Die Beherrschung von Gitarrennoten und musikalisches Talent schließen sich weder gegenseitig aus, noch ist eines die Voraussetzung für das andere. Sinnvoller ist es dagegen, Blattspielen als das zu sehen, was es ist: Eine erlernbare Fähigkeit – ähnlich nützlich wie Autofahren – mit der man im Allgemeinen schneller ans Ziel kommt.
Zum Handwerk eines ernsthaften Komponisten zählt jedoch die Fähigkeit, Ideen festzuhalten (zu notieren) und sie anderen Musikern in einer kondensierten, zeitsparenden Form vermitteln zu können. Wer nicht Gitarrennoten lesen kann, beschränkt sich auch auf andere Art in seinen Möglichkeiten am Musikleben teilzunehmen.
Wie bringt man einen Gitarristen dazu, seinen Verstärker leiser zu stellen? „Indem man ihn bittet, sich an die Noten zu halten.“ Was einerseits den klanglichen Charme unseres Instrumentes ausmacht, bereitet uns andererseits die Qual der Wahl. Es muss einfach mal gesagt werden: Gitarren haben zu viele Saiten, zu viele Bünde und zu viele Möglichkeiten, ein und denselben Ton zu spielen!
Während ein Klavier pro Tonhöhe eine Taste zuordnet, wird der angehende Gitarrist vom Angebot schier erdrückt. (Fast) jedes Kind weiß, dass ungefähr in der Mitte der Klaviertastatur das eingestrichene C (= c’) liegt.
Wenn dagegen ein Gitarrist ein simples c’ auf der Gitarre spielen soll, steht er schon vor einem Dilemma. Zur Auswahl stehen gleich fünf Griffbrettpositionen: c’ auf der E-Saite im 20. Bund c’ auf der A-Saite im 15. Bund c’ auf der D-Saite im 10. Bund c’ auf der G-Saite im 5. Bund c’ auf der H-Saite im 1. Bund Hat man sich endlich entschieden, wo die Hand bleibt, muss man sich als nächstes überlegen, mit welchem von vier Fingern zugegriffen werden soll.
Für ein einfaches c’ ergibt sich so die Formel: 4 Finger × 5 Griffbrettpositionen = 20 Möglichkeiten Eine Note kommt selten allein. Fügen wir dem C noch ein D hinzu, potenziert sich das Ganze bereits auf (20 × 20 =) 400 Möglichkeiten nacheinander lächerliche zwei Töne zu spielen. Schockierende Fakten des Gitarrenspiels!
Positiv formuliert bietet die Gitarre ein enormes Potential, abstrakte Ideen auf Papier in reale Klänge umzusetzen und einer Ansammlung von Noten zu Ausdruck zu verhelfen. Anhand dieses Beispiels wird jedoch auch deutlich, warum es sinnvoll ist, sich das Notenlesen in mehrere kleinere, verdaulichere Happen zu zerlegen.
Abb. 1 demonstriert den Tonumfang einer Gitarre bis zum 19. Bund im Violinschlüssel. Um etwas „System“ in die Unmenge von Noten zu bringen, empfiehlt es sich, das Material in drei Bereiche aufzuteilen:
– Alle Töne auf dem System,
– alle Töne unter dem System und
– alle Töne über dem System.
Am häufigsten werden uns Töne auf dem System begegnen, daher wollen wir mit ihnen beginnen. Erinnert sich noch jemand an seine erste Gitarrenstunde?
„Eine alte Dame ging Hühnchen Essen…“;
dieser Umstand ist wenig aufregend. Dieser Spruch hat jedoch Milliarden gitarrespielender Kinder geholfen, die sechs Saiten des Instruments anhand der Anfangsbuchstaben mit relativ hoher Erfolgsrate auseinanderzuhalten.
Für das Erlernen der Tonnamen gibt es eine Reihe ähnlich „dummer“ jedoch einprägsamer Sprüche (siehe Abb. 2). Für die Noten auf den Linien (von unten nach oben) kursiert zum Beispiel folgende gravierende Feststellung: „Es geht hurtig durch Fleiß.“ Weniger philosophisch können wir es dagegen mit den Noten zwischen den Linien halten und folgenden Fakt festhalten:
„Fritz aß Citronen Eis.“
Wer keine Noten liest, sich jedoch etwas mit Theorie auskennt (unter Gitarristen gibt es davon erstaunlich viele), kann sich alternativ merken, dass die Noten auf den Linien einen Em7b9-Akkord (e g h d f = 1, b3, 5, b7, b9 ) buchstabieren.
In den Noten zwischen den Linien kann man leicht einen Fmaj7-Akkord sehen ( f a c e = 1, 3, 5, 7). Abb. 3 zeigt, wo man alle Töne auf dem System in der ersten Lage spielen kann (Vor- und Versetzungszeichen werden später folgen).
Die Komposition „Systematisch“ wird uns als erste Blattspieletüde dienen.
Nächster Schritt: Alle Töne auf der D Saite spielen, etc.! Irgendwann stellt sich bei jeder Blattspielübung ein „Memory-Effekt“ ein. Da es uns jedoch nicht um „auswendig“ spielen, sondern um „vom Blatt“ spielen geht und der Rahmen eines jeden Workshops begrenzt ist, werden wir einfach kreativ und stellen das Heft auf den Kopf!
Rückwärtsspielen liefert zwei weitere Übungen, und für eine ganz neue Blattspieletüde braucht man nur einen Bleistift und ein leeres Blatt Notenpapier. Kinder brauchen einige Jahre, um Lesen zu lernen. Blattspielen ist dagegen ein Kinderspiel. Es lohnt sich beides gleichermaßen gut zu beherrschen.
Tabulaturen – auch Tabs genannt – sind eine bestimmte Form von Notendarstellung, die sich am Griffbrett von Gitarre und Bass orientiert. Der Tab Spieler muss somit keine Gitarrennoten können. Mehr über Tabs erfährst du auf der Themenseite!
Hier ein Beispiel:
Du hast schon ein paar Noten gelernt und möchtest nun das erste Stück angehen? Dann schnapp dir deine Gitarre und los geht’s! Falls du zu den größten Rock-Hits üben möchtest, schau dich auch in unserem Playalong Shop um – hier findest du die Stücke mit Noten und Tabulatur. Gitarre & Bass wünscht viel Spaß beim Abrocken!
Es fällt schwer, sich einen erfolgreichen Schriftsteller vorzustellen, der nicht schreiben kann oder einen guten Schauspieler, der nicht zu lesen vermag. Der Mythos des Musikers, der „nur nach Gehör“ spielt, erfreut sich hingegen unverminderter Beliebtheit.
Größen wie Chet Baker, Wes Montgomery, Django Reinhardt, Eric Clapton, Mark Knopfler und Charlie Christian werden zu diesen „Natur“-Talenten gezählt. Übersehen wird allzu gerne die Tatsache, dass diese Musiker es sich nicht unbedingt ausgesucht haben, keine Noten zu lesen.
Davon abgesehen stellen sie Ausnahmen dar, die die Regel bestätigen – Charlie Parker etwa wird ein fotografisches Gedächtnis nachgesagt. Künstler wie Michael Brecker oder Steve Lukather hätten nie Studiomusiker-Ruhm erlangt ohne hervorragendes Blattspielen.
Wie der Führerschein die Voraussetzung zum Autofahren ist, so ist das Blattspiel die Eintrittskarte zu einer ganzen Reihe von Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten. Selbst die besten und bekanntesten Musiker können ein Lied davon singen, wie schwer und langwierig es ist, den Durchbruch zu schaffen.
Jobs, die weniger Kreativität und mehr Blattspiel erfordern, können einem den nötigen finanziellen Freiraum verschaffen, um Durststrecken zu überwinden bzw. eigene künstlerische Projekte zu realisieren. Blattspiel-Fähigkeiten öffnen unter anderem die Tür zu gut bezahlten Theaterjobs, Top-40-Gigs, Big Band-Jobs, Tanzmusik, Salsa-Bands (brauchen ständig Bläser-Aushilfen), Plattenaufnahmen, Werbe-Spots etc… – gute Blattspieler sind immer gefragt! In finanzieller Hinsicht sind mit dem Erlernen von Blattspiel verbrachte Stunden eine hervorragende Investition.
In dem Video „Gitarre spielen nach Noten“ erklärt dir der Gitarrenlehrer Christian Konrad, wo beim Lernen die Probleme liegen und wie du das erste Stück am besten angehst:
Vielen jungen Musikern widerstrebt der Gedanke jemals irgend etwas anderes als die von ihm oder ihr favorisierte Musik zu spielen. Blattspiel führt jedoch nicht zwangsläufig in die Tanzmusik-Hölle, wie viele Leute anzunehmen scheinen. Im Gegenteil, dem jungen Musiker eröffnet Blattspiel die Möglichkeit, sich frühzeitig im Musikmarkt zu orientieren, seine Horizonte zu erweitern und nützliche, karrierefördernde Kontakte zu knüpfen. Außerdem: Was man lesen kann, muss man sich nicht merken. Bei schlechter Musik kann es von Vorteil sein, ein guter Leser zu sein! ?
Als Lehrer trifft man oft auf talentierte Musiker deren Spiel weit fortgeschritten ist, während Blattspiel-Fähigkeiten nur rudimentär, wenn überhaupt vorhanden sind. Für diese Gruppe kann es besonders frustrierend sein, sich in ihren professionellen Ambitionen behindert zu sehen.
Gutes Blattspiel ist daher nicht nur eine Voraussetzung für professionelles Arbeiten, sondern auch ein Zeichen von Respekt für jeden Mitmusiker, Komponisten und alle anderen Personen mit denen man zusammen arbeitet. Probezeit lässt sich mit Hilfe von Noten und guten Blattspielern drastisch reduzieren.
Anders ausgedrückt: Je schneller man die Idee eines Stückes begreift, desto schneller kann man sich ihrer musikalischen Ausreifung widmen. Ohne Blattspiel-Kenntnisse wird auch der Traum vom Studiomusiker nie Realität werden. Studiozeit kostet Geld, und kein Produzent ist bereit, für die Nachlässigkeit eines Musikers regelmäßig extra zu zahlen.
Notenkenntnisse zählen wie bereits erwähnt auch zum Handwerk des Komponisten. Nichts ist schlimmer, als eine hervorragende Idee zu haben und sie nicht kommunizieren zu können. Freunde und Kollegen sind ebenfalls dankbar, wenn man ihre Noten lesen kann. Niemand macht sich gerne umsonst die Mühe, hunderte von merkwürdigen Strichen und Symbolen zu Papier zu bringen.
Auch aus anderen, ganz eigennützigen Motiven empfiehlt es sich, Noten zu meistern. Dem lernbegierigen Musiker erschließt das Notenlesen komplette neue Welten in Form einer mittlerweile enormen Menge an Lehrwerken, Transkriptionen, „Realbooks“ und der gesamten klassischen Literatur.
Die Erfahrung belegt auch, dass die „Verbildlichung“ von Musik eine große Hilfe beim Lernen sein kann. Das, wovon man sich ein Bild machen kann, lässt sich mitunter schneller verstehen und länger behalten. Insbesondere beim Erfassen von Rhythmen (Synkopen etc.) ist Notenlesen von großem Vorteil.
Der Grund für die ablehnende Haltung vieler zukünftiger Jazz-Musiker (Rock, Pop etc.) liegt darin begründet, dass nur wenige das Glück haben, schon in jungen Jahren eine gründliche Ausbildung in den Grundlagen der Notation zu erhalten.
In der „klassischen“ Musik stellt sich dieses Problem weniger, da für die werkgetreue Interpretation ihres Repertoires gute Notenkenntnisse schlicht vorausgesetzt werden. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, dass Jazz-, Rock– und Pop- Musiker ohnehin meistens improvisieren und deshalb auch gut ohne Noten auskommen.
Mit der Realität des Berufsmusikers hat diese Vorstellung nicht viel gemein. Man kann das Notenlesen immer wieder aufschieben, bis man eines Tages genug Gigs verloren und Chancen verbaut hat. In jeder Hinsicht erscheint es sinnvoller, noch heute den ersten Schritt zu tun.
Autor: Christian Röver
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