David Gilmour ist für seinen Status als einer der einflussreichsten Rock-Musiker der 70er und 80er-Jahre ein gänzlich untypischer Gitarrist. „Die elektrische Gitarre ist ein gefährliches Instrument. Sie verleitet dazu, sich schnell für unwiderstehlich zu halten“, sagte er im Alter von 60 Jahren in einem Interview zu seinem 2006 erschienenen Solo-Album ‚On An Island‘.
Diese Erkenntnis muss ihm allerdings schon als junger Kerl gekommen sein, denn Gilmour ist das Gegenteil eines Rock-Gitarren-Hero – und wird doch von eben jenen verehrt.
Geboren wurde David Gilmour am 6. März 1946 im britischen Cambridge. Er wuchs in einer Zeit auf, in der alle Nase lang neue Super-Gitarristen auf der Bildfläche erschienen; doch davon ließ er sich nicht verleiten und setzte von Anfang an eher auf Melodie und Sound als auf spektakuläre Techniken und Rocker-Gehabe.
Hinzu kam natürlich, dass er in seiner Band Pink Floyd die perfekte Umgebung für sein gefühlvolles, fast träges Gitarrenspiel gefunden hatte. Nur eine Band wie diese, die Wert auf gehaltvolle, aussagekräftige Musik mit viel Raum zum Atmen legte, konnte ihm die Chance bieten, solistische Meisterwerke wie die Soli aus ‚Shine On You Crazy Diamond‘ oder ‚Comfortably Numb‘ zu erschaffen. Virtuos ist das nie, aber durch die Langsamkeit, die Ruhe und die daraus entstehende Leidenschaft immer wieder faszinierend.
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Für seine typischen, unheimlich melodischen Gitarrensoli braucht David Gilmour nicht viel: Oft genügen fünf Töne und ein Haufen Bendings unterschiedlichster Couleur, um ein perfekt auf den Song zugeschnittenes, aber eigenständiges Solo hinzulegen.
Sein tonaler Ansatz ist dabei absolut pentatonisch, wobei sich seine Improvisationen lagentechnisch zumeist um die Grundposition (also mit dem Grundton auf der tiefen E-Saite) kreisen. Hin und wieder macht er Ausflüge in andere Griffbrettgefilde, kehrt aber schnell wieder in das in Abbildung 1 dargestellte Pattern zurück. Sein Einsatz der Moll-Pentatonik ist sehr bluesig, wobei er die Blue Note der Blues-Tonleiter so gut wie nie greift, sondern höchstens von der Quarte aus anbendet (also hochzieht).
Sehr wirkungsvoll erweitert er die Moll-Pentatonik ab und an zur natürlichen Moll-Tonleiter, indem er immer wieder an exponierter Stelle die kleine Sexte als Vorhalt zur Quinte einsetzt. Seltener bendet Gilmour die None zur Moll-Terz. Improvisiert er über einen Dur-Akkord – was selten genug vorkommt – benutzt er die gleichen Notenkombinationen, nur dass diese dann als Quarte zur Dur-Terz und Septime zum Grundton fungieren.
In sehr seltenen Fällen entscheidet sich Gilmour für die dorische Variante statt für die aeolische, d. h. statt der kleinen Sexte benutzt er die große. Diese Erweiterungen der Pentatonik ändern aber nichts an seiner oben angesprochenen Fixiertheit auf das Grundpattern.
Das nachfolgende Video zeigt ein beeindruckendes Gilmour-Solo:
„Virtuosen gehen einem mitunter ja auch auf die Nerven“, sagte Gilmour einmal und äußerte sich an anderer Stelle bezüglich seiner Spieltechnik mit dem Terminus „Lachhaft“. Nun ja, er darf das sagen, aber die Hörer seiner Musik wissen es natürlich besser.
Klar, David Gilmour ist der König der Langsamkeit, ein Wenigspieler, dem nie in den Sinn kommen würde, spektakuläre Tappings oder Sweeps zu verwenden. Aber gerade was das Spiel seiner linken Hand angeht, gibt es keinen, der ihm in Sachen Bendings, Vibrato und Ton das Wasser reichen könnte. Wer’s nicht glaubt, der vergleiche via YouTube mal sein Solo von ,Comfortably Numb‘ mit der Cover-Version von Dream Theater. Da wird der Klassenunterschied mehr als deutlich.
Technik ist eben nicht nur Virtuosität und die Fähigkeit, den richtigen Ton zum richtigen Zeitpunkt zu spielen, sondern der Klang des Ganzen, die Persönlichkeit. Und davon hat Gilmours Spiel eine Menge. Unterstützt wird dies von der Tatsache, dass er (auch wenn seine Ex-Band Pink Floyd für Innovation und Experimente steht) gitarristisch keine allzu großen Risiken eingeht.
Der Schuster bleibt bei seinen Leisten, spielt das was er kann und lässt das Experimentieren mit fremden Skalen und abgedrehten Techniken andere machen. Gilmour hatte früh seinen Weg gefunden, der da heißt: wenig spielen, aber das richtig. So sind einzig seine häufige und unkonventionelle Verwendung der Bending-Technik und sein Einsatz des Vibrato-Arms etwas, das man sich genauer anschauen sollte. Der Rest ist Standard: Hier ein kleiner Slide, da ein bisschen Legato und das war’s dann auch schon. Also konzentrieren wir uns auf die beiden auffallendsten Merkmale.
Für den Song “The Great In The Skye” Live At Pompeii spielt Gilmour auch Slidegitarre:
Sein Bending-Finger ist der Ringfinger – den Kleinen Finger benutzt er übrigens so gut wie nie. Natürlich zieht er ab und an die Moll-Terz um einen Viertelton nach oben, aber alles andere wird mit dem Ringfinger gebendet. Wobei dabei gar nicht das Wie entscheidend ist, sondern die Tatsache, dass er sich nicht mit dem gemeinhin üblichen Ganzton zufrieden gibt, sondern oft eine große Terz bis hin zur Quarte zieht.
Dies tut er fast ausschließlich von der Septime der Moll-Pentatonik auf der h-Saite (in Em: von d zum f# bzw g). Auffällig ist dabei auch, dass er oft bei längeren BendingPassagen nur den ersten Ton anschlägt und dann erst einen Ganzton hoch und von da aus weiterbendet. Dadurch stirbt der Ton auf halber Strecke ab und die Linie ist nur noch bei ganz genauem Hinhören zu erkennen. Dies bringt eine ungeheure Dynamik in Gilmours Spiel.
Mehr zu der Technik gibt’s in dem Video-Workshop von Paul Davids:
Gilmour bevorzugt ein nicht zu weites, recht langsames Vibrato, was er wahlweise mit der Greifhand oder mit der Anschlagshand und dem Vibrato-Hebel bewerkstelligt. Auffällig ist auch die Haltung seiner rechten Hand beim Anschlag. Nur sehr selten – und wenn dann zum gezielten Abdämpfen – legt er den Handballen auf die Saiten. Ansonsten schwebt die Hand frei, was immer wieder zu mitschwingenden, offenen Saiten und damit zu einem dreckigen Sound führt.
Der typische David-Gilmour-Sound ist eindeutig der einer Strat mit dem Schalter auf der Halstonabnehmer-Position: hohl, aber transparent, kraftvoll, aber nicht zu fett. Das heißt jedoch nicht, dass man Gilmour als reinen Stratocaster-Benutzer bezeichnen könnte, denn seine Gitarrensammlung ist groß.
Neben der ersten Stratocaster, die jemals eine Seriennummer (die Nummer 0001) bekam, besitzt er diverse Teles und eine alte Les Paul, die in seiner Karriere immer wieder zum Einsatz kamen. Entscheidender war bei David Gilmour sowieso immer, was zwischen Gitarre und Verstärker sonst noch so passierte.
In dem Video von BBC erklärt Gilmour, wie er seinen Sound optimiert:
Alle Bodentreter aufzuzählen, die im Zusammenhang mit Aufnahmen oder Live-Konzerten Gilmours genannt wurden, würde zum einen den Rahmen sprengen, zum anderen braucht es trotz des riesigen von ihm verwendeten Arsenals nicht viel, um seinen Sound zu imitieren. Und mal ehrlich: Die wenigsten von uns haben noch ein Binson Echorec 2 im Keller rumfliegen.
David performt mit Strat und 1a Technik Live At Pompeii “Rattle That Lock”:
Wesentlich für Gilmours Sound ist, egal ob clean oder verzerrt, ein Kompressor, der für die Intensität des Klangs unabdingbar ist. Genauso sollten ein Hall- und ein Delay-Gerät nicht fehlen, wobei ersteres meist sehr dezent eingesetzt wird. Das Delay hingegen bekleidet oft eine sehr vordergründige Rolle und ist meistens auf das Tempo des jeweiligen Songs geeicht. In der Effektkette gehört das Delay hinter den Verzerrer (vorzugsweise ein mäßig aufgedrehter Big Muff oder eine ProCo Rat).
Der Hall hingegen wird je nach Song hinter oder vor das Distortion-Pedal gelegt. Durch die letztgenannte Variante mit einem vorsichtig aufgedrehten Reverb erlangt man diesen verwaschenen, undefinierten, dreckigen Solo-Sound, wie man ihn vor allem auf früheren Aufnahmen Gilmours wie ‚Dark Side Of The Moon‘ zu hören bekommt.
So wurde das Stück Dark Side Of The Moon im Studio aufgenommen:
Autor: Marian Menge
Nach 45 Jahren kehrte Gilmour 2016 Live At Pompeii zurück:
Einblicke aus der Reunion von Pink Floyd, inklusive Roger Waters: