(Bild: Karen Allen)
Sideman, Studiobesitzer und Popstar: Auf den englischen Gitarristen Steve Cradock treffen all diese Bezeichnungen zu. Obwohl er mit Ocean Colour Scene eine in England sehr erfolgreiche eigene Band betreibt, verbrachte er einen Großteil seiner Karriere als Sideman von Modfather Paul Weller, den er seit 30 Jahren mit geschmackvollen, Sixties-inspirierten Gitarrenparts versorgt. Grund genug, das Spotlight mal auf den bescheidenen Gitarristen zu richten.
LEBEN
Steve wurde 1969 in den West Midlands in einer Stadt namens Solihull, in der Nähe von Birmingham, geboren. Sein musikalisches Interesse wurde schon früh geweckt: „Ich erinnere mich, dass ich mit neun die Single ‚Gangsters‘ von den Specials gehört habe. Später mochte ich Bands wie UB40, The Jam, Elvis Costello, Pretenders und The Beat. Das waren Pop-Gruppen dieser Zeit, aber ihre Einflüsse haben mich dazu gebracht zurückzuschauen, Original-Ska und jamaikanische Musik zu hören.“
Mit 12 Jahren begann Steve selbst zu spielen, zunächst Bass, bevor er Mitte der 80er Jahre mit 16 zur Gitarre wechselte. Unterricht hat er nie bekommen: „Ich habe Sachen rausgehört. Zuerst die Melodien des UB40-Saxophonisten Brian Travers, später dann Soul-Songs wie ‚Green Onions‘. Einen echten Gitarrenheld hatte er nie:
„Es war eher der Sound der Platten, die ich mochte. Ich bin in Birmingham aufgewachsen, und das war damals eine Heavy-Metal-Stadt. Meine Freunde standen auf AC/DC und Gary Moore, aber das war nichts für mich. Ich mochte keine Rock-Musik. Steve Marriotts Gitarrenspiel fand ich unglaublich, er hatte diesen coolen Feedback Sound.“
Der Mod-Style des Small-Faces-Sängers war ebenfalls wichtig: „Wir waren Mods der dritten Generation. Das war so ein Hybrid-Stil aus Parkas, Schlaghosen und anderen lockeren Klamotten. Ich habe heute noch Parkas und Scooters, weiß aber nicht, ob mich das zum Mod macht. (lacht).“
Das Wichtigste in Steves Leben war die Musik. „Es war immer ein sehr wichtiger, ernsthafter Teil meines Lebens. Ich habe eine Weile als Fensterreiniger gearbeitet und ein paar Wochen auf dem Bau, aber sonst immer nur Musik gemacht. Schon als Schüler bin ich dreimal die Woche in Working Man Clubs im Norden Englands aufgetreten.“
KARRIERE
1989 gründete Cradock mit Sänger Simon Fowler Ocean Colour Scene. „Wir haben ein Album für Phonogram aufgenommen, aber das war schrecklich, wir konnten es uns nicht anhören.“ Da kam ein Anruf seines Idols Paul Weller gerade recht: „Er rief meinen Dad an, der uns zu dem Zeitpunkt managte und sagte: Ich brauche einen zweiten Gitarristen!
Ich war nicht auf der Suche nach einer weiteren Band, aber das war ein Geschenk des Himmels. Das Geld, das ich mit Paul verdiente, investierte ich in ein Studio in Birmingham. Wir haben es gemietet und zu unserem Hauptquartier gemacht.“ Dort entstanden die Songs für ‚Mosely Shoals‘, dem zweiten und erfolgreichsten Album von Ocean Colour Scene, das Britpop mit Sixties, Psychedelic, Rock und Dubsounds vermischte. Steve ist bis heute Teil von Paul Wellers Band.
„Ich habe sehr hart gearbeitet, als ich dort eingestiegen bin. Ich kannte die ganzen Akkorde nicht, die er verwendete, und bin danach ein viel besserer Gitarrist geworden. Das hat sich auch bei OCS bemerkbar gemacht. Bis auf eine Phase von 1998 bis 1999, in der ich zu viel mit meiner Band zu tun hatte, hat es immer funktioniert, die Zeit zwischen beiden Bands aufzuteilen.“
Auch mit seiner ersten Inspiration, den Specials, hat Cradock mittlerweile gearbeitet: „Ihr Original-Gitarrist Roddy Radiation verließ die Band, und sie hatten mich mit Paul in Spanien spielen gesehen. Das war pures Glück, am rechten Ort zur rechten Zeit zu sein.“
KUNDALINI STUDIOS
(Bild: Cradock)
Heute lebt Steve in Devon und teilt seine Zeit zwischen OCS, Paul Weller und Arbeit im eigenen Studio auf. „Mein Haus stammt aus dem Jahre 1645 und hat eine tolle Atmosphäre und viel Geschichte in sich. Ich habe in die Garage ein Studio gebaut.“
Kundalini Studios nennt sich Steves Arbeitsplatz: „Es ist nur ein großer Raum, in dem ein Drumkit, eine Hammond, ein Flügel, eine Wurlitzer und jede Menge Gitarren stehen. Es ist kein Raum für Liveaufnahmen, aber man kann gut mit Overdubs und Layern arbeiten. Ich mache alles „in the box“, mit Logic und Universal-Audio-Plugins. Ein Pult habe ich nicht.“
Neben seinen Soloalben hat Steve dort schon Paul Wellers Tochter Leah und die Soul Legende PP Arnold im Alleingang produziert. Interesse am Aufnehmen hatte er schon immer: „Das fing 1993 in Birmingham an. Wir hatten ein Pult und eine Bandmaschine, haben Demos gemacht und dabei gelernt, wie es geht.“
Als nächstes Projekt steht ein weiteres Soloalbum an. Ein bestimmtes Konzept steckt meist nicht dahinter: „Ich mag alle Arten von Musik außer Rock. Ich mag entspannte, ruhige Sachen. Wahrscheinlich mache ich ein instrumentales Album.“
Auch OCS arbeiten an neuen Songs: „Wir haben seit 2013 keine Platte mehr aufgenommen. Simon hat mir drei neue Songs geschickt, und an denen arbeiten wir. Live passiert aber immer viel. Unsere Weihnachtstour 2023 war ausverkauft und im Sommer 2024 standen jede Menge Festivals an. Wir haben echt Glück, dass wir das alles machen können!“
EQUIPMENT
Trotz der Vorliebe für authentische Sixties-Sounds ist Steve weder Sammler noch Equipment-Snob: „Ich habe ein paar schöne Gitarren. Einige Goldtop Les Pauls, Gibson ES-335-Modelle aus den 70ern und 80ern, eine SG von 1968 und meine alte Telecaster. Als Akustik spiele ich eine Gibson Hummingbird“.
Der Gitarrensound von Moseley Shoals wurde mit einem Marshall JCM 800 gemacht. Heute spielt Steve nur noch einen Blackstar-St.- James-50-Watt-Combo: „Ich benutze nur den Clean-Kanal und mache die Verzerrung mit einem Pedal. Ich benutze eigentlich nur Boss-Pedale. Sixties-Originale sind mir zu noisy (lacht)“ Also keine super authentischen Vintage-Modelle? „Nein, tut mir leid. Das gelbe Boss OD-1 ist mein Haupt-Zerrer-Pedal. Dazu kommt noch ein Tremolo und Delay sowie ein Dunlop Cry Baby.“
(erschienen in Gitarre & Bass 10/2024)