Viermal mondsüchtig

Tedeschi Trucks Band: Susan Tedeschi im Interview

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(Bild: David McClister Photography, LLC.)

Der speziell für Künstler quälend lange Lockdown hat dafür gesorgt, dass sich die Tedeschi Trucks Band um Sängerin/Gitarristin Susan Tedeschi und ihren Lebensgefährten/Gitarristen Derek Trucks an ein ganz ungewöhnliches Projekt namens ‚I Am The Moon‘ gewagt hat.

Das vierteilige Konzeptalbum wurde zwischen Juni und September 2022 in vier Etappen veröffentlicht, inklusive dazugehörender filmischer Vorboten, jeweils drei Tage vor dem entsprechenden Audio-Release. Grundlage des 24 Songs und fast zweieinhalb Stunden Musik umfassenden Epos ist der aus dem 12. Jahrhundert stammende Gedichtzyklus ‚Layla & Majnun‘ – Spitzname: „Romeo und Julia des Nahen Ostens“ – des persischen Dichters Nizami Ganjavi. In ‚Layla & Majnun‘ geht es um große Gefühle, um unglückliche Liebe, Einsamkeit, Sehnsucht und all das, was mit einem solch emotionalen Thema verbunden ist.

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Bemerkenswert: Schon 1970 hatte sich Eric Clapton mit seiner Band Derek And The Dominos für das Album ‚Layla and Other Assorted Love Songs‘ von dieser Erzählung inspirieren lassen und somit auch das meisterliche Original seines späteren Smash-Hits ‚Layla‘ darauf bezogen. Im Unterschied zu Clapton erzählt die Tedeschi Trucks Band die Geschichte allerdings aus der weiblichen Perspektive.

Soweit der Inhalt, kommen wir zur Musik: ‚I Am The Moon‘ ist zweierlei, nämlich sowohl ein vielschichtiges und phasenweise virtuoses Blues-meets-Rock-Album, wie man es von dieser Band gewohnt ist. Andererseits öffnet die Scheibe ihre Schleusen aber auch für weiterführende Spielarten wie Country, Folk, Weltmusik, Jazz und sogar Pop.

Was es mit diesen vier Kapiteln und Spielzeiten von jeweils 36 Minuten (Susan Tedeschi: „Exakt wie ‚Axis: Bold As Love‘ von Jimi Hendrix“) auf sich hat und wie sie entstanden sind, erzählt die freundliche Amerikanerin in aller Ausführlichkeit.

Susan Tedeschi (Bild: Matthias Mineur)

INTERVIEW

Susan, gleich vier Alben auf einmal, mit einem durchgehenden Konzept, allesamt in einem Rutsch produziert, klingt nach unfassbar viel Arbeit.

Das Schreiben der Musik war nicht übermäßig aufwendig, denn es machte dermaßen viel Spaß, dass wir uns schnell in einem wunderbaren Flow befanden. Diese Band versteht sich auch menschlich ungemein gut, wodurch solche Ideen relativ leicht umzusetzen sind. Das größere Problem war, dass wir uns aufgrund der Corona-Situation nicht so einfach als gesamte Truppe treffen konnten. Wir leben in unterschiedlichen Bundesstaaten, was die Sache natürlich nicht eben leichter macht. Zum Glück wohnen Derek, unser Organist Gabe Dixon und ich in Florida und Nashville, damit war zumindest der Kern der Gruppe relativ eng zusammen. Am 22. August 2021 trafen wir uns zum ersten Mal, tauschten Ideen aus, stellten uns gegenseitig unsere Demos vor und machten uns an die Arbeit, all das zusammenzufügen.

Habe ich es richtig recherchiert: Die Story des Albums stand bereits, bevor ihr mit dem Songwriting begonnen habt?

Das ist richtig. Wir hatten gerade das gesamte Album von Derek And The Dominos live gespielt und Mike Mattison (Backgroundsänger und Akustikgitarrist, Anm. d. Verf.), ein ausgewiesener Fachmann, der viele unserer Texte verfasst, war von der Geschichte total begeistert und schlug vor, dass wir alle die Zeilen durchlesen und dann überlegen sollten, ob man daraus etwas Eigenes macht. Er sagte: „Warum erzählen wir die Geschichte nicht einmal aus einem anderen Blickwinkel, etwa, was sie für Layla bedeutet?“ Ein wirklich interessanter Ansatz. Also lasen wir das Buch, machten uns Gedanken und fingen an, Songs zu schreiben.

Derek Trucks (Bild: Matthias Mineur)

Text und Musik passten also von Beginn an zusammen?

Ja, denn wir hatten alle das gleiche Buch gelesen und fühlten uns davon auf ganz ähnliche Weise inspiriert. Aber natürlich besteht die Story aus unterschiedlichen Kapiteln und Songs, wodurch diese große Vielseitigkeit an Stilmitteln und Atmosphären zustande kommt. Von mir stammt beispielsweise die Nummer ‚Hear My Dear‘, für die ich ein paar Riffs und Melodien sowie ein paar Textbausteine hatte, und bei der mir Derek und Gabe halfen, dies alles zu arrangieren. Insofern ist so manches auch im Kollektiv entstanden, was wir sowieso sehr gerne machen. Die einzelnen Kapitel der vier Alben wurden allerdings erst festgelegt, nachdem sämtliche Songs fertig waren. Es gibt in der Geschichte beispielsweise eine Abschiedspassage, für den ein Song von mir verwendet wurde, der sich um einen bittersüßen Abschied dreht.

Würdest du sagen, dass die Tedeschi Trucks Band aufgrund dieses ungewöhnlichen Konzeptalbums auch ihre stilistische Bandbreite so weit wie niemals zuvor ausgedehnt hat?

Natürlich findet man auf ‚I Am The Moon‘ viele für uns typische Elemente. Darüber hinaus haben wir aber auch Neuland betreten. Zum Beispiel gab es bei uns noch nie eine Instrumentalnummer wie ‚Pasaquan‘, die man auf dem ersten Teil der vier Scheiben findet. Der Song zeigt Derek als absoluten Mittelpunkt der Band, und dies in einer für ihn ungewöhnlich jazzigen Spielweise. Die Nummer klingt ein wenig wie die Allman Brothers, bei denen solche Einflüsse in ihre Rock- und Blues-Stücke oft eingewoben waren. Mit einem starken Thema zu Beginn, einer dann anschließend freieren Spielweise und schließlich der Rückkehr zur Hookline vom Anfang.

Sprich: mit einem großen improvisatorischen Anteil?

Exakt. Man nimmt sich diese Freiheit, geht auf seine Mitmusiker ein, kann auf sie reagieren, und hat gleichzeitig eine starke Hookline, die den Song trägt. So etwas gab es von Derek noch nie zuvor. Hinzu kommen viele verschiedene Einflüsse, von Rock über Blues bis zu Country und Folk und sogar Pop. Eine unfassbar große Stilvielfalt von fünf gleichstarken Komponisten, die alle einen eigenen Stil und eine eigene Art haben, sich künstlerisch zu artikulieren. In der Vergangenheit hatte sich das Meiste auf Derek, mich und Mike Mattison fokussiert. Zudem gab es mitunter die Zusammenarbeit mit externen Songschreibern wie John Leventhal, Gary Louris von The Jayhawks oder Oliver Wood von The Wood Brothers.

Diesmal dagegen haben alle fünf festen Bandmitglieder komponiert. Das ist neu für uns. Darüber hinaus hat unser Produzent Bobby Tis einigen Songs ein psychedelisches Feeling verpasst, was perfekt zur Story passt und die unterschiedlichen mentalen Zustände unserer Protagonisten unterstreicht. Ich denke, aufgrund dieser großen Bandbreite an Ideen und Stilen findet jeder Zuhörer auf den vier Alben etwas, das ihn anspricht.

Tech-Talk, Tonarten, Tunings und mehr auf Seite 2 … 

Gibson SG Standard 1962 Reissue
Trucks Fender Deluxe Reverb plus Leslie-Cabinet

Kommen wir zur technischen Seite des Albums, den verwendeten Gitarren, Verstärkern und Effekten. Könntest du kurz beschreiben, mit welchem Instrumentarium ihr ‚I Am The Moon‘ eingespielt habt?

Derek spielt bekanntlich schon seit Jahren die gleiche SG, nämlich eine Replika der SG, die Duane Allman bei den Allman Brother gespielt hat. Hinzu kam diesmal eine Gibson ES-335. Sein Hauptverstärker war ein Fender Vibrolux, dazu ein Fender Tweed Champ und eine Box mit Leslie-Speaker. Ich habe Fender Deluxe Reverb und Fender Super Reverb gespielt. Meine Gitarren waren meine Gibson Les Paul, eine Replika von Eric Claptons Beano, die er bei John Mayalls Bluesbreaker gespielt hat, und eine 1993er Fender American Standard Telecaster. Außerdem eine alte Martin-Akustikgitarre aus den 1930ern.

Tedeschis Fender Super Reverb als Top und Combo
Gibson Les Paul 1960 Clapton Beano Reissue

An Pedalen spiele ich ein Vox-Wah und einen kleinen Booster, den mir Jorma von Jefferson Airplane geschenkt hat. Außerdem hat uns ein Bekannter einige wirklich sehr coole Distortion-Pedale gebaut, extra für meine Telecaster und für Dereks SG. Interessanterweise hat Derek mein Tele-Pedal auch für seine SG eingesetzt. Allerdings gehe ich mit meiner Gitarre oft direkt in den Amp und verzichte weitestgehend auf Effekte. Unser Bassist Brandon Boone hat meines Wissens sein seit Jahren unverändertes Equipment eingesetzt.

Kannst du bitte etwas über Tonarten, Tunings, etc. erzählen?

Alle Stücke sind in A-440 verfasst, allerdings gibt es bei den Gitarren ganz unterschiedliche Tunings. Es sind insgesamt 24 Songs, sodass ich nicht alle Tonarten im Kopf habe. Zumal wir bei einigen Songs die Tonart noch kurzfristig geändert haben. Aber ‚I Am The Moon‘ ist beispielsweise in G. Ich selbst spiele oft in Standard-Tunings und Derek dazu bekanntlich meistens in Open-E-Tunings. Hinzu kommen bei ihm auch schon mal ein Drop-D, einige Open-C- oder Open-G-Tunings. Viele Songs haben darüber hinaus unterschiedliche, teilweise sehr komplexe Zählzeiten, also bei weitem nicht nur 4/4tel.

Könntest du abschließend beschreiben, was du als erfahrene Musikerin von der Arbeit an diesem Monumentalwerk lernen konntest? Wird es Auswirkungen auf deine zukünftige Arbeitsweise haben?

Interessanterweise habe ich von den folkigen und recht einfach strukturierten Songs, die sogar Anfänger leicht nachspielen können, besonders viel gelernt. Dem stehen die komplexen, ziemlich aufwendigen Nummern gegenüber, von denen man als Musikerin natürlich eine Menge über Grooves und Akkordstrukturen erfahren kann. In rhythmischer Hinsicht, in Bezug auf den Ton, aber auch über den improvisatorischen Anteil von Musik kann man bekanntlich gar nicht genug lernen.

Auch die vielen unterschiedlichen Stile, bluesige, rockige, aber eben auch – wie anfangs erwähnt – einige coole Jazz-Anteile oder Einflüsse von World Music sind immer eine willkommene Herausforderung. Und natürlich kann man jedes Mal aufs Neue enorm viel von Derek und seinem Spiel lernen. An einer Stelle eines Songs schlägt er die Gitarre so geschickt an, dass es fast wie ein Didgeridoo klingt. Derek hat die Gabe, mit seinem Instrument die unterschiedlichsten Sounds zu erzeugen. Er zeigt mir immer wieder, dass es nicht nur eine einzige Art des Gitarrenspielens gibt. Deshalb sollte man als Künstler stets offen für Neues und neugierig bleiben. Ich möchte permanent dazulernen, sowohl als Musikerin, aber speziell auch als Gitarristin.

Was konkret?

Niemand weiß alles, es gibt immer etwas Neues zu lernen. Eine der wichtigsten Lektionen ist die Entscheidung, was man unbedingt spielen und was man lieber weglassen sollte, um dem Song Raum zum Atmen zu geben. Zumal wir in einer Zeit wie dieser alle Möglichkeiten hatten, in Ruhe sämtliche Gitarrenparts aufzunehmen, die man sich für einen bestimmten Song vorstellen konnte. Später, auf Tournee, wird man dann schauen müssen, was für den Song wirklich wichtig ist. Man wird dann manche Nummern sicherlich noch einmal mit anderen Augen betrachten und etwas in ihnen entdecken, was einem im Studio womöglich entgangen war. Als Band auf Tournee erlebt man solche Songs völlig neu, zumal auch Derek Abend für Abend jedes Solo neu interpretiert. Deshalb bin ich zurzeit mächtig gespannt, wie wir diese abwechslungsreichen neuen Songs später auf Tour umsetzen werden.


(erschienen in Gitarre & Bass 12/2022)

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