(Bild: KORY MOROCCAN)
Schon als Teenagerin etablierte sich Tal Wilkenfeld in der New Yorker Jazz-Szene. Inzwischen ist sie als Studio- und Live-Musikerin für Lee Ritenour, Mick Jagger, Jackson Browne und Todd Rundgren hoch geschätzt. Vor allem an der Seite von Herbie Hancock und Jeff Beck erspielte sich die Australierin einen Ruf als exzellente Instrumentalistin. Mit ihrem aktuellen, zweiten Soloalbum spricht sie für sich selbst.
‚Love Remains‘ zeigt die Virtuosin mit der Lockenmähne nicht nur als Instrumentalistin, sondern wie ihre Kolleginnen Rhonda Smith, Esperanza Spalding oder Melissa Auf Der Maur vollzieht sie den nächsten Karriereschritt hin zur Sängerin, Gitarristin und Chefin ihrer eigenen Band. Unter anderem mit dabei sind Gitarrist Paul Stacey (Oasis), dessen Bruder Jeremy Stacey (King Crimson) am Schlagzeug und Keyboarder Benmont Tench (Tom Petty & The Heartbreakers). Wilkenfelds Songs changieren zwischen Alternative-Rock, nachdenklichen Akustikballaden und natürlich Fusion-Jazz-Tunes.
interview
Tal, als du in die USA gezogen bist, um Profimusikerin zu werden, warst du eine Multiinstrumentalistin, die zudem sang. Warum hast du dich danach auf den Bass fokussiert?
Ich entschied mich relativ früh, als Instrumentalistin zu arbeiten, um mich mit meinem Hauptinstrument in der Szene zu etablieren. Ich wollte Gigs spielen, denn nur das bringt dir Erfahrung. Ich spielte dann viel in New Yorker Clubs, bis ich für Jeff Beck spielen durfte.
Du sagst „der Bass wurde zu meiner Waffe und zu meinem Schild.“ Um dich wovor zu beschützen?
Der Bass wurde meine Form der Kommunikation mit der Welt. Meine Sprache ist die Musik. Aber diese Form ist vage, weil damit keinerlei Botschaften verknüpft sind und keine Inhalte rübergebracht werden. Stattdessen Emotionen, die mit Musik verknüpft sind. Deshalb habe ich mal gesagt, der Bass sei eine Möglichkeit mich auszudrücken, aber auch ein Schild, hinter dem ich mich verstecken kann. Jetzt, als Sängerin und Songwriterin erzähle ich Geschichten aus meinem Leben und dem anderer Menschen. Das ist ein völlig anderes Ding.
(Bild: KORY MOROCCAN)
Auf ‚The Corner Painter‘ spielst du Akustik-Gitarre. Ist die Gitarre dein Kompositionsinstrument?
Nun, einige Ideen habe ich auch auf dem Bass entwickelt, aber die Gitarre ist für mich das einfachste Instrument, um Akkorde zu finden. Ich erkenne auch, dass das beste Instrument für Komposition unbestreitbar das Klavier ist, aber da sind meine Fähigkeiten eher rudimentär und nicht so flüssig wie auf der Gitarre.
Du denkst gerne vorwärts und verfolgst den Anspruch, mit ‚Love Remains‘ etwas Neues zu schaffen. Womit ist dir das auf diesem Album am besten gelungen?
Dieses Album ist das Resultat einer langen Suche und kein Konstrukt, das ich schnell mal im Studio abgearbeitet habe. Es hat lange gedauert, bis ich wusste, worauf ich hinaus will. Viel länger als ich vermutet hatte! Ich hatte ja auch keine konstante Band und keinen Produzenten, sondern verschiedene Ensembles, Sessions, Song-Ideen und Sounds. Erst, als sich der Kern der Musiker für dieses Album herauskristallisierte, mit Paul und Jeremy Stacey, Benmont Tench, Zac Rae und Blake Mills, entstanden die Songs recht schnell. Das hat mich wirklich überrascht. Es war notwendig die richtige Konstellation an Musikern zu finden, um meine Vision dieses Albums umzusetzen. Danach schrieben sich die Songs fast von selbst.
Wayne Krantz, Jeff Beck, Steve Lukather, Jackson Browne, Herbie Hancock, Lee Ritenour, Trevor Rabin, Todd Rundgren – nur einige Musiker, für die du gearbeitet hast. Wer oder was war die wichtigste Lektion für dich als Musikerin?
Ich habe eine Menge cooler Ratschläge bekommen, als ich noch jünger war, besonders während meiner Zeit als Session-Musikerin in New York. Ich war 19, als ich mit Wayne Krantz gespielt habe. Er war damals mein Lieblingsgitarrist. Ich habe ihn jede Woche in der 55 Bar gesehen, wo er mit Anthony Jackson spielte. Zwei meiner Lieblingsmusiker bei einem Gig! (lacht)
Wayne engagierte mich dann für einige seiner Gigs. Er hat meine Vorstellungskraft total geöffnet, was Harmonielehre, Musiktheorie und Improvisation betrifft. Ich fand es total faszinierend, sich mal nicht an Notenblätter zu halten. Durch ihn hat sich mein Spiel phänomenal entwickelt. Das gilt auch für Anthony Jackson. Wir haben abends oft in seinem Auto gesessen, Musik gehört und Songs analysiert – welche Noten der Bass weglässt oder wie er mit dem Schlagzeuger um den Beat herum spielt. Diese Unterhaltungen haben mir bei der Betrachtung von Musik sehr geholfen.
Das war etwa ein Jahr bevor ich zu Jeff Beck kam. Das war für mich die Periode, in der ich am intensivsten gelernt habe. Als ich dann zu Jeff Beck und Herbie Hancock kam, hatte ich verinnerlicht, Musik als Konversation zu betrachten und stets zu überlegen, wie ich mich am besten in diese Unterhaltung einfüge. Ich hatte das große Glück, dass Jeff mich bei seinen Shows als Instrumentalistin ins Rampenlicht stellte. Das war sehr ungewöhnlich und generös von ihm. Normalerweise stehst du als Sideman im Hintergrund und sorgst dafür, dass dein Boss glänzen kann.
Auch bei Herbie Hancock habe ich diese Art der Konversation in seiner Band erlebt, was toll war. Abgesehen davon ist es großartig, Herbie und Wayne (Shorter, der Saxofonist) aus nächster Nähe zusammen spielen zu sehen! Ihre Musikalität ist schlichtweg fantastisch. Das ist viel mehr als (hebt ihre Stimme): Und nun das Pianosolo – tata! Und jetzt das Saxofonsolo – tata! Das sind rückblickend die wichtigsten Erfahrungen, die ich auf meinem Weg gemacht habe.
(Bild: KORY MOROCCAN)
Welche Bässe hast du im Studio benutzt? Du bist zumeist mit einem Fender Precision und deinem Harmony H22 Hollowbody zu sehen.
Das sind meine wichtigsten Instrumente, dazu mein Sadowsky-NYC-Fünfsaiter, der auf E-A-D-G-C gestimmt ist und den ich auf ‚Haunted Love‘ spiele. Was Gitarren angeht, habe ich eine Bariton-Akustik von Yamaha, genau genommen einen Prototyp von Jackson Browne. Er hat mir die Gitarre geliehen, damit ich sie im Studio benutzen konnte. Ich hatte für ‚Corner Painter‘ meine Akustik auf H runtergestimmt, sodass die Saiten fast schon durchhingen. Auf seiner Bariton ging das dann exzellent.
Die Aufnahme mit Blake Mills und Jeremy Stacey war so toll, dass ich wohl ein bisschen heftig angeschlagen und durch mein Strumming den Schalllochrand mit dem Plek zerkratzt habe. Ich hatte ziemlichen Schiss, was Jackson sagen würde, aber er war ziemlich cool. Ein paar Monate später hat er mir von Yamaha dann eine Baritongitarre bauen lassen!
Dann habe ich noch eine Epiphone Broadway Archtop aus den 50er-Jahren, die mal Ben Harper gehörte. Sie habe ich auf ‚One Thing After Another‘ gespielt. Dazu hatte ich noch eine alte Gibson J-45 im Studio. Live toure ich mit einer Gibson CF-100E mit einem P-90-Pickup.
Wie sieht es mit Amps aus?
Im Studio habe ich meine Bässe lustigerweise oft über einen Music Man Gitarren-Amp gespielt, den mir Paul Stacey empfohlen hat. Ansonsten habe ich, wie bei vielen Sessions, meinen Ampeg B-15N gespielt. Bei passiven Bässen wie meinem Precision finde ich den Amp klasse, nur bei aktiven Bässen kommt er nicht so gut. Dafür habe ich meinen alten Ampeg-SVT-Head. Live probiere ich nach wie vor alles Mögliche aus. Da habe ich noch nichts gefunden, was meinen Sound-Vorstellungen völlig entspricht. Meist greife ich auf einen EBS HD350 mit einem 4×10″-Cabinet zurück. An Effekten habe ich ein TC Electronic Flashback Delay, ein EBS OctaBass, ein Way Huge Pork Loin Overdrive und einen Peterson-Tuner.
Du zupfst mit den Fingern. Eine Sache des Tons?
Ja, sicher. Im Rock sind Pleks die erste Wahl, klar. Ich finde das aber eher abtörnend, so wie andere Bassisten das Spiel mit den Fingern schwierig finden. Die rechte Hand ist hauptsächlich verantwortlich für deinen Ton. Und ich habe lange gebraucht, bis ich meinen Ton gefunden hatte, so wie ich die Saiten zupfe, mit welchem Teil der Finger, in welchem Winkel und mit wie viel Kraft. Mit einem Plek finde ich das alles viel schwieriger zu kontrollieren. Außerdem fehlt mir da der Kontakt zum Instrument, da stehe ich überhaupt nicht drauf. Aber das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Wenn es vorrangig um Lautstärke und Energie geht, funktionieren Pleks sicherlich gut. Ich betrachte jedenfalls beides als wertige Möglichkeiten.
Was erwartest du im Zusammenspiel mit einem Schlagzeuger?
Sein Gefühl für Timing und Groove ist mir extrem wichtig. Mit Timing meine ich stabil zu spielen, nicht schneller oder langsamer zu werden. Mit Groove meine ich das Vermögen durch seine Umgehensweise mit dem Timing einen Groove zu erzeugen. Da die gleiche Sprache zu sprechen, ist mir wichtig. Wie nähert er sich einem Song? Wie spielt er zum Gesang? Ist er kreativ? Lässt er den Song atmen? Hat er ein Gespür dafür, wann er sich besser zurückhält? Man kann auch mal gar nichts spielen, wenn ein Song auch ohne Schlagzeug funktioniert und nur etwas Perkussion braucht. Ist er so erwachsen, all das zu erkennen? (lacht)
Und: Kann er auch leise spielen, aber mit solcher Intensität, dass es dir das Gehirn raushaut? Viele Schlagzeuger können einfach nicht leise spielen! Oder: kann er einen sehr langsamen Beat trotzdem grooven lassen? Das können die wenigsten. Und schließlich: Kann er improvisieren, einen Song loslassen und schauen, was passiert? Ich merke gerade – ich habe einige Ansprüche! (lacht)
(Bild: KORY MOROCCAN)
Das passt aber gut zu deinem eigenen Erfolgsrezept: Die Grundtöne präsent spielen und obendrauf Goldstaub streuen.
Ich kann nicht für mich selbst sprechen, aber ich hoffe, dass ich eine gute Balance gefunden habe und einen Weg, in dem beide Elemente meines Spiels den jeweiligen Job unterstützen. Es hängt natürlich immer davon ab, für wen du spielst. Aber generell musst du immer erst mal schauen, was ein Song braucht. Ein Anfänger dagegen denkt: Was will ich? Was will ich zeigen? Doch diese Mentalität musst du dir abgewöhnen. Es geht ausschließlich darum, was der Song verlangt!
Wie stehst du zum Verhältnis von erlerntem Timing und körperlichem Rhythmusgefühl?
Ich habe ein inneres Gefühl, auf das ich mich verlasse. Ich habe Timing nie erlernen müssen. Aber mein Intellekt, also das, was ich über Musik gelernt habe, hilft mir, mit dem Timing zu spielen, es zu variieren und bewusst einzusetzen. Denk etwa an polyrhythmische Songs und ungerade Taktmaße, die du intellektuell verstehen musst. Aber ich habe zum Glück nie Probleme damit. Mir erschließen sich solche Songs ganz natürlich. Ich fühle es einfach! Ich könnte sie dir erklären und ich würde es verstehen, wenn ich wollte. Aber ich fühle es lieber körperlich! (lacht)
Wie viel in deinem Spiel ist Technik, wie viel physische Kraft?
Mein Spiel hat wenig mit Stärke oder Kraft zu tun. Es ist zu 95 Prozent Technik. Viele Fans schreiben mir und meinen: Du musst Kraft in den Händen haben! Habe ich aber gar nicht. Ich weiß, wie ich mein Instrument spielen muss, aber das verlangt kaum Kraft. Die restlichen fünf Prozent sind eher Ausdauer, um eine Show durchzuhalten. Klar, es verlangt zu einem gewissen Teil auch Kraft, anderthalb Stunden auf der Bühne durchzuziehen. Aber das ist nur Training, als ob du ins Sportcenter gehst und läufst, bis du ein gewisses Level an Kondition erreicht hast. Nach einer längeren Pause muss ich mir auch wieder Ausdauer antrainieren.
Nochmal zurück zu ‚Love Remains‘ und dem zentralen Thema: „Die immerwährende Macht der Liebe oder zumindest das, was bleibt, wenn sie vergeht“. Hast du die Liebe gefunden?
Genau darum geht es: Die Liebe ist ja immer da! Wenn Menschen davon sprechen, sich verliebt zu haben, sollten sie sich bewusst machen, dass sie bereits vorher schon von Liebe umgeben waren. Liebe, die sie vielleicht nicht wahrgenommen haben. Warum projizieren wir die Liebe so gerne auf die Außenwelt, anstatt uns darauf zu konzentrieren, dass wir sie in uns tragen? Deswegen der Titel: Liebe ist immer da – felsenfest, unverrückbar, egal ob deine Beziehung nicht funktioniert hat und dein Herz gebrochen ist.
Vielen Dank fürs Gespräch!
discografie
Transformation (2007)
Love Remains (2019)
website
www.talwilkenfeld.com
(erschienen in Gitarre & Bass 06/2019)