„Wenn man lange mit dem Plektrum gespielt hat, ist Fingerstyle ungefähr wie Barfußlaufen.“
Zwischen Gothic Rock und Extrem Metal: Victor Brandt (Cemetery Skyline) im Interview
von Andreas Schiffmann, Artikel aus dem Archiv
Anzeige
(Bild: Sam Jamsen)
Cemetery Skyline als Metal-Supergroup zu bezeichnen ist nicht vermessen, denn die Mitglieder des skandinavischen Quintetts, das dieser Tage sein Debütalbum ‚Nordic Gothic‘ veröffentlicht, sind bis auf Drummer Vesa Ranta, der die 2005 aufgelösten Sentenced mitbegründete, in den bekannten Bands Dark Tranquillity (Sänger Mikael Stanne), Insomnium (Gitarrist Markus Vanhala), Amorphis (Keyboarder Santeri Kallio) und Dimmu Borgir (Bassist Victor Brandt) aktiv. Der 40-jährige Schwede Brandt spielte unter anderem auch bei Witchery, Entombed, deren Nachfolgeband Entombed A.D. und Satyricon – ein im extremen Metal heimischer Session-Musiker, den wir bereits zum zweiten Mal zum Interview bitten.
Anzeige
INTERVIEW
Victor, wie kam es zur Gründung von Cemetery Skyline? Ihr seid schließlich alle vielbeschäftigt und bräuchtet im Prinzip keine weitere Band?
Es passierte während der Pandemie, als wir wenig zu tun hatten. Mikael wohnt ganz in meiner Nähe, und eines Tages, als man sich wieder draußen treffen durfte, besuchten wir Anders Björler, den Gitarristen von At The Gates. Dabei erwähnte Mikael ein neues Projekt, das düster und heavy sei. Er bot mir an, auch mitzumachen, und ich sagte sofort ja, weil ich einfach immer gern etwas zu tun habe. Es gab bereits Songs, die er schon ziemlich weit mit Markus und Santeri ausgearbeitet hatte, als ich hinzustieß. Sie gefielen mir aber super, weil ich Sachen wie Type O Negative liebe. Als Letzter schloss sich Vesa an, der heute bei der Doom-Metal-Band The Abbey spielt und Musikvideos produziert. Ich freue mich, bei Cemetery Skyline mitwirken zu können, und es ergibt auch Sinn, weil sich die Musik von unseren jeweiligen Hauptbands unterscheidet. Außerdem ist es das mit weitem Abstand Softeste, das ich je gemacht habe. Das Album deckt auch ein breites dynamisches Spektrum ab.
Wie bist du bei der Entwicklung deiner Bassparts vorgegangen? Aggressives Plektrum-Spiel mit viel Verzerrung war wohl eher nicht angesagt.
Tatsächlich habe ich nur ein bisschen weniger Verzerrung eingesetzt als bei meinen extremeren Bands, doch der Bass hat in diesen Songs generell mehr Raum und braucht sich nicht gegen Gitarrenwände durchzusetzen. Ich habe mich für meine Linien an klassischem Rock orientiert.
Hast du abgesehen von Type O Negative weitere Einflüsse aus dem Gothic-Bereich, gerade was den Bass angeht?
Nicht konkret aus dieser Ecke, doch Justin Chancellor von Tool hat mich mit seinem großartigen Sound stark inspiriert. So wollte ich schon immer klingen. Bei den Aufnahmen für ‚Nordic Gothic‘ in Helsinki mit Miiro Varjus, der unter anderem auch für Amorphis arbeitet, sollte ich angeben, welches Album, auf dem ich gespielt habe, mir vom Sound her am besten gefällt. Ich wusste gar keine Antwort darauf, aber wir nahmen uns vor, dieses zu etwas Ganz Besonderem zu machen, und ich finde wirklich, dass wir den besten Basssound hinbekommen haben, den ich je hatte.
Hast du dafür etwas an deinem Equipment geändert? Du spielst nach wie vor dein Signature-Modell von Sandberg, den Forty Eight 4, nicht wahr?
Korrekt, und wir haben fünf Kanäle verwendet, eine Mischung aus dem cleanen Signal einer Klotz-DI-Box, dem Microtubes 900 v2, Vintage Ultra v2 und Harmonic Booster von Darkglass Electronics, Trondheim Audio Devices SkarBassOne, Fortin Zuul Noise Gate und verschiedenen MXR-Pedalen: Bass Chorus Deluxe M83, Compressor M87, und Preamp M81. Ich habe zudem ein Kabel-Endorsement mit Klotz und benutze Cases von Mono.
Victor Brandt mit dem Darkglass Microtubes 900v2 (Bild: Victor Brandt)
Welche Stimmungen verwendest du?
Es ist im Grunde ein Fünfsaiter-Satz ohne G-Saite, und die B-Saite wurde auf A gestimmt. Auf dem Album hört man unterschiedliche Gitarrenstimmungen, doch ich bleibe bei diesem einen Tuning, sodass ich nicht ständig umstimmen brauche, auch wenn ich deshalb häufiger zwischen den Lagen auf dem Griffbrett wechseln muss. Meine Lieblingssaiten sind die Super Bright Nickel Wounds von Dunlop, und meine Plektren kommen ebenfalls von diesem Hersteller.
Bist du grundsätzlich ein Plektrum-Spieler, oder beherrschst du auch Fingerstyle?
Ich spiele überwiegend mit dem Plektrum, aber während der Pandemie bot es sich an, mich näher mit dem Fingerspiel auseinanderzusetzen. Was das betrifft, bin ich mittlerweile ein totaler Nerd, weil ich Online-Kurse über Spieltechnik, Walking-Bass und andere Dinge mache. Was ich dort lerne, wende ich auf meine eigenen Sachen an. Ich übe verschiedene Schlagmuster der rechten Hand und wie man dabei Akzente setzt. Währenddessen ist mir aufgefallen, dass ich sie seit jeher stark abknicke, weshalb ich jetzt viel Zeit damit verbringe, mir einen günstigeren Anschlagwinkel anzugewöhnen. Ich richte mich nach Gary Willis‘ Spielweise. Ich bin natürlich noch nicht so versiert, doch das ist das, wo ich hinkommen will. Auf ‚Nordic Gothic‘ sind 80% der Basslinien mit dem Plektrum gespielt, würde ich sagen, und 20% mit den Fingern. Jedenfalls kann man sich in den kleinen Details verlieren: Wo man den Daumen positioniert, wie die Noten auf einen anderen Finger fallen, wenn man Economy-Picking anstelle des Wechselschlags einsetzt, solche Sachen. Wenn man lange mit dem Plektrum gespielt hat, ist Fingerstyle ungefähr wie Barfußlaufen. Es fühlt sich freier an, ich mag das.
Musst du den Bass fürs Fingerspielen höher schnallen? Auf der Bühne hängt er ja ziemlich tief bei dir.
Wenn ich zu Hause übe, tue ich das, ich habe einen Richter-Comfort-Strap, der sich leicht verstellen lässt. Wenn man an seiner Technik arbeitet, fängt man sich schnell eine Sehnenscheidenentzündung oder etwas Ähnliches ein, indem man verkrampft oder lange in einer unnatürlichen Haltung spielt. Live bleibe ich aber bei der niedrigen Höhe des Basses. Mein Handgelenk bleibt relativ gerade, wenn ich mit dem Plektrum anschlage, und außerdem sieht es lässiger aus.
Da du überwiegend mit dem Plektrum spielst: Bist du über die Gitarre zum Bass gekommen? Bei Firespawn beispielsweise warst du ja Gitarrist.
Ja, ich habe mit der Gitarre angefangen. Ich stamme aus Gnarp, einem winzigen schwedischen Dorf mit ein paar Hundert Einwohnern, und ein Freund von mir fing mit dem Gitarrenspiel an, also tat ich das auch; eine große Auswahl hatte ich nicht in diesem Ort. Auf einer Musikschule bekam ich dann die Gelegenheit, einen E-Bass auszuprobieren, was sich für mich völlig natürlich anfühlte. Es passte einfach, und ich bin dabei geblieben. Anfangs wollte ich möglichst alles lernen und saugte Techniken auf wie ein Schwamm, doch aufgrund der Musik, die ich im Lauf der Jahre in den meisten Bands spielte, nahm das Plektrum eine wichtigere Rolle ein. Ich bewege mich eher im knallharten Bereich, wo der Bass oft verzerrt ist und sich besser durchsetzt, wenn man mit dem Plektrum spielt. Ausnahmen wie Alex Webster von Cannibal Corpse bestätigen die Regel.
(Bild: Sam Jamsen)
Wobei schnelles Plektrum-Spiel auch nicht so leicht ist. Wie gehst du damit zum Beispiel bei Dimmu Borgir um?
Generell reden wir hier von Musik, die auf Riffs beruht, und ungefähr die Hälfte meiner Basslinien beläuft sich darauf, dass ich den Gitarren folge. Wann immer es sich anbietet, versuche ich aber auch, mich davon zu lösen und die Betonungen des Schlagzeugs mitzuberücksichtigen. Bei Dimmu Borgir kann durch die Keyboards und orchestralen Passagen auch eine Menge auf einmal passieren, weshalb ich mich in solchen Momenten etwas zurückhalte. Als ich zur Band stieß, war ich allerdings überrascht, weil es in einigen Stücken doch viel Raum für den Bass gibt. Letzten Endes will ich immer die klassische Rolle des Bassisten erfüllen und dem Song dienen, so gut es geht.
Eine vielleicht nicht offensichtliche, aber nicht unwichtige Frage: Wie kommunizierst du als Schwede in Bands, deren andere Mitglieder aus Finnland und Norwegen kommen?
Bei Cemetery Skyline sprechen wir Englisch. Die Jungs von Dimmu Borgir sprechen Norwegisch, aber ich antworte ihnen auf Schwedisch. Sie verstehen das, denn so weit auseinander liegen die beiden Sprachen nicht, zumal im norwegischen Fernsehen viele schwedische Sendungen laufen. Wegen einzelner Wörter, die sich ähneln, aber unterschiedliche Bedeutungen haben, kann es mal zu Missverständnissen kommen, wie ich festgestellt habe, während ich bei Satyricon spielte und deshalb in Norwegen wohnte.
‚Nightside‘, dein Debüt mit Witchery aus dem Jahr 2022, gehört zu den besten Alben dieser Band. Wie liefen die Aufnahmen ab?
Die Platte wurde im Studio Solna Sound Productions in Stockholm mithilfe von Simon Johansson und Mike Wead aufgenommen, dem Gitarristen von King Diamond und Mercyful Fate. Das war das erste Mal, dass ich ein Album mit meinem Signature-Sandberg eingespielt habe. An Pedalen verwendete ich hier zusätzlich ein MXR Sub Octave Bass Fuzz M287. Vor den Aufnahmen haben wir kein einziges Mal gemeinsam geprobt, jeder übte seine Parts allein zu Hause, bevor wir uns im Studio trafen. Die Gitarrenaufnahmen dauerten länger als vorgesehen, woraufhin ich mich beeilen musste und alle Bass-Tracks in zwei Tagen einspielte.
Sandberg Forty Eight 4 Victor Brandt Signature (Bild: Victor Brandt)
Rückblickend würde ich gerne ein paar Dinge ändern, etwa das Intro von ‚Left Hand March‘, das arg simpel ist; dafür hätte mir noch was Interessanteres einfallen können. Dabei fällt mir ‚Dead Dawn‘ von Entombed A.D. ein, das wir 2016 mit Rammstein-Produzent Jacob Hellner aufnahmen. Da wir im Vorfeld auch nicht geprobt hatten, verlangte er, dass wir vier Songs mit ihm gemeinsam einstudierten. Hauptsächlich wurden Sounddateien hin und her geschickt, ehe wir ins Studio gingen. Dem Gitarristen Nico Elgstrand fiel es schwer, sich beim Komponieren verbindlich festzulegen, weshalb er mir ständig neue „verbesserte“ Versionen von Songs schickte, die eigentlich schon als fertig galten. Von einer Nummer bekam ich nach und nach sieben Versionen, die ich alle lernte. Als ich sie dann aufnehmen sollte, hatte er sie noch einmal verändert.
Siehst du dich eher als Dienstleister, oder schreibst du selbst Songs?
Ich schreibe sogar recht viel. Bei Entombed habe ich einiges komponiert, und auf dem neuen Dimmu-Borgir-Album, das wir bald aufnehmen, stehen auch Ideen von mir. Auf ‚Nordic Gothic‘ konnte ich wie gesagt nicht mehr viel beisteuern, aber zumindest der Bandname und der Plattentitel stammt von mir. Auf dem zweiten Album werde ich mich definitiv stärker einbringen.
(Bild: Sam Jamsen)
Cemetery Skyline sind also keine Eintagsfliege?
Auf keinen Fall, dafür macht es auch zu viel Spaß mit den Jungs. Außerdem haben wir Blut geleckt, was Konzerte angeht, nachdem wir in Finnland beim John Smith Rock Festival aufgetreten sind, das eine sehr angenehme Erfahrung war. Für März 2025 planen wir eine kurze Tournee durch Finnland, gefolgt von Festivalshows, falls sie sich ergeben. Für Mikael wird es besonders schwierig, weil er innerhalb eines halben Jahres Platten mit drei verschiedenen Bands herausbringt – Dark Tranquillity, Cemetery Skyline und demnächst auch das zweite Album von The Halo Effect.
Ihr habt fünf der zehn Songs von ‚Nordic Gothic‘ als Vorab-Singles ausgekoppelt, eine nicht alltägliche Praktik.
Nein, aber die Songs sind alle sehr stark. Die Idee ging von unserem Label aus.
Dann erklär uns zum Abschluss bitte noch, wie du ein so gefragter Death- und Black-Metal-Bassist geworden bist.
Man sollte darauf abzielen, die Art von Mensch zu sein, mit der man selbst gerne zusammenarbeiten würde. Das bedeutet, dass du sowohl entspannt und locker als auch professionell und ernst sein musst. Lerne deine Parts und sei immer ein bisschen besser vorbereitet als nötig, um bei Bedarf mehr anbieten zu können, als von dir erwartet wird. Benutze hochwertiges Equipment, halte es in Ordnung und sei in der Lage, gegebenenfalls auf Reservegeräte zurückzugreifen. Darüber hinaus solltest du natürlich gerne reisen und umgänglich sein.