgar Winter, geboren, der mit Johnny den Albinismus und die Musikalität teilt.
Im Alter von fünf Jahren beginnt der ältere Bruder seine musikalische Karriere mit einer Klarinette, doch schon bald steigt er auf die Ukulele um. Die Tatsache, dass weit und breit keine Rock & Roller mit diesem Instrument zu finden ist, lässt ihn mit elf Jahren (also ca. 1955) dann zur Gitarre greifen, einem alten spanischen Modell mit krummen Hals, das seiner Großmutter gehört.
Sehr bald kommt Johnny dann zu einer seiner Entwicklung sicher förderlicheren Gibson ES-125, einer leichten Archtop-Gitarre ohne Cutaway aber dafür mit einem P90-Tonabnehmer. Auf dieser Variante der legendären Charlie-Christian-Gitarre ES-150 spielte ein paar Jahre zuvor auch der junge B.B. King bei seinen Radioshows und Konzerten.
Die USA Ende der 50er Jahre: In der schwarzen US-Musikszene sind Jazz und Rock & Roll populär, aber um die Wurzeln des Ganzen, den Blues, kümmert sich so langsam keiner mehr. Keiner? Doch! Irgendwo in Texas lebt einer, der sich brennend für den Blues interessiert. Und dieser junge Mann ist nicht schwarz, sondern sogar sehr weiß. Und sein Name passt dazu: Johnny Winter.
Die Begeisterung für Blues und Rock & Roll bringt Johnny schon bald dazu, seine Ausbildung an einem technischen College abzubrechen und eine Musikkarriere einzuschlagen. Dabei kann er auf einige Erfahrungen zurückblicken, die er mit Bruder Edgar anlässlich von Amateurwettbewerben gesammelt hat, bei denen sie als Duo im Stil der Everly Brothers Erfolge verbuchen konnten.
Das Video zeigt einen frühen Konzert Mitschnitt des Songs “Mississippi Blues“:
1959 gewinnt er mit der Band „Johnny and the Jammers“ einen weiteren Contest und nimmt erste Schallplatten auf, die ihm Achtungserfolge in Beaumont und Umgebung bescheren. Weitere Aufnahmen unter kuriosen Band-Namen wie „Neal and the Newcomers“, „It and Them“ „Black Plague“ oder „The Great Believers“ folgen. Man spielt Blues, R&B, Soul und Rock & Roll, wobei Johnny mit seiner Vorliebe für den Blues ziemlich allein steht.
Edgar interessiert sich für Jazz, und die meisten Gleichaltrigen, egal welcher Hautfarbe, hören und spielen alles Mögliche, nur nicht die „Opa-Musik“ der Schwarzen. In einem Interview erinnert er sich: „Ich war wirklich der Einzige. Alle dachten, ich wäre verrückt. Keiner wollte das Zeug hören.“
Dass ein paar junge Engländer in den frühen Sechzigern anfangen, sich für Muddy Waters, John Lee Hooker und Kollegen zu interessieren, ihre Songs nachspielen und den Blues in Europa populär machen, beeindruckt in den USA zunächst allenfalls ein paar Exoten.
Das Video zeigt Winters Arbeit zu seinem letzten Album “Step Back“:
Johnny jedenfalls besucht regelmäßig Blues-Clubs und ist dort oft der einzige Weiße unter den Gästen, wobei er nicht nur wegen seiner Haut- und Haarfarbe auffällt: Irgendwann 1962 kommt B.B. King in so einen Schuppen und Winter überkommt augenblicklich der Wunsch, mit ihm auf der Bühne zu stehen.
Eine Aufnahme der Performance des Blues-Duos beim Newport Jazz Festival von 1969:
Nachdem er sich genug Mut angetrunken hat, und seine schwarzen Freunde ihn ausreichend angefeuert haben, spricht er den Blues Boy tatsächlich an, aber der kontert zunächst einmal mit der Frage nach der Musikergewerkschaftskarte.
Kein Problem, Johnny hat ja eine. Natürlich bleibt Mr. King skeptisch, aber schließlich fordern etliche Leute aus dem Publikum, Johnny spielen zu lassen. Der enttäuscht nicht. „Bleib dabei und du wirst eines Tages erfolgreich sein!“ bekommt er von B.B. mit auf den Weg.
Derweil tourt Johnny weiterhin und nimmt sporadisch Platten auf, bleibt aber eine regionale Größe. Das ändert sich schlagartig, als zwei Autoren des „Rolling Stone“- Magazins einen viel beachteten Artikel über die Szene in Texas schreiben, in dem zu lesen ist: „Stellen sie sich einen 130 Pfund schweren, schielenden Albino-Bluesmann mit langen, wehenden Haaren vor, der eine der flüssigsten Blues-Gitarren spielt, die sie je gehört haben“. (Zur Information: 1 amerikanisches Pfund = 453,59 g; demnach wog Johnny damals also ca. 59 Kilo.)
Das im Rolling Stone beschriebene Wesen stellten sich einige Plattenmanager vor, und deren Gerangel beschert dem schmächtigen Texaner einen Vertrag mit der erstaunlichen Dotierung von 600.000 Dollar.
Fast zeitgleich erscheinen 1969 ein Album mit älteren Aufnahmen unter dem Titel ,The Progressive Blues Experiment‘ und sein offizielles Debüt-Album ,Johnny Winter‘, die beide enthusiastisch von der Musikwelt aufgenommen werden. Mit ,Second Winter‘ folgt 1970 ein originelles Fast-Doppel-Album mit einer unbespielten LP-Seite, und es untermauert seinen Ruf, von Blues über Rock & Roll bis zu Rock härterer Gangart alles drauf zu haben.
Ein Live-Auftritt im Winter 1970 in Kopenhagen:
https://www.youtube.com/watch?v=VqXYuWOoBl4
Winter beweist das auch als eine der erfolgreichsten Live-Attraktionen dieser Zeit. Unverwechselbar sind die rasant perlenden Gitarrenläufe und die markante, schneidende Stimme.
Noch 1970 wechselt er dann von seinem Begleit-Trio mit Bruder Edgar, „Uncle“ John Turner und dem späteren Stevie-Ray-Vaughan-Bassisten Tommy Shannon zu den durch ihren Hit ,Hang On Sloopy‘ bekanten McCoys mit ihrem Chef Rick Derringer.
,Johnny Winter And‘ (1970) und das erfolgreiche ,Johnny Winter And Live‘-Album (1971) sind das Ergebnis, und sie zeigen, dass Winter im Rock offenbar seine Zukunft sieht, aber beim Blues zu wahrer Höchstform aufläuft.
Beides spielt aber zunächst nur noch eine untergeordnete Rolle. Johnnys Drogen fehlen offenbar die Packungsbeilagen mit Warnhinweisen und Ärzte und Apotheker gehören auch nicht zu den Leuten, mit denen er viel spricht.
Die Entgiftung dauert eine Weile. 1974 ist er schließlich zurück mit dem rockigen ,Still Alive And Well‘-Album, eine der weiteren Studioplatten macht das Publikum mit seinem Taufnamen ,John Dawson Winter III‘ (1974) bekannt und das großartige ,Captured Live‘ folgt 1976.
Dazwischen besucht er in seiner Freizeit regelmäßig Tätowierstudios und startet dann eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit seinem Idol Muddy Waters, dessen Comeback-Album ,Hard Again‘ er produziert. Damit hat der Blues Johnny endgültig wieder zurück.
Orts- und Szenenwechsel: Während Johnny mit seinen Bands durch Texas tourt, fragt sich in Kalamazoo, Michigan Gibson-Boss Ted McCarty, was er tun kann, um die Absätze in die Höhe zu treiben. Natürlich verkaufen sich die traditionellen akustischen Instrumente stetig und die elektrischen Hollowbodies finden ebenfalls ihre Kunden, aber keine davon ist ein echter Renner.
Bei den Solidbody-Instrumenten bringt es die neue Les Paul von 1961, die das alte (heute klassische) Modell ablöst und später unter dem Namen SG bekannt wird, auch nicht auf die gewünschten Stückzahlen.
Die Entwicklungen, die sich in der englischen Musikszene abzeichnen, sind in den USA kein Thema und die heimischen Surf-Rocker tendieren mehrheitlich zu den Produkten von Konkurrent Fender.
Dass McCarty sich aber nicht leicht entmutigen lässt, zeigen die Ereignisse des Jahres 1963. Da sind die Bauchlandungen mit den extravaganten Designs von Flying V und Explorer sicherlich noch in guter Erinnerung und trotzdem holt man den Autodesigner Ray Dietrich, um wieder etwas Neues zu wagen.
Dietrich arbeitet für Ford, Chrysler und Chevrolet und sein Gitarrenentwurf kann eine gewisse Verwandtschaft mit den Formen der Blechmonster aus Detroit nicht verleugnen. Zudem hat der Konstrukteur ganz offensichtlich Spaß daran, die Dinge auf den Kopf zu stellen, und so kommt ein Instrument heraus, das sehr bald unter der Bezeichnung „Reverse“, also umgekehrt, bekannt wird.
Der Mahagoni-Korpus der Firebird, so der amtliche Name der neuen Gibson-Solidbody, hat Ähnlichkeiten mit einer Explorer, bei der man die spitzen Kanten mit der Säge abgerundet hat.
Die Kopfform, obwohl ebenfalls umgekehrt, erinnert so ausreichend an die von Fenders Modellen, dass von dort bald Protest angemeldet wird. Ansonsten ist der Feuervogel eher schlicht, ohne Kanteneinfassungen oder aufwändige Einlagearbeiten.
Lediglich ein ebenfalls von Dietrich gezeichnetes Firebird-Motiv ziert das Schlagbrett. Technisch ist die Gitarre dafür um so interessanter. Sie verfügt als erstes Modell von Gibson über einen durchgehenden Hals. Die beiden Korpusflügel sind daran angesetzt, und da das Mittelstück etwas stärker ausgebildet ist und mit gut sichtbarer Kante hervorsteht, ergibt sich ein markanter optischer Effekt, der gut mit den umlaufenden Abfräsungen an der Kopfplatte harmoniert.
Die Tonabnahme geschieht mit neu entwickelten, schmalen Humbuckern ohne verstellbare Pole-Pieces, deren sehr eigener Klang nicht nur von Johnny Winter geschätzt wird. Originell sind auch die Mechaniken.
Da die Kopfform bei einer Anordnung im Fender-Stil den Musikern gummimenschenähnliche Fertigkeiten abverlangt hätte, entscheidet man sich für Banjo-Mechaniken von Kluson, bei denen die Stimmflügel hinter dem Kopf und damit zugriffsfreundlicher angesetzt sind. Standardfarbe ist ein einfach ausgeführtes Sunburst mit einer hellen Mittelpartie.
Allerdings gibt es gegen Aufpreis noch zehn weitere Custom Colours – auch hier wildert man also in Fender-Gefilden. Die Lacke stammen aus der Autoindustrie und einer davon mit Namen „Golden Mist“ (englisch zu verstehen!) ist sogar identisch mit Fenders „Shoreline Gold“, wobei Gibson die Namensvariante von Autohersteller Oldsmobile entlehnt, während Fender sich an Pontiac hält.
Insgesamt vier Varianten bietet Gibson von der Firebird an, aus in ihrer Ursache wohl nicht mehr zu erhellenden Marketing-Zwängen allerdings nicht von I bis IV, sondern mit I, III, V und VII römisch durchnummeriert.
Das Sparmodell Firebird I bietet nur einen Tonabnehmer und kein Vibrato. Über zwei Pickups und Einfachvibrato arbeitet man sich bis zur Firebird VII mit drei Pickups, Deluxe-Vibrato, Ebenholz-Griffbrett und goldener Hardware vor.
Die Preise variieren von $ 189,50 bis zu stolzen $ 445,-. Das Design taucht gleichzeitig auch noch bei zwei Bass-Modellen namens Thunderbird auf, wobei die beiden noch freien Ziffern II und IV zur Unterscheidung im Katalog nützliche Dienste leisten.
Die zunächst bemerkenswerterweise als Jazz-Gitarre angebotene Firebird ist im Verkauf kein Riesenschlager, aber immerhin kann man zwischen Mitte 1963 und Mai 1965 5151 Stück absetzen, die meisten davon Firebirds III, das Modell mit zwei Tonabnehmern und dem Einfach-Vibrato.
Nach nur zwei Jahren kommt das vorläufige Aus für die Reverse-Modelle. Abgelöst werden sie von technisch ganz anders aufgebauten und aus Musiker- wie Sammlersicht uninteressanteren Non-Reverse-Firebirds.
Die Gibson Firebird, eigentlich längst in der Versenkung verschwunden, verdankt ihre Wiederauferstehung ebenfalls dem Blues Musiker Johnny Winter. Kein anderer Musiker wird so mit dem Modell in Verbindung gebracht wie der texanische Ausnahmegitarrist.
„I love Firebirds“ ist seine simple Erklärung für diese Tatsache. Bevor sich diese Vorliebe aber entwickeln kann, ist er nicht festgelegt und spielt zum Beispiel verschiedene Les Paul Customs, eine Stratocaster und ebenfalls von Fender eine Mustang.
Aber auch nachdem er sich mit insgesamt drei Firebirds ausgerüstet hat, kommen noch andere Gitarren zum Einsatz, unter anderem eine Flying V aus den frühen Siebzigern, eine von John Velenos Aluminium-Gitarren, eine akustische Gibson-Flattop aus den späten Fünfzigern und eine stattliche Anzahl von National-Resonator-Gitarren, denen seine zweite Zuneigung gilt.
Wie viele andere Liebhaber der Firebird modifiziert er seine Instrumente: Die wenig tauglichen Vibratos fliegen raus und die Originalsaitenhalter ersetzt ein Stop-Tailpiece. Als Verstärker kommen zunächst ausschließlich Fender Twins zum Einsatz, später sind aber auch die Produkte der Firma Marshall genehm.
Johnny Winter beim Rockpalast-Konzert live in Bonn 2007:
Autor: Thomas Kosche
Die Blues-Legende Johnny Winter wurde am 29. April 2012 feierlich in die Blues Hall of Fame aufgenommen:
Am 16. Juli 2014 verstarb Johnny Winter im Alter von 70 Jahren in der Schweiz – wahrscheinlich an den Folgen eines Lungenemphysems in Verbindung mit einer Lungenentzündung. Das Grab des Blues-Gitarristen befindet sich auf dem Union Cemetery in Easton, Connecticut.