Improvisation, Komposition und Sounds der anderen Art
Wayne Krantz im Interview
von Redaktion,
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Wayne Krantz denkt anders, spielt anders und agiert anders beim Spielen. Trotzdem ist seine Musik nicht abgehoben, verkopft oder unhörbar, sondern im Gegenteil extrem Groove-lastig, überraschend und unterhaltsam. So wie es sich für anständigen Fusion gehört.
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Doch die Kategorie „Fusion“ trifft es gar nicht so recht. Klar, die Musik des New Yorkers setzt sich grob gesagt zu gleichen Teilen aus Genre-definierenden Aspekten von Jazz und Rock zusammen, doch hört man in seinem Spiel selten Dinge, die sich eindeutig der einen oder anderen Gattung zuordnen ließen. Trotzdem vereint Krantz in den Aufnahmen mit seinen verschiedenen Trios, die Energie und den Groove des Rock, mit den schrägen Klängen und langgezogenen Improvisationen des Jazz. Allerdings steckt bei ihm ein harmonisch, rhythmisch und melodisch freieres Konzept dahinter, als bei den meisten anderen Protagonisten des Genres.
Krantz Blickwinkel auf improvisierte Musik ist eben – anders. Den Weg zu diesem eigenen Konzept hat der mittlerweile 59-jährige Krantz seit Jahrzehnten bewusst verfolgt und sich sozusagen selbst geebnet. Bis 1979 studierte er am Berklee College of Music in Boston und verdingte sich anschließend als Sideman von Größen wie Michael Brecker, Billy Cobham und Steely Dan, bis er Anfang der Neunziger eine Solokarriere mit seinem ersten eigenen Trio startete. Schon damals war ihm klar, dass er die Sache anders angehen wollte, als man das von einem JazzTrio erwarten würde, und so arbeitete er stetig daran, seinen eigenen Stil zu entwickeln und zu verfeinern.
Hilfreich in diesem Prozess war sicherlich sein festes Engagement in der 55 Bar in New York, wo er bis 2007 jede Woche auftreten, sich nach Herzenslust austoben und seinen Freigeist pflegen konnte. Dabei blieb das Trio immer die von ihm favorisierte Besetzung – zur Zeit ist er mit Schlagzeuger Nate Wood und Bassist Tim Lefebvre auf Tour – und auf der Suche: „Ich habe nie das Gefühl irgendwo angekommen zu sein“, sagt Wayne Krantz im Interview. „Allerdings kann ich sagen, dass ich heute lieber Gitarre spiele als jemals zuvor in meinem Leben. Dieses Gefühl macht mich sehr glücklich.“
INTERVIEW
Wayne, du sagst, dass für dein Empfinden Musikarten wie BeBop oder Blues keine improvisierte Musik seien? Wie meinst du das?
Wayne Krantz: Jede Musik, die sich auf ein bestimmtes Vokabular beruft, ist nicht vornehmlich improvisiert, denn die Improvisation besteht in solcher Musik daraus, kompositorische Ideen neu zu ordnen. Aber es kommt ja eigentlich nur darauf an, wie man Improvisation definiert. Wenn man Licks verwendet, nenne ich das „compositional playing“, weil man etwas spielt, das einem bereits bekannt ist und das man vorher schon mal gespielt hat. Aber Improvisation ist für mich etwas, bei dem du intuitiv etwas entwickelst. Natürlich nicht aus dem Nichts heraus, denn wir alle haben unsere eigene Art zu denken und zu spielen, aber die Energie ist eine andere, wenn etwas spontan entsteht, als wenn etwas reproduziert wird. Und was ich an Jazz mag und warum ich meine Musik auch als Jazz bezeichne, ist, dass er auf Improvisation beruht. Jazz ist Improvisation und muss sich nicht unbedingt der Sprache des BeBop oder des Post-Bop bedienen.
Gibt es in deinem Spiel keine Licks oder Dinge, die du immer wieder spielst oder wenigstens bestimmte Wege, die du bevorzugt auf dem Griffbrett gehst?
Wayne Krantz: Doch natürlich. Alle Musik, nicht nur meine, basiert auf den Grundpfeilern Improvisation und Komposition und es geht darum, die Balance zwischen diesen beiden zu finden. Bedeutet Improvisation, dass keine der Noten jemals zuvor gehört worden ist? Nein, denn es gibt ja nur zwölf. Wenn ich spiele, gibt es immer diese Balance zwischen Dingen, die ich schon einmal gespielt habe und welchen, die auch für mich völlig neu sind. Ich habe einen Fundus an Ideen, aus dem ich mich bediene. Nur die Art wie ich das mache, ist improvisatorischer Natur und die Energie nährt sich aus dem Versuch, Ideen auszudrücken, die ich im Moment des Spielens habe. Das ist der Improvisations-Aspekt in meiner Musik.
Langweilen dich also Leute wie Mike Stern oder Pat Metheny, also compositional player oder Lick-Spieler?
Wayne Krantz: Überhaupt nicht. Es würde mich nie langweilen, einen großartigen Gitarristen spielen zu hören. Aber höre ich mir diese Jungs an? Nein, das tue ich nicht. Das Spiel dieser Gitarristen ist kompositorischer angelegt, als meins, weil sie mehr als ich auf ein bestimmtes Vokabular setzen, das sie verwenden. Das ist ihre Stärke und gleichzeitig ihre Schwäche. Es geht darum, wo man seinen Schwerpunkt setzt und ich sage auch nicht, mein Weg wäre der richtige. Aber ich weiß, dass es der für mich richtige ist und ich mich mit meiner Balance wohlfühle.
Überraschst du dich mit deinem Spiel manchmal selbst?
Wayne Krantz: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. In gewisser Weise ist alles überraschend, sobald man versucht zu improvisieren. Es geht ja schließlich darum, etwas Neues zu finden. Man ist auf der Suche nach einem unbekannten Ort, an dem man sich wohlfühlt. Aber kann man es als Überraschung bezeichnen, wenn man ihn gefunden hat? Ich weiß es nicht. Im Gegensatz dazu kommt es jedoch vor, dass ich mich selbst beim Spielen langweile. Immer wenn mir das bewusst wird, weiß ich, dass ich gerade nicht kreativ genug bin, denn Kreativität ist niemals langweilig.
Wenn man sich auf theoretischer Ebene mit deinem Ansatz beschäftigt, müsste man eigentlich erwarten, dass deine Musik eher so sperrig klingt, wie zum Beispiel die von James Blood Ulmer. Warum ist deine Musik trotzdem zugänglicher?
Wayne Krantz: Na ja, meine Musik basiert zum Großteil auf allseits bekannten, häufig verwendeten Tonalitäten und hat nichts mit einem chromatischen oder freien Konzept zu tun. Bei mir gibt es auch nur Dur-, Moll- und Dominant-Akkorde. Vielleicht kombiniere ich sie manchmal ein wenig ungewöhnlich, aber meine Grundbausteine sind recht konservativ und für jedermann verständlich, einfach weil sich die meisten Pop-Songs der gleichen Klänge bedienen. Ein weiteres Element ist, dass die Band sehr Groove-orientiert spielt und die Songs auf achttaktigen Phrasen basieren. Und all die Spannungen, die wir auf rhythmischer, harmonischer und klanglicher Ebene aufbauen, lösen wir ständig wieder auf. Es vergeht kaum eine Minute, in der die Dissonanz nicht auch wieder zu Konsonanz wird. Unsere Musik ist nicht permanent spannungsgeladen und dissonant. Ich kenne mich mit dem Konzept von James Blood Ulmer nicht so gut aus, aber mein Eindruck ist, dass es dissonanter ist als meins. Andererseits ist er damit, so weit ich weiß, auch erfolgreicher als ich – also kann man nicht unbedingt behaupten, dass seine Musik schwerer zugänglich sei. (lacht)
Ist es schwierig für dich, Musiker für deine Art Kunst zu finden?
Wayne Krantz: Ja, sehr. Sogar in New York ist das nicht so einfach. Es gibt vielleicht drei Bassisten und drei Schlagzeuger, die meine Vorstellungen umsetzen können.
Warum ist das so?
Wayne Krantz: Weil man die Leute darum bittet, auf eine sehr ungewöhnliche Art zu Improvisieren. Das ist keine Alltagssprache. Natürlich gibt es viele tolle Bassisten und Schlagzeuger, aber die müsste ich erst unterrichten. Und dafür haben sie keine Zeit, weil sie genug andere Dinge zu tun haben. Man muss also Leute finden, die von vornherein ähnlich denken und in einer Groovebasierten Umgebung improvisieren können ohne Klischees zu benutzen. Das ist sehr, sehr schwierig. Ich suche Leute mit dem richtigen Sinn für Rhythmus und der Bereitschaft innerhalb der Band auch mal die Rollen zu tauschen. Improvisieren bedeutet bei mir etwas anderes als ein Solo zu spielen. Bei mir geht es darum, in einer kreativen Atmosphäre als Gruppe Musik zu erschaffen. Dabei ist es sogar egal, was für einen Song wir spielen und es ist egal, ob er von mir ist oder nicht. Viel entscheidender ist, wie wir an die Musik herangehen. Wie man etwas spielt, ist wichtiger als was man spielt.
Ihr improvisiert aber nicht über vorgegebene Akkordfolgen, oder?
Wayne Krantz: Nein. Ich habe ziemlich früh herausgefunden, dass ich nur Klischees bekomme, sobald ich Akkorde aufschreibe und sie einem Bassisten gebe. Deswegen verwende ich keine Akkordsymbole. Manchmal gebe ich ein tonales Zentrum vor, aber auch das kann schon zuviel sein. Wenn man einem Bassisten sagt: Wir spielen irgendetwas mit A als Basis, wird er in den meisten Fällen einen Groove mit dem Grundton A spielen. Und das ist wie ein Gefängnis, wenn man versuchen will, kreativ zu sein. Was ich mit „A“ meine, ist, dass alle Spannung die wir erzeugen, sich wahrscheinlich nach „A“ auflöst, meistens jedenfalls. „A“ ist also mehr Ziel als Ausgangspunkt. Dafür Musiker zu finden ist nicht leicht, weil dieser Ansatz in keiner anderen Musikrichtung praktiziert wird.
Die Songs sind also nur Startpunkte für eure Improvisation.
Wayne Krantz: Ja, oder Mittel- oder Endpunkte. Wir folgen ja nicht diesen im Jazz verwendeten Strukturen, wo die Improvisationen auf den Akkorden des Themas aufbauen. Bei uns hat die Improvisation oft rein gar nichts mit der Komposition zu tun. Aber wir brauchen irgendetwas Komponiertes, auf dem wir aufbauen können. Wenn alles improvisiert ist, funktioniert es nicht.
An deinem Spiel fällt auf, dass du Singlenote-Linien stetig und sehr flüssig mit Akkorden kombinierst. Siehst du diese Voicings als Bestandteil der Melodie oder sind die Singlenotes eher dazu da, die Akkorde miteinander zu verbinden?
Wayne Krantz: Für mich ist das alles eins. Melodien und Harmonien sind beides Ausdruck einer bestimmten Tonalität oder Farbe. Melodien erzeugen Farben mittels einer Kombination von Einzelnoten, bei Harmonien geschieht dies durch mehrere gleichzeitig gespielte Töne. Wenn ich eine bestimmte Tonalität im Kopf habe, ist es mein Ziel diesen Sound zum Ausdruck zu bringen, und ob ich das anhand nacheinander oder simultan gespielter Noten erreiche, spielt keine Rolle. Ich muss keinen Schalter im Kopf umlegen, denn ich denke permanent in Tonalitäten. Der Ursprung dieses Ansatzes war, dass ich nach Möglichkeiten gesucht habe, den Sound in einem Trio dichter zu machen. Dieser Trio-Sound, bei dem Gitarre und Bass fast durchgehend Singlenotes spielen, war mir immer zu dünn. Dadurch kam ich automatisch dazu mehr Akkorde zu verwenden.
Du legst in deinem Spiel sehr viel Wert auf abwechslungsreiche Rhythmik. Wie hast du das entwickelt?
Wayne Krantz: Das einzige, an dem ich gearbeitet habe, war, meine Ideen besser in-time spielen zu können und die Noten sorgfältig zu platzieren. Denn Groove ist das Gefühl, das du mit der Platzierung deiner Noten erzeugst. Ich habe mich immer schon für Rhythmik interessiert, mich aber nie speziell damit beschäftigt. In der Zeit als ich beschloss, meinen eigenen Stil entwickeln zu wollen, wusste ich, dass ich kein Klon von Pat Metheny, Mike Stern oder John Scofield sein wollte. Vielmehr wollte ich herausfinden, wer ich bin. Dabei wurde der rhythmische Aspekt zum Mittelpunkt meiner Suche, weil ich mich damit von Anfang an identifizieren konnte, ohne es lernen zu müssen. Woher das kam, weiß ich nicht, aber ich sagte mir: Alles was ich ab jetzt spiele, basiert auf Rhythmus. Damit wurde Rhythmik zur Basis meiner Spielweise.
Die Gitarristen, die du genannt hast, wie Stern, Metheny, Scofield oder auch Bill Frisell haben GitarrenSounds mit hohem Wiedererkennungswert. Das ist bei dir nicht so. Du verwendest ungewöhnliche Effekte und spielst mit sehr verschieden starken Verzerrungen. Willst du verhindern, immer gleich zu klingen?
Wayne Krantz: Ich denke, der Sound, der mich ausmacht, ist der, den meine Hände auf der Gitarre erzeugen. Wie dieser Sound dann verstärkt wird und durch welche Effekte er geht, ist eine andere Sache. Bei den meisten Gigs verwende ich gemietetes Equipment und muss somit jedes Mal aufs neue herausfinden, wie ich es überhaupt zum Klingen bringen kann. Mike Stern oder Eric Johnson haben jeden Abend das gleiche Equipment zur Verfügung und wenn das über eine bestimmte Zeit der Fall ist, wird es auch ein Teil der Identität deines Sounds. Für mich gehört zur Improvisation aber auch, wechselndes Equipment kreativ einzusetzen. Mir macht es Spaß, für einen guten Sound richtig arbeiten zu müssen.
Hast du irgendwelche Ziele oder Pläne, an was du in der nächsten Zeit arbeiten willst?
Wayne Krantz: Ja. Es gibt immer noch Momente, wo ich etwas in mir höre, es aber nicht auf die Gitarre übertragen bekomme. Das zeigt mir, dass die Verbindung zu meinen Ohren noch nicht ausgeprägt genug ist. Deswegen ist mein Hauptanliegen im Moment, diese Verbindung weiter zu stärken. Das unterscheidet sich natürlich sehr vom Lernen und Üben von Skalen oder dem Studieren von Harmoniefolgen. Ich habe damit vor vier Jahren angefangen, bin also noch eher ein Anfänger auf diesem Gebiet. Aber ich komme immer näher an diesen Punkt heran. Und mir geht es nicht darum, ob ich gut spiele oder nicht, sondern darum, eine Verbindung mit mir selbst herzustellen. Solange mir das gelingt, ist alles gut.
Du spielst also eher für dich selbst als für das Publikum?
Wayne Krantz: Nein, das würde ich nicht sagen. Ohne das Publikum würde ich gar nicht auf die Bühne gehen. Ich spiele für das Publikum, aber was ich spiele, liegt ganz bei mir. Ich spiele was ich höre und gebe dabei mein bestes, es so auszudrücken, dass das Publikum es versteht und es ihnen Spaß macht mir zuzuhören. Wenn ich das nicht schaffe, habe ich versagt.
TIM LEFEBVRE
Wayne Krantz’ letztes Album datiert auf den 18. November 2014 und ist ein waghalsiges Projekt. Unter dem Titel ,Good Piranha/Bad Piranha‘ (Abstract Logix) werden vier Cover-Songs aus der Elektronik/Pop-Ecke jeweils von zwei unterschiedlichen Trio-Besetzungen gespielt. Mit dabei in „Trio 2“ mit Schlagzeuger Nate Wood, ist Tim Lefebvre, herausragender Bassist und langjährigster Begleiter von Wayne Krantz. Lefebvre ist einer der wenigen Bassisten, die das musikalische Konzept des Gitarristen verstehen und umsetzen können – und gleichzeitig ist der New Yorker so wandelbar, dass er den Pop-Jazz von Chuck Loeb, Bill Evans und Till Brönner genauso bedienen kann wie die Vorstellungen von Blues-Rock-Musikern wie Derek Trucks & Susan Tedeschi, Shredder John Petrucci und zuletzt David Bowie. Lefebvres Mitwirken an Bowies letztem Album ,Blackstar‘ war beim Treffen mit dem Bassisten im Dezember letzten Jahres noch nicht bekannt, weshalb wir uns leider nur auf die Effekte des 48-jährigen beschränken.