Max Clouth ist Gitarrist, spielt auch Sitar und Bouzouki, er komponiert, organisiert Bands und Projekte und hat vor kurzem sein fünftes Album veröffentlicht. Und er hat seinen Ruf weg: „Das ist doch dieser Jazz-Gitarrist aus Indien“, hörte ich neulich. Nein, Max, Jahrgang 1985, ist ein waschechter Frankfurter. Und dass die (Wahl-)Hessen auch im Jazz kommen, ist seit Attila Zoller, Volker Kriegel, Michael Sagmeister, Ali Neander, Martin Lejeune und Torsten de Winkel ja nichts Neues.
Mit den beiden Letztgenannten hat Max Clouth Ende 2020 als Gast der HR Big Band eine beeindruckende Hommage an den 2003 verstorbenen Volker Kriegel aufgeführt, zu der er eine ganz eigene gitarristische Farbe beisteuerte.
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Mit 12 Jahren besuchte Max zum ersten Mal ein Konzert mit klassischer indischer Musik – und war fasziniert. Ab 2005 studierte er Jazz-Gitarre an der Hochschule für Musik Mainz bei Marc-Oliver Klenk und Norbert Scholly und ab 2008 an der Hochschule Dresden bei Ralf Beutler und Stephan Bormann. Zwischen 2009 und 2012 war er mehrfach in Indien und nahm Unterricht bei Pandit Nayan Ghosh an der Sangit Mahabharati Music School in Mumbai und bei Guitar Prasanna an der Swarnabhoomi Academy of Music.
2006 war er als Sideman, neben Torsten De Winkel, an dem Album ,The Art Of Fusion: Rhizomism‘ beteiligt. Vor zehn Jahren, 2011, veröffentlichte Clouth dann sein selbstproduziertes Solo-Album ,Guitar‘. Die Times of India nannte es „great fusion“ und „Western music with an Indian vibe“, und auch der Rezensent dieses Magazins war damals begeistert. Es folgte ,Return Flight‘ (2015), das er mit seiner Formation Clan und indischen Musikern einspielte, 2018 dann ,Kamaloka‘ in noch größerer Besetzung mit Sängerinnen und Streichern und 2019 die LP ,Studiokonzert‘ mit akustischen Versionen älterer Stücke, live eingespielt in den Ludwigsburger Bauer Studios. Im selben Jahr benannte sich der Max Clouth Clan um in Ragawerk und veröffentlichte einen weiteren Live-Mitschnitt.
Für seine aktuelle Produktion hat Clouth eine Trio-Besetzung gewählt. Zusammen mit Kabuki am Modular-Synthesizer und Sophie-Justine Herr am Cello, hat er wieder in den Bauer Studios – live, in zwei Aufnahmeschritten, ohne Schnitte – ein beeindruckendes Album eingespielt: ,Lvcifer Drowning In A Sea Of Light‘. Das v in Lvcifer ist kein Schreibfehler! When East meets West. Es gibt ja durchaus passende Headlines, die in anderem Zusammenhang auch Song-Titel sind – nur nicht unbedingt von passenden Songs zum Thema.
Und ich bekomme jetzt beim Schreiben ,When East Meets West‘ vom genialen Warlock-Album ,Triumph And Agony‘ (1987) nicht mehr aus dem Kopf. Damals war die Warlock-Sängerin Doro Pesch gerade mal 23 und Max Clouth zwei Jahre alt. Hatte der heutige Jazz-&-More-Gitarrist vielleicht auch mal eine richtige Rock’n’Shredder-Phase? “Ich bin eigentlich mit Punkrock sozialisiert”, erzählt Max. “Aber dann kam ziemlich schnell Guns N’ Roses, und von Slash ging es weiter zu Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jimmy Page, John McLaughlin, Allan Holdsworth, Volker Kriegel … Und eigentlich finde ich die fast alle heute noch toll.”
Zum ersten Mal eine Gitarre gehört hat Max als kleines Kind: „Meine Mutter besaß eine große LP-Sammlung. Das israelische Duo Ran & Nama habe ich noch in Erinnerung, ,Thriller‘ von Michael Jackson, Musik von Rod Stewart und von den Beatles. Und dann bekam ich irgendwann eine klassische Konzertgitarre mit Zederndecke und auch Unterricht. Mein damaliger Lehrer, Gerald Deubel, war auch mein erstes großes Vorbild.
Danach kamen dann Noodles von The Offspring, Jimi Hendrix und Slash. Und dann habe ich irgendwann John McLaughlin entdeckt, der bis heute für mich der prägendste Einfluss ist. Mit seinem Stil, der ja sehr von südindischer Musik geprägt ist, und seinen vielen Kollaborationen hat er für viele westliche Musiker die Tür nach Indien aufgemacht. Tatsächlich war eine große Inspiration für ,Lvcifer Drowning In A Sea Of Light‘ John McLaughlins Album ,My Goal’s Beyond‘, das auch eine Ensemble- und eine Soloseite hat. Das ist, wie ich finde, ein gutes und naheliegendes Konzept beim Medium Vinyl.“
(Bild: Manuel Waelder)
Musik ist heute für Max Clouth ein Planet, auf dem man nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch auf der gesamten Timeline der kulturellen Entwicklung immer wieder Neues und Altes entdecken kann. Max liebt Musik und hört nach rechts und links, und oben und unten. Der Hesse nennt das Open-mindedness. Ein Charakterzug, den man auch bei Künstlern wie Gabor Szabo, auf den frühen Aufnahmen von Pat Martino oder auch den ersten Solo-Alben von Derek Trucks identifizieren kann: alles Gitarristen mit erweitertem Horizont.
„Es gibt aus meiner Sicht aktuell sehr viel tolle Musik. Ich höre gerade wieder gerne die Solosachen von Slash. Außerdem mag ich auch elektronische Musik, zum Beispiel von dem Produzenten & DJ Roman Flügel, der früher auch als Eight Miles High, Soylent Green, Holy Garage etc. aktiv war. Aber auch Künstler wie Brian Eno, Giorgio Moroder, Kraftwerk und Jean-Michel Jarre sind mir wichtig geworden. Elektronische Musik mit ihren vielen Facetten empfinde ich als sehr inspirierend. Und durch meine Freundin, die Cellistin ist, habe ich auch viel Barockmusik mitbekommen – fantastische und emotional berührende Musik!“
Klanglich geprägt wird die Musik von Max Clouth von seiner, in Zusammenarbeit mit dem in Antwerpen ansässigen Instrumentenbauer Philipp Neumann (www.neumann-gitarren.de) entwickelten, speziellen Doubleneck-Gitarre: Diese ermöglicht ihm sowohl Fretless- als auch konventionelle Acoustic-Sounds. Außerdem verfügt sie noch über zwölf Resonanzsaiten, die den schnarrenden Sound einer Sitar nachahmen sollen, wozu spezielle Bridges installiert wurden. Auch der verstellbare Saitendämpfer der Resonanzsaiten wurde eigens für diese Gitarre entworfen. Gleichermaßen sollte dieses Instrument ein Hybrid aus klassischer und Flamenco-Bauart werden – das Beste aus beiden Welten.
Das hört sich für uns Mitteleuropäer:innen dann „exotisch“, „arabisch“ und „irgendwie nach Indien“ an. Clouth erzielt mit diesem Instrument Klangfarben, die mal an eine arabische Oud, dann wieder an die indische Sarod erinnern – oder eben an eine akustische Gitarre, gespielt von einem Jazz-Musiker. Er experimentiert seit vielen Jahren mit diversen E- und A-Gitarren-Sonderanfertigungen: „Ich habe mich schon immer für Weiterentwicklungen innerhalb der Gitarrenfamilie interessiert und mir gewünscht, mal ein ganz spezielles Instrument zu spielen.”
2011 war die erste Version der „Lotus-Gitarre“ fertig – sie wurde aber immer wieder modifiziert. Das ursprüngliche Pickup-System wurde ausgetauscht, die Saiten des Fretless-Halses etwas tiefer gelegt, um dem charakteristischen Klang der arabischen Oud noch näher zu kommen. 2015 entwickelten Max Clouth und Philipp Neumann dann noch eine elektrische Variante der Lotus-Gitarre, eine semiakustische Archtop-Gitarre mit einem flachen Boden, wie bei einer Western-Gitarre. Beide Hälse der Gitarre laufen durch den Korpus bis unter den Steg und sorgen so für optimales Sustain und Schwingungsverhalten. Max Clouth: „Aktuell spiele ich meine akustische Gitarre mit Nylonsaiten sowie zwölf Metall-Resonanzsaiten und die Lotus-E-Gitarre – beides sind Doppelhals-Gitarren.“
Mit Gitarre & Bass fühlt sich Max besonders verbunden, nicht nur weil er in diesem Magazin überhaupt zum ersten Mal medial auftauchte – das war 2011 in Form einer Review seines Solo-Debüts ,Guitar‘. „In der Giveaway-Verlosung vom November 2002 habe ich damals eine Samick-SG-Kopie gewonnen. Da war ich 17. Die Gitarre habe ich immer noch, aber sie ist inzwischen eine E-Sitar geworden.“
Wie geht es weiter mit Max Clouth und der Musik? „Aktuell plane ich eine Veröffentlichung für den Herbst: Es geht um ein Stück, in dem ich mich inhaltlich mit der Kreuzigungsgeschichte aus Sicht der Anthroposophie befasst habe. Außerdem kommt noch in diesem Sommer mein neues Album mit dem Frankfurter Elektro-Künstler Dan Bay raus, auf dem meine Gitarren eine prominente Rolle spielen. Und natürlich werde ich wieder live spielen!“ Es bleibt spannend.