Allstar Comeback

Tony Levin & Liquid Tension Experiment

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(Bild: Tony Levin)

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem letzten gemeinsamen Studiotermin der Fusion-Metal-Allstar-Band Liquid Tension Experiment im November 1998, schlagen deren Mitglieder – Gitarrist John Petrucci, Keyboarder Jordan Rudess (beide Dream Theater), Schlagzeuger Mike Portnoy (Ex-Dream Theater, The Winery Dogs) und Bassist Tony Levin (King Crimson, Peter Gabriel) – nun ein neues Kapitel auf. Die Lockdown-bedingte Zwangspause ihrer sonstigen Projekte hat ihnen ein unerwartetes Zeitfenster geöffnet und die Aufnahmen eines weiteren LTE-Albums ermöglicht.

Wie schon auf den beiden Vorgängerwerken ‚LTE 1‘ (1998) und ‚LTE 2‘ (1999) zeigen die Beteiligten auf ‚LTE 3‘ ihre exorbitant hohen technischen Fertigkeiten, verbunden mit gelungenen Kompositionen, zu deren massenkompatibler Vermarktung eigentlich nur der Gesang fehlt. Dennoch wird auch ‚LTE 3‘ zweifelsohne seine Käufer finden, denn die Musikalität der Formation ist absolut faszinierend und hat zu vier stilistisch ganz unterschiedlichen Songs, zwei eigenwilligen Duetten, einer spontanen Jamsession namens ‚Liquid Evolution‘ und einer ungewöhnlichen Coverversion von George Gershwins ‚Rhapsody In Blue‘ geführt.

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Wir haben uns mit dem aus Los Angeles stammenden Tony Levin über die von gegenseitigem Respekt geprägte Studiosession unterhalten und dabei auch eine Menge über seine musikalische Philosophie erfahren.

Hallo Tony, bevor wir stärker ins Detail gehen: Wann und mit welcher Zielsetzung habt ihr entschieden, ein drittes Kapitel von Liquid Tension Experiment aufzuschlagen?

Zunächst einmal: Es gab keinen speziellen Plan, keine spezielle Zielsetzung und keine festen inhaltlichen Verabredungen. Im vergangenen Sommer rief mich Mike Portnoy an und fragte: „Wie sieht’s aus? Bock auf ein neues LTE-Album?“ Ich war, ehrlich gesagt, ein wenig überrascht, da wir aufgrund des Lockdowns ja eigentlich keine Studioarbeit machen konnten. Aber Mike hatte ein gutes Sicherheitskonzept ausgearbeitet, und da alle von der Idee begeistert waren, ein neues LTE-Album zu produzieren, wurden schnell Terminmöglichkeiten abgeklopft.

Ich war zeitlich flexibel, zumal ich nichts vorzubereiten hatte, denn das Materialsammeln übernehmen bei LTE für gewöhnlich John Petrucci und Jordan Rudess. Sie kamen auch diesmal wieder mit einer Reihe erstklassiger Ideen an, sodass ich einfach nur zu lernen hatte, was sie sich ausgedacht hatten. Aber auch das ist für mich stets eine riesige Herausforderung, denn die anderen sind unglaublich virtuos, haben eine extrem schnelle Auffassungsgabe und eine Fingertechnik, vor der ich nur den Hut ziehen kann. So schnell, wie Mike, John und Jordan Dinge begreifen und umsetzen können, bin ich nicht. Aber genau das ist für mich ja auch immer wieder der große Spaß, nämlich auf einem Niveau Musik zu machen, das mich an meine Grenzen bringt.

Kannst du Unterschiede zwischen ‚LTE 1‘ und ‚LTE 3‘ erkennen?

Na ja, natürlich gibt es ein paar Dinge, die anders sind. Damals, bevor wir ‚LTE 1‘ aufnahmen, kannte ich meine drei Kollegen noch nicht. Wir trafen uns bei Mike im Keller, jammten ein wenig und testeten, ob wir uns musikalisch und menschlich verstehen. Am Anfang war ich geschockt, auf welch unglaublich hohem Niveau die drei spielen. Ich bin auf meinem Instrument auch nicht gerade der Langsamste, aber an das Tempo von Mike, John und Jordan musste ich mich erst einmal gewöhnen. Aber genau das reizte mich, obwohl ich ganz am Anfang immer ein wenig hinterherhinkte.

Zum Glück waren die drei sehr geduldig mit mir. Man merkt, dass wir uns mögen und jeder auf den anderen Rücksicht nimmt. Auch das hat dazu geführt, dass ich meine Technik weiterentwickeln konnte und heute ein besserer Musiker bin als damals. Meine Technik ist ausgefeilter und meine Auffassungsgabe schneller.

Wenn man in der Lage ist, auf diesem Niveau Musik zu machen, gibt es dann noch Dinge, Songs, Stile, die nicht funktionieren?

Ja, die gibt es durchaus. Durch John, Jordan und Mike haben wir immer eine Menge starker Rock- und Metal-Ideen. Die funktionieren natürlich, wie sollte es bei den Dream-Theater-Jungs auch anders sein. Wenn man jazzige Parts oder Elemente von Gypsy-Musik einbauen möchte, wird es schon kniffliger. Also sucht man nach einem Weg, sie dennoch irgendwie stattfinden zu lassen, ohne dass der charakteristische Stil dieser Band darunter leidet.

LTE haben einen eigenen Sound. Mir gefällt das. Man hört, dass wir vorher wussten, wie diese Band in etwa klingen soll. Wir ahnten, dass die Kombination funktionieren und den Fans gefallen wird. Trotzdem sind unsere Songs immer ein wenig anders, mal schnell und hart, dann wieder groovend und kraftvoll, oder auch melodisch und sogar hymnisch. Der Improvisationsgedanke spielt bei LTE eine große Rolle, auch deshalb haben wir bewusst die Jamsession ‚Liquid Evolution‘ draufgelassen, um auch diese Seite von LTE zu zeigen.

Als Bassist einer Rockband ist man zumeist das Bindeglied zwischen dem melodischen und dem rhythmische Aspekt eines Songs. An wem orientierst du dich stärker, an Mike Portnoy oder an der Petrucci/Rudess-Fraktion?

Das ist eine sehr gute Frage, über die ich noch nie konkret nachgedacht habe. Ich denke, es ändert sich von Song zu Song und von Passage zu Passage. Wenn John oder Jordan ein virtuoses Riff raushauen, spiele ich das natürlich möglichst exakt mit. Es ist immer wieder atemberaubend, wie tight sie spielen. Ich muss mich da jedes Mal mächtig sputen, um mithalten zu können. Wenn bei LTE gradlinig gerockt wird, konzentriere ich mich stärker auf Mike Portnoy und schaue mir an, welche Breaks er spielt und wo er Fills setzt. Und wenn Jordan oder John mit einer Hymne ankommen, analysiere ich ganz genau die Melodie und versuche, etwas Passendes dazu zu finden. Aber natürlich höre ich in allen Fällen vor allem auf meinen eigenen musikalischen Geschmack und auf meine künstlerische Erfahrung.

Tony Levin im Studio mit Music Man 5-String Sting Ray Special. (Bild: Tony Levin)

Bist du generell eher Groove- oder Melodie-orientiert?

Diese Frage stellt man mir öfter, und jedes Mal muss ich aufs Neue darüber nachdenken. Früher war ich der typische amerikanische Groove-Spieler, der überwiegend rhythmisch ausgerichtet war und dessen Ziel lautete, die bestmögliche Groove-Qualität zu liefern. Als ich später dann Bill Bruford und Peter Gabriel traf, lernte ich einen völlig anderen Ansatz kennen. Es war quasi das pure Gegenteil von dem, was ich bis dahin gemacht hatte. Für Bruford und auch für Peter Gabriel ist der Ton, der Klang, die Stimmung eines Songs weitaus wichtiger als spielerische Genauigkeit.

1981 kam ich zu King Crimson, ein weiterer Meilenstein in meiner Karriere. Damals nahm ich zum ersten Mal einen Chapman Stick in die Hand, und damit änderte sich mein gesamtes Spiel. Plötzlich waren mir die Töne wichtiger als die Grooves. Ich wurde von Paul Simon ins Studio geladen, um auf seinem Album zu spielen. Paul hat eine ganz eigene Arbeitsweise: Er singt einem den Song vor, dann testet man ein paar Basslinien, bis Paul wieder reinkommt und den gewünschten Bass-Part vorsingt. Natürlich ist dieser Part dann aus Sicht eines Sängers gesungen, und meine Aufgabe ist es, daraus den Bass-Part eines Bassisten zu machen. Ich hoffe, du verstehst, was ich meine!? Aber auch Paul Simon hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich nach ein paar Produktionen mit ihm von ganz alleine melodischer dachte.

Haben sich dein Stil und dein Geschmack im Laufe der Jahre signifikant verändert?

Darauf kann ich dir eigentlich keine Antwort geben, weil ich mir so gut wie nie frühere Alben anhöre. Ich bin zu beschäftigt und habe ständig neue Projekte, um die ich mich kümmern muss und will, da bleibt keine Zeit für Retrospektiven. Aber natürlich hatte ich unterschiedliche Phasen, wie jeder Musiker. Das lag aber auch an den jeweiligen Instrumenten, die ich spielte. Früher hatte ich einen Fender Bass, der relativ rau klang und schnell verzerrte. Damals wollte man das so, dementsprechend klangen die Pickups. Heute stehe ich auf einen klareren Sound mit quasi null Verzerrung. Und je älter ich werde, um so vielseitiger möchte ich spielen.

Kannst du dich noch an deinen allerersten professionellen Bass erinnern?

Ja, kann ich, wobei ich dazu sagen muss, dass ich nicht genau den Zeitpunkt benennen könnte, ab wann ich mich als Profi fühlte. Denn ich wollte von klein auf nur Musik machen, und da spielte es keine Rolle, ab wann ich dafür bezahlt wurde. Mein erster Bass war ein Kontrabass, den ich auch in Rochester im Orchester spielte. Er war perfekt für mich, denn er war so laut, dass ich ihn auch in meinen Jazzbands einsetzen konnte.

1965 folgte dann, wie du sicherlich weißt, mein Ampeg Baby Bass, mit dem ich dann die Jazz-Konzerte bestritt. 1967 kam eine Jazzband nach Rochester, deren Bassist einen Fender Precision spielte, was für damalige Jazzbands ziemlich ungewöhnlich war. Ich kannte dieses Bassmodell nicht und fragte: „Was für ein Bass ist das?“ Die Antwort lautete: „Wenn dich ein solches Instrument interessiert, fahr nach New York und frag nach einem gebrauchten Fender Precision. Die sind auch für den kleinen Geldbeutel bezahlbar.“

Ich fuhr also nach New York, fand tatsächlich einen gebrauchten Precision für 180 Dollar, den ich dann viele Jahre gespielt habe. Er war für meine Karriere als Studiomusiker sehr wichtig, denn damals wollten alle Produzenten diesen rauen Preci-Sound. Heutzutage haben sich die Ansprüche geändert, heute möchte man den Fender-Sound plus mehr Low-End. So bin ich 1978 bei Music Man gelandet.

Gibt es bestimmte Dinge, die du von Portnoy, Petrucci und Rudess lernen konntest?

Ich bewundere ihre Arbeitsmoral. Wenn wir mit LTE auf Tour sind, üben John, Jordan und Mike den ganzen Tag über. Ich dagegen bin faul, werde aber indirekt dazu gezwungen, auch mehr auf Tournee zu üben. Außerdem sind alle drei überzeugte Teamplayer, und das, obwohl sie hervorragende Individualisten sind. Deshalb funktioniert LTE auch so stresslos, weil in dieser Band ein riesiger gegenseitiger Respekt herrscht. Ein guter Musiker zu sein ist das eine, aber auch ein sozial denkender Mensch zu sein ist mindestens genauso wichtig.

Respekt vor der Leistung des jeweils anderen ist eine Grundvoraussetzung, um gemeinsam Musik machen zu können. Bei LTE gibt es gegenseitigen Respekt und dafür liebe ich die Band. Die Rollenverteilung ist sowieso klar: John und Jordan schleppen die Ideen an, Mike und ich reagieren darauf. Ich finde diese Aufgabenteilung super, ich bin kein Typ, der sich in den Vordergrund drängelt. Mir ist wichtig, dass man mich und meine Beiträge nicht ignoriert, und da mich bei LTE alle voll respektieren, könnte ich mich in dieser Band kaum wohler fühlen.

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Tony, und weiterhin alles Gute!

Tonys Pedale: Darkglass Microtubes B7K, Peterson StroboStomp Classic Tuner, Suncoast B1p Bass Preamp, Kemper Profiler Stage & Origin Cali76 (Bild: Tony Levin)

GEAR

● Music Man 5-String Sting Ray Special
● Dingwall Combustion 5-String
● Chapman Stick
● NS Electric Upright
● Kemper Profiler Stage
● Suncoast B1p Bass Preamp
● Origin Cali76
● Darkglass Microtubes B7K Preamp
● Funk Fingers

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2021)

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