Wenn drei kompetente Musiker mit Unterstützung einiger Gäste eine CD produzieren, die nicht nur hervorragend klingt sondern in puncto Artwork auch einfach ein schönes Kunstwerk geworden ist, dann haben alle Beteiligten etwas richtig gemacht. Es geht um Julia Hofer, Hanno Busch und Tobias Held und ihr neues Album ,To Tortuga‘.
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Die österreichische E- und Kontrabassistin Julia Hofer (*1994) hat mit ihren hervorragende YouTube-Videos viele Fans gewonnen. Sie ist als Live- und Studio-Musikerin und auch als Dozentin aktiv. Zuletzt war Julia 2022, gemeinsam mit Gitarristin Yasi Hofer, mit den No Angels auf Tour. Schlagzeuger Tobias Held war in den vergangenen Jahren als Mitglied der Band von Sänger Max Mutzke unterwegs. Als Live-Sideman hat er unter anderem mit Roger Cicero, Gregor Meyle, Johannes Oerding und Sasha gearbeitet. Und Hanno Busch (*1975) gehört zu den vielseitigsten Gitarristen der deutschen Szene. Seit mehr als zwei Dekaden arbeitet er auch als Komponist und Produzent in den Grenzbereichen zwischen Jazz-, Rock und Pop, spielt auch schon mal eine Country-Gitarre ein oder sorgt seit Sommer 2021 für funky Licks bei Jan Delay & Disko No.1. Hanno hat mit zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern gearbeitet, außerdem hat er in den vergangenen Jahren spannende Alben mit seinem Trio und der Band Sommerplatte veröffentlicht.
INTERVIEW
Hanno, bei Jan Delay spielst du funky Pop, Disco, R&B, Soul. Hörst du auch ganz unterschiedliche Musik oder bevorzugst du eine bestimmte Richtung?
Hanno: Die Musik, die ich gerne höre, kann natürlich aus allen Richtungen kommen. Da ist es heutzutage eher problematisch, dass man nicht alles so intensiv kennenlernen kann, was einen im digitalen Vorbeiflug anspricht. In meiner Plattensammlung finden sich jedenfalls Alben von John Coltrane ebenso wie von Wilco oder Dre – und alles dazwischen und darüber hinaus.
Wie kam es jetzt zu diesem aktuellen Trio-Projekt mit Julia Hofer und Tobias Held? Wie und wo seid ihr euch begegnet?
Hanno: Tobias und ich kennen uns schon seit 1999. Wir hatten erste gemeinsame Projekte, als wir beide im letzten Jahr unseres Studiums waren. Als ich dann den Auftrag bekam, für die ARD Sportschau eine Studio-Band für die Übertragungen der Fußball EM 2020/2021 zusammenzustellen, wünschte ich mir Tobias und Julia als Rhythmusgruppe. Zusammen mit dem Keyboarder Christian Frentzen haben wir dann etwa zehn Shows musikalisch begleitet. Das war für einige Sportschau-Redakteure und die meisten Fußball-Fans sicher nicht von Bedeutung, aber für uns eine sehr angenehme Arbeit in einem sehr netten Team. In dieser Zeit entstand bei mir die Idee, mit Julia und Tobias zusammen Musik zu schreiben, am besten mit dem Ziel, auch ein Album aufzunehmen. Glücklicherweise waren die beiden ebenfalls begeistert von dieser Idee, und Ende 2021 hatten wir dann die erste gemeinsame Kreativphase bei mir im Studio. Die Stücke sind teils aus freien Improvisationen entstanden, es gab aber auch Ideen von Julia oder mir, auf deren Basis wir weiter gebaut haben.
Julia, wie schafft man es, mit wenigen, leisen, warmen Basstönen so eine Intensität zu schaffen, wie dir das bei ,To Tortuga‘ gelingt?
Julia: Ich habe einfach versucht, mich im Trio-Sound bestmöglich einzufügen. Und ich habe auch viel Zeit damit verbracht, die für mich passende Klangfarbe durch Verschieben der rechten Handposition zu finden. Zusätzlich spielte ich bei den Aufnahmen einen Halbakustik-Bass, was von vornherein eine gewisse Wärme im Klang mit sich bringt. Mein Anschlag, insbesondere bei den Stücken ,To Tortuga‘ und ,Hirade‘, ist äußerst sanft, was meiner Meinung nach eine gewisse Intensität erzeugt. Im Ganzen denke ich, dass da auch einiges von meiner Ausbildung am Cello beeinflusst ist.
Dein tiefer, tragender Ton ist eine klassische Bassisten-Qualität. Wer hat dich in diesem Punkt beeinflusst?
Julia: Ich habe mir sicher viel bei der Tonbildung von meinem ehemaligen Lehrer Willi Langer abgeschaut, der mich am längsten begleitet hat. Er hat mir auch Stücke wie ,Could It Be You‘ von Marcus Miller und auch viele Aufnahmen von Bassisten wie Pino Palladino oder Jaco Pastorius nähergebracht, die alle eine große Inspiration für meine eigene Tonbildung wurden.
Spielst du nur mit den Fingern oder auch mal mit Plektrum? Ich glaube in einem Track des Albums so etwas gehört zu haben …
Julia: Ja, richtig! Den ersten Teil und das Outro von ,We Were Gods‘ habe ich mit Plektrum gespielt. Für diese Komposition wollte ich einen härteren Anschlag haben, mit mehr Höhen und oberen Mitten, was auch den Chorus-Sound bei diesem Stück besser zur Geltung bringt. Im Mittelteil wechsle ich auf Fingerpicking und im Outro verwende ich für die Unisono-Linien mit der Gitarre wieder ein Plektrum.
TO TORTUGA
2021 hatten sich Julia, Hanno und Tobias also gefunden, gejammt und in mehreren Sessions ein Album aufgenommen. Das geschah größtenteils gemeinsam in Hannos Roughroom Studio in Köln, nur ein paar Tracks wurden übers Netz hin und her geschoben. Hanno Busch hat die Aufnahmen dann auch gemischt, und gemastert wurde in Hamburg von Chris von Rautenkranz.
In den acht Tracks von ,To Tortuga‘ hört man aber auch noch mehr als nur Gitarre, Bass und Drums! Eine Akai MPC, eröffnet dieses Album-Debüt. Für Nicht-Elektriker: MPC, aka Music Production Center, meist als „die MPC“ bezeichnet, ist ein Klassiker im Bereich der Sampler und Drum-Computer, der primär im Electro-Pop und Hip-Hop Legendenstatus hat. Mit dem Gerät kann man über 16 anschlagempfindliche Pads gesampelte Sounds und Sequenzen abrufen. Und unsere seit Jahrzehnten zunehmend digitalisierte Welt ist auch inhaltlich Thema von ,To Tortuga‘: „Das Album beschäftigt sich thematisch mit der fortschreitenden Digitalisierung und der Suche nach einer Haltung dazu“, informieren die Künstler im Presse-Info. „Wo gehen wir mit? Wo ziehen wir Grenzen? Wo stößt das Digitale an seine Grenzen?“ Im Album-Opener ,The Creeper‘ rezitiert als Gast die Singer/Songwriterin Jacky Bastek einen eigenen Text über die Geschichte des Computers, unterlegt von einem nervösen Lick von der MPC, dazu hört man eine sparsame Akkordfolge der Gitarre und etwas Schlagzeug.
,To Tortuga‘ ist aber auch ein ganz normales, spannendes Gitarren-Album. ,Keep Track‘ heißt das zweite Stück, das Gitarrist Hanno Busch als Solisten featured – und hier klingt er manchmal ein kleines bisschen wie der legendäre Allan Holdsworth. Und später auch mal dezent nach Scofield. Aber eigentlich sind bei ihm Vorbilder nicht so deutlich herauszuhören, denn mit seinem meist cleanen Sound und seiner individuellen Tonbildung hat dieser Musiker schon so etwas wie einen eigenen Stil gefunden. „Open minded Jazz Rock Fusion mit Blues-Feeling“ könnte man diagnostizieren – oder ganz einfach: Musik mit Ausdruck und Emotion. Im Titel-Track des Albums kombiniert Hanno lineares Spiel mit Chords, Arpeggios, countryesken Bendings, bei ,Hirade‘ klingt er dann sehr folky und in anderen Stücken wieder ganz anders …
Handgemachte Musik zwischen Jazz, Pop und etwas Folk, mit Groove, Interaktion, Dynamik und Feeling – hier liegt auch das Potenzial dieses Trios. Und immer wieder ist die Musik gespickt mit kleinen Überraschungen, wie zum Beispiel einem vierstimmigen Blockflöten-Chor, für den Hanno seine Familie vors Mikrofon bat. Das hat was!
„Diese Offenheit habe ich durch meine frühen musikalischen Einflüsse gelernt“, erzählt Hanno. „In meinem Elternhaus gab es quasi nur Klassik. Mein erster Gitarrenlehrer, Thomas Brill, hat mir dann nebeneinander Wes Montgomery, The Police, Earth Wind & Fire, Stan Getz, Meshell Ndegeocello, Michael Landau und George Benson serviert, sodass für mich von Beginn an klar war, dass das alles zusammengehört.“
Und ,To Tortuga‘ steigert sich von Album-Track zu Album-Track – und daher sind meine Favoriten auch die beiden letzten Stücke: In ,Fraintown‘ gelingt Hofer, Busch & Held die Fusion ihrer Stilmittel am intensivsten, denn hier kommen sich das analoge Trio und die digitalen Ambitionen der Musiker wirklich nahe. Die mit Samples von Stimmen, von einer Menschen-Ansammlung startende Aufnahme klingt rau, wie ein Live-Mitschnitt. Hanno Buschs E-Gitarre ist stark verzerrt, die packenden Drums von Tobias Held verlieren sich fast in einem großen Hallraum. Julia Hofers Basstöne geben Halt in dieser Komposition, die so viel Emotion, Energie, Verlorenheit und Verzweiflung transportiert. Und eine ruhige, bedrückende Energie ausstrahlt.
Und in ,It’s OK‘, einem der stärksten Songs des Albums, ist Julia Hofers Gesang mindestens so berührend wie ihr Fretless-Solo: Das klingt echt, man spürt bei beidem den Menschen dahinter. Dieses Gefühl hatte ich bisher eigentlich nur bei der singenden Bassistin Meshell Ndegeocello. Julia: „,It’s OK‘ ist der erste Song, der von mir mit Gesang veröffentlicht wurde; was für mich sehr aufregend war, weil ich finde, dass die Stimme etwas sehr Persönliches und Intimes ist. Mittlerweile habe ich das Album schon oft durchgehört, und man gewöhnt sich mit der Zeit an seine eigene Gesangsstimme. Am Anfang war das für mich noch ein wenig befremdlich. ,It’s OK‘ zählt zu meinen Favoriten auf diesem Album, und ich hoffe, dass der Song eine direkte Verbindung zu den Zuhörerinnen und Zuhörern findet. Der Prozess, diesen Song zu gestalten, hat mir eine neue, weitere Perspektive auf meine musikalische Ausdrucksweise eröffnet.“
Auch Hanno Buschs Gitarren-Feature in ,It’s OK‘ ist ein Highlight: Sein Spiel hat hier extremen Ausdruck und ganz viel Emotion. Und dann ist man wirklich drin in dieser eigenen Tortuga-Welt. Einer Welt, der man sich annähern muss, was bei einigen der acht Tracks etwas Zeit braucht. Entdecken kann man ein musikalisch wie konzeptuell durchdachtes Werk, interessant arrangierte Musik und viele spannende kleine Zutaten. Und mit Julia Hofer, Hanno Busch und Tobias Held drei großartige Künstler. Es passt alles zusammen. ,To Tortuga‘ ist ein Album, das nahegeht. Die Musik kann über den Shop von Hannos eigenem Label Frutex Tracks bezogen werden: www.frutextracks.eu. Kauft beim Erzeuger!
EQUIPMENT
JULIA HOFER
„Für das Album habe ich bis auf das Fretless-Solo alles mit dem Rietbergen Bass von Nik Huber gespielt. Der Fretless-Bass ist ein Sandberg California II TT4. Beide Instrumente sind mit Thomastik-Flatwounds besaitet. Als Preamp habe ich den Avalon Design U5 verwendet, die Effekte kamen von der Universal Audio Astra Modulation Machine. Ansonsten spiele ich Rheingold-Amps und -Cabinets.“
HANNO BUSCH
„Ich spiele seit ca. 2008 Gitarren von Nik Huber. Die Rietbergen mit P90 ist seit 2014 oder 2015 bei mir. Außerdem habe ich noch eine Orca und eine Twangmeister. Bei Konzerten spiele ich am liebsten die Rietbergen, die Twangmeister habe ich live meist bei Cosmo Klein & The Campers dabei.
Aber natürlich gibt es im Studio auch noch ein paar andere Instrumente, die ich für Recordings einsetze, weil sie einen sehr speziellen Klang haben. Dazu gehören u.a. zwei alte Fender Jazzmaster, eine Gibson CS339 und eine Ibanez George Benson mit Flatwound-Saiten; ansonsten spiele ich Thomastik Power Brights .011-.046.
Mein Amp bei dieser Produktion war der Toneking Imperial MKII. Und bei den Effekten gibt es eine Kette, die sich sowohl auf meinem kleinen Reise-Board, als auch im FX-Board bei Jan Delay schon lange hält: JHS Morning Glory, Foxrox Octron, Eventide H90. Ganz vorne ist bei den Clean-Sounds meist noch ein Compressor, z.B. der Xotic SP.“