Vom Nebenprojekt zum Geheimtipp: Zu Gast bei Skervesen Guitars
von Peter Geltat,
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(Bild: Peter Geltat)
Es ist 2010, in der Nähe von Danzig, Polen: Jarek Konkol beschließt, eine Custom-Gitarre für einen Freund zu bauen – freilich nicht seine erste. Jarek hat Erfahrung, zuvor war er 12 Jahre lang Gitarrenbauer, danach Möbelbauer und arbeitete schon mit CAD- und CAM-Technologie. Die Geschäfte in seiner Hauptfirma laufen gut. So gut, dass er in der Produktion nicht mehr gebraucht wird. Und so ist es eine Mischung aus Langeweile und Passion, die ihn dazu bewegt, all seine Fähigkeiten zu bündeln und mit dieser Gitarre sich selbst und andere zu überraschen – der Startschuss für Skervesen Guitars.
Zu dieser Zeit waren siebensaitige Custom-E-Gitarren bei einer kleinen aber leidenschaftlichen Gruppe von Gitarren-Fans sehr angesagt. Das Exemplar, das Jarek seinem Bekannten auf den Leib schneiderte, gelang ihm sehr gut und kam super an. Dennoch bat Jarek den Mann, keine Bilder der Gitarre im Internet zu veröffentlichen. Irgendwie landete sie dennoch im Gitarrenforum „SevenString.org“ und wurde sofort zu einem Trendthema. Die Leute wollten dringend wissen, wo sie eine solche Gitarre bekommen konnten.
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Als mehr Infos über die Qualität und die gute Bespielbarkeit durchsickerten, stieg die Nachfrage immer weiter, bis Jarek beschloss, aus seinem Nebenprojekt doch ein eigenes Unternehmen zu machen: Skervesen Guitars. Der Rest ist Geschichte – eine Erfolgsgeschichte, denn auch mehr als zwölf Jahre später wächst stetig die Zahl der Bestellungen und hinter Jarek ist ein Team gewachsen, das ihn dabei unterstützt, maßgeschneiderte Gitarren für Kundschaft aus aller Welt zu realisieren.
EXKLUSIVER EINBLICK
Trotz des Wachstums ist die Gitarrenfabrik Skervesen bis heute unscheinbar geblieben. Das Werk befindet sich an einem geheimen Ort mit einer unbekannten Anzahl von Mitarbeitern, aber an einem kalten Nachmittag im Frühjahr 2022 wurde mir die Ehre zuteil, die Fertigungsstätten zu besichtigen. Jarek höchstpersönlich begrüßte mich freundlich an der Tür. Als ich die Werkstatt betrat, wurde ich direkt vom Geruch frisch geschnittenen Holzes umhüllt. Die Arbeiter bewegten sich leise zwischen den Maschinen im weichen, gelblichen Dunst des Sägemehls. Dieser Teil der Werkstatt war in verschiedene Stationen unterteilt: Holzeingang, Zuschnitt, Stationen für Korpus-, Hals- und Deckenbearbeitung, CNC fürs Schleifen und Bundieren, dazu eine Lackierkabine, die Trockenkabine und die Hauptbüros. Jarek stellte mir Bartek vor, der mich Schritt für Schritt durch den Bauprozess führte.
DER BAUPROZESS
In der hinteren Ecke der Halle lagern die Hölzer, fein säuberlich nach Sorten geordnet. Skervesen verfügt über einen beeindruckenden Vorrat an exotischen Hölzern, darunter Black Limba, Mahagoni, Esche, Ahorn, Redwood (dieses Jahr neu), Weide, Birne und viele andere. Einige Holzarten werden momentan rar und immer teurer, Skervesen hat viele schöne Optionen auf Lager. Wenn eine Gitarre bestellt wird, wird das gewünschte Holz, etwa für spektakuläre Decken oder mehrstreifige Hälse, handverlesen, auf die richtige Größe zugeschnitten und dann zusammengeleimt.
An der Body, Neck- und Top-Station zeigt sich, dass Bartek ein echter Visionär ist. Er hat ein besonderes Talent dafür, ein Stück Holz in der Hand zu halten und sich das fertige Aussehen des Instruments vorzustellen. Begeistert blätterte er vor meinen Augen durch Zuschnitte von Decken und konnte mir erklären, wie jede einzelne nach der Bearbeitung und Lackierung aussehen würde. Manchmal werden bei Skervesen auch löchrige bzw. strukturierte Deckenhölzer, wie z.B. Buckeye- oder Poplar-Burl, mit Kunstharz in Wunschfarbe(n) aufgefüllt, um ein einzigartiges Design zu schaffen.
Dieser Trend ist von „Resin Art“ inspiriert, einer dekorativen Technik, die vor allem aus dem Möbelbau bekannt ist. Barteks Spezialität ist es dabei, gezielt Holz auszuwählen, das im Zusammenspiel mit dem Epoxidharz und dem späteren Finish ein tolles Muster ergibt und auch farblich dem Kundenwunsch entspricht. Ein anderer Kollege ist Experte für die individuelle Rezeptur und die Verarbeitung des Harzes.
(Bild: Peter Geltat)
Es ist klar, dass Jarek für jeden Teil des Prozesses Spezialisten hat, und Bartek war nur mein erstes Beispiel für das enorme Talent, mit dem diese Gitarren gebaut werden. Ob nun Resin-Art-Body oder eine klassische Holzkonstruktion – noch bevor die ersten Schnitte oder Fräsungen an einem Korpusrohling gemacht werden, wird das Werkstück bereits mit einem hohen Maß an Sorgfalt selektiert und vorbereitet. Erst dann können die Teile zusammengeleimt und zum Aushärten beiseitegelegt werden, bevor sie an die CNC-Maschine gehen. Schon an dieser Stelle zeigt sich eine wesentliche Stärke gegenüber der Massenproduktion.
VARIANTENREICHTUM
Und obwohl hier in kleinem Stil und auf Bestellung gebaut wird, bietet Skervesen eine durchaus beeindruckende Auswahl an Basismodellen: 15 Gitarren und fünf Bässe, darunter zwei Headless-Gitarren und ein Headless-Bass, deren Ausstattungsmerkmale bis auf wenige Einschränkungen frei auf die persönlichen Vorlieben anpassbar sind.
Zu den Custom-Optionen gehören neben Hölzern und Finishes auch verschiedene Kopfplatten-Designs, Deckenstärken von sechs bis 17mm, Lefthanded- und Multiscale-Varianten, Brücken, Inlays und vieles mehr. Allein daraus ergeben sich bereits unzählige bestellbare Konfigurationen, und dennoch bleibt zusätzlich die Möglichkeit einer kompletten Sonderanfertigung.
Von allen Formen ist die „Raptor“ der Bestseller. Das Design der Gitarren ist aber nicht nur eine ästhetische Erwägung, sondern auch eine praktische. Die „Nebelung“, eine etwas spitzere Version der Raptor, hat einen dreiteiligen Korpus mit steiferem Holz in der Mitte, was zu einem spezifischeren Klang führt. Jarek ist der Mastermind hinter den Formen, ein Meister an der CNC-Maschine und macht die gesamte Entwicklungsarbeit mit CAD-Software.
Die Korpusse, Griffbretter, Halsprofile, geschnitzte Decken, Fasen, spezielle Tonabnehmer- und Stegaussparungen sowie Griffbrettradien – alles kann auf Wunsch in Perfektion CNC-gefräst werden.
Spezielle Halsprofile, Finishes und Montage auf Seite 2 …
SPEZIALGEBIET: HALS
Um selbst bei Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen die optimale Stabilität ihrer Gitarren- und Basshälse zu gewährleisten, setzt Skervesen standardmäßig auf eine fünfstreifige Halskonstruktion. Ganz im Sinne eines Custom-Shops sind aber natürlich auch Sonderanfertigungen von ein- bis neunteiligen Hälsen drin. Der größte Teil der Kundschaft kommt aus dem modernen Metal-Bereich und bevorzugt typischerweise einen steiferen Hals, um einen präsenteren und helleren Sound zu erzielen.
In der Produktion werden die Skervesen-Halsrohlinge zunächst mit einem groben, genormten Halsprofil als Ausgangspunkt versehen und anschließend zum Ruhen beiseitegelegt, damit sich das Holz setzen kann. So vermeidet man böse Überraschungen, denn falls das Holz noch arbeitet, könnten zu rasch fertiggestellte Hälse sich später verziehen oder instabil werden. Ausreichend abgelagerte Hälse gelangen im Anschluss zu den Schleifstationen, wo es für Individualisten nun besonders interessant wird:
Ein Steckenpferd von Skervesen sind bemerkenswerte, leicht asymmetrische Halsprofile, die an die jeweilige Bauform des Instruments, die Anzahl der Saiten, aber auch an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden können. Sechssaitige Halsprofile sind etwas symmetrischer, während die sieben- und achtsaitigen Hälse deutlich asymmetrisch geschliffen sind. Die Designs sind so optimiert, dass sie sich beim Spielen in jeder Lage möglichst angenehm anfühlen. Für Sieben- und Achtsaiter wird ein spezielles asymmetrisches Profil namens „DAT Neck“ angeboten, das Extended-Range-Fans eine noch flachere Oberfläche bietet, um den Daumen in der richtigen Position zu halten.
Bild: Peter Geltat
Dank CAD-Software und CNC-Fräse können Griffbretter aus gleich mehreren Materialien und mit kunstvollen (Lum-)Inlays realisiert werden.
Bild: Peter Geltat
Dank CAD-Software und CNC-Fräse können Griffbretter aus gleich mehreren Materialien und mit kunstvollen (Lum-)Inlays realisiert werden.
An einer gesonderten Station werden die Griffbretter mit Markern, Side-Dots und Inlays versehen. Standard-Griffbrettmarkierungen sind Luminlay-Punkte in Tangentenform oder Z-Form, Offset-Punkte und Luminlay-Blöcke. Kundenspezifische Inlay-Wünsche werden hier ebenfalls verwirklicht. An der Bundierstation kommt es zur Hochzeit mit den fertig geschliffenen Hälsen, hier werden die Griffbretter vor dem Einsetzen der Bünde aufgeleimt.
FINISH & ENDMONTAGE
Die geschliffenen Korpusse wandern derweil zur Beiz- und Lackierstation, wo erfahrene Lackierer in verschiedenen Verfahren sowohl haptisch angenehme, matte Finishes als auch brilliante Hochglanzlackierungen umsetzen.
Bild: Peter Geltat
Seidenmatte Handschmeichler-Finishes
sind ebenso möglich
wie strahlende Burst-Lackierungen.
Bild: Peter Geltat
Seidenmatte Handschmeichler-Finishes
sind ebenso möglich
wie strahlende Burst-Lackierungen.
Skervesen bietet eine Basis-Farbpalette an, aber auch individuelle Farben sind möglich. Spektakuläre Maserungen müssen sich nicht hinter deckenden Lackierungen verstecken, können vor dem Finish farbig gebeizt werden, und auch Bursts sowie Matching-Headstocks gehören zum Repertoire der Firma. Nach der Lackierung kommen die Instrumente zum Aushärten in eine Trockenkabine, wo sie hinter Kunststoffbarrieren geschützt ruhen.
Danach geht es auf die andere Seite des Gebäudes, wo die Endmontage stattfindet. Bartek übergibt für den Rest der Werksbesichtigung an Dariusz, der mir einen großzügigen, ruhigen Werkstattbereich mit Werkbänken zeigt, daneben ein kleines Büro und der Bereitstellungsbereich für den Versand. Hier sind die Arbeiter für die Endfertigung untergebracht, die letzte Setup-Schritte am Hals, die Montage der Komponenten und Hardware sowie die abschließende Kontrolle vornehmen und dann die Instrumente für den Versand verpacken.
Die abschließenden Arbeiten nehmen viele Stunden oder gar Tage in Anspruch. Die Gitarrenbauer verbringen viel Zeit damit, jedes Instrument zu verfeinern und bei jedem Arbeitsschritt die Qualität zu überprüfen. Dariusz zeigt mir an seinem Arbeitsplatz, wie die Bünde, allesamt aus Edelstahl, mit speziellen Aluminiumblöcken sorgfältig von Hand abgerichtet werden. Jede Griffbrettoberfläche ist anders, da der Radius von Hand geschnitzt wird.
INNOVATIONSGEIST
Sättel werden ausschließlich aus Rohlingen der Firma Graph Tech hergestellt. Das „String Compensation System“ ist ein von Skervesen entwickeltes SaitenabstandsSystem, eine Berechnung, die bei der Platzierung der Saiten am Sattel die tatsächlichen Saitenstärken berücksichtigt. Diese Lösung soll das Spielgefühl verbessern, den Übergang zwischen den Saiten natürlicher machen und die Intonation von Multiscale-Instrumenten verbessern.
Die Saitenkompensation wird für jedes Instrument speziell berechnet und gemessen, da es bei jeder Gitarre oder jedem Bass während des Herstellungsprozesses zu leichten Abweichungen kommen kann. Die Saiten mögen optisch leicht schief erscheinen, aber das ist völlig beabsichtigt und zeugt von enormer Liebe zum Detail. Die Saitenlage kann extrem niedrig eingestellt werden, ohne dass die Intonation und Artikulation beeinträchtigt werden.
Skervesen Guitars bietet Tonabnehmer von Bare Knuckle, Lundgren, Fishman, EMG und DiMarzio an. Die derzeit beliebteste Bridge kommt aus dem Hause Hipshot, aber auch Stege von ABM, Gotoh, Evertune, T4M oder Floyd Rose sind erhältlich. Im Zusammenhang mit den Pickups bleibt noch eine der beliebtesten Custom-Optionen von Skervesen zu erwähnen: Der „World Domination Mod“. Dabei handelt es sich um eine spezielle Schaltung, die hochwertige Potis und zwei 3-Wege-Schalter mitbringt. Mit einem wählt man den Tonabnehmer an und mit dem zweiten aktiviert man einen Humbucking-, Coil-Split- oder Acoustic-Mod. Letzterer schaltet nicht auf einen echten Piezo-Pickup um, erzeugt aber einen durchaus Acoustic-ähnlichen Sound.
ZIELGERADE
Nach Endmontage, Setup und Kontrolle werden die Gitarren und Bässe noch ein abschließendes Mal poliert, sicher in hochwertigen Hardcases und Kartons verpackt, und schließlich verschickt. Während des gesamten Prozesses werden Bilder an die Kundinnen und Kunden geschickt, damit sie stets wissen, in welchem Stadium sich ihr Instrument befindet. Der gesamte Prozess dauert in der Regel mindestens ein Jahr. Basierend auf der Bauzeit gibt es übrigens monatliche bzw. geviertelte Zahlungsmodelle, oder aber die Möglichkeit einer 40%-Anzahlung.