Trinity Xperiment: Jeder, der hier mitmacht, macht das aus Leidenschaft
von David Jordan, Artikel aus dem Archiv
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Nach acht Jahren meldet sich das experimentelle Trio mit seinem neuen Werk ‚Anaesthesia‘ zurück. Ein unkonventionelles Album, das konsequent jeden Ansatz von Mainstream umschifft und dennoch schiebt, flüstert und knallt. Franz Holtmann (Gitarren), Matthias Krauss (Keyboards/Hammond/Vintage Synths) und Stephan „Gudze“ Hinz (Bass/Noises/Editing), schnürten mit den Gastmusikern Jost Nickel am Schlagzeug und Neyveli S. Radhakrishna an der Geige (ex-Ravi Shankar Sideman) ein audiophiles Paket, das den Hörer mit seinem breiten emotionalen Spektrum und plastischem dreidimensionalem Sound auf eine packende und inspirierende Reise schickt.
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interview
Vielen Dank, dass ihr mich im gemütlichen Renaissance Studio empfangt! Wenn man sich ‚Anaesthesia‘ in Relation zum Vorgängeralbum ‚Honeymoon On Mars‘ anhört, fällt auf, dass ihr den Lounge-artigen und, in eurem Kosmos, gemäßigten Charakter eures ersten Albums hinter euch gelassen habt und statt dessen die Bandbreite sowohl in das Atmosphärische und Weite, als auch in das Aggressive, fast schon Zerstörerische erweitert habt. Bewusste Entscheidung oder Resultat einer intuitiven Entwicklung?
Matthias: Unser erstes Album ‚Honeymoon on Mars‘ ist eigentlich eine Art Compilation gewesen, d. h. wir haben über Jahre gewisse Tracks, immer mit dem Hintergrund einer klaren Aufgabenstellung, wie z. B. eines anstehenden Tribute-Albums, gemacht. Daher hat es nicht die Stringenz und die Kompaktheit des neuen Albums.
Franz: Grundsätzlich gehen wir improvisativ an die Sache heran und die Grundlagen, aber auch die starken Motive entwickeln sich eigentlich immer emotional aus der Situation heraus. Dadurch hat sich auf ‚Anaesthesia‘ eine organische Struktur entwickelt, die man körperlich spüren kann.
Ihr habt eine sehr besondere Art, was euer Songwriting, das aus ganz verschiedenen aufeinander aufbauenden und sich ergänzenden Etappen besteht, angeht.
Matthias: Franz und ich kennen uns schon sehr lange und haben immer wieder mal gemeinsam Musik gemacht, auch ohne konkrete Ziele zu verfolgen, sondern ausschließlich aus Spaß an der Sache. Atmosphäre war und ist uns dabei das Wichtigste, d. h. wir treffen uns, kochen was Leckeres, gehen spazieren, quatschen und irgendwann gehen wir ins Studio, schmeißen alles an, lassen irgendeinen Beat laufen, manchmal auch nicht, und legen einfach los. Ohne Plan, ohne Absprache, ohne Sheets, ohne Konzept.
Franz: Das Interessante dabei ist, dass wir einen gemeinsamen (musikalischen) Background entwickelt haben, der uns intuitiv Situationen erfassen lässt, die wir dann zusammen weiterentwickeln. Das kann schon dauern, aber wir haben in dem Prozess gelernt, dass es sich lohnt, etwas länger an bestimmten Motiven dranzubleiben.
Matthias: Da haben wir beide in der Tat den Mut entwickelt, dranzubleiben. Es gibt oft Situationen, bei denen man sagen würde: „Ach das wird nix, lass ma aufhören.“ Aber nee! Gerade dann muss man durchhalten. Und irgendwann, wenn man schon gar nicht mehr dran denkt, passieren auf ein Mal komische Sachen …
Franz: Den Anlauf schmeißen wir meist weg und das, was stark ist und danach stehen bleibt, ist überwiegend immer noch sehr lang. Das rücken wir dann nochmals zusammen, werfen die Teile raus, in denen wir mehr suchen, als finden. Dann haben wir vorerst die Rohfassung. Und um diesen Rohdiamanten zum Glänzen zu kriegen, kommt Gudze ins Spiel.
Bis dahin sind das also alles spontan und aus dem Fluss entstandene Parts, Grooves und Bögen.Wie gehst du jetzt damit um, Gudze?
Gudze: Wenn ich die Rohaufnahmen bekomme, dann setze ich mich erst mal hin und hör mir das fünf/sechs Mal hintereinander an, versuche da richtig einzutauchen und Struktur zu schaffen, indem ich mir Motive rauspicke und unheimlich lange dazu spiele. Ich merke dann: „Ah ja, hier entsteht ‘n Bogen. Dort ergibt’s Sinn, wenn ich mich aufs Keyboard setze und da die Gitarre mitnehme.“ Ich nehme mir das so lange vor, bis ich das Gefühl habe, dass jetzt alles gesagt ist und anschließend muss ‘ne neue Tür aufgehen: Entweder ein Impuls gesetzt werden, ein Brett kommen oder ein Beat starten. Das höre ich mir immer wieder von vorne an, um den langen Bogen im Blick zu behalten, befasse mich sehr detailliert damit und so nehm ich mir dann schon Zeit dafür, so ‘nen ganzen Track zu gestalten, bis ich das Gefühl habe, dass das jetzt wirklich eine runde Geschichte ist und es, was für mich sehr wichtig ist, nicht konstruiert klingt.
Matthias: Dauert dann immer entsprechend lange, bis wir was zu hören kriegen. (alle lachen)
Franz: Ist aber auch wirklich ‘ne Herzensangelegenheit.
Matthias: Gudze hat das Talent, den improvisierten Wust, denn wir da manchmal abliefern, am Ende so klingen zu lassen, als sei es tatsächlich eine ausgedachte Komposition.
Das finde ich in der Tat bemerkenswert, denn wenn man sich beispielsweise ‚Try This At Home‘ anhört und den Ursprung (Git & Keys) separiert, fragt man sich, wie am Ende dieser Bombast daraus entstanden ist.
Gudze: Und da hab ich auch immer ein klatschnasses T-Shirt, wenn ich auf das Feedback der beiden warte … (Alle lachen) Aber das ist ja auch das tolle an dieser Musik: Man ist komplett frei und muss eben nicht in irgendwelchen Rock- und Pop-Formaten denken, sondern kann voll auf sein Gefühl hören und wenn das an einer Stelle kitschige Bombasttrommeln sind und das geil ist, dann wird das so gemacht – es gibt keine Grenzen. Für mich ist das wie ein Soundtrack bei dem Bilder im Kopf entstehen. Ich fühl mich dann wie ein Kind, das einen riesigen Haufen Lego vor sich hat und fernab von Beschränkungen einfach irgendein Phantasiegebilde bauen kann, das es dann am Ende abfeiert.
Dann habt ihr ja auch noch großartige Gastmusiker dabei.
Franz: Oh ja! Radha (Neyveli S. Radhakrishna), diesen genialen indischen Geiger, hab ich über Stephan Schertler auf der Frankfurter Messe kennengelernt. Der spielte da relativ unbeachtet in der akustischen Gitarrenabteilung und ich dachte nur: Was ist das denn für ein wahnsinniger Typ!? Wir kamen ins Gespräch, ich hab ihm von unserem Trinity-Projekt erzählt, er war interessiert und irgendwann stand er dann tatsächlich bei uns in Köln im Studio und spielte sich fast zu Tode, wollte gar nicht wieder aufhören. Abends haben wir ihn mit einem Grinsen im Gesicht dann schon wieder in den Flieger gesetzt.
Der hatte vorher nicht gehört, worauf er sich einlässt?
Matthias: Das war für alle ein Experiment. Er wusste überhaupt nicht, was da auf ihn zukommt.
Franz: Er hat sich einfach eingelassen. Ich hab ihm das Projekt beschrieben und auch gesagt: das ist ambitioniert, gibt auch nicht viel zu verdienen. Bei dieser Nummer spielen alle um ihr Leben, aber es geht dabei nicht um Geld.
Kommen wir zur zweiten wichtigen Ebene eures neuen Werkes – zum Sound. Ich höre selten Aufnahmen, die auf einer guten Anlage oder über einen guten Kopfhörer so plastisch, griffig und dreidimensional sind. Es gibt nicht nur links/rechts, sondern auch oben/unten und vorne/hinten. Jedes Instrument moduliert im Raum.
Gudze: Genau deshalb war uns das auch total wichtig, den Mix in so einem tollen Studio wie hier durch ‘ne analoge Konsole zu schicken und was dazuzugewinnen. Da gibt’s jetzt natürlich wieder 10.000 Leute, die sagen: „Alles Quatsch.“ Aber in der Summe ist es schon so, dass die analogen Geräte durchaus mehr Tiefe, Dreidimensionalität besitzen und mehr Raum abgeben, wenn man sie mit der digitalen Variante eins zu eins vergleicht. Und die Art der Musik schreit ja geradezu danach.
Matthias: Da haben wir aber auch mit Thorsten Rentsch den richtigen Mann gefunden. Der hat das eben, wie wir alle anderen Beteiligten auch, nicht als einen auf drei Tage begrenzten Job gesehen, sondern sich da richtig reingehängt. Mit den ersten Sessions war er nicht zufrieden und hat die Aufnahmen auf eigene Faust noch mal, noch mal, noch mal und noch mal gemischt, bis er an dem Punkt war, an dem er gesagt hat: „Jungs, ich hab jetzt was, das find ich richtig gut.“ So einen musst du auch erst mal finden.
Ihr habt’s ja echt hinbekommen, dass sich alle Beteiligten in allen Produktionsetappen persönlich engagiert haben.
Matthias: Sogar beim Mastering war das so. Da ist der Jürgen Lusky von Hofa Audio, der dann auch merkt „Hey, da kommt ja mal was ganz anderes geflogen.“, feiert das dann auch ab und haut rein.
Gudze: Das klingt jetzt fast schon wie so eine Lobhudelei, aber es ist so: Jeder, der da mitmacht, macht das aus Leidenschaft.
Franz: Man merkt diesem Projekt einfach an, dass es die Tiefe hat, die Hingabe an Musik und dass es eben nicht um Nebeninteressen geht, sondern ausschließlich darum, ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen, das alles erreicht, was man sich irgendwie vorstellen kann.
Schönes Schlusswort! Vielen Dank!
‚Anaesthesia‘-Equipment
Franz Holtmann Gitarren
1963 Fender Stratocaster
1996 Fender Danny Gatton CS Tele
1972 Gibson Les Paul Deluxe Amps
1969 Fender Bandmaster, altes 2×12 Blonde Tolex Cab
1963 Vox AC30
Suhr Badger 18 Amp FX
Maxon SD9 (Analog Man mod.)
Dunlop Cry Baby Wah
Prescription Octave Fuzz
Line6 DL4 Delay Modeler
Roger Mayer Voodoo-Vibe
Lehle D.Loop
Gudze Bässe
1990 MusicMan Stingray
1975 Fender Precision Bass
1964 Jazz Bass Relic FX
Tech 21 Sans Amp
EBS Multi Drive
EBS Metal Drive
Roland Dimenson D
Diskographie
‚Anaesthesia‘ (2017, Afraid Of Sunlight Records , CD und Do-LP)
‚Honeymoon On Mars‘ (2009, ESC Records)
‚Mahavishnu Re-Defined‘, VA Tribute-Album (2009, ESC)
‚Maestros Of Cool‘, Steely Dan VA Tribute (2008, ESC)
‚Mysterious Voyages‘, Weather Report VA Tribute (2005, ESC)
‚The Loner‘, Jeff Beck VA Tribute (2005, ESC)