von Johnny Silver & Michael Doering, Artikel aus dem Archiv
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Was sich bei ,Sgt. Pepper‘ schon andeutete, wurde mit den folgenden und letzten Alben überdeutlich: Die Beatles entwickelten sich nicht nur privat sondern auch musikalisch immer weiter auseinander. Besonders das ,White Album‘ wird allgemeinhin als Sammelsurium von Einzelwerken der Herren Lennon, McCartney & Harrison betrachtet. Dennoch zeigt der Vergleich mit den späteren echten Solo-Alben der Ex-Beatles, dass auch die letzten gemeinsamen Arbeiten als Band weit mehr waren, als die Summe der Einzelbeiträge vier genialer Musiker.
Im letzten Teil unserer Beatles-Serie beleuchten wir noch einige wichtige Stationen aus der End-Phase ihrer Zusammenarbeit. Ein besonderer Blick gilt hierbei den neuen Instrumenten, Verstärkern und Effekten. Obwohl Gitarren spätestens seit 1966 nicht mehr die alleinigen Harmonie- und Solo-Instrumente waren, die bei den Aufnahmenzum Einsatz kamen, blieben sie doch die Hauptfaktoren im Sound-Gefüge der Fab Four.
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Neue Horizonte
Inspiriert durch Drogen, die Avantgarde, Meditation und den Zeitgeist der Mittsechziger war der visuelle Eindruck der Beatles um 1967 herum vor allem eines: bunt!
Die grauen Anzüge wichen den farbenfrohen Sgt.-Pepper-Kostümen, und die Promotion-Filme wurden zu bunten und bizarren Farbkollagen. Von dem niederländischen Künstler-Team „The Fool“ ließ man das Gebäude der eigenen Plattenfirma, das Apple-Building, mit psychedelischen Farben bemalen (damals ein Skandal) genauso wie Johns Rolls Royce. Auch an den Instrumenten ging diese Entwicklung nicht spurlos vorüber. Am auffälligsten war hierbei sicherlich John Lennons Gibson J-160E, die im Pop-Art-Stil grell bunt gestylt wurde. Aber auch sonstige Instrumente wurden mit strahlenden Farben verschönt: Harrisons „Rocky“ Fender Stratocaster, Pauls Rickenbacker 4001, diverse Klaviere.
‘Magical Mystery Tour’ Film
Mit Beendigung des Film- und Musikprojektes ,Magical Mystery Tour’ hatte die psychedelische Era der Beatles allerdings ihren Höhepunkt überschritten, und wie so oft nach der Beendigung einer Phase schlug das Pendel nun in die andere Richtung aus. Die Beatles ließen sich von George Harrison zu einem ausgedehnten Indien-Trip überreden, und hier entstanden zahlreiche Songs, die sich mit dem Einklang von Mensch und Natur beschäftigten, wie etwa ,Mother Nature’s Son’ und ,Blackbird’ von McCartney oder ,Across the Universe’ und ,Dear Prudence’ von Lennon.
Plötzlich stand die Schlichtheit im Vordergrund. Sinnbild hierfür ist das Cover des ,White Album‘, das einfach nur gar nichts zeigt und so in seiner Einfachheit nicht mehr zu überbieten ist. Die Beatles ließen nun den Lack von ihren Gitarren entfernen. So wurden beispielsweise Johns und Georges Epiphone Casinos auf diese Art wieder naturfarben (1999 hat Epiphone eine original Reissue von Lennons Casino in „Stripped Natural“ aufgelegt). Auch Lennons J-160E und McCartneys Rickenbacker Bass bekamen auf diese Weise nachträglich ein Natural-Finish.
Die Beatles unterstrichen die neue Einfachheit auch durch schlichtere Kleidung: Back to simple life.
George Harrisons neue Rolle erschöpfte sich aber keineswegs darin, seine Kollegen mit seinem außerordentlichen Interesse an der indischen Kultur inspiriert, und mit Sitar, Tambura und Tablas neue Klänge für die Beatles erschlossen zu haben. Er trat mittlerweile selbst als brillanter Songschreiber in den Vordergrund und damit aus dem Schatten seiner Überväter Lennon/ McCartney. Es ist bezeichnend, dass mit ,While My Guitar Gently Weeps’, ,Something’ und ,Here Comes The Sun’ drei der bekanntesten späten Songs der Beatles aus seiner Feder stammen. Er fühlte sich seit langem unterdrückt und kämpfte zunehmend darum, mit seinem Material gleichberechtigt auf den zukünftigen Alben berücksichtigt zu werden.
White Album
Vielfach wird bemerkt, dass das Album ,The Beatles‘ (bekannt als ,White Album‘) eher die Arbeiten der einzelnen Charaktere darstellt als das geschlossene Werk einer Gruppe. Interessanterweise haben die vier Musiker bei den Sessions zu diesem Album oft simultan und räumlich getrennt an verschiedenen Songs gearbeitet. Brauchte jemand die Hilfe eines anderen, so konnte er die auch jederzeit bekommen. Diese neue Arbeitsweise erlaubte den einzelnen Musikern ein höheres Maß an Freiheit, ohne jedoch völlig auf die Unterstützung der anderen verzichten zu müssen.
https://www.youtube.com/watch?v=F3RYvO2X0Oo
Neben der Qualität und der enormen Anzahl der Songs beeindruckt vor allem die große musikalische Bandbreite. Allein McCartneys Kompositionen für dieses Album decken ein extrem weites Feld ab. Man vergleiche bei- spielsweise die moderaten Songs wie ,Blackbird’ oder ,I Will’ mit seinen Rockern ,Why Don’t We Do It In The Road’ oder ,Helter Skelter’. Ähnliches gilt auch für die Beiträge der anderen Beatles. Unter gitarristischen Aspekten fällt auf, dass Lennon hier erstmals ein klassisches Folk-Picking einsetzt, gespielt auf seiner Gibson J-160E (vgl. ,Dear Prudence’ und ,Julia’). Diese Technik hatte ihm Singer/Songwriter Donovan in Indien gezeigt. Gitarristisches Highlight des Albums ist jedoch sicherlich die Sologitarre zu ,While My Guitar Gently Weeps’, wie allgemein bekannt, eingespielt von Harrisons Freund Eric Clapton.
Interessant hierbei ist vor allem, dass die typischen wimmernden Vibrati weniger von Claptons Spielweise herrühren als vielmehr von McCartneys nachträglicher Manipulation. Man sah sich nämlich im Studio einmal mehr mit dem Problem der Synchronisation zweier Bandmaschinen konfrontiert. Claptons Solo auf der zweiten Ma- schine lief schneller als die Basic-Tracks. McCartney machte aus der Not eine Tugend und bremste die Spule mit Claptons Solo während des Abspielens von Hand und erzeugte auf diese Weise wirklich eine „weinende Gitarre“. Obendrein schenkte Clapton George Harrison seine Les Paul, die zusammen mit dem Marshall-Bluesbreaker-Combo für den „weeping tone“ verantwortlich war.
Arbeitsweisen
Viele Songs des ,White Album‘ entstanden in Indien. Zurück in England traf man sich in Georges Studio, um die neuen Kompositionen als Demos einzuspielen. Einige dieser Aufnahmen finden sich übrigens auf der DoCD ,Anthology 3’, und sie zeigen, dass das Material auch ohne künstliches Aufblasen im Studio enorm kraftvoll wirkt. Der Zeitgeist hieß „neue Ehrlichkeit“, verlangte politisches Bewußtsein – nach dem langen Rausch der Psychedelia. Diese Entwicklung spiegelte sich auch in der Produktionstechnik wieder: Das endlose Overdubben und filigrane Produzieren von neuen Klängen wich einem schnörkelloseren Sound. Das ,White Album‘ klingt in mancherlei Hinsicht anders als die Vorgängerproduktionen des Jahres 1967. Zum einen wurde 1968 eine Achtspurmaschine in Betrieb genommen, des Weiteren trennten sich die Beatles weitgehend von ihren Vox-Amps.
Auch in England waren nun die Produkte des US-Herstellers Fender groß im Kommen und die Beatles erhielten eine Wagenladung an neuem Equipment: Zwei Rosewood Telecasters, einen Fender Jazz Bass, einen Fender VI Sechssaiter-Bass; als Verstärker gab’s Fender Twin Reverbs, einen Fender Deluxe Amp und einen Fender Bassman. Lennon favorisierte von nun an den Fender Deluxe als hauptsächlichen Studio-Amp, seine wichtigste Gitarre war die Epiphone Casino.
Auch entstand eine neue Affinität zu unverstärkten, natürlichen Sounds. Neben der Gibson J-160E wurden nun auch Akustikgitarren wie die Martin D 28 und die Gibson J- 200 eingesetzt. Und auch die Produktionsweise änderte sich: Bei vielen Songs wurden die Basic-Tracks nun wieder in voller Band-Besetzung eingespielt, und man verzichtete bewusst auf die typischen Sgt.-Pepper-Effekte.
Wie schon in den letzten Folgen erwähnt, entwarfen und fertigten die Techniker der Abbey Road Studios viele Geräte für den Eigengebrauch selber, so auch einige Gitarrenverzerrer, die von den Beatles sofort ausprobiert und mit denen auch aufgenommen wurden. Diese klangen etwas runder als die Vox-Fuzz-Boxes. Alan Parson, der damals in den Abbey Road Studios die Grundsteine seiner Karriere legte, kaufte diese Geräte auf und entzog damit den Equipment-Archäologen von heute wichtige Studienobjekte.
Let It Be
Obwohl ,Let It Be’ allgemein hin als letztes Beatles-Album betrachtet wird, entstand es in Wirklichkeit vor ,Abbey Road’. Das Missverständnis rührt daher, dass ,Let It Be’ später veröffentlicht wurde.
Man hatte bis dato alles ausgereizt, was sich an zusätzlichen Orchestrierungen und ausgeklügelten Arrangements realisieren ließ. Während der Arbeiten am ,White Album’ hatte man neues spielerisches Selbstbewusstsein erfahren. Kompliziertere Songs wie ,Happiness Is A Warm Gun’ mit ständigen Takt- und Tempowechseln bescherten den Beatles eine neue Spielfreude. Inspiriert durch die britische Blues-Szene und Progressive Rock (Jethro Tull, Vanilla Fudge, Yes, Cream, Fleetwood Mac etc.) war die Lust auf das gemeinsame Spielen neu entflammt. Die spätere Einbeziehung des amerikanischen Produzenten Phil Spector machte den Back-to-the-roots-Ansatz allerdings weitgehend zunichte. Dieser versah beispielsweise Pauls Hymne ,Long And Winding Road’ ohne dessen Wissen mit bombastischen Orchester- und Chor-Parts. McCartney war schockiert (insbesondere über den Frauenchor) und auch die große spätere Beliebtheit des Songs konnte seinen Ärger kaum mildern.
Der ursprüngliche Ansatz bei ,Let It Be’ lag darin, die Songs live einzuspielen. Am Anfang stand die Idee einer Bühnen-Show, in der die Beatles auftreten würden. Um diese Show interessanter zu machen, sollte Filmmaterial eingespielt werden, das sie bei der Probenarbeit zeigt. Diese Idee wurde sehr schnell fallengelassen, und man plante statt- dessen einen Auftritt in einem griechischen Amphitheater oder im englischen Roundhouse. George Harrison blockierte allerdings die Pläne und drohte mit seinem Ausstieg. Man einigte sich schließlich auf ein unangekündigtes und spontanes Konzert auf dem Dach des Apple-Bürogebäudes.
Das Resultat dieser chaotischen und planlosen Ereignisse war der Film ,Let It Be’. Da das Verhältnis der Beatles untereinander bereits extrem unterkühlt war, bestanden die Proben im wesentlichen nur noch aus Streitereien, Sticheleien und Frustration. Es existieren viele Stunden Ton- und Bildmaterial von diesen Sessions und hier wird deutlich, dass die Beatles sich damals wirklich unmotiviert und schlecht spielend durch diese Rehearsals quälten. Sie spielten Songs aus allen Perioden ihres bisherigen Schaffens, Rock-&-Roll-Songs aus dem Cavern Club bis zum Material vom ,White Album’. Diese Sessions zeigen auch, dass George mit sehr starken Songs aufwartet, aber kategorisch vom Team Lennon/McCartney abgeblockt wird. Dieses Song-Material veröffentliche Harrison dann auf seiner Solo-LP ,All Things Must Pass’ (eine aufwendig gestaltete 3-LP-Box mit Booklet & Poster), die sehr erfolgreich war und seinen Ruf als Song-Schreiber festigte. Interessant ist des Weiteren, dass John Lennon fast nie bei Harrisons Songs mitspielte.
Er schätzte ihn als Gitarristen, doch seine Kompositionen hielt er für belanglos. Paul benutzte seinen Höfner-500/1-Semiakustik-Bass und einen Fender-Bassman-Verstärker für diese Sessions, außerdem eine Martin D-28 Acoustic und ein Blüthner-Klavier. John spielte seine gestrippte Epiphone Casino und wenn Paul am Klavier saß, betätigte er die Fender VI, die im Grunde genommen ja eine Art Bass für Gitarristen war. George wechselte zwischen der Rosewood Telecaster und seiner Gibson Les Paul (welche ursprünglich eine Goldtop war und dann rot überlackiert wurde), wobei er sehr oft ein Vox-WahWah vor das Leslie-145-Cabinet (ein Orgelverstärker mit rotierenden Lautsprechern) oder seinen Fender-Twin-Combo schaltete. Seine neue Lieblingsakustikgitarre war eine Gibson J-200 in Sunburst, die aufgrund des größeren Korpus sehr sonor und kraftvoll klingt. Gastmusiker Billy Preston spielt sein Fender-Rhodes-E-Piano ebenfalls über einen Fender-Amp.
An einem frühen Winterabend, am 30.1.1969, trafen sich die Beatles, um ihren letzten gemeinsamen Auftritt auf dem Dach des Apple-Bürogebäudes frierend aber gut gelaunt zu zelebrieren. Kamera-Teams und Aufnahme-Equipment wurden in luftiger Höhe positioniert, und nach einigen Probeanläufen ging der unangekündigte halbstündige Auftritt in entspannter und motivierter Atmosphäre über die Bühne, während unten vor dem Gebäude der Verkehr zusammenbrach.
‘Don’t Let Me Down’ Rooftop Live
Abbey Road
Nach einigen Soloaktivitäten und geschäftlichen Problemen trafen sich die Beatles im Frühsommer 1969 noch einmal im Studio, um unter der Leitung von George Martin ihr letztes gemeinsames Album aufzunehmen. Darf man Insidern glauben, so waren sich alle Musiker über diese Tatsache im Klaren. George Martin bestand darauf, das Album „genau so wie früher“ zu produzieren. Ihm zur Seite stand Alan Parson.
Bei ,Abbey Road’ fallen einige Aspekte besonders auf: Die Songs auf der zweiten Seite der LP bestehen aus nahtlos aneinandergereihten Fragmenten, die den Eindruck eines Konzept-Albums erwecken. Dieses zeigt einmal mehr, dass die Beatles bis zum Schluss aus einem enormen Fundus von Material schöpfen konnten. Anstatt die einzelnen Fragmente auf komplette Song-Länge zu bringen, hat man sie einfach aneinandergefügt.
In Bezug auf den Sound war dieses Album ihr bislang bestes. Es wurde als Stereo-Album konzipiert und enthielt entsprechende Effekte. Aber auch vom Equalizing her war es um einiges runder und dem neuem HiFi-Bewusstsein angepasst.
Zum Equipment: Ringo benutzte sein neues Ludwig-Drum-Set (Maple Natur) mit einer zusätzlichen Tom; um den Sound trockener zu gestalten, legte er Geschirrtücher (!) auf Toms und Snare. Paul spielte seinen Rickenbacker 4001, John die Epiphone Casino und George wechselte wieder zwischen Les Paul und Telecaster. Die klassischen Clean-Sounds erzeugte George, indem er mit seiner Rosewood Tele über das Leslie-145-Cabinet spielte. Er variierte die Geschwindigkeiten und schaffte so ein lebendiges und schimmerndes Klanggeflecht (,Something‘, ,Octopus’s Garden‘, ,You Never Give Me Your Money‘, ,Sun King‘).
Die andere Gitarren-Klangwelt des Albums ist das Resultat einer fetten und bluesigen Allianz aus der Gibson Les Paul und dem Fender Deluxe bzw. dem Twin – jeweils mit leichter Zerrung. Lennons Casino-Semiacoustic klingt jazzig voll und wirkt auf ,Abbey Road‘ besonders dynamisch (z. B. die Rhythmusgitarre bei ,Come Together‘, die Sologitarre bei ,I Want You‘).
Im Instrumentalteil von ,The End’ wechseln sich Paul (Casino), George (Les Paul) und John (Casino) als Lead-Gitarristen ab; Ringo spielt (wahrscheinlich durch Iron Butterflys Hit ,In A Gadda Da Vida’ inspiriert) ein kurzes Drum-Solo.
The Beatles ‘The End’
Bei Abbey Road ist die Auseinanderentwicklung zwischen John und Paul auch in punkto Songwriting offensichtlich: Lennon hat den minimalistischen und emotionalen Ansatz, McCartney will Bombast und betreibt gewissermaßen orchestralen und symphonischen Crossover.
Harrisons Kompositionen sind so stark wie nie, und es gelingt ihm, ,Something’ als Single durchzusetzen. Sein auf der Gibson J- 200 gespieltes ,Here Comes The Sun’ zählt zu den weiteren Highlights des Albums. Die Beatles verwenden hier erstmals den Moog- Synthesizer, der damals ein Vermögen kostete und einige Quadratmeter Stellfläche einnahm. Auch bei ,I Want You’, ,Mean Mr. Mustard’ und ,Maxwell’s Silver Hammer’ kam dieses Gerät zum Einsatz. Produktionstechnisch wurde die LP mit einer 8-Spur-Bandmaschine von Studer aufgenommen, und die Beatles überwachten gemeinsam die finale Abmischung, um ein op-imales Ergebnis zu erhalten.
Das legendäre Zebrastreifen-Foto des LP-Covers wurde an einem schönen Sommertag an der Abbey Road aufgenommen, wo später schon so mancher Fan beim Nachstell-Versuch nur knapp dem vorzeitigen Tod entrann. Dieses Album hat die EMI Studios an der Londoner Abbey Road erst zu den „Abbey Road Studios“ gemacht.
Für viele Fans ist ,Abbey Road‘ das ausgereifteste Album der Beatles und in vielen Ländern auch das meistverkaufte. Ein sicherlich fulminantes Ende für eine sterbende Band!