Meilenstein 1982

The Rolling Stones: Still Live – American Concert 1981

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The Rolling Stones - Still Live
Geniales Artwork des japanischen Künstlers Kazushige Yamazaki: ‚Still Life‘ (Bild: Abkco Music, EMI, Michael Halsband, Ken Regan/Camera 5)

1962 begannen The Rolling Stones mit ihrem damals progressiven Rhythm & Blues in der Gegend um London ihre ersten Auftritte zu spielen. Im Sommer des Jahres 2018 sind sie auf No-Filter-Tour, u. a. Ende Juni mit zwei Konzerten in Berlin und Stuttgart. Zwischen beiden Ereignissen liegen unglaubliche 54 Jahre. In den frühen 60ern waren Konzerte von Mick Jagger (voc), Brian Jones (g), Keith Richards (g), Bill Wyman (b) und Charlie Watts (dr) vom Geist des Rebellischen umweht, scheinbar zielgerichtet gegen das britische Nachkriegs-Bürgertum mit seinen starren Regeln und Konventionen. Laute Gitarren, schnelle Beats und ein Sänger der mit hektischen bis lasziven Bewegungen im Stile von James Brown die weiblichen Zuschauer mitunter an den Rand der Ohnmacht oder darüber hinaus trieb, provozierten Teile der Öffentlichkeit nachhaltig.

In den 70ern wandelte sich das Bild und die Stones zählten inzwischen zu den Arrivierten des Musikgeschäfts. Die Hallen wurden größer, und die Stones tourten u. a. inzwischen regelmäßig in den USA, dem Heimatland ihrer eigenen Blues- und Rock-&-Roll-Wurzeln. Die Band hatte dabei Glück, das ist bekannt. Keith Richards überlebte trotz aller Prognosen seinen R‘n‘R-Lifestyle inklusive Heroinsucht. Überhaupt war und ist diese Band widerstandsfähig. Selbst die Punkrocker der späten 70er, die gegen den alten gekünstelten Bombast von Led Zeppelin bis Yes wieder straighten und schnellen Rock‘n‘Roll ohne großen Schnickschnack setzten, konnten ihnen nichts anhaben.

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The Rolling Stones - Still Live
Bill, Keith, Mick, Ronnie & Charlie (Bild: Abkco Music, EMI, Michael Halsband, Ken Regan/Camera 5)

Das Glamouröse der Glimmer Twins Jagger/Richards wurde durch den schillernden Ron Wood an der Gitarre verstärkt, letzlich selber ein Star des UK-Rock, der u. a. bereits mit der Jeff Beck Group und The Faces gespielt hatte. Er war für Mick Taylor in die Band gekommen. Das genialisch verzahnte Zusammenspiel von Richards/Wood hielten Bass-Stoiker Bill Wyman und der swingende Charlie Watts, mit ihren vom Wesen her simplen Grooves zusammen – die aber besonders wegen Watts eigenwilliger Spielweise unkopierbar blieben.

Während Anfang der 80er im Vereinten Königreich Double-Bass-Drums plus Staccato-Riffs von Bands wie Iron Maiden, Judas Priest, Saxon und Motörhead zunehmend den Gitarren-Rock der Dekade dominierten, gingen die Stones auf US-Tour.

Hier entstand ,Still Life (American Concert 1981)‘, das den Hörer zu Beginn mit noch älterer Pop-Musik konfrontierte. Die Stones ließen als Konzert-Intro Duke Ellington And His Orchestra mit seiner Version der Strayhorn-Komposition ,Take The A-Train‘ über die Stadion-P.A. laufen. Die Zuschauer ahnen es, gleich geht‘s los, Applaus brandet auf, dann die Ansage: „Thank you very, very much the way to New Jersey. Would you welcome please: The Rolling Stones!“ Und zack geht‘s los mit dem Riff von ,Under My Thumb‘. Das rockt, rollt und rumpelt und macht richtig Laune.

Ganz ähnlich geht‘s weiter mit ,Let‘s Spend The Night Together‘. Mit dem markanten Melodie-Riff des scharfen ,Shattered‘ geht‘s von den 60ern in die 70er-Jahre. Mit knackigen Gitarren und hohem Tempo spielen sich die Stones durch den Eddie-Cocrane-Klassiker ,Twenty Flight Rock‘ – klasse Gitarren-Sound, angezerrt und direkt.

The Rolling Stones - Still Live
Glimmer Twins (Bild: Abkco Music, EMI, Michael Halsband, Ken Regan/Camera 5)

Der 60s-Soul-Hit ,Going To A Go-Go‘ von Smokey Robinson & The Miracles wird bei den Stones zu einer treibenden Rock-Nummer, die mit einem extrem coolen Saxophon-Solo gekrönt wird. Die Nummer wurde als Single (B-Seite ,Beast Of Burden‘) ausgekoppelt und landete in den USA und in England in den Top 30. Der Drum-Beat im flotten ,Let Me Go‘ ist Rock ‘n‘ Roll pur. Die Gitarren folgen zackig, währen Bill Wyman im satten Sound – damals spielte er meist einem Travis Bean TB2000 – flüssige Läufe darunterlegt.

Mit den Balladen ,Time Is On My Side‘ und ,Just My Imagination‘ gibt‘s eine Menge Gänsehautmomente. Schließlich nimmt die Platte mit ,Start Me Up‘ wieder Fahrt auf, eben jenem Hit des aktuellen Albums ,Tattoo You‘, der wieder so richtig rockte. Das Riff verdankte man, wie schon bei Songs wie etwa ,Brown Sugar‘ oder ,Honky Tonk Woman‘, Richards offen gestimmter Telecaster. Laut seiner Biographie machte er diese „ungeheure Entdeckung“ Ende 1968/Anfang 1969. Das Open-G-Tuning (GDGBD) habe ihm, heißt es weiter, Ry Cooder gezeigt.

Richards Innovation bestand darin, die ihn beim Spiel störende tiefe E-Saite wegzulassen. In Live-Mitschnitten der Zeit sieht man Keith mit verschiedenen Modellen, darunter meist eine schwarze Fender Telecaster Custom (mit Hals-Humbucker) oder eine klassische Tele in Blonde. Ron Wood spielt meist mit unterschiedlichen Fender Stratocasters oder auch mal seiner Zemaitis Custom. Und Mick Jagger spielt bei ,Just My Imagination‘ einer Cherry Gibson SG Standard. Hinter den Musikern erkennt man manchmal die Umrisse klassischer Röhren-Amps in Richtung Fender oder Marshall und diverser 4x12er Boxen.

The Rolling Stones - Still Live
(Bild: Abkco Music, EMI, Michael Halsband, Ken Regan/Camera 5)

So, und jetzt noch das Finale von ,Still Life‘. Und das konnte nur der Song sein, der den Stones 1965 zum Durchbruch in den USA gelang: ,(I Can‘t Get No) Satisfaction‘. Schließlich dröhnt über die P.A. noch die amerikanische Nationalhymne in der Version von Jimi Hendrix, die ausgeblendet wird.

Das Wiederhören dieses Live-Klassikers macht eine Menge Spaß. Irgendwie merkwürdig, dass das Album damals eher schlechte Kritiken bekam. Vielen waren (und sind) die Stones und der Sound hier zu glatt, hinzu kamen Gerüchte von nachträglichen Overdubs. Sicher steht ,Still Life‘ im Schatten des 70er-Klassikers ,Get Yer YaYa‘s Out‘ (mit Mick Taylor an der Gitarre). Aber hier war eben nun eine andere Rolling-Stones-Version am Werke, die gerade dabei ist, ihren typischen Stil und Sound in einem neuen Jahrzehnt zu etablieren. Definitiv ist ,Still Life‘ ein guter Einstieg in die Welt der Stones.

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(erschienen in Gitarre & Bass 07/2018)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Mein Lieblingsalbum, wenn ich ehrlich bin. Vor allem Keith Richards war großartig.

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  2. Ich sah sie ein Jahr später in München. “Still Live” ist eine hervorragende Liveplatte, die ich immer wieder gerne höre. Bis heute.

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  3. Die Amps waren Mesa Boogies.

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  4. Mein Lieblings Live Album. Hier und da wurde sicher ein bisschen getrickst, aber das macht nichts. Ich liebe Keith und Ronnie’s Gitarrenarbeit hier!

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