7.430 „Gefällt mir!“-Klicks hat die Facebook-Seite der Stadt Münster bisher eingesammelt. Die Seite ist treffend mit „Münster – Wissenschaft und Lebensart“ überschrieben – einem Konstrukt aus vermeintlichen Gegensätzen, das einem tatsächlich oft begegnet, wenn man sich näher mit dieser Stadt und dem, was sie hervorbringt, beschäftigt.
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Mehr als 51.000 iLiker zählt immerhin die Facebook-Seite des zurzeit bekanntesten Münster-Exports: Tatort Münster. Auch hier prallen die hohe Wissenschaft und die hemdsärmelige, westfälische Lebensart in den Personen Jan-Josef Liefers und Axel Prahl aufeinander. Durch ihre unterschiedlichen Herangehensweisen lösen die beiden Charaktere nicht nur einen Fall nach dem anderen, sondern kreieren den wohl besten Tatort, den die ARD zurzeit zu bieten hat. Wissenschaft und Lebens- bzw. Klangart begegnen mir auch, als ich Oliver Baron in seiner Werkstatt besuche, die mitten zwischen großen Produktions- und Lagerhallen in einem Industriegebiet Münsters in einem kleinen, schnuckeligen Häuschen eine neue Heimat gefunden hat.
Highway to Helliver
Oliver Baron und seine Marke Helliver gelten vielerorts noch als Geheimtipp, und so findet erst einmal keiner von selbst den nahen Weg von der A1 zu Barons Werkstatt. „Ich bin ein Einzelkämpfer, der gerne alleine arbeitet und auch gerne alles selbst in der Hand behält,“ kennzeichnet Baron seinen bevorzugten Arbeitsstil, der zur Folge hat, dass die Produktionskapazitäten von Helliver mit zurzeit 15 bis 17 Gitarren pro Jahr ausgelastet sind. „Bei 20 ist die Stressgrenze erreicht, mehr geht nicht und mehr will ich auch gar nicht“, meint Baron, der Gitarren im alten Stil baut: D. h. mit einem begrenzten Einsatz von Maschinen und ganz bewusst ohne Computer-gesteuerte Aggregate wie CNC-Fräsen, wobei er darin aber keine grundsätzliche Philosophie vertritt:
„Mit einer CNC-Fräse würden meine Gitarren nicht besser, aber auch nicht schlechter werden. Ich arbeite halt ohne, das entspricht mehr meiner persönlichen Herangehensweise.“ Baron ist alles andere als ein alter Hase – 1976 geboren, war er im besten Gitarristenalter, als Alternative und Grunge die Charts rockten. Etwas bodenständiger ist sein eigener musikalischer Geschmack – es ging in Richtung Hard-Rock bis Blues-Rock. So auch die Vorlieben für bestimmte Gitarrenmodelle der Rock-Geschichte. Hier stand die Gibson Les Paul einsam auf Platz Eins, und die erste Gitarre, die Baron im Zimmer seiner WG gebaut hat, war dann auch eine Version des Klassikers.
Der Weg von damals aus dem WG-Zimmer bis heute in den Schleebrüggenkamp war manchmal steinig und schwer. Denn Baron verdiente als diplomierter Grafik-Designer zuerst seinen Lebensunterhalt mit dem erlernten Beruf, Gitarrenbau spielte lange Zeit nur die zweite Geige und fand mangels ordentlicher Werkstatt auch hauptsächlich in der Theorie statt! Ein durchaus ungewöhnlicher Ansatz, der sich aber, wenn man Barons Gitarren analysiert, dort durchaus wiederfindet. Weniger als andere Gitarrenbauer, die meist von der Praxis her kommen und eine mehr oder weniger lange Try-&- Error-Phase hinter sich gebracht haben, gelangen Baron dank seiner umfassenden theoretischen Studien des Metiers gleich auf Anhieb bemerkenswerte Resultate, als er sich vor ca. acht Jahren komplett auf den Gitarrenbau stürzte. „Ich habe damals gemerkt, dass ich als Designer und Gitarrenbauer nicht zweigleisig fahren kann. Denn wenn man nur die Hälfte des Tages Zeit hat, schafft man nur ein Drittel“, erzählt Baron.
Perfekte Gitarre
Das Geschäft lief gut an, doch Ausruhen auf den ersten verkauften Gitarren und den verteilten Lorbeeren war nicht sein Ding. „Ich wollte schon damals nichts anderes als das, was mich auch heute noch antreibt – die perfekte, die optimale Gitarre bauen. Wenn ich jedoch damals gewusst hätte, dass dieser Weg vermutlich nie zu Ende geht, hätte ich ihn vielleicht gar nicht erst beschritten“, erlaubt Baron ungewöhnliche Einblicke in seine Gefühlswelt. Heute hat er sich damit arrangiert, zumal er sich, was den Klangcharakter seiner Instrumente angeht, zugesteht, diese Entwicklung bereits zu Ende gebracht zu haben! Barons Suche nach der bestmöglichen Resonanz des Instrumentes lässt ihn das komplexe System einer E-Gitarre von Grund auf neu überdenken, ohne an der klassischen formalen Ausrichtung drehen zu wollen.
Ein Parameter nach dem anderen wird einzeln gewichtet und seine Auswirkung auf den Klang und die Spielbarkeit des Instrumentes in Kombination mit den anderen Paramtern bewertet. Mit Ahorndecke, Mahagonikorpus und eingeleimtem Mahagonihals ist er noch auf traditionellen Pfaden unterwegs. Er verwendet am liebsten leichtes Mahagoni, und auch davon am liebsten die leichtesten Stücke! Es sei denn, sein Kunde braucht viel Schub für seinen Sound, dann sollte das Holz schwerer sein. Das von ihm bevorzugte Ebenholzgriffbrett sorgt seiner Meinung nach für eine große Klarheit, räumt den Ton regelrecht auf und bringt eine gute Definition in den Tiefen, während ein Palisandergriffbrett den tiefen Saiten oft keine konkrete Definition mehr bieten kann. Da sei dann kein Draht mehr zu hören.
„Mich interessiert das Schwingungsverhalten der Gitarre! Wie sie anspricht, wie sie ausklingt, wie das Obertonverhalten ist, wie breit sie klanglich aufgestellt ist, wie das Verhältnis zwischen Oberton und Grundton aussieht! Das sind meine Ansätze, und in diesen Bereichen versuche ich zu optimieren und meine Bemühungen in alle Richtungen auszudehnen. Ich möchte auch gar nicht im Rennen um den besten 59er-Les-Paul-Sound mitmachen, und wer einen typischen LesPaul-Ton will, der ist bei mir nicht richtig. Aber bei mir bekommt er vielleicht das, was er bei einer klassischen Les Paul vermisst“, erklärt Baron seinen Stil.
Wobei der Helliver-Sound in einem Design erscheint, das nicht von ungefähr an Gibson erinnert. Hier gibt Baron zu, dass er nicht über seinen Schatten springen kann. Auch alles Nachsinnen über eigene Formen brachte als Ergebnis, dass er nur die Gitarre bauen kann, die er selbst gut findet, und die er selbst auch würde haben wollen: „Ich muss einfach Gitarren bauen, bei denen ich mir am Schaufenster selbst die Nase plattdrücken würde – alles andere macht für mich keinen Sinn. Das habe ich eingesehen, und deshalb bewegt sich mein Design eben in der Formsprache der 50er und 60er Jahre, mit dem Schwerpunkt Gibson.“
Gitarrenbau als Puzzle
Gitarrenbau fängt bei Baron mit dem Einkauf des Holzes an. Er schaut sich jede Bohle selbst an, sucht ganz gezielt nach einzelnen Stücken – und stößt manchmal auf bemerkenswerte Funde. Wie z. B. auf dieses leichte Mahagoni, aus dem zurzeit die meisten Helliver-Instrumente gebaut werden. Hiervon hat er bei einem neuerlichen Gang zum Holzdealer seiner Wahl ein weiteres Kontingent entdeckt, das aus demselben Stamm wie das bereits vorhandene Mahagoni stammt, und natürlich zugeschlagen. „So werden die Instrumente der nächsten Jahre aus dem Mahagoni desselben Stammes gebaut werden, was mich richtig freut,“ erklärt Baron die Vorteile eines „kleinen“ Gitarrenbauers, der Einkäufer, Handwerker und Verkäufer in Personalunion ist.
Der Großteil seiner Klientel beschreibt er als bunt gemischt, mit Tendenz zur „Zahnarzt Fraktion“ – natürlich auch wegen der beachtlichen Preise, die für Helliver-Gitarren mittlerweile aufgerufen werden. Aber auch vermehrt Profis entdecken die Qualität der Gitarren aus Münster, die darauf ausgelegt sind, eine größtmögliche Schwingungsfreude und Resonanz an den Tag zu legen. „Die Spieler sollen das Gefühl haben, dass die Gitarre willig jedem Schritt folgt, und dass das Spielen keine Arbeit, sondern eben ein Spiel ist“, beschreibt Baron eine seiner Idealvorstellungen. Und die versucht er mit teilweise ungewöhnlichen Methoden zu erreichen. So bietet er in seinem Programm keine Gitarre mit einem Stratocaster- oder Floyd-Rose-Vibratosystem an. „Für meinen Freund Dave Jordan [Gitarrist von Long Distance Calling, der Autor] habe ich einmal eine Siebensaitige mit Floyd-Rose gebaut, aber das ist die absolute Ausnahme.
Diese Art von Vibratosystemen gefallen mir klanglich überhaupt nicht, deshalb biete ich sie auch gar nicht an“, erklärt Baron, der lieber auf seine eigene Einteiler-Brücke setzt, die von ABM gefertigt und in Alu- und Messing-Varianten angeboten wird; je leichter das Instrument, desto eher braucht man eine MessingBrücke, die mit 122 g deutlich schwerer als die Alu-Brücke ist (44 g). Solidbodys werden zudem bevorzugt mit Alu-Brücken ausgestattet, die hohlen und chamberedVersionen eher mit der Messing-Brücke, die dem Ton mehr Stabilität und Direktheit gibt. Auf meinen Einwurf, dass dies auch nicht jedermanns Geschmack treffen könnte, antwortete Baron: „Klar, für manchen kann das zu viel sein, was Direktheit und Resonanz angeht. Ich will halt, dass man alles hören und dass man den Ton leicht formen kann.“
Und wenn schon ein Vibratosystem, dann eben das altgediente Bigsby, das dem Ton eine bestimmte Klangfarbe gibt, die zur Klangwelt des Oliver Baron passt. Der Gitarrenbau ist nichts anderes als ein großes Puzzle, dem sich Baron spürbar gerne aussetzt! Wie auch bei der Hardware setzt Helliver bei den Pickups auf Fremdhersteller. Bisher läuft die Zusammenarbeit mit Harry Häussel optimal, aber Baron will in naher Zukunft auch Amber-Pickups ausprobieren. Wichtig ist ihm, dass er mit dem jeweiligen Hersteller so kommunizieren kann, dass der auf seine konkreten Vorstellungen flexibel reagieren kann. Denn die meisten Pickups, die er verwendet, sind für ihn speziell gewickelt, um auch die letzten Feinheiten seiner Instrumente hörbar zu machen.
Exklusivität
Zurück zum Klientel: Am liebsten würde Oliver gerne einmal Warren Haynes in seiner User-Gemeinde begrüßen, der von Barons Firebird-Version Firebug zwar sehr angetan war, aber durch seinen Vertrag mit Gibson dann doch die Notwendigkeit einer teuren Neuanschaffung nicht sah. Baron ist klar, dass heute alle bekannten Gitarristen fest mit Firmen verbandelt sind, die ihnen das bieten, was kleine Firmen eben nicht leisten können – kostenlose Gitarren und mitunter auch Geldzuwendungen. Aber für Baron, der quantitativ kaum mehr wachsen will – die Wartezeit auf eine neue Helliver beträgt zurzeit fast ein Jahr – ist diese Exklusivität eben auch ein Marketing-Faktor, und die eigentlich noch besser zu seiner Firma passt als der Hype, der im Zusammenhang mit einem Helliver-Super-Star entstehen würde.
Mehr als 2/3 seiner Instrumente sind konkrete Bestellungen, der Lagerbestand ist demnach immer ziemlich gering. Er baut nicht nur seine eigenen Designs, sondern ist auch offen für andere Ideen, solange der Kunde bereit ist, die zwei bis drei Stunden Design-Mehrarbeit zusätzlich zu honorieren. Auch auf Fender-ähnliche Instrumente wird er öfter angesprochen, aber er stellt dann immer wieder fest, dass dies nicht wirklich seine Welt ist. Er bleibt lieber bei seinen Leisten – und das ist das Arbeiten in der GibsonTradition. Hier steht er jedoch allen Parametern und jedem Kundenwunsch offen gegenüber – ob eine längere Mensur, z. B. für Down-Tunings, ob Ahornhals oder Palisandergriffbrett, keine Hürde ist hier hoch genug für eine Helliver-Custom-Order.
Von wegen Halbwissen
So richtig in die Tiefe geht das Gespräch, als ich Oliver Baron frage, ob seine Gitarren in 20 Jahren besser klingen würden als heute. Seiner Meinung nach wird die Gitarre nicht durch den reinen Alterungsprozess besser, sondern eher durch das, was mit ihr in diesen 20 Jahren geschieht. Er habe die Erfahrung gemacht, dass gute Gitarren nicht durch den Alterungsprozess irgendwann gut geworden sind, sondern von Anfang an Qualität hatten. Und tritt damit natürlich gegen das geballte Halbwissen an, das in den Internet-Foren der Web-Welt breit getreten wird. Wie übrigens auch mit seiner Leim-Philosophie. Denn entgegen aller Vintage-Didaktik werden Helliver-Instrumente mit modernem Propellerleim verarbeitet, dem stärksten Leim, den es gibt.
Er sei genervt von der ganzen Debatte um die verschiedenen Leime, merkt er an, denn viel wichtiger sei die Passgenauigkeit, mit der Hals und Korpus zusammen geführt werden. Wenn der hoch gelobte Knochen- oder Hautleim nur dazu diene, Luftlöcher und breite Fugen zu füllen – so wie dies eben bei vielen Instrumenten der Fall wäre –, dann wäre diese Art Leim vielleicht besser. Aber in diese großen Toleranzbereiche käme er bei seiner Präzision ja nie. Bei seinen Gitarren sind Halsfuß und Korpustasche tatsächlich so exakt aufeinander abgestimmt, dass – und er zeigt es mir an einem Beispiel – man das Instrument an dem noch nicht eingeleimten Hals hochheben kann, ohne dass der Body abfällt. Und diese ganz engen Fugen will Baron mit dem stärksten Leim, den es gibt, verbinden. Das Thema Lackierung, bei allen Herstellern der vielleicht sensibelste, zeitaufwändigste und kostenintensivste Arbeitsgang, brauchte bei Helliver eine gewisse Zeit, ehe Baron seinen eigenen Ansprüchen genügte. Heute ist er in der Lage zu sagen, dass er diese Technik auf hohem Niveau nun beherrscht.
Er setzt auf Nitrolack, der in mehreren, sehr dünnen Schichten inkl. Zwischenschliffen auf die mit Porenfüller geglättete Oberfläche aufgetragen wird. Auf eine Grundierung wird dagegen verzichtet. Baron ist Nitro-Fan: „Meiner Meinung nach kann man mit Nitro die schönsten Lackierungen erreichen. Er kann glashart sein, ist aber gleichzeitig auch der empfindlichste Lack. Mit Polyester- und PUR-Lacken ist man viel schneller, aber der NitroLack lässt das Instrument nicht nur am besten klingen, sondern auch am besten aussehen, da kann die Gitarre in Würde altern.“ Der heute verwendete Gibson-Lack würde zu viele Weichmacher enthalten, meint er noch, der das Holz eher zukleistere und sich bei einem Schaden abschäle, während sein Nitrolack so hart sei, dass er bei einem härteren Stoß absplittere. Und natürlich sei eine Reparatur am Nitrolack einfach, da Nitrolack leicht anzulösen sei.
Entwicklung
Die Schritte würden immer kleiner, meint Baron auf meine Frage, was die Entwicklung von Helliver demnächst noch für Überraschungen bringen wird. Er hat einige neue Modelle im Kopf und teilweise auch schon aufs Zeichenpapier gebracht, aber vor dem ersten Schritt in die Praxis wird sich immer die Frage gestellt, ob das Modell überhaupt Sinn macht. Der letzte Helliver-Wurf ist die Firebug, Barons Hommage an die Gibson Firebird, deren Design er sehr mag, aber der er als Instrument jede Praxistauglichkeit abspricht. Seine Firebug hat tatsächlich eine ähnliche Coolness wie die Inspirationsquelle Firebird, mit dem Unterschied, dass alles am richtigen Platz sitzt, wenn man sich die Gitarre umhängt.
„Ich bekomme zurzeit begeisterte Rückmeldungen von Musikern, was mich natürlich freut. Das zeigt mir, dass ich nicht allein mit meiner Meinung war und dieses neue Modell eben tatsächlich einen Sinn erfüllt.“ rennwagen oder classic car So eine perfekt in ihren Parametern abgestimmte Gitarre erinnere mich an einen guten Rennwagen, fasse ich meine Eindrücke zusammen. Eine schiere Power von 500 PS würde ja nichts nützen, wenn das Fahrwerk so schlecht wäre, dass der Bolide aus der nächsten Kurve fliegt. Baron wirft ein, dass das zwar stimme, aber wenn schon der Vergleich zum Autobau bemüht würde, er dann eher mit Wiesmann verglichen werden möchte. Tun wir gerne – Westfalen unter sich … Die Wiesmann-Manufaktur aus dem benachbarten Dülmen setzt eben auch auf die anfangs zitierte gegenseitige Befruchtung von Wissenschaft und Lebensart. Sie verwendet hochmoderne, leistungsstarke BMW-Motoren, die sie in klassisch-englisch aussehende Roadster-Karosserien pflanzt. Die Wiesmann-Kreationen haben eine brutale Performance, sind aber trotz ihrer Vintage-Optik voll alltagstauglich.
Man sitzt dort drin wie in einem alten Sportwagen, kann aber trotzdem mit 300 km/h über die Autobahn fliegen. „Genau wie die Wiesmann-Manufaktur besetze ich nur eine kleine Nische auf dem Markt. Meine Gitarren müssen uneingeschränkt funktionieren, optimal resonieren, mit dem Musiker kommunizieren und dennoch diesen gewissen Charme ausstrahlen, den nur klassische Gitarren besitzen,“ fasst Oliver Baron seine konsequente Firmenphilosophie zum Schluss perfekt zusammen