Während ein Großteil der Gitarristenzunft die 80er- Jahre mit dem Üben von Tapping-Licks und dem Programmieren kühlschrankgroßer Racks verbrachte, gab es im Zuge der Punk-Rock-Revolution eine Gruppe von Musikern, die das Motto „Anything Goes“ auch auf ihr Instrument übertrugen und versuchten, der Gitarre neue Sounds zu entlocken – abseits der ausgetretenen Pentatonikpfade. Einer der interessantesten Musiker des sogenannten Post-Punk war John McGeoch, den ich in dieser Folge von „Unbekannte Helden“ vorstellen möchte.
Leben
John McGeoch erblickte das Licht der Welt am 25. August 1955 im schottischen Greenock. Mit 12 begann er, beeinflusst von Jimi Hendrix und Cream, Gitarre zu spielen und hatte 1970 seine erste Band namens The Slugband, die hauptsächlich Cover-Songs zum Besten gab. 1971 zog Johns Familie nach London. Mitte der Siebziger begann er in Manchester ein Kunststudium und machte sich einen Namen in der lokalen Musikszene. 1977 antwortete er auf eine Anzeige von Ex- Buzzcocks-Sänger Howard Devoto und gründete mit ihm Magazine. Die Band erregte schnell die Aufmerksamkeit von Virgin Records und unterzeichnete schon vor dem ersten Konzert einen Plattenvertrag – goldene Zeiten für Musiker. Kommerzieller Erfolg stellte sich ebenfalls ein, Magazine tourten durch England, traten bei der TV-Show Top Of The Pops auf und passten mit ihrer Mischung aus Punk-, New Wave- und Pop-Elementen perfekt in den Zeitgeist der späten 70er- Jahre. Im Gegensatz zu vielen Punk-Bands verfügte Magazine über ein gutes spielerisches Niveau und die erste Single ,Shot By Both Sides‘ zeigt, dass McGeoch durchaus das eine oder andere Solo spielen konnte.
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Nach drei Platten war der junge Gitarrist unzufrieden mit der musikalischen Richtung von Magazine, verließ die Band und arbeitete als Session-Musiker – unter anderem für Billy Idols Generation X, The Skids und das New Romantic Projekt Visage, das mit dem Hit ,Fade To Grey‘ großen Erfolg hatten. McGeoch meinte dazu: „Es war eher als Witz gedacht, aber wir haben alle viel Geld verdient.“
Seine nächste Kollaboration sollte sein Meisterstück werden. McGeoch stieg 1980 bei den Goth-Pionieren Siouxsie & The Banshees ein und prägte auf den Alben ,Kaleidoscope‘, ,Juju‘ and ,A Kiss In The Dreamhouse‘, den Sound der Band mit exotisch klingenden Arpeggios, effektbeladenen Klangflächen und futuristischen Zutaten, die oft gar nicht nach Gitarre klangen. Siouxsie bezeichnete ihn später als den besten Banshees-Gitarristen, weil er auch ihre unkonventionellen Vorschläge perfekt umsetzen konnte. „Er stand auf Sounds in einer abstrakten Weise. Ich konnte sagen, das soll klingen wie ein Pferd, das von einer Klippe springt und er wusste, was gemeint ist.“ Der Erfolg und das damit verbundene ständige Touren setzten McGeoch jedoch zu und nach einem durch zu viel Alkohol ruinierten Auftritt, schmissen ihn die Banshees raus. McGeoch erlitt einen Nervenzusammenbruch und kam ins Krankenhaus, während Cure-Gitarrist Robert Smith seinen Platz einnahm. Nachdem er sich erholt hatte, gründete er mit Sänger Richard Jobson die theatralisch klingenden The Armoury Show, die sich kommerziell leider als totaler Flop erwiesen. Glücklicherweise stand 1986 mit Ex-Sex-Pistols-Sänger John Lydon schon der nächste Arbeitgeber bereit. McGeoch zog nach Los Angeles und verwandelte Public Image Limited auf den Alben ,Happy‘, ,9‘ und ,That What Is Not‘ in eine Art New Wave-Version von Led Zeppelin, mit fetten Riffs und futuristisch anmutenden, flirrenden Arpeggio- Parts. Nach dem Ende der Band 1992 kehrte er nach London zurück und hängte nach einigen erfolglosen Band- Projekten das Live-Spielen an den Nagel. Er absolvierte 1995 eine Ausbildung zum Krankenpfleger und arbeitete an einigen Soundtracks fürs Fernsehen. 2004 starb er aus ungeklärten Gründen im Schlaf.
Equipment & Stil
McGeoch wurde oft als „Jimmy Page des New Wave“ bezeichnet und diese Beschreibung trifft seinen Stil ganz gut. Statt auf wilde Soli oder besonders virtuose Parts zu setzen, entfaltet sich die Wirkung seines Gitarrenspiels eher im Band-Zusammenhang und den daraus entstehenden klanglichen Texturen. Mithilfe von cleveren Akkord-Voicings, Arpeggios und Flageoletts schuf der schottische Gitarrist sehr eigene Stimmungen, die oft Anklänge an arabische Musik oder den Mittleren Osten beinhalteten, trotzdem aber ein schroffes, leicht atonales Flair beibehielten.
Analysiert man seine Gitarren-Parts aus der Siouxsie & The Banshees-Phase, merkt man schnell, dass McGeoch über weit mehr harmonisches Wissen verfügte als die meisten seiner Post-Punk-Kollegen. Verminderte Dreiklänge, Voicings in engen Lagen und Jazz-Chords mit None und Quartvorhalt fand man selten in der stark von Autodidakten geprägten New- Wave-Szene. Trotzdem klingen diese erweiterten Akkorde nie nach Jazz, sondern behalten durch starken Effekteinsatz immer ihr Eighties- Post-Punk-Flair. McGeochs Hauptgitarre war eine Yamaha SG1000, die mit ihrem Mahagoni-Body, zwei Humbuckern und Stop-Tailpiece an eine Les Paul erinnerte, aber durch Push/Pull-Potis auch Singlecoil-Sounds an Bord hatte.
Als Verstärker nutze er einen 1974er Fender Twin Reverb, einen Roland Jazz Chorus und einen Marshall JMP MKII mit 50 Watt. Charakteristisch für seinen Sound sind stark leiernde Chorus- und Flanging-Effekte, die er mit einem MXR Stereo Chorus und einem MXR Flanger erzeugte. Hinzu kam ein Yamaha E1005 Analog Delay und diverse Ibanez-Pedale, darunter ein SM9 Super Metal. In den späten Achtzigern folgte McGeoch dem LA-Trend und wechselte zu Rack-Systemen und einer Carvin DC400 als Hauptgitarre, was zu einem hardrockigeren Sound führte.
Sounds
Zum Nachspielen gibt es drei Beispiele aus der – meiner Meinung nach – kreativsten Phase McGeochs mit Siouxsie & The Banshees zu Beginn der 80er-Jahre.
Beispiel 1 zeigt den wichtigsten Gitarren-Part aus dem düster klingenden Song ,Halloween‘. Die ersten 4 Takte basieren auf einem offenen D7- Griff, der durch die hohe Lage und das Verschieben um einen Ganzton eine recht atonale Klangfarbe bekommt. McGeoch spielt zu beiden Griffen den Basston D während Bassist Steve Severin vom D zum E wechselt. In der Strophe legt McGeoch über die Basstöne D und C dann ein Voicing in enger Lage, das sowohl die Dur- Terz als auch die Quarte enthält. Die Jazz- Polizei bekommt hier die Krise, aber in der Verbindung mit Siouxsies theatralischem Gesang macht der klangmalerische Ansatz des Voicings durchaus Sinn. Die linke Hand muss sich hier etwas strecken, einfacher wird es, wenn man den Ton auf der D-Saite nicht durchklingen lässt. Im letzten Part doppelt McGeoch zuerst das hohe Bass-Riff, bevor er das Voicing aus dem Intro wieder aufgreift, allerdings um zwei Ganztöne nach unten verschoben. Severins Basslinie ist in D-Natürlich-Moll, McGeoch spielt harmonisch gesehen einen verminderten Dreiklang in D dazu, sodass die reine und die verminderte Quinte gleichzeitig zu hören sind. Dass hier schlüssige oder konventionelle harmonische Gesetze am Werk sind, wage ich zu bezweifeln, aber das Endergebnis ist gut und klingt zum Songtitel passend äußerst düster und dramatisch.
Exotisch klingt das Haupt-Riff aus dem Song ,Israel‘, das man in Beispiel 2 sieht. Es setzt sich lediglich aus Arpeggios zusammen. Das sus2-Voicing im Intro kombiniert geschickt gegriffene Töne und die offene H-Saite zu einem ansonsten auf der Gitarre kaum spielbaren Cluster-Voicing und verrät seinen wahren harmonischen Charakter auch nur durch die darunter liegenden Basstöne. Im Strophen- Part wird die Tonart E-Moll durch den C#m7 aufgebrochen, was wieder einen leicht atonalen Touch in die Akkordfolge bringt.
Äußerst eingängig ist Beispiel 3 aus dem Song ,Spellbound‘. Der Strophen-Part basiert auf einer Akkordfolge in D-Moll mit absteigender Basslinie, die fast Beatlesartig daherkommt. Die Akkordbezeichnungen machen erst durch den Basston von Steven Severin Sinn und zeigen, wie clever die Band zusammenspielte. Bei YouTube findet man einen Auftritt aus dem Rockpalast von 1981, der zeigt, welch dichten Sound man mit Bass, Drums und Gitarre auch ohne Breitwand-Verzerrung erzeugen kann, und wie sehr Bass-, Gitarren- und Drum-Parts ineinandergreifen. McGeoch spielt im zweiten Takt das D, obwohl der Bass zum C wechselt, was zusätzliche Reibung erzeugt. Im Chorus wechselt er zu einem Strumming-Part. Die Akkorde bekommen durch die durchklingende leere G-Saite ein ganz eigenartiges Flair. Zurück in die Strophe geht es dann mit einem Bb7-Arpeggio, eine harmonische Wendung, die man eher aus jazzig angehauchten Moll-Turnarounds kennt. Allem anarchistischen Konventionsbruch zum Trotz wussten da ein paar Musiker durchaus was sie taten.
Ich hoffe, die Parts inspirieren zu ein paar ungewöhnlich klingenden Gitarren-Parts in der nächsten Bandprobe! Anregungen und Kritik kann man immer unter martin@the-incredible-mr-smith.com loswerden.
Schönen Dank, dass auch ein Magazin wie Ihr diesem tollen Musiker ein paar Zeilen zum Angedenken widmet. Die Banshees haben tolle Musik gemacht. McGeoch hat einer Generation von Gitarristen gezeigt, dass man die Gitarre zum Erzeugen von Stimmungen erzeugen kann (anstatt stundenlang Fingerübungen zum Erzeugen von nichtsnützigen Geschwindigkeitsrekorden zu veranstalten) R.I.P.
Herrlich! Das war mein Wunsch der letzten Leserumfrage. Es gibt so viele andere unbekanntere Gitarristen. Ich schätze natürlich auch die Slash-Eric-Joe-Jimmys dieser Welt. Über die Ihr aber ständig schreibt. Das wird langweilig. Also bitte weiter so mit den unbekannten Helden.
Schönen Dank, dass auch ein Magazin wie Ihr diesem tollen Musiker ein paar Zeilen zum Angedenken widmet. Die Banshees haben tolle Musik gemacht. McGeoch hat einer Generation von Gitarristen gezeigt, dass man die Gitarre zum Erzeugen von Stimmungen erzeugen kann (anstatt stundenlang Fingerübungen zum Erzeugen von nichtsnützigen Geschwindigkeitsrekorden zu veranstalten) R.I.P.
Fake News?
Herrlich! Das war mein Wunsch der letzten Leserumfrage. Es gibt so viele andere unbekanntere Gitarristen. Ich schätze natürlich auch die Slash-Eric-Joe-Jimmys dieser Welt. Über die Ihr aber ständig schreibt. Das wird langweilig. Also bitte weiter so mit den unbekannten Helden.