„Ich glaube, dass es keinen einzigen echten Amp auf dem ganzen Album gibt.“
Von Level zu Level: Polyphia im Interview
von Julius Krämer,
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(Bild: Travis Shinn)
Kaum eine instrumentale Band löst gerade online eine derartige Euphorie aus wie das Quartett aus Texas. Aus der Djent-Szene entsprungen, sind Polyphia seit dem visionären ‚New Levels, New Devils‘ von 2018 eins der Aushängeschilder der modernen Gitarrenszene. Statt Shredding zum Selbstzweck legt die Band dabei mehr Wert auf geschmackvolle Einflüsse aus dem US-Trap, worüber die Gitarristen Tim Henson und Scott LePage selten gehörte, cleane Riffs aus Hybrid-Picking und Tapping-Harmonics spielen – höchstes technisches Niveau trifft dabei auf süße Pop-Melodien.
Anlässlich ihres neuen Albums ‚Remember That You Will Die‘haben wir mit Gitarrist Scott und Bassist Clay Gober über elektrische Nylon-Gitarren, die Magie des ersten Takes und die Zusammenarbeit mit Steve Vai gesprochen.
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(Bild: Travis Shinn)
INTERVIEW
Clay und Scott, euer Hype ist real. Überfordert es euch, oder genießt ihr es, eine der innovativsten Gitarrenbands der letzten Jahre zu sein?
Scott: Der Hype ist verrückt, muss ich schon sagen. Es ist einfach cool, zu sehen, wie so viele Menschen das aufgreifen und verstehen, was wir ausdrücken wollten. Wir schreiben wirklich nur die Musik, die wir selber gerne hören würden. Vielleicht ist das die Art, durch die wir so einzigartige Dinge herauskriegen. Wir versuchen, Gitarrenriffs über andere Musikstile zu legen. Nimm zum Beispiel einen Hip-Hop-Song oder einen The-Weeknd-Song. Da gibt es auch ein Gitarrensolo, fast schon so ein 80s-Metal-Shred-Ding. Also da findet man auch Gitarren, aber die Art, wie wir Parts schreiben, ist ganz anders. Tim hat fast schon einen Flamenco-Stil, während ich einfach Metal mag.
Wie kombinieren wir also diese beiden Dinge in einer geschmackvollen Art und Weise? Das ist immer das Wichtigste: Es geschmackvoll klingen zu lassen. Wenn es sich nicht richtig anfühlt, arbeiten wir weiter daran. Alles, was man auf unseren Alben hört, ist in der Regel sehr gut durchdacht. Wir gehen durch diverse Versionen eines Songs, bevor ihn jemand hört. ‚Ego Death‘ mit Steve Vai zum Beispiel ging durch drei oder vier verschiedene Stationen, bevor er zu dem wurde, was er jetzt ist.
Von außen beobachtet sieht es so aus, als ob ihr alle vier in den letzten Jahren eine ähnliche Entwicklung von Metal zu mehr Einflüssen aus Pop und Hip-Hop gemacht hättet.
Scott: Ich weiß nicht, wie andere das machen, aber wenn wir ein Album herausbringen, höre ich es dauernd, bis wir das nächste machen. Und währenddessen versuche ich, alle Dinge herauszusezieren, die ich mir wünschte, gemacht zu haben. Oder auch auf die Dinge zu hören, die ich mochte. Nachdem ‚New Levels, New Devils‘ erschienen ist, dachte ich innerhalb von einer Woche: Mist, ich wünschte, ich hätte dieses und jenes neu aufgenommen, etwas geändert oder anders geschrieben. Aber wenn ich einen Song zwanzigmal neu geschrieben hätte, würde das Ewigkeiten dauern.
Wir würden wahrscheinlich nie irgendetwas veröffentlichen. Du musst also einfach etwas machen und dann damit leben. Das hat mich gelehrt, es in den meisten Fällen direkt am Anfang besser zu machen. Weil ich weiß, dass der erste Take direkt die Demoitis auslöst. Man hört es dann so oft, dass man die Dinge nicht mehr ändern will. Und immer, wenn man es neu aufnimmt, denkt man, dass es nicht so gut war wie beim ersten Mal. Egal wie oft man es versucht. Es ist dann meine Verantwortung, es beim ersten Mal einfach gut zu machen. Wenn ich einen Ton verhaue, hätte ich wohl einfach besser üben sollen.
Scott, wie sieht dein Schreibprozess aus? Spielst du einfach nur rum, oder gibt es bei dir gewisse Muster?
Scott: Wir hatten definitiv Wege und Formeln, auf die wir zurückgreifen konnten, wenn wir nicht weiterwussten. Ich habe immer meinen Ordner mit vorgefertigten Beats, Akkordfolgen und so, die ich immer in ein Projekt werfen kann. Aber wenn ich wirklich am Hadern mit einem Part bin, nehme ich mir gerne einen Moment, um mich hinzusetzen, mir Musik anzuhören und inspiriert zu werden. Auf der technischen Seite gibt es aber auch Wege, um aus einer kleinen Schreibblockade herauszukommen. Meistens sitzen Tim und ich aber nur rum und schicken uns Riffs hin und her, an denen wir dann weiterarbeiten und es wieder zurückschicken.
Das Interessante ist, dass wir natürlich unterschiedliche Dinge hören und fühlen. Tim nimmt dann etwa mein Riff und verschnellert es um 20 BPM und verändert die Akkordfolge. Was Tim auch liebt, ist, wenn ich ein cooles Riff von uns nehme und es nach Dur verändere. (lacht) Es klingt dann nach einem völlig anderen Song. Es funktioniert nicht immer, weil manches nur in Dur oder nur in Moll gut klingt. Aber manchmal klappt es, und das ist dann verdammt cool. Und Moll spielen wir so häufig, wodurch mein Gehirn manchmal in so eine Art Autopilot kommt und ich immer nur das spiele, was ich immer spiele. Solche Dinge auszuprobieren und zu schauen, welche kleinen Übungen funktionieren, dich kreativer zu machen, hilft sehr.
Welche Bässe hast du auf dem Album gespielt, Clay?
Clay: Hm, wir haben so lange für dieses Album gebraucht. Auf den meisten Songs habe ich meinen Ibanez SR5005 benutzt. Auf ‚Ego Death‘ vielleicht auch einen meiner Ibanez ATKs. Die werden auch gar nicht mehr hergestellt, es ist eines dieser Modelle aus den 90ern oder 2000ern.
Ihr hattet in eurer Diskografie die High-Gain- schon gegen Clean-Sounds eingetauscht. Jetzt spielt ihr sogar auf elektrischen Nylon-Gitarren, etwa in ‚Chimera‘ oder der Lead-Single ‚Playing God‘. Tim Henson hat mit so einem Modell kürzlich sogar seine zweite Signature-Gitarre von Ibanez vorgestellt. Was ist die Geschichte dahinter?
Scott: Das ist witzig. Wir waren auf Tour in Europa, ich glaube zu dem Zeitpunkt in Köln. Und Tim ging in einen Musikladen und fand eine elektrische Nylon-Gitarre von Ibanez. Und er dachte nur: Was zum Teufel ist das? Er kaufte die Gitarre und brachte sie zu uns ins Hotel. Als wir dann in Prag waren, hat er die Gitarre dauernd gespielt. Wir haben nämlich immer unser kleines Aufnahme-Setup dabei: Unsere Laptops, Audio-Interface und so. Damit wir einfach unsere Gitarren einstecken und loslegen können. Das hat Tim dann auch gemacht und ein Riff geschrieben. Daraus hat er dann eine Instagram Story oder so gemacht. Er hat sich direkt in die Gitarre verliebt. Ich weiß noch, als er sie mir zeigte und ich dachte: Wow, das ist echt cool.
Er hat dann Ibanez geschrieben und gefragt, was zum Henker denn diese Gitarre sei. Es handelte sich wohl um ein gescheitertes Experiment aus den 80ern oder 90ern. Damals wollten halt alle nur shredden. Aber Tim und die Gitarre haben direkt wunderbar harmoniert. Auf ‚Chimera‘ habe ich zuerst den Metal-Kram geschrieben und es Tim geschickt, und zurück kam der Nylon-Part. Das, was jetzt das Intro und der Chorus ist. Ich fand das ziemlich cool, weil wir damit wirklich zwei Welten verbinden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir durch das Hin- und Herschicken von Musik etwas komplett Abwegiges erreichen. Irgendwie hat es funktioniert. Und jetzt hat er die Ibanez TOD10N, seine neue Signature.
Welche Gitarren spielst du auf dem Album?
Zum einen spiele ich einen der Protoypen von Tims Gitarre in Sunburst, etwa im Musikvideo von ‚Playing God‘. Dann die SLM10, meine rote Signature von Ibanez. Die hat viele Auftritte auf dem Album. Ich habe eine goldene Custom aus dem ‚Neurotica‘-Video mit zwei Humbuckern, wodurch ich einen etwas anderen Sound kriege. Dann eine Siebensaiter, die x-förmige Ibanez Xiphos, die echt badass ist. Die Signature-Gitarre von Fredrik Thordendal von Meshuggah, die Ibanez FTM33, die eigentlich meinem Vater gehört.
Er lässt die einfach immer bei mir, weil ich die dauernd spiele. Und dann noch ein paar RGs, zum Beispiel eine Achtsaiter. Und die Kakerlake! Auch eine AZ, sie hat die gleiche Farbe wie der braune Lamborghini von Travis Scott, der einfach wie eine Kakerlake aussieht. (lacht) Ich toure mit der Gitarre als Backup und im Studio ist sie eines meiner Hauptinstrumente. Es ist eine Prestige, also spielt sie sich unglaublich, klingt super und fühlt sich toll an. Ich habe zwei davon.
Welche Amps habt ihr gespielt?
Scott: Ich glaube, dass es keinen einzigen echten Amp auf dem ganzen Album gibt. Eigentlich habe ich das nötige Equipment, einen echten Amp zu verkabeln und ihn aufzunehmen. Ich habe es aber einfach nicht gemacht. Es ist so viel einfacher, digital zu editieren. Du nimmst einfach ein trockenes Signal im Computer auf und legst darüber das, was du willst. Also keine echten Amps und Speaker, nur Plug-ins.
Clay: Unser Arbeitsprozess ist auch so chaotisch, dass oft noch später Dinge verändert werden. Wenn wir also noch drei Monate übrighätten, um alles neu aufzunehmen, würde es anders klingen.
Scott: Das wäre auch gar nicht unser Stil: Alle Songs zu schreiben, ein komplettes Album zu haben und dann zu sagen: Okay, jetzt nehmen wir alles nochmal neu auf. Es gibt so viele besondere Momente auf dem Album. Ich habe oft versucht, sie neu aufzunehmen, aber ich gehe immer wieder zurück zum originalen Take.
Clay: Du verlierst einfach das Mojo.
Scott: Es klingt vielleicht sauberer und ausgereifter, aber die Emotion und die Magie stecken einfach immer im ersten Take. Was ich schon sagte: Stelle sicher, dass du es beim ersten Mal direkt richtig machst. Außerdem nehmen wir eh viel Kram mit unserem Apogee Duet 2 auf, ein kleines Audio-Interface. Wir stecken also wirklich nur unsere Gitarre in eine Art riesigen iPod rein, im Tourbus mitten im Nirgendwo. Dadurch entstehen bei uns die Ideen. Der Großteil von ‚New Levels, New Devils‘ wurde auf Tour geschrieben. Daran sind wir einfach gewohnt, das funktioniert am besten.
Welche Plug-ins habt ihr benutzt?
Scott: Wir haben viel mit Tims Archetype-Plug-in von Neural DSP gespielt. Das ist wirklich einfach nur „plug and play“, es klingt fantastisch. Die meisten, wenn nicht alle von Tims Gitarrenparts wurden mit diesem Plug-in gespielt. Viele von meinen auch. Und ich glaube, ich habe manchmal auch BIAS Amp von Positive Grid benutzt.
Clay: Den Bass habe ich mit Neural DSP Parallax aufgenommen.
Wie sieht es live aus?
Scott: Noch mehr Neural-DSP-Kram: Wir spielen alle den Quad Cortex. Man programmiert die Dinger, um über Ableton und Midi die Sounds zu verändern, und muss dann keinen Stepptanz mehr aufführen. Es ist großartig und funktioniert fantastisch. Außerdem hat es uns erlaubt, mehr Effekte zu benutzen. Obwohl unsere Musik so technisch ist, haben wir es immer sehr einfach gehalten, was Effekte angeht. Wir wollten nicht zu viele Pedale drücken und dabei Töne verhauen. So können wir jetzt die Effekte aus den Studioversionen auch live spielen und trotzdem alle Töne erwischen. (lacht) Ich liebe es.
Welche Amp-Modelle spielt ihr auf dem Quad Cortex?
Scott: Keinen blassen Schimmer, Mann. Wir haben diesen Typen, er heißt Joe, und er hilft uns mit diesem Kram. Er hat das alles für uns möglich gemacht, hat alle unsere Sounds eingerichtet und uns gezeigt, wie wir sie mit Ableton programmieren. Das hat es uns sehr erleichtert. Und es klingt toll. Shoutout an Joe.