(Bild: Tobias Hoffmann)
Ich lernte Bill Frisells Musik 1998 kennen. Ich war 16 Jahre alt, kam vom Blues und vom Rock, war aber mittlerweile glühender Jazz-Fan und wildentschlossener Gitarrist. Mit einigen damals angesagten Gitarristen war ich schon vertraut: Mike Stern, Robben Ford und John Scofield waren meine Helden. Auch Bill Frisell war mir irgendwie ein Begriff, jedoch erinnere ich mich daran, wie ich länger zögerte, mir Frisells damals aktuelles Album ,Gone Just Like A Train‘ zu kaufen. Über Wochen schlich ich im CD-Laden um die Scheibe herum. Schließlich habe ich mich durchgerungen und sie gekauft.
Ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich hätte die Platte von Anfang an bedingungslos geliebt. Ich tat mich schwer mit einigen Stücken, aber es ging eine Faszination von dieser Musik aus, die mich dazu brachte, sie mir immer und immer wieder anzuhören. Sie wurde zu einer meiner Lieblingsplatten.
Schließlich bin ich selber Musiker geworden und habe von Bill Frisell, im Nachhinein betrachtet, sehr viel über das Musikmachen gelernt. Das betrifft gar nicht in erster Linie das Gitarrespielen, sondern Klang, Timing, Sound, Raum und Präzision. Frisell ist kein Schnellspieler, dennoch hochvirtuos. Wie er Akkorde und Melodien vereint, sein Anschlag (nachdem die Töne manchmal lauter zu werden scheinen!), sein Sound, sein Ton sind einmalig. Er ist einer der Vorreiter im kreativen Einsatz von Effektpedalen.
Damit hat er der Gitarre zu anderen Funktionen innerhalb des Band-Gefüges verholfen, eine eher orchestrale, Atmosphäre schaffende, farbgebende Rolle. Sein berühmtes Neck-Bending, das Hin- und Her-Dehnen des Gitarrenhalses während des Spielens, um die Gitarre besser zu intonieren, hat Schule gemacht. Er wurde zu einem der einflussreichsten Gitarristen und Musiker der letzten 40 Jahre und ist über Genregrenzen hinweg wahnsinnig beliebt.
Ob Jazz, Avantgarde, Folk, Blues oder Pop, ob Paul Simon, Elvis Costello oder Bonnie Raitt – alle lieben Bill Frisell! Das liegt neben seiner wunderbaren Musik sicher auch an seinem sehr ruhigen, bescheidenen und freundlichen Wesen. Davon konnte ich mich selbst überzeugen, als ich Bill zu unserem verabredeten Video-Interview per Skype kontaktierte.
Das Gespräch
Du bist ja wahnsinnig viel auf Tour. Was machst du unterwegs?
Ja, das scheint wirklich endlos zu sein. Das Reisen, die ganze Zeit zwischen den Gigs, das ist die große Herausforderung. Wenn ich auf der Bühne stehe und spiele, dann ist alles super. Ich bin insgesamt sehr glücklich, dass ich das alles machen kann! Aber erst einmal zum Gig zu kommen, das ist das Zeitaufwendige daran. Und ich bin leider nicht so gut darin, die Zeit sinnvoll für Arbeit zu nutzen.
Erinnerst du dich an deinen ersten Gig in Köln?
Ja, ich erinnere mich daran. Besonders weil der Stadtgarten einer der ersten Clubs in Europa war, in denen ich gespielt habe. Das ist ein besonderer Ort für mich. Ich liebe es, in diesem Raum zu spielen. Aber ich erinnere mich nicht wirklich daran, was ich gespielt habe. (lacht). Diese ganze Tour war toll für mich. Ich bin jeden Abend auf die Bühne gegangen und wusste nicht, was ich spielen würde. Ich hab einfach mit ein paar Noten angefangen und das brachte mich dann zu einem Song und so kam ich zum nächsten und so weiter. Ich wusste nie wirklich, was an diesen Abenden passieren würde. Jeder Abend war anders.
Wenn du ohne festgelegte Reihenfolge der Stücke spielst, wie machst du das? Hast du einen Pool von Stücken aus dem du dich bedienst?
Ja, diese ganzen Nummern haben sich über die Jahre angesammelt. Es gibt aber definitiv welche, die ich mehr auf dem Schirm habe. Jeden Abend habe ich z. B. Billy Strayhorns ,Lush Life‘ gespielt. Auf der Tour habe ich die Biografie von Billy Strayhorn gelesen, ein Buch von David Hadju. Du solltest das lesen! Die Geschichte von Strayhorn hat mich inspiriert: Was für ein wahnsinniger Musiker, was für eine Persönlichkeit!
Ich war beim Konzert über manche Stücke überrascht, weil ich sie in einem Solo-Set nicht unbedingt erwartet hätte. Du hast Paul Motians ,Mumbo Jumbo‘ gespielt und ,26-2‘ von John Coltrane.
Oh wirklich? Wow! Nun, ,26-2‘ ist eines dieser Stücke, die ich immer übe, wenn ich mal fünf Minuten im Hotel habe. Es ist auch einer dieser Songs, bei denen ich das Gefühl habe, sie nie richtig zu können.
Was denkst du beim Spielen? Denkst du bewusst an die Akkordfolgen, die Form, Skalen oder Intervalle?
Nein … na ja, bei einem komplexen Stück wie ,26-2‘ natürlich schon. Aber im Idealfall lässt man das alles einfach hinter sich und agiert mehr wie ein Sänger, der ganz natürlich über das Stück singt. Dahin möchte ich kommen und ich komme dem auch immer näher. Es spielt aber keine Rolle, wie komplex ein Stück aus harmonischer Sicht ist. Ich verstehe es nicht, wenn Leute sagen: „Dieses Stück hat ja nur zwei Akkorde.“ Das bedeutet für mich nicht, dass dieses Stück einfacher zu spielen wäre als irgendein anderer Song.
Soundcheck
Ungefähr einen Monat vor unserem Interview durfte ich den Soundcheck vor Bills Solo-Konzert im Kölner Stadtgarten beobachten. Am Abend vorher noch in Barcelona, reiste Bill mit Ehefrau Carol und seiner Tour-Managerin und Sound-Technikerin Claudia Engelhardt direkt vom Flughafen Köln an. Nach herzlicher Begrüßung durch die Verantwortlichen des Stadtgartens beginnt der Soundcheck. Bill testet vor allem die geliehene Martin-Akustik-Gitarre, die ihm nach anfänglichen Stimmschwierigkeiten („Oh my god, it’s brand new“) doch sehr zusagt. Und schon ist er da, „unplugged“ im wahrsten Sinne des Wortes – der Bill-Frisell-Sound.
Gab es eine Zeit, in der du speziell an deinem Ton gearbeitet hast?
Der Sound kommt einfach mit den Jahren, glaube ich. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich klingen möchte, oder ich versuche wie eine Trompete oder ein Saxofon zu klingen. Das gelingt mir natürlich nicht. Aber diese Limitierungen sind ja auch manchmal das, was unsere Stimme ausmacht. Ich versuche eine bestimmte Melodie zu spielen, aber ich bekomme es nicht so hin, also finde ich einen anderen Weg. Wenn ich Thelonious Monk höre, Sonny Rollins, Miles Davis oder John Coltrane, dann höre ich nicht die Instrumente, sondern ich höre die Person hinter dem Instrument. Jeder hat seine eigene Stimme. Ich weiß jetzt nicht, wie du spielst, aber du wirst auch deinen Sound haben.
Ich habe neulich nochmal alte Aufnahmen von dir angehört. Ich kam auf diese Eberhard-Weber Platte ,Fluid Rustle‘ von 1979. Da erkennt man dich schon recht deutlich.
Ach ja, dieses Album… Ich lebte damals in Belgien. Ich bin zu den Aufnahmen mit dem Zug gefahren. Ich war so aufgeregt. Es war das erste Mal in einem richtigen Studio, und ich wusste nicht einmal wie ein Hotelzimmer aussieht. (lacht)
Du hast mal erzählt, dass du Anfang der 70er-Jahre ein sehr traditioneller Bebop-Spieler warst. Wann hat sich das geändert?
Ja, das war, als ich zum ersten Mal am Berklee College Of Music war. Ich wollte spielen wie Jim Hall. Ich blendete alles andere aus. Sogar Jimi Hendrix und alle diese Sachen die ich mochte und mit denen ich aufgewachsen war. Ich tat so, als wäre es 1956! Wenn du Aufnahmen von damals hören könntest, würdest du nicht glauben, dass ich das bin. Aber irgendwann fing ich an, mich wieder zu öffnen.
Was war denn vor dieser Bebop-Phase?
Ich hörte sehr viel Blues. Damals hatte ich eine Gibson ES-175 und ich versuchte soviel aus dieser Gitarre herauszuholen wie möglich. Als ich dann jedoch auf eine Solidbody wechselte, ergaben sich viel mehr Möglichkeiten. Ich konnte wie Carlos Santana und wie Jim Hall gleichzeitig klingen.
(Bild: Tobias Hoffmann)
Wie kam es zu diesem Sound für den du Anfang der 80er-Jahre bekannt warst, die Compressor/Volume-Pedal Kombination mit Echo und Reverb?
Ich erinnere mich daran, dass John Abercrombie eines dieser Fuzz-Pedale hatte, also holte ich mir auch eins. So konnte ich die Töne verlängern, später hatte ich dafür den Kompressor. Als nächstes besorgte ich mir ein Tape-Echo, es gab damals noch keine Digital-Delays. Und dann bekam ich das Volume-Pedal. Jetzt konnte ich die Noten anschwellen lassen wie ein Bläser!
Wann fing das mit den Loop-Geräten an?
Jemand zeigte mir Anfang der 80er dieses Electro-Harmonix 16 Second Delay, und ich war sofort hin und weg. Es ist mehr als ein Effektpedal, du kannst dich aufnehmen und in veränderter Form wieder abspielen. Es ist, wie mit jemandem eine Konversation zu haben.
Das Gerät benutzt du aber schon lange nicht mehr.
Nein, ich habe nun dieses Line6-Delay für Loops. Es kann nicht so viele Sachen wie die alten Teile, ist etwas limitiert, aber ich fühle mich wohl damit.
Solo Gear
- J.W. Black Telestyle Guitar mit Callahan Pickups, Mastery Bridge und Bigsby Vibrato
- Martin D-35 (geliehen)
- Zwei Fender Deluxe Reverb Reissue (geliehen)
- Polytune Tuner
- Rockett Audio Designs Touch Overdrive
- Electro Hamonix Pocket Metal Muff
- Electro Harmonix Freeze Infinite Sustain Pedal
- Line6 DL4 Delay Modeler (für Loops)
- Strymon Flint Tremolo & Reverb
- Lehle Little Dual Switcher
Dazwischen hattest du für Loops ein DigiTech Echo Plus. Das hast du auch lange Zeit verwendet.
Oh ja! Diese Teile sind auch super! Aber sie produzieren viele Nebengeräusche. Ich hatte eine Studio-Session mit Ron Carter (b) und Paul Motian (dr), wir hörten uns die Aufnahme im Abhörraum an und es rauschte wie verrückt. Ich habe es dann einfach abgebaut und seitdem nicht mehr benutzt.
Vermisst du es nicht?
Ja klar, ich vermisse es! Weil das Gerät wirklich verrücktes Zeug macht. Aber wenn du den puren Gitarren-Sound haben willst, sind solche Nebengeräusche echt ein Problem.
Wie kam es dazu, dass du die Compressor/Volume-Pedal-Kombination aufgeben hast?
Das war während einer Tour. Ich kam zum Gig mit Paul Motian und die Fluggesellschaft hatte mein Gepäck verloren. Ich musste einfach mit meiner Gitarre direkt in den Amp spielen, und dachte: „Wie soll ich denn bloß ohne Volume-Pedal spielen?“ Und dann fangen wir an und ich denke: Warte mal, ich brauch das Ding ja gar nicht mehr! Der Kompressor hatte den Sound gleichlaut gemacht und ich habe das mit dem Volume-Pedal wieder ausgeglichen. So hatte ich die Dynamik gesteuert. Mir wurde dann klar, dass ich das ja alles mit meinen Händen machen kann, und so mehr Kontrolle habe.
Dein Sound wurde in den 90er-Jahren immer natürlicher. Und ich hatte das Gefühl, dass dein Gitarrenton in den letzten paar Jahren noch „akustischer“ wurde.
Ja, das stimmt. Ich weiß nicht, ob ich mich rückwärts bewege, aber ich bin mehr und mehr vom Sound der Gitarre an sich und der Schönheit ihres Klangs begeistert. Und ich liebe es, mir alte Gitarrenplatten anzuhören, zum Beispiel Charlie Christian oder Les Paul. Wenn du dir diese Gitarristen anhörst, das ist einfach der pure Sound der Gitarre in den Amp. Charlie Christian … wow! Einer der ersten elektrischen Gitarren-Sounds die es je gegeben hat! Und das klingt auf eine Art irgendwie immer noch modern für mich.
Gitarren
In den 80er-Jahren setzte Bill Frisell hauptsächlich eine Gibson SG ein, in den 90ern spielte er lange Zeit eine Klein-Electrics-Gitarre. Ab der Jahrtausendwende war er vornehmlich mit Telecaster Modellen zu sehen. Seit ca. zehn Jahren wechselt er ständig seine Instrumente, darunter viele speziell für ihn angefertigte Modelle. An seinem Sound ändert dies tatsächlich relativ wenig. Ich fragte Gitarrenbauer J.W. Black nach der für Bill angefertigten Telecaster, die er auf seiner Solo-Tour spielte. Er brachte es in aller Bescheidenheit auf den Punkt: „Mir macht es Spaß, mit Mr. Frisell zu arbeiten, es ist inspirierend. Aber Mr. Frisell würde auch auf einer alten Zigarrenkiste mit Saiten drauf großartig klingen. Sehr gute Musiker entdecken die Persönlichkeit eines Instruments und benutzen dann den Charakter der jeweiligen Gitarre in Wechselwirkung mit ihrem eigenen Stil. Es ist der Spieler, der die Magie kreiert, nicht das Instrument.“
Ich habe gesehen, du benutzt jetzt Flatwounds, also geschliffene Saiten, richtig? Das trägt ja sehr viel zu einem akustischeren, jazzigeren Klang der Gitarre bei.
Ja, das stimmt. Ich benutze seit zwei Jahren Flatwounds. Ich dachte immer, ich kann das nicht machen. Ich dachte es klingt zu leblos, zu stumpf, aber ich habe es dann einfach mal ausprobiert und es hat mir gefallen. Ich benutze die Saiten jetzt auf den meisten meiner Gitarren.
In vielen Artikeln wirst du als Sound-Typ beschrieben, aber du hast auch ein phänomenales Gefühl für Timing und Rhythmus. Hast du jemals bewusst daran gearbeitet?
Das ist einfach ein wichtiger Teil von Musik. Als Kind habe ich in einer Marching-Band Klarinette gespielt. Also, marschieren und dabei spielen. Vielleicht hat es da anfangen. Und dann hab ich in Tanzgruppen gespielt. Und dann … Sonny Rollins, Thelonious Monk … sich ihre Time anzuhören ist einfach sehr inspirierend. Und ich habe mit tollen Schlagzeugern zusammengearbeitet. Wenn ich ein Solokonzert spiele, ist es natürlich eine große Herausforderung, alleine für den Groove zu sorgen … Oh, ich fürchte ich muss jetzt los, zum Soundcheck mit Charles Lloyd.
Danke dir für deine Zeit und das nette Gespräch.
Danke auch! Bye!
(erschienen in Gitarre & Bass 05/2019)