Ulrich Teuffel über die Gitarre als Ikone der Pop-Kultur
von Ulrich Teuffel, Artikel aus dem Archiv
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Die E-Gitarre war immer ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Symbol in der Pop-Musik. Sie ist materialisierte Energie, ein großartiges Werkzeug und Ausdruck der Gefährlichkeit ganzer Generationen. Ihre Bedeutung erkennt man schon daran, dass es Weltmeisterschaften im Luftgitarrenspielen gibt, die sich von einer Witz-Idee zu einem durchaus weltbewegenden Phänomen entwickelt haben.
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Wenn man seine eigene Pop-Wahrnehmung zurück dekliniert, wird verständlich, wie wichtig die Gitarre war und immer noch ist. Sobald der Musiker in die sechs oder zwölf Saiten dieses Instruments reinhaut und einen Akkord anschlägt, ist unmittelbar klar, was passiert: Der Arm bewegt sich und der Ton entsteht. Wenn man aber bei elektronischer Musik zusieht, wie jemand das Laptop oder die Turntables bedient, dann sind natürlich die Reaktion und der Sound auf diese Aktion nicht zwingend vorhersehbar.
Deswegen kann solche Musik nur eine bestimmte Qualität erfüllen. Die E-Gitarre wird dagegen immer wieder zurückkehren, denn sie ist das unmittelbarste Instrument überhaupt. Sie zeigt: Hier geht es lang! Ich mache die Choreographie – singt noch jemand dazu? Das setzt bei Konzerten eine andere, eine kollektive Energie frei. Pete Townshend zum Beispiel war in einer gewissen Hinsicht der beste und expressivste Gitarrist, weil er einfach auch der beste Gitarrenzerstörer war. Niemand hat schöner gezeigt, dass man eine Gitarre spielen, sie aber auch so richtig zusammendreschen kann. Dies ist die größte Geste des Pop.
Bild: Archiv
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Bild: Dieter Stork
Die E-Gitarre entstand und entwickelte sich parallel zur weltweiten Verbreitung der Massenmedien. Aus diesem Pop- oder Medienkontext wird man sie niemals herausnehmen können. Ganz zu Beginn war sie noch völlig frei von jeglichen formhaften Aussagen. Leo Fender bediente sich moderner Attribute wie der Namen „Broadcaster“ (von Broadcast) oder später „Telecaster“ (von Television), um die Gitarren in einen neuen, modernen Kontext zu setzen. Gibson folgte mit gewagt designten Instrumenten wie der Flying V, der Explorer oder der Firebird, um dem modernistischen Trend zu folgen. Alles war möglich.
Heute ist die E-Gitarre ein visueller Topos. Sie hatte niemals primär eine Arbeitertradition, sondern sie war immer selbst der Star. Man kann sie spielen, sie anzünden, mit der Zunge ablecken oder zertrümmern. Und jedes Mal ist dies großer Pop! Denn Pop ist Show ist Entertainment.
Daher ist auch offensichtlich, woher diese ganze Ikonographie kommt. Es verwundert nicht, dass man die Gitarre mit Totenköpfen verziert oder sie als Fetisch des Bösen, des Starken oder Sexuellen verwendet. In ihrem dekadenten Endstadium mutiert sie zum Fetisch des Wohnzimmers mit Riegelahorndecken und goldenen Ornamenten, schwitzend hinter Glas. Ganz weit weg von der Öffentlichkeit der Pop-Kultur also.
Interessant ist, dass Instrumente, die Mitte der 1990er Jahre aus Fernost (Vietnam, Thailand, Indien oder China) kamen, eine andere Ornamentik und Bildsprache hatten, als bei uns üblich war. Während auf dem westlichen Markt Nickel- und Chrom-Hardware dominierte, hatten die Asiaten alles golden gemacht, weil Gold das wertvollste Material ist. Sie sind von ihrer Tradition ausgegangen, wollten die besten Gitarren bauen – und das auch visualisieren. Nicht nur dieser Aspekt zeigt, dass es offensichtlich unterschiedliche Rezeptionsformen gibt, wie man eine Gitarre sehen und definieren kann. Alle Gitarrenbauer machen sich zumindest unbewusst darüber Gedanken.
So findet man eine immer wiederkehrende einfache Grammatik von Ornamenten und Bildern. Ein Beispiel: In dem Moment, wo man auf den Korpus einer Gitarre Riegelahorn leimt und die Decke dann noch in einer Wölbung wie bei einer Violine herausarbeitet, hat man automatisch ein Zitat, eine handwerklich-kulturelle Tradition, eine Hochwertigkeit, die auch allgemein verbindlich anerkannt wird. Dadurch wird die Gitarre wertvoller oder zumindest als wertvoller angesehen, das funktioniert wie mit Chrom am Oberklasse-Pkw. Man unterstellt ihr gleichzeitig auch, dass sie besser klingt – bewusst oder unbewusst.
Wenn man wiederum eine Gitarre künstlich altert, ihr Brandlöcher und Kratzer zufügt, dann schafft man ein anderes Zitat. Die Gitarre bekommt den Anschein des „Dabeigewesenen“ und des Gefährlichen. Man sieht ihr die Energie und den vermeintlichen Gebrauch auf der Bühne an und überträgt das auf seine eigene Person oder die, die die Gitarre spielt.
Wenn man jetzt aber eine Gitarre baut, die modern aussieht, dann erwartet man auch, dass sie modern klingt. Wie der moderne Sound klingen soll, kann natürlich keiner sagen, denn es gibt kein kollektives modernes Tongedächtnis. Auch Leo Fenders Gitarren sahen Anfang der 50er Jahre radikal modern aus – und klangen für die damalige Zeit auch so.
Deswegen ist es nicht möglich mit einer Gitarre auf die Bühne zu gehen, ohne damit eine Aussage zu treffen. Unbewusst identifiziert sich der Gitarrist mit ihr und wählt sie aus, um seine künstlerische Aussage zu unterstützen. Somit beginnt schon vor dem allerersten Ton der Pop! Unser Erfahrungshorizont wird zum Antrieb dessen, was wir tun und gleichzeitig auch der Motor unserer Wahrnehmung. Die Augen und eben auch der eigene Erfahrungsschatz sagen uns, wie eine Strat oder eine Les Paul zu klingen hat und für welche Musik sie verwendet wird. Dadurch ist man geprägt.
Dasselbe gilt für die Einstufungen von Musik. Rhythm & Blues von Robben Ford zum Beispiel wird im Allgemeinen als hochklassig oder arriviert angesehen, weil er auch von Leuten gehört wird, die in der Regel über ein gutes Einkommen verfügen und es im Leben zu etwas gebracht haben. Sie verwenden es als Code in ihrer eigenen innersozialen Kommunikation. Dabei ist z. B. John Spencer mit seiner Blues Explosion der Idee des Blues viel näher; er spricht allerdings eher ein jüngeres Alternative- und Rock-Publikum an.
Wenn Bands wie Tocotronic oder The Strokes ihre Musik auf „Sperrmüllinstrumenten“ spielen, wird sie natürlich nie so hoch rezipiert. Auf der anderen Seite war es auch nicht die Absicht dieser Bands, die Menschen zu erreichen, die es „zu etwas gebracht haben“, sondern diejenigen, die jung sind und noch Symbole zerstören wollen.
Und die hören natürlich keine Robben-Ford-Blues-Kammermusik. Außerdem haben die genannten Bands (und dazu gehören auch Formationen wie Nirvana, Sonic Youth u. a.) mit ihrem Faible für preiswerte Instrumente eine ganz eigene Art von Gitarrenkultur etabliert, die mittlerweile auch eine hohe Wertschätzung ehemals verachteter oder ignorierter Produkte dieser Industrie einschließt. Musikgeschichte verläuft immer wieder in großen Zyklen. Bei jeder Wiederholung holt sie sich eine neue Zielgruppe ab. Swing war am Anfang eine wirklich gefährliche Musik, und Leute, die ihn gehört haben, betrachteten sich somit auch als gefährlich.
Auf diese Weise ist dann irgendwann eine Struktur der Musikwahrnehmung entstanden. Dadurch, dass man weiß, wie man Swing zu machen und zu hören hat, ist die ganze Gefahr aus der Musik verschwunden. Die Unberechenbarkeit hat sich in den nächsten kontroversen Musikstil, den Rock& Roll zum Beispiel, verschoben. Später waren es die Rock-Musik, der Punk, Hardrock oder Techno. Man kann diesen Prozess durch alle Epochen durchdeklinieren.
Neue Musik hat immer wieder etwas Unberechenbares, wodurch sich die jeweilige Zielgruppe vom Establishment abgrenzen kann. Es ist wahrscheinlich Zufall, wo genau gerade eine Generation steht, denn Musik wird ja nicht immer wieder neu erfunden. Und in dem Moment, als die Gefährlichkeit von der Fender Stratocaster zum Technics-Turntable des DJ gewandert ist, gab es trotzdem noch Bands, die Gitarre spielten.
Heute hat man wieder den Eindruck, dass die sechs Saiten an Bedeutung gewinnen. Dieser fortlaufende Zyklus stellt nicht nur die Gitarre als Ausdrucksmittel, sondern auch die Musik, die im Moment gespielt wird, wie zum Beispiel The Hives oder The Yeah Yeah Yeahs, wieder in den Vordergrund. Die Assoziationen, die man bei ihrer Musik haben würde, sind gelöscht, geradeso, als wäre die Festplatte neu formatiert. Keiner weiß, was er mit ihr beim letzten Zyklus verbunden hätte.
Die Letzten, die es noch wissen, sind die Eltern, und die sind ja nun wirklich zu alt, als dass sie von der neuen Musik Ahnung haben könnten. Man wird immer sagen: „Nein, nein, The Yeah Yeah Yeahs kann man überhaupt nicht mit The Clash oder (noch einen Zyklus vorher) mit The Yardbirds vergleichen. Das ist etwas völlig anderes, das versteht ihr ja gar nicht.“ In Wirklichkeit sind dies aber einfach Kreisläufe, die immer wieder durchlaufen werden und vor dem aktuellen Zeithorizont jeweils unterschiedliche Empfindungen bei den jeweiligen Generationen erzeugen.
Eine ähnliche Entwicklung kann man auch auf dem Gitarrenmarkt beobachten. Die Vintage-Welle z. B. hatte sich schon lange vorher angekündigt. Gitarristen verweigerten sich nach und nach immer mehr dem Trend von asiatischen Firmen, moderne Rock-Gitarren zu bauen. Die Art von Musik, die Bands wie beispielsweise The Pixies gemacht haben, hat sich natürlich später irgendwann zum musikalischem Mainstream entwickelt, der jetzt viel rustikaler ist, als man es sich vor 15 Jahren noch vorstellen konnte.
Heute darf es ruhig Pfeifen und Scheppern, und es dürfen auch trashige Instrumente sein, denn es stehen die Songs im Vordergrund. Irgendwann aber wird die Band als modernes kammermusikalisches Quartett wieder an Einfluss verlieren, und die Gitarre in den Hintergrund rücken.
Von der Bedeutung ist die E-Gitarre sicherlich das, was früher die Violine war. Sie hat die gleiche tragende und leitende Funktion, wie die Geige in der Klassik. Diese Musik wurde damals genau so verstanden, wie wir jetzt Pop verstehen. Man hat die Violine zwar nicht unbedingt angezündet oder kaputt geschlagen (und wer macht das schon wirklich?), aber Leute wie Paganini waren damals schon echte Popstars. Zudem haben Violine und E-Gitarre die gleiche Art von Klangverhältnis.
Alle diese feinen Nuancen, wie ein Ton sich anfühlt, wie er knochig klingt, wie er knurrt und röhrt oder plötzlich singt, sind ähnlich. Auch die Form und Materialität sind vergleichbar. Zitate wie Riegelahorn und gewölbte Decken kommen aus dem Geigenbau. In den späten 1980er Jahren gab es diesen von der Klassik inspirierten Virtuosen-Rock von Leuten wie Tony McAlpine oder Yngwie Malmsteen. Das war Violinenmalen mit Gitarre, überdekorativer Barock oder gar Rokoko.
Der Punkt, an dem Pop-Musik zur Kammermusik und die Gitarre zum Kammerinstrument wird, ist spätestens dann erreicht, wenn Regeln entstehen. Beim Rock & Roll der 50er Jahre wurden zum Beispiel schwarze und weiße Elemente zu einer völlig neuen musikalischen Ausdrucksform verschmolzen. Dies sorgte für eine große Irritation und wurde als Gefahr und Angriff auf das Gesellschaftssystem angesehen.
Irgendwann (vermutlich mit der Popularisierung und dem kommerziellen Erfolg des neuen Genres) entstand daraus eine Bewegung und es wurden Regeln definiert – der Weg zur Konventionalisierung. Solche Prozesse sind immer schleichend und schwierig zu erkennen. Die entstandenen Regeln befähigen Musiker und Hörer dazu, sich scheinbar wild und gefährlich zu gebärden. Der Film „Easy Rider“ hat einen ähnlichen Prozess in Gang gesetzt und ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit erschaffen – die Harley Davidson. Heute besucht man mit der Harley die Eltern im Altersheim und hält auch schon mal am Zebrastreifen.
Die eigentliche Wildheit und Freiheit ist jedoch längst schon wieder irgendwo anders – weitergewandert im Fluss der Zeit. Und das nicht nur in Rock und Pop, sondern auch auf dem Terrain der ehemaligen bürgerlichen Kultur der sogenannten E-Musik, wo es in den vergangenen Jahrzehnten immer auch Rebellen neben den auf Werktreue fixierten Traditionalisten und Dogmatikern gab. Da sind z. B. die jährlichen WagnerFestspiele. Da wird gewagnert, wie man richtig zu wagnern hat. Exegese pur. Auf der anderen Seite bietet sich hier wiederum ein interessanter Augenblick, weil gleichzeitig eine neue Bewegung anfängt.
In diesem Moment müsste Christoph Schlingensief Wagner machen, weil es dann nicht mehr Wagner wäre, sondern etwas Neues, Unvorhersehbares. Die Energie ist wieder da, irritiert und bricht mit Traditionen oder Tabus. Nur weil der Blues oder Rock nicht mehr gefährlich erscheint, bedeutet das nicht, dass die Energie weg wäre. Und es ist spannend, sie wieder aufzuspüren.
Auf dieselbe Art und Weise mutiert die künstlich gealterte Relic-Strat oder „aged“ Les Paul zu einem kammermusikalischen Instrument. Der Käufer wird zum Kammermusiker mit allen Konsequenzen. Er gibt Unterricht, muss sich irgendwie durchschlagen, denn Geld verdienen nur die Stars. Wenn man aber Regeln einhält und musikalische Attribute umsetzt, wird man kein Star – damit kann man nur Star bleiben. Aufmerksamkeit bekommt man durch das Unerwartete.
Die Superstars, die aus den Casting-Shows erwachsen, sind nur Star-artig. Die Attribute von Stars werden ihnen für einen Moment andekoriert, aber sie bleiben nicht haften, weil die Irritationen und die Gefährlichkeit, aus denen sich ein wahres Star-Potenzional konstruiert, nicht wirklich vorhanden sind. Denn ohne Unberechenbarkeit wirst du kein Star.
Der gecastete Künstler arbeitet hart. Er sagt es ja sogar. Niemand will dies aber bei einem Star sehen, denn hart arbeiten müssen wir ja alle. Jeder will die Unerreichbarkeit in ihnen wiederfinden, weil sie Lebensidole sind, denn reich und begehrt zu sein, ohne zu arbeiten, ist eigentlich unerreichbar.
Die Gitarre ist noch lange nicht zu Ende definiert. Um jedoch dem kammermusikalischen Geruch zumindest zeitweilig zu entrinnen, braucht man Hersteller, die einen neuen Ansatz wagen und Gitarren bauen, die so sperrig und symbolhaft sind, dass einfach schon eine Aussage getroffen wird, indem man sie spielt. Wenn die Gitarren wieder gefährlich werden, wird auch die Musik wieder gefährlich! (Oder anders herum: Wenn die Musik-Industrie und auch die Instrumentenhersteller die noch kleinen, gefährlichen Trends des künstlerischen Untergrunds erkennen und aufgreifen, dann wird aus der zum Mainstream erstarrten Rock-Kultur wieder eine explosive Bewegung. Mit gefährlichen Gitarren …)
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