Die Produktion ihres jüngsten Albums ‚Heavy Hymnal‘ fiel mitten in die Pandemie und zwang auch das Blues/R&B-Quartett Vintage Trouble aus Los Angeles zu einer komplett neuen Form der Produktion. Für Gitarrist Nalle Colt im Nachhinein ein Glücksfall, denn so konnte sich der gebürtige Schwede intensiv mit seinen Gitarrensounds beschäftigen – was auch massive Auswirkungen auf sein aktuelles Equipment hatte.
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INTERVIEW
Nalle, du hast im letzten Interview mit GITARRE & BASS gesagt, dass man aus einer Les Paul bei bestimmten Einstellungen einen fast Telecaster-artigen Sound bekommt. Ich habe das gerade ausprobiert. Es ist mir aber nicht gelungen.
(lacht) Okay, den Superspanky-Ton einer Tele kriegst du nicht zu 100% hin. Aber wenn du einen Treble Booster oder etwas Ähnliches benutzt – in meinem Fall ein Pedal namens Cruiser der Firma Lazy J –, kannst du dem schon nahe kommen. Das Cruiser ist eine Mischung aus Booster und Overdrive. Ich habe es eigentlich immer an. Mit aufgerissenen Volume-Potis bekommst du einen richtigen Les-Paul-Sound, aber wenn du zurückdrehst … Ich habe im Studio für dieses Album Overdubs mit einer Telecaster gemacht. Wenn ich es live nutze, kann ich dasselbe Feel bekommen, wie wenn ich mit einer Tele spiele. Und das auf einer Les Paul.
Nun zu ‚Heavy Hymnal‘. Wie viele andere Künstler hattet auch ihr bei den Aufnahmen mit der Pandemie zu kämpfen.
Sie ging gerade los, als wir loslegen wollten. Wir hatten den Produzenten getroffen, Chris Seefried, er hatte sich eine unserer Shows angesehen und wollte die Platte produzieren. Ungefähr zu dieser Zeit gab es in Kalifornien einen riesigen Lockdown, alle waren quasi eingesperrt. Aber wie du weißt, haben sich die Zeiten in Sachen Recording geändert. Ich habe ein kleines Heimstudio, wo ich alleine für mich Aufnahmen machen kann. Die Geräte sind heute einfach sehr gut. Wir mussten die gesamte Produktion über das Internet machen und alles auf separate Tracks aufnehmen. Jeder kaufte sich ein gutes Mikrofon und sang seine Parts zuhause ein. Das ist das am meisten getrennte Album von allen, die wir gemacht haben. Aber das Ergebnis ist wirklich gut geworden. Großen Dank an unseren Produzenten, der alles zusammengebracht hat. Ich hatte vorher schon viel im Studio gearbeitet, aber ein komplettes Album so zu machen, ist etwas anderes. Schließlich musste ich dieses Mal alle meine Gitarrenaufnahmen selbst koordinieren.
Wie hast du aufgenommen? Hast du die Amps mikrofoniert oder eher digital mit Plug-ins gearbeitet?
Alles. Eine riesige Hilfe dabei war das Universal Audio Ox. Ich habe viele tolle Vintage-Amps. Mit dem Ox und/oder einem Mikrofon habe ich grundsätzlich die Sounds bekommen, die ich wollte. Ich habe aber auch viel damit experimentiert, direkt ins Pult zu spielen und digitale Plugins zu verwenden. Ich bin ein analoger Mensch und liebe alte Röhrenamps, aber ich muss zugeben, dass heutzutage in Sachen Gitarren-Recording digital so viel machbar und möglich ist. Es klingt klasse, und es fühlt sich beim Spielen toll und authentisch an. Ich habe sehr viel über das Aufnehmen von Gitarren gelernt – auch in Sachen Sounds. Wenn du alleine spielst, denkst du, dass dein Ton super ist. Dann aber musst du die Gitarre im Song platzieren – und dir wird klar, dass du sie sehr viel kleiner klingen lassen musst. Für mich war es eine anderthalbjährige Studienzeit in Sachen Studio-Recording.
Hinter dir an der Wand hängt eine Strat …
Sie ist von Xotic Guitars, ein wunderbares Instrument. Auf dem neuen Album gibt es viel mehr Singlecoil-Sounds, außerdem habe ich mich verstärkt mit heftigeren Fuzz-Sounds beschäftigt. Für mich passt eine solche Gitarre da sehr gut.
Lass uns über deinen Ansatz als Gitarrist sprechen. Du bist bei Vintage Trouble das einzige Melodie-Instrument. Wie wägst du deine Parts ab?
Ich versuche mir zu überlegen, was für den Song am besten passt. Häufig schreibe ich die Parts gemeinsam mit unserem Bassisten Rick (Barrio Dill). Er kümmert sich um das Low End, ich konzentriere mich mehr auf die Parts weiter oben und versuche sie dann einerseits mit einem guten Groove zu versehen, und dazu die passenden Noten auf der H- und E-Saite zu finden, die zu Tys (Ty Taylor, Sänger) Melodien passen. Wirklich wichtig für mich sind die Akkord-Voicings, denn die machen einen großen Unterschied. Ein Lied kann die gleichen drei Akkorde haben, aber wenn du die Voicings veränderst, fühlt es sich an wie ein komplett anderes. Unsere Songs sind normalerweise recht simpel, was die Akkordfolgen angeht. Ich versuche, eine Kombination aus Rhythmus und Melodie zu finden. Das ist mein wichtigster Job.
Ich finde, dass Chord Voicings in ihrer Wirkung von vielen Gitarristen tendenziell unterschätzt werden.
Da stimme ich dir zu. Man kann viele neue Voicings lernen, wenn man mit einem Sänger arbeitet und sich mit seiner Melodie beschäftigt. Dabei kann man verblüffende Voicings finden, die man bis dahin vielleicht noch nicht kannte. Eine der besten Bands der Welt, wenn es darum geht, waren die Beatles. George Harrison fand immer seinen Weg, sodass sein Spiel perfekt zur Melodie der Stimme passte.
Du sagst, auf dem Album sind viele Singlecoil-Sounds zu hören. Gab es dabei eine Hauptgitarre?
Ich habe alles Mögliche verwendet: Tele, Strat, Gretsch-Gitarren … Allerdings dieses Mal viel weniger die Les Paul. Die spiele ich häufig live, denn sie füllt den Sound. Aber es ist ein großer Unterschied, live zu spielen und eine Platte zu machen. Wie ich sagte, ich habe viel gelernt, während der Aufnahmen. Ich fand dabei unter anderem heraus, dass ich sehr schlanke Sounds aufnehmen und dafür zwei Gitarren mit unterschiedlichen Voicings verwenden kann. Und das mit Singlecoil-Pickups. Zusammen ergeben sie einen wirklich tollen Sound. Das war ein häufig gewählter Ansatz: Ein dünnerer Grundton, mehrfach zusammengelegt, kann deine Parts zu etwas Besonderem machen.
Auch dein Board hat sich verändert. Es gibt ein Video im Netz, in dem du es detailliert erklärst. Was war der Grund für den Umbau?
Auch hier: das neue Album und der Lernprozess in Sachen Recording. Während der Pandemie hatten wir die Zeit, uns daheim mit Dingen zu beschäftigen und Neues herauszufinden. Dazu kommt, dass wir alle unsere Shows aufnehmen. Ich verwende viel Zeit darauf, das abzuhören und herauszufinden, was der beste Ansatz ist, meine Parts live umzusetzen. Wir haben mit verschiedenen Genres experimentiert, von den ‚Bomb Shelter Sessions‘ (2011) mit ihrem straighten Hard Blues über R&B bis jetzt zu ‚Heavy Hymnal‘, das eine Mixtur von allem ist. Es gibt einige ziemlich bluesige Sachen darauf, sehr gitarrenorientiertes Zeug, aber auch R&B-Nummern. Ich wollte einen Weg finden, das zu kontrollieren und es live ordentlich umsetzen zu können. Ich habe das Gefühl, das ist mir gelungen. Dabei habe ich viel über Effekte wie Kompression oder Fuzz gelernt. Ich liebe Fuzz-Gitarrensounds. Aber das richtig zu machen, damit es voll und rund klingt – das ist eine andere Hausnummer.
Deep-Talk über Pedals und mehr auf Seite 2 …
Dafür musste dein Board wachsen …
Es sieht sehr viel komplizierter aus, als es wirklich ist. Ich verwalte alles über den Boss ES-8 Switcher. Einige Songs haben ein paar sehr spezielle Sounds, etwa besondere Delays. Dafür braucht man Presets. Und das ist das Coole mit diesen modernen Schaltern: Du kannst die Setlist der kompletten Show einprogrammieren und dann von Song zu Song schalten.
Auf deinem Board sind Drive-Pedale und auch ein Kompressor. Wählst du die einzeln an oder gibt es Kombinationen?
Das Lacy-J-Pedal (nicht im Bild, Anm. d. A.) ist ständig an. Bei den härteren Songs kommt ein Fuzz-Pedal von Chase Tone hinzu. Die Firma macht einige tolle Fuzz-Pedale, die sehr dynamisch sind. Das verwende ich als erstes in meiner Kette. In jedem gitarrenorientierteren Song sind jetzt immer zwei Pedale gleichzeitig an. Das hört sich vielleicht komisch an, aber mit zwei Pedalen kann ich klarere Sounds bekommen. Wenn ich den Pegel zurücknehme, blüht der Ton auf und wird sehr clean. Ich kann damit sehr dynamisch spielen.
Wie verwendest du den OriginEffects-Cali76? Nur für cleane Sounds oder auch in Kombination mit einem der Drives?
Das ist mal so und mal so. Zuletzt habe ich es heftiger eingestellt und für einige spezielle Songs verwendet. Davor war es meist die ganze Zeit an, aber das habe ich wieder verworfen. Mit Pedalen ändert es sich ständig. Aber grundsätzlich ist es bei mir so, dass ich irgendeinen Overdrive durchgängig im Signalweg habe und den Sound über die Gitarre zurückregle. So fühlt es sich für mich am besten an, und ich habe alles unter Kontrolle. Ich kann mich von meinem Board entfernen und muss mir keine Gedanken darüber machen, auf Sachen zu treten.
Heißt das, dass die Amps selber eher clean eingestellt sind? Oder am Rand des Crunch?
Nein, ziemlich clean. Wenn wir Fly Dates machen, bringe ich mein Pedalboard und eine oder zwei Gitarren mit und miete zwei konventionelle Fender Deluxe Reverbs. Und die sind ja nun wirklich sehr clean. Die Lazy-J-Amps, die ich normalerweise verwende, klingen ein bisschen komprimierter, haben also einen etwas tighteren Sound. So habe ich es am liebsten.
Sind diese zwei Gitarren, die du mitnimmst, dann Les Pauls?
Eigentlich schon. Aber mein neues Teil ist das hier (hält eine Semi-Akustik in die Kamera): eine Collings. Die ist unglaublich gut. Ich habe sie direkt beim Hersteller gekauft. Sie sind wahrlich nicht billig, aber ich muss sagen, das ist vielleicht meine All-Time-Lieblingsgitarre. Ich habe zwei von ihnen, neben dieser noch eine Sunburst, aber die ist gerade nicht hier. Diese hier habe ich zu unserer letzten Konzertreise nach Australien mitgenommen, und dazu meine Les Paul, aber ich muss sagen, ich habe die Collings mehr gespielt. Sie ist so ungemein vielseitig. Ich kann sie schreien lassen, bekomme aber auch diesen 70er-Soul-Vibe daraus.
Bild: Nalle Colt
Collings Semi-Akustik
Bild: Nalle Colt
Neben der Collings setzt Nalle live auch eine Gibson Les Paul ein.
Sie ist wie eine ES-335, hat allerdings ein paar Veränderungen …
Das ist das Coole an ihnen. Ich habe einen Freund, der eine Collings-Acoustic hatte. Er hat sie mir mal für Aufnahmen geliehen. Die hat mich umgehauen. Ich habe Martins und Taylors, also wirklich gute Gitarren. Aber diese kleine Collings-Concert-Akustikgitarre klang so unglaublich toll. Dann sah ich, dass sie auch E-Gitarren machen und nahm Kontakt mit ihnen auf. Die Warteliste war ein Jahr lang. Aber das war mir egal. Ich habe zuerst die Sunburst gekauft und danach diese. Ich habe tatsächlich ein Jahr darauf gewartet. Aber das war es wert. Sie ist um einiges kleiner als eine 335, und auch dünner. Außerdem ist sie superleicht. Manche 335er sind so schwer wie Les Pauls. Aber diese wiegt fast gar nichts. Mit ihrem Center Block kannst du sie auf der Bühne ziemlich laut spielen, ohne Feedback zu bekommen. Oder auch mit einem kontrollierten Feedback, wenn du es willst. Ich liebe es außerdem, dass der Input an der Seite sitzt und nicht auf der Decke. Die Pickups stammen von einer Firma namens ThroBak Electronics. Die haben mir die Leute von Collings dafür empfohlen und hatten damit absolut recht. Diese Tonabnehmer setzen dem Ganzen die Krone auf. Für die Musik von Vintage Trouble ist diese Gitarre wohl einfach die ultimative Wahl.