Fragt man Musiker nach wichtigen musikalischen Einflüssen, so werden auch heute noch (oder gerade heute wieder?) erstaunlich oft die Beatles genannt. Hierbei scheint weder die Stilrichtung noch das Alter der Befragten eine große Rolle zu spielen. Und nach wie vor sind es die Fab Four, die viele Teenager zum ersten Mal zur Gitarre greifen lassen.
Anlass für uns, einmal zu analysieren, welche Substanz in dem „Phänomen Beatles“ liegt, dass auch nach über einem halben Jahrhundert noch eine solch ungeheure Faszination und Inspiration von der Musik dieser Band ausgehen kann.
Es gibt wohl keine andere Band, über die auch nur annähernd soviel gesagt oder geschrieben wurde; und da wir an dieser Stelle nicht die hinlänglich bekannte Geschichte der Beatles wiederkäuen möchten, haben wir den Schwerpunkt dieser kleinen Serie auf einige insbesondere für Musiker spannende Fragen gelegt: Wie sah die Musikwelt zur Zeit der Beatles aus? Wer hat die Beatles beeinflusst? Wo „bedienten“ sie sich? Was haben sie aus diesen Einflüssen gemacht und wie wirkte sich diese Entwicklung wiederum auf die Musik anderer Künstler aus?
In diesem Zusammenhang sollen zum einen typische Stilmittel und Spieltechniken von Lennon, McCartney und Harrison betrachtet werden, andererseits wollen wir auch die technischen Aspekte berücksichtigen: Mit welchem Equipment haben sie wann welche Singles und LPs eingespielt, was haben sie auf der Bühne benutzt und wie hat sich ihr Setup im Laufe der Jahre entwickelt?
John Lennon gründete Mitte der 50er Jahre seine erste Band „The Quarrymen Skifflegroup“, nachdem ihm seine Mutter Julia Banjo-Akkorde und eine entsprechende Anschlagstechnik gezeigt hatte, die er auf die Gitarre übertrug. Diese Banjo-Technik sollte später einen wichtigen Einfluss auf seine Rhythmusgitarrenarbeit haben und begründete seinen eigenwilligen Stil. So spielte John auch wesentlich später noch viele Akkorde in einer typischen Banjo-Griffweise. Bezüglich seiner Anschlagstechnik fällt auf, dass er seinen rechten Unterarm kaum bewegte, sondern vor allem aus dem Handgelenk heraus spielte.
Bei seiner Band handelte es sich um eine typische Skiffle-Gruppe mit Akustikgitarren, Banjo, Waschbrett, Besenstiel-Bass und einem Klavier – falls vorhanden. Man spielte eine akustische Up-Tempo/Off-Beat-Musik, quasi „prähistorisch unplugged“. Die Besetzungen im Skiffle bestanden nicht selten aus 8 bis 10 Musikern, um eine hinreichende Klangfülle zu erzeugen. Des weiteren fielen auf diese Weise gewisse instrumentale Schwächen nicht so stark ins Gewicht.
Auf einem Kirchenfest im Liverpooler Ortsteil Woolton lernten sich John Lennon und Paul McCartney nach einem Auftritt der Quarrymen kennen. John war von Pauls Qualitäten beeindruckt: Dieser kannte sehr viele Texte en detail, spielte eine solide Gitarre und konnte singen. McCartney wiederum war fasziniert von Lennons Ausstrahlung und dessen Fähigkeit, fehlende Textpassagen durch spontane geistreiche Eigenkreationen aufzufüllen.
Paul kommt aus einem musikalischen Elternhaus, sein Vater war Mitglied in einem Tanzorchester, das aktuelle Hits, Swing und Vaudeville spielte. Er war mit der Musik seines Vaters aufgewachsen, Klavier, Trompete und Gitarre gehörten zum festen Inventar. Auch dieser Umstand sollte sich später auf die Musik der Beatles auswirken.
Als die Quarrymen wieder einmal ein Besetzungsproblem hatten, bot sich der um zwei Jahre jüngere George Harrison an. Der Revoluzzer, der die vorgeschriebene Schuluniform mit einem gelben Pulli aufzupeppen wusste und bereits längere Haare trug als erlaubt, eiferte fanatisch seinen gitarristischen Vorbildern aus den USA nach. Obwohl sich John Lennon zunächst dagegen sträubte, wurde George aufgrund seiner Fähigkeiten als Lead-Gitarrist bald zum festen Bestandteil der Band.
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Andere Musiker kamen und gingen, doch die drei blieben zusammen. Recht bald wendeten sie sich vom ursprünglichen Skiffle ab, hin zu einer neuen und lauten Musik: dem Rock’n’Roll. John sagte später: „Als George zu uns stieß, hatte die Band einen neuen Sound gefunden.“
Heute wird oft übersehen, dass die Geschichte der Beatles nicht mit der „Beatlemania“ begann, sondern dass der Schlüssel für ein tieferes Verständnis der Beatles in den Anfangsjahren liegt. Und am Anfang zählte für sie nur noch eines: Rock’n’Roll!
Dass die eigentliche professionelle Karriere der Beatles auf der Hamburger Reeperbahn begann, ist allgemein bekannt. Dennoch ist es wichtig, sich das Umfeld der damaligen „Unterhaltungsmusik“ klar zu machen, um die außergewöhnliche Wirkung der Beatles verstehen zu können. Allan Williams, ihr erster Manager, verschaffte der Liverpooler Schüler-Band 1960 ein Engagement beim Hamburger Clubbesitzer Bruno Koschmider.
Das typische Publikum auf der Reeperbahn: Seeleute, die Rock’n’Roll hören wollten und eine deftige Bühnen-Show – wobei diese natürlich mit den zahlreichen Strip-Shows konkurrieren musste. Da deutsche Kapellen iIn dieser Zeit eher Besinnliches zum Vortrag brachten, bewaffnet mit Akkordeon und Philicorda-Orgel, es sich andererseits aber wegen der immensen Kosten verbot, amerikanische Bands einfliegen zu lassen, waren die Beatles als britische Band eine angemessene Alternative, zumal sich in diesem Jahr das Engagement des damals sehr erfolgreichen Tony Sheridan für den „Kaiserkeller“ bereits rentiert hatte.
Das Video zeigt einen der frühen Auftritte der Beatles in Deutschland:
Die Beatles, damals noch fünf Jungs mit Entenschwanzfrisuren, einschließlich Drummer Pete Best und Bassist Stuart Sutcliffe, kommen im vermeintlichen Schlaraffenland an und werden mit der harten Musikerwirklichkeit konfrontiert: Lange Spielzeiten, kurze Pausen, ein äußerst kritisches und schlagkräftiges Publikum. Mit dem berühmten „Mach Schau!“ wird den Beatles vom Club Bewegung auf der Bühne „verordnet“, denn die Konkurrenz auf der sündigen Meile ist groß und meistens auch noch weiblicher Natur.
In der Tat waren die Beatles 1960 eine Band, die ausschließlich amerikanischen Rock’n’Roll spielte und amerikanische Künstler kopierte. Ihre Helden waren Little Richard, Chuck Berry, Ray Charles und natürlich Elvis Presley – vor seiner Armeezeit. George Harrisons Kommentar zu ihrem damaligen Sound: „Es ist mehr wie beim alten Rock (& Roll), nur alles ist ein Stück lauter, da ist mehr Bass und Drums, und jeder singt sehr laut und schreit.“
Obwohl John Lennon und Paul McCartney bereits seit einiger Zeit zusammen Songs schrieben, waren die Beatles damals eine reine Cover-Band, sie hätten es nicht gewagt, eigene Stücke zu spielen. Dennoch schufen sie in den folgenden Monaten einen völlig eigenständigen Sound und sie mauserten sich schnell von der Schüler-Combo zu einer (r)evolutionären Rock-Band.
Pete Best schlug anstelle des verspielten Offbeat-Schlagzeugs amerikanischer Drummer die Bass-Drum in Vierteln durch. Damals nannte man das allerdings noch nicht „Techno“ sondern „Atom-Beat“. Dieser zugegebenermaßen gefährlich klingende Begriff entsprach dem damaligen Zeitgeist und erklärt durchaus die Wirkung der Musik.
Die viel zu kleinen Amps wurden bis zum Anschlag aufgerissen und sorgten für einen verzerrten und dementsprechend dreckigen Sound – lange bevor Gitarristen anfingen, ihre Verstärker mit Absicht verzerrt zu betreiben. Paul sagt rückblickend: „In Hamburg waren die Leute ganz wild drauf, dass wir laut spielen … Bang, Bang!“ Die Beatles lieferten mit ihren charismatischen Lead- Sängern Lennon und McCartney in Verbindung mit der hohen Lautstärke und ihren frischen Interpretationen einen ungemein energiegeladenen Sound.
Aufgepeitscht durch die gesamte Atmosphäre, die anwesenden z. T. professionellen Mädchen (immerhin waren die Beatles noch Teenager und man befand sich auf der Reeperbahn) und den Einsatz der bekannten chemischen Mittelchen, gebärdeten sich die Beatles zum Amüsement des Publikums wie Verrückte. Ihre eigens angeschafften engen Lederhosen und einheitlichen Lederklamotten verfehlten nicht die Wirkung auf die immer zahlreicher werdenden weiblichen Fans. Um das Publikum bei Laune zu halten, wurde nichts unversucht gelassen, von der legendären Geschichte mit der Klobrille über das Zusammenstampfen der Holzbühne bis zu Lennons berüchtigten „Führer“-Verballhornungen.
Man spielte 15-minütige Versionen von Rock’n’Roll-Nummern, wobei sich Lennon und Harrison Gitarrenduelle lieferten, man wälzte sich auf dem Boden, brachte aber auch herzzerreißende Doo-Wop-Balladen. Schon damals setzten die Beatles ihren Harmoniegesang ein, der später eines ihrer Markenzeichen werden sollte.
Es sprach sich schnell in Hamburg herum, dass eine krachende englische Band auf der sündigen Meile spielte, und bald setzte sich ihr Publikum zusammen aus Seeleuten, Arbeitern, Studenten, Nachtschwärmern und Szenegängern. Diese gänzlich verschiedenen Gruppen ließen sich unbeeindruckt vom Milieu ins „Indra“ ziehen, dann in den größeren „Kaiserkeller“ und schließlich ins „Top Ten“. John Lennon sagte später in einem Interview: „Was wir damals generierten, war fantastisch, nie waren wir als Live-Band besser. Als wir später unsere 20-Minuten-Auftritte machten, war das alles nur Flohzirkus, und wir waren die Flöhe.“
Die existierenden Live-Aufnahmen aus dem Star-Club sind leider technisch recht bescheiden (Amateur-Aufnahmen) und lassen daher nur einen sehr begrenzten Eindruck der tatsächlichen Dynamik zu.
Die Beatles haben später versucht, gerichtlich gegen die Veröffentlichung dieser Bänder vorzugehen. Wer einen realistischeren Eindruck von der ursprünglichen Kraft der frühen Beatles-Musik bekommen möchte, dem sei dringend ein Besuch im Cavern Club während der jährlichen Liverpooler Beatles Convention empfohlen (jeweils am letzten August-Wochenende). Auf der letztjährigen Convention trafen wir Allan Williams, den ersten Manager der Beatles, der mehrfach betonte: „The Beatles were made in Hamburg, not in Liverpool!“ Und wahrscheinlich hat er recht.
Als die Beatles gestärkt durch diese Erfahrungen wieder in Liverpool auftraten, angekündigt als „Band aus Hamburg“, hielt man sie dort für eine deutsche Band. Sie waren absolut unbritisch (allerdings auch nicht wirklich deutsch!). John Lennon meinte einmal grinsend: „…und in Liverpool dachten die Leute, als wir in Leder auftraten und hart spielten, wir wären Deutsche und würden ziemlich gut englisch sprechen…“
Beim ersten Song stürmte das Publikum frenetisch zur Bühne, so etwas hatte man noch nie erlebt. Aus den seichten Rock’n’Rollern der 50er Jahre war eine knallharte Rock-Kapelle geworden, ungezügelt, dreckig, laut, versaut und einfach schockierend. Sie multiplizierten die bis dahin gekannte Emotionalität der Musik. Dieses hatte noch nichts zu tun mit dem Klischee der vier ordentlich gekämmten, braven Jungs mit ihren Anzügen und Krawatten.
Während die Popularmusik damals vor allem seicht war, mit Stars wie Cliff Richard & The Shadows, Paul Anka u. a. (in Deutschland waren es Peter Kraus, Connie Froboes und Catharina Valente), brachen die Beatles in den Tanzsälen alle bis dahin geltenden Tabus. Es kam zur ersten Hysterie im heimischen Liverpool. Der in die Jahre gekommene Rock’n’Roll erlebte eine Renaissance, nur härter schneller, lauter und dreckiger präsentiert. Eine Kulturrevolution!
Die Musikclubs in Liverpool explodierten, eine eigenständige Jugendkultur, bisher nur in den Vereinigten Staaten vorhanden, begann nun, sich auch in England zu entwickeln. Rückblickend kann man die Wirkung der frühen Beatles am ehesten mit den späteren Punk- oder Grunge-Heroen wie den Sex Pistols oder Nirvana vergleichen.
Das in Hamburg verdiente Geld wurde natürlich dem Alter der Akteure entsprechend ausgegeben, aber darüber hinaus wurde auch das Equipment optimiert. Die halbakustischen Instrumente fielen buchstäblich auseinander und es mussten neue her.
Wie die Künstler kamen auch die angesagten Instrumente dieser Tage aus den USA. Inspiriert durch einen Auftritt von Toots Thielemans, einem Mundharmonika spielenden Jazz-Gitarristen, kaufte (oder neppte) sich John Lennon eine blonde Rickenbacker Capri 325 mit kurzer Mensur, mit einer, wie er selber sagte, geradezu lächerlichen Saitenlage. John Lennon hat nach dieser Erfahrung kurzmensurierte Instrumente präferiert, die elektroakustische Gibson J-160E, Epiphone Casino, Les Paul Junior oder seine weiteren Rickenbacker-325-Variationen.
Die Mundharmonika, mit der später ,Love Me Do‘ aufgenommen wurde, klaute er sich auf der Hinreise nach Hamburg in einem holländischen Muziekhuis. George Harrison folgte seinem Idol Chet Atkins, indem er sich eine gebrauchte Gretsch Duo Jet zulegte. Diese Gitarre war die Antwort der Firma Gretsch auf die populäre Les Paul und lieferte nicht zuletzt aufgrund der verwendeten Singlecoils einen absolut eigenständigen twangy Rock’n’Roll-Sound. Das Klangverhalten dieser Tonabnehmer liegt irgendwo zwischen dem dünnen, nasalen Sound der damaligen Strats, die bei weitem noch nicht so bekannt waren, und den fetten P-90-Singlecoils, mit denen der große Konkurrent Gibson anfangs seine Les Pauls bestückte.
Gretsch war somit in den Staaten der Inbegriff der Rock’n’Roll-Gitarre, und viele amerikanische Musiker „twangten“ sich mit diesem Sound an die Spitze der Hitparaden. Gene Vincent, Lead-Gitarrist der „Blue Caps“, genauso wie der Sologitarrist von Bill Haleys Band „Comets“. Das Nebeneinander der Rickenbacker mit der Gretsch – zwei Gitarren mit enorm höhenreichen und brillianten Singlecoil-Sounds – sollte sich als optimal erweisen und war für die Beatles sicherlich ein Glücksfall.
Stuart Sutcliffe spielte noch seinen riesigen Höfner President Bass, richtete seine weiteren Ambitionen jedoch mehr auf die Kunst und die Fotografin Astrid Kirchherr. Als sich andeutete, dass Stuart kaum dem musikalischen Niveau seiner Kollegen gewachsen war und die Band über kurz oder lang verlassen würde, übernahm Paul immer häufiger die Rolle des Bassisten. Bereits damals war Paul sicherlich der vielseitigste Beatle. Er wechselte während der Auftritte die Instrumente, spielte mal Gitarre, mal Bass, mal Klavier, seltener Schlagzeug und hatte natürlich neben John die Rolle des zweiten Lead-Sängers.
Darüber hinaus musste Paul als Linkshänder auch mit dem für einen Rechtshänder besaiteten Bass zurechtkommen. Paul als sparsamer Brite übernahm nach dessen Ausscheiden Stuarts Sutcliffes „Selmer Truevoice“-Combo, kaufte sich aber auch ein neues Instrument: Einen damals recht günstigen Höfner Violin Bass, seltsamerweise ein für den englischen Import gebautes Instrument mit vertikalem Schriftzug und mit zwei Pickups am Hals. Die Symmetrie, das geringe Gewicht und der Umstand, dass der Bassist der Begleitband seines Idols Little Richard einen ähnlichen Bass spielte (einen Gibson Violinbass), werden Paul überzeugt haben.
Auch bezüglich der Amps rüstete man auf, John besorgte sich einen Fender Deluxe Combo, George einen Gibson GA40. Dieser hervorragend klingende Amp wurde übrigens 1999 in einer überarbeiteten Version wieder aufgelegt und wird nun in der britischen Trace-Elliot-Fabrik im Auftrag von Gibson produziert.
Die neuen Instrumente, in Verbindung mit der hohen bis dato nicht gekannten Lautstärke, formten den energiegeladenen Sound der Band. Die Kombination dieser Instrumente wurde zur maßgeblichen Substanz, hatte gleichwohl etwas Organisches und lieferte genau die richtigen Frequenzen, um die Beatles gut klingen zu lassen.
Lennon, McCartney und Harrison blieben ihren Instrumenten live stets treu, auch wenn man später natürlich anderes ausprobierte, wie etwa Strats, Les Pauls und die Epiphone Casinos – doch dazu später mehr. Man verzichtete wohl kaum aus Kostengründen auf den Einsatz wesentlich teurerer Instrumente – und da man keine Endorsements hatte, waren es auch keine Marken-Image-Gründe.
Aber auch der Sound der AKG-D12-Mikrophone (die heutzutage als Vintage-Bass-Drum-Mikros sehr beliebt sind) und des Shure-Bändchen-Mikrophons in Verbindung mit Röhrengesangsverstärkern, haben den frühen Sound der Beatles geprägt.
Die harmonischen Verzerrungen bei Pegelspitzen – wie sie bei lauten Schreien oder nahen Mikrophonabständen entstehen – machten den Sound aufregender und dramatischer. Diese Sounds sind durch die Tekknokultur und Alternative Music wieder reanimiert worden, allerdings in heftigerer Form.
Die Beatles kehrten im April 1961 für ein Engagement im Top 10 Club nach Hamburg zurück – unter wesentlich verbesserten Bedingungen, sowohl was die Unterbringung als auch die hauseigene Gesangsanlage betraf. Der in Hamburg verbliebene Bassist Stuart Sutcliffe tauchte zwar noch sporadisch auf, jedoch spielte Paul nun die erste (Violinbass-)Geige. Bei einem der zahlreichen Auftritte erschien Bert Kaempfert, Produzent und Orchesterchef, der mit seiner Musik zu internationalem Ruhm gelangt war, und bot den Beatles eine Schallplattenproduktion an.
Allerdings nicht unter ihrem Namen, der wohl für damalige Ohren recht seltsam klang, sondern unter dem Pseudonym „The Beat Brothers“. Hierbei sollten sie als Begleit-Band für den bereits erwähnten Tony Sheridan fungieren, der damals recht populär in Deutschland war und dem auch die Beatles hohen Respekt zollten.
Die Aufnahmen fanden im Juni 1961 im Studio Rahlstedt und in der Harburger Friedrich-Ebert-Halle statt. Tony Sheridan und die Beat Brothers wurden wie bei einem regulären Auftritt auf der Bühne positioniert, die Aufnahmetechniker bezogen hinter der Bühne mit ihren Zweispur–Geräten Stellung. Das verwendete Equipment entsprach dem damaligem Top-Standard in Europa. Tontechniker Karl Hinze erinnert sich, dass aller Wahrscheinlichkeit nach eine M5-Maschine von AEG zum Einsatz kam.
Für die Backing-Band wurde ein Neumann SM2-Stereo-Mikrophon, für Tony Sheridan ein U47, ebenfalls von Neumann, verwendet. Die Aufnahme erfolgte live, die Instrumente wurden nicht einzeln abgenommen, vielmehr musste die Balance zwischen ihnen einerseits und die Balance zwischen den Instrumenten und den Backing-Vocals andererseits durch geschicktes Abgleichen hergestellt werden. So entstanden mehrere Titel. Auch die Single ,My Bonnie‘ (damaliger Verkaufspreis DM 4,–) wurde auf diese Weise aufgenommen, wobei der Sound im Vergleich zu anderen deutschen Rock-Produktionen schon durchaus passabel war.
Die Beatles erhielten als Gage für ihre Mitwirkung bei diesen Aufnahmen DM 300,– (insgesamt!). In Deutschland wurden 100.000, weltweit 1.000.000 Exemplare abgesetzt. In England verkaufte sich die Single eher schleppend (Platz 48 war die höchste Notierung), aufgrund der stetig steigenden lokalen Fan-Gemeinde aber sehr gut in Liverpool.
Brian Epstein, Inhaber des führenden Liverpooler Schallplattenladens, wurde durch diese Single auf die Beatles aufmerksam und nahm die Stelle ihres Managers ein. Seine guten Kontakte zu Plattenfirmen und -vertrieben ermöglichten es ihm, nach einigen erfolglosen Versuchen schließlich einen Vertrag für seine neuen Schützlinge zu erwirken. Dieser kam nach einer Audition und Probeaufnahmen mit Produzent George Martin bei Parlophone Records zustande, einer Division von EMI-Records.
Adrett, mit Hemd und Krawatte, in schicke Anzüge gekleidet, dazu Lederstiefeletten mit kubanischem Absatz – wie von ihrem Manager Brian Epstein verordnet – betreten die vier Liverpooler das etablierte Londoner Studio. Die daraufhin entstanden Aufnahmen kennt heute praktisch jeder, doch wie war die damalige Situation im EMI Studio London?
Die „St. John’s Wood Studios London“ an der Abbey Road verfügten für alle Anforderungen über die passenden Aufnahmeräume, von der Konzerthalle zum Kleinstudio. Die Pop-Produktionen liefen meist im Studio 2 ab, einem großen und hohen Raum, der mit schweren Vorhängen und Teppichen ausgestattet war, um den Raumhall zu bändigen.
In dem Video erinnert sich Paul McCartney an den ersten Studiobesuch:
Eingespielt wurde bis 1963 nur live auf zwei Spuren, unter Zuhilfenahme einer zweiten Bandmaschine konnten sogenannte Overdubs erstellt werden, was bedeutet, dass man zu der zuvor aufgenommenen Zweispur-Aufnahme weitere Instrumental- oder Vokalspuren hinzufügt und gleichzeitig auf die zweite Maschine aufnimmt.
Geschieht ein Fehler, so muss der Take (Versuch) wiederholt werden. Die Tonbandmaschinen vom Typ BTR waren von erlesener Qualität, und hört man heute in die Aufnahmen hinein, so ist die Audioqualität immer noch überzeugend.
Auch in England begann eine gute Aufnahme mit einer lehrbuchmäßigen Aufstellung der Mikrophone, distant-miking statt close-miking. Zum Einsatz kamen ausschließlich hochwertige Mikros, wobei die Anzahl derselben allerdings recht spartanisch war: Ein Neumann U67 als Overhead und generell fürs Schlagzeug, ein Neumann für die Vocals und die restlichen Instrumente. Erst im Jahr 1963 wurden die einzelnen Schallquellen mit separaten Mikrophonen aufgenommen. Die Techniker in den Studios waren in weiße Kittel gehüllt, hierarchische Strukturen und ein stark reglementiertes Verhalten waren an der Tagesordnung: Die Aufnahmezeiten waren exakt definiert, Ausnahmen gab es da kaum.
Pro Tag gab es drei Aufnahmeintervalle von 10 bis 13 Uhr, 14.30 bis 17.30 Uhr und 19.00 bis 22.00 Uhr. Die strikte Einhaltung des Zeitplans und der Kleidervorschriften – Musiker hatten in Anzug mit Krawatte zu erscheinen, Techniker trugen einen weißen Kittel (Klanglabor!) – veranlassten den Staatsmann Winston Churchill bei einem Besuch der Studios zu der Bemerkung: „Ich glaube, ich bin hier am falschen Ort, es sieht hier aus wie in einem Hospital.“ Und der mit einem Schloss versehene Kühlschrank durfte nur zur Teatime geöffnet werden – britischer Konservatismus pur.
Nichtsdestotrotz hatten die Produzenten und Techniker ein fundiertes Fachwissen. Das Wort des Produzenten war Gesetz, er trug die Verantwortung für das jeweilige Projekt, ein Tape-Operator und ein Balance-Engineer hörten auf sein Wort. Die anderen Weißkittel bauten eigene Mischpulte, Effektgeräte und sonstige Apparaturen. So auch das hauseigene Pult REDD 37, das im Studio 2 Verwendung fand. Zehn Eingangskanäle und zwei Ausgänge, mit riesigen Knöpfen, schlachtschiffgrau und im Vergleich zu heutigen Miniaturisierungstrends auch mit schlachtschiffähnlichen Ausmaßen.
Die Signale wurden den Bandmaschinen zugeführt: BTR – British (was sonst) Tape Recorder. Die Klangregelung zu bemühen galt als eher ungeschickt, möglichst lineare Klangtreue war mit exakter Mikrophonierung zu erzielen. Da es verständlicherweise noch keine digitalen Hallgeräte gab, wurde der Klang zu einem Hallraum geleitet, ein dort positioniertes Mikrophon nahm den Raum auf und dieser Sound wurde dem Originalsignal beigemischt.
Dieses ist beispielsweise bei der Aufnahme von ,I Saw Her Standing There‘ sehr gut zu hören – wie hier im Video:
Das Studio verfügte über eine Vielzahl von Instrumenten aller Art, außerdem konnte man auf eine eigene Sound-Bibliothek mit voraufgenommenen Effekten und Natur-Sounds zurückgreifen (Samples!), eine Tatsache, von der die Beatles später sehr profitieren sollten.
Dieses war also der Status Quo, als die Beatles begannen. In den nächsten Folgen werden wir näher darauf eingehen, wie die Beatles als „Goldesel der EMI“ in den folgenden Jahren die starren Strukturen zu ihren Gunsten auflockern konnten und das Maximum an Möglichkeiten aus dem Personal und den Räumlichkeiten der Abbey Road Studios herausholten. Im Zuge dieser Entwicklung haben die Beatles die Studiowelt umgekrempelt und mit ihrer unkonventionellen „alles ist möglich“-Mentalität neue Klangwelten geschaffen.
Abschließend noch eine Auflistung des Equipments der Beatles, zur Zeit der Aufnahme ihrer ersten Single – live und im Studio.
Vox AC30 Non Top Boost Amp, blond Vinyl Covering mit Celestion Blue-Speakern, dazu passender Chromständer. Gitarren: 1959er Rickenbacker 325 Capri blond/natur mit Bigsby B5 Tremolo; Gibson J-160E E-Acoustic mit P90-Pickups (oder Variation); Hohner-Mundharmonikas.
Vox AC-30 (wie bei Lennon), Gretsch Duo Jet, schwarz, mit DeArmond-Singlecoils, Gibson J-160E E-Acoustic (Live wurden diese über den Vox verstärkt).
Höfner Violinbass 500/1 (Spitzname: The Cavern Bass; englisches Rosetti-Modell, vertikales „Hofner“-Logo, 2 Pickups am Hals lokalisiert, Two-Tone-Sunburst. Bassverstärker: „The Coffin“, Eigenbau des Hamburger Freundes Adrian (Paul: „Sie wollten mich damit nicht aufnehmen lassen, diese Bässe kamen ihnen zu heftig vor, aufgrund der riesigen Lautsprecher.“); Vox-T60-Verstärker & Box (Transistor-Amp, 60 Watt, mit Germaniumtransistoren, aus denen normalerweise Fuzz-Pedale gebaut wurden; im Cabinet befand sich ein 12″- und ein 15″-Lautsprecher).
Erfahre mehr über The Beatles in den weiteren Teilen der großen Beatles Story:
Das Beatles-Phänomen Teil 2: The Beatles & ihr Equipment: Die Beatlemania Live
Das Beatles-Phänomen Teil 3: Inside Abbey Road Studios
Das Beatles-Phänomen Teil 4: Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band
Das Beatles-Phänomen Teil 5: Die letzten Jahre & die Trennung
Du kannst dir auch die ganze “The Beatles Story” als kostenloses E-Paper herunterladen und bequem offline lesen:
Autoren: Johnny Silver & Michael Doering
Über die Autoren: Johnny Silver und Michael Doering bilden die Gitarrenfraktion der „Silver Beatles“, der einzigen deutschen Beatles-Coverband, die 1998 und 1999 bei der „International Beatles Convention“ in Liverpool dabei war. Die Silver Beatles spielten bereits viermal im legendären Liverpooler Cavern Club und können neben ihrer eigenen intensiven Beschäftigung mit der Musik der Beatles auf eines der umfangreichsten Beatles-Archive in Deutschland zurückgreifen. Weitere Infos: http://www.silverbeatles.de
Es gibt wohl keine andere Band, über die auch nur annähernd soviel gesagt oder geschrieben wurde wie die Beatles. Wir haben 10 Gear-Facts zu Paul & Co. gesammelt.
Lennon hier im mit seiner Hohner bei dem Song “I’m a Loser”:
Mehr über die Spielweise von Harrison erfährst du in dem Reverb Tutorial zu dem Beatles Song “All My Loving”:
Mehr über die Gitarren Kniffe und Tricks der Beatles erfährst du in dem Video:
Beatle | Geboren | Instrument |
John Lennon | 09.10.1940 in Liverpool
(gestorben am 08.12.1980) |
Gesang, Rhythmusgitarre, Klavier |
Paul McCartney
|
18.06.1982 in Liverpool | Gesang, Gitarre, Bass, Klavier |
George Harrison
|
25.02.1943 in Liverpool
(gestorben am 29.11.2001) |
Gesang, Leadgitarre, Sitar |
Ringo Starr
(ab 1962)
|
07.07.1940 in Liverpool | Schlagzeug, Percussion, Gesang |
John Lennon ist 1980 verstorben, George Harrison 2001. Somit leben noch Paul McCartney und Ringo Starr – beide sind auch noch musikalisch aktiv.
Yoko Ono, Geldprobleme, musikalische Differenzen – für die Trennung der Beatles 1970 gab es mehrere Gründe. Im letzten Teil unserer großen Beatles-Specials widmen wir uns ausführlich den letzten Jahren und der Trennung.
Am 29. Januar 1964 nahmen die Beatles gegen ihren ausdrücklichen Wunsch deutsche Versionen von “She Loves You“ (Sie liebt dich) und von “I Want to Hold Your Hand“ (Komm gib mir deine Hand) in Paris auf. Das Unterlabel der EMI, Odeon, hatte darauf bestanden, damit die Band auch in Deutschland Fuß fasst.
Hier der beliebte Klassiker in der deutschen Version:
John Lennon (Help!) und Paul McCartney (Let It Be) haben die meisten Songs komponiert. Doch auch George Harrison (I Need You) ist für einige Hits verantwortlich. Eine Liste mit den Beatles-Liedern und ihren Komponisten findest du bei Wikipedia.
Der Bandname stammt von dem englischen Begriff “Beatle“, der für die Pilzkopffrisur verwendet wird – den favorisierten Haarschnitt der Beatles…
Ein privat finanziertes Beatles-Museum befindet sich in Halle (Saale). Auf 3 Etagen findest du hier die älteste und umfangreichste öffentliche Einrichtung zum Thema Beatles. Ein weiteres Museum ist aktuell in Liverpool in dem bekannten Strawberry Field geplant.
Der berühmte Zebrastreifen vom Abbey Road Cover befindet sich in der Abbey Road 3.
Come Together von dem Album Abbey Road findest du übrigens bei uns im Playalong Shop:
John Lennon wurde am 8. Dezember 1980 mit gerade einmal 40 Jahren vor seinem New Yorker Wohnhaus erschossen. Schütze war der psychisch-kranke Fan Mark David Chapman.