Der 79-Jährige Steve Cropper ist Gründungsmitglied der legendären Blues Brothers Band, war Gitarrist von Booker T. & the M.G.‘s, der langjährigen Haus- und Studio-Band seiner Plattenfirma Stax Records und dort einer ihrer erfolgreichsten Songwriter, Produzenten und Gitarristen. Unter seiner Mitwirkung entstanden u.a. Welthits wie ‚Sittin’ On The Dock Of The Bay‘ von Otis Redding, ‚Soul Man‘ des amerikanischen Soul-Duos Sam & Dave oder ‚Midnight Hour‘ von Wilson Pickett. Darüber hinaus spielte Cropper mit den Beatles-Mitgliedern John Lennon und Ringo Starr und arbeitete mit Größen wie Jeff Beck, Rod Stewart, Tower Of Power oder John Cougar Mellencamp.
Seine neue Veröffentlichung heißt ‚Fire It Up‘ und besteht aus Songs, die vor etwa elf Jahren eigentlich für das Album ‚Midnight Flyer‘ des US-Singer/Songwriters Felix Cavaliere geschrieben und seinerzeit nicht verwendet wurden. Der damalige Produzent der Scheibe, Multiinstrumentalist Jon Tiven, hatte die nicht verwendeten Tracks archiviert und zunächst ein Jahr später den Versuch gestartet, sie möglichst zeitnah mit Paul Rodgers (Free, Bad Company, Queen) fertigzustellen – was aufgrund von Rodgers vermeintlichem Zeitmangel nicht, beziehungsweise nur bei einem Song (‚She’s So Fine‘), funktionierte.
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2020 nutzte er den weltweiten Lockdown dazu, um sie erneut hervorzukramen. Nach erster Sichtung der Bänder informierte Tiven seinen musikalischen Partner Cropper über das übriggebliebene Material und sorgte dafür, dass es schließlich mit ihm, Cropper, Sänger Roger C. Reale und Schlagzeuger Nioshi Jackson fertiggestellt wurde, ohne dass sich die Hauptprotagonisten jedoch persönlich zu Gesicht bekamen. Umso erstaunlicher, wie homogen, authentisch und lebendig das Album klingt, das natürlich eine Menge Fragen an den legendären Musiker Steve Cropper nach sich zieht.
Steve, jemand der für so viele große Hits wie du verantwortlich ist: Gibt es einen Ort oder einen bestimmten Zeitpunkt, an dem du besonders kreativ bist?
Nein, keinen spezifischen. Mir ist es völlig egal, wo ich mich gerade befinde, wenn der Funken überspringt, dann lege ich sofort los. Das kann auf der Bühne sein, oder in der Garderobe, im Studio oder zuhause. Ich denke, das kommt daher, dass ich nicht nur Musiker und Songschreiber, sondern auch Toningenieur und Produzent bin.
Ist das generell für dich ein großer Unterschied?
Na ja, was heißt „groß“? Als Songwriter verlege ich meine eigene Pipeline, während ich als Produzent versuche, die Löcher einer anderen Pipeline zu stopfen. Ich bin ein glücklicher Mensch, der sich freut, dass er beides machen kann und darf. Und wenn du mich jetzt fragst, was mir mehr Freude bereitet, das Komponieren oder das Produzieren, so kann ich nur antworten: eindeutig das Komponieren. Es ist der wunderbarste Moment im Leben eines Musikers, wenn er seine eigenen Songs im Radio hört.
Gibt es eine geheime Formel, mit der einem Komponisten Radionummern gelingen?
Nein, ich glaube nicht, dass es eine solche Formel gibt. Die Sachen, die ich gemeinsam mit meinem Freund Al Jackson bei Booker T. and The M.G.’s geschrieben habe, waren irgendwie alles gute Kompositionen mit einem großartigen Sound. Aber wer macht einen Song letztlich zum Hit? Natürlich das Publikum! Die Hörer entscheiden zwischen Top und Flop. Erst wenn die Fans sagen: „Bitte spielt das Stück noch einmal“, wird aus einem Lied eine Erfolgsnummer.
Und haben sich, deiner Meinung nach, die Kriterien dafür im Laufe der Jahre verändert?
Natürlich hat sich alles geändert. In den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern veröffentlichte man als Band einfach Singles. In einem Monat kam die eine auf den Markt, ein paar Monate später die zweite, danach die dritte, und so weiter. Und wenn man genug Singles veröffentlicht hatte, packte man sie alle zusammen auf ein Album und veröffentlichte es. Die Alben von Chuck Berry waren einfach nur eine Ansammlung seiner Singles plus zwei oder drei neue, bis dahin unbekannte Songs. Als wir bei Stax unter Vertrag standen, wussten wir nicht, welcher Song ein Hit werden könnte. Wir wussten nicht, welche Nummer ein Discjockey spielen würde, wir wussten nicht einmal, was die richtigen Stücke für ein Album sind. Und weißt du, was wir deshalb einfach gemacht haben?
Na?
Wir haben einfach die gleiche Energie in jeden Song gesteckt. So hatten wir uns nie etwas vorzuwerfen. Allerdings muss ich zugeben, dass Wilson Pickett und ich bei ‚Midnight Hour‘ schon früh ahnten, dass es ein Hit werden würde. Das gleiche gilt für ‚Knock On Wood‘, den ich 1966 mit Eddie Floyd verfasste. Und natürlich auch für ‚Dock Of The Bay‘, den ich mit Otis Redding geschrieben habe.
Musikgeschmack unterliegt ja auch Moden und Trends, oder?
Natürlich. Und als Produzent muss man darauf reagieren. Man nimmt Covernummern auf, man produziert brandneue Stücke, aber man weiß nie, welche am Ende besser bei den Leuten ankommen werden. Aber eigentlich ist das für einen Produzenten auch egal, denn man versucht natürlich sowieso, das Beste aus einer Band herauszuholen.
Als ich bei Stax war, habe ich zahllose Remixes von Songs gemacht, bei denen die Musiker mit dem Original eigentlich nichts zu tun hatten. Manchmal war das ein großer Spaß, mitunter aber auch kein besonders großer Genuss. Manche Songs wurden nicht bis zum Schluss konsequent und zielgerichtet fertiggestellt, um die empfindlichen Masterbänder nicht über Gebühr zu beanspruchen, sodass diese Stücke am Ende als Outtakes übrigblieben.
Und wenn man Glück hat, entdeckt man sie irgendwann wieder und denkt: „Hoppla, das eine oder andere Stück hat ja richtig Substanz!“ Aufgrund der veränderten Mode empfindet man Dinge plötzlich mit anderen Ohren. Wenn ich zuhause Musik höre und mal wieder so richtig ins Schwärmen gerate, sagt mein Sohn oft zu mir: „Sowas magst du? Das verstehe ich nicht!“ (lacht)
Dein Geschmack hat sich über die Jahre also nicht verändert?
Jedenfalls nicht so stark wie die Mode. Ich war immer ein Fan von richtigen Bands, und in den 1970ern waren Rockbands ja ganz groß in Mode. Danach kamen Hip Hop und Rap, was nicht meine Welt war, zumal es sich dann eher um Solokünstler anstatt um Bands handelte. Seit einigen Jahren steht dieser Bandgedanke wieder stärker im Vordergrund, und das gefällt mir natürlich. Denk nur einmal an die Blues Brothers. Wir hatten immer mächtig viel Spaß und wir hatten ein großes Publikum.
Wie viel Geist dieser Ära und dieser Bands steckt in deinem neuen Album ‚Fire It Up‘?
Nun, wie ich schon sagte: Erfreulicherweise ist die Ära der Bands wieder zurück. Die Songs für ‚Fire It Up‘ wurden eigentlich für ein gemeinsames Projekt mit Felix Cavaliere geschrieben, aber nie wirklich fertiggestellt. Dann rief mich plötzlich mein Freund Jon Tiven an und sagte: „Hey Steve, einige der Nummern für Felix sind außerordentlich gut.“
Ich antwortete: „Okay, wenn du dieser Meinung bist, dann lass sie uns fertigstellen.“ Also durchforsteten wir das Material und suchten die besten Stücke heraus. Jon hatte ein oder zwei Jahre zuvor mit Roger C. Reale gearbeitet und bat mich, ihm einige unserer Stücke schicken zu dürfen. Ich hatte natürlich nichts dagegen, und als mich Jon anrief und mir mitteilte, dass Roger dazu gesungen hätte, antwortete ich: „Okay, lass mal hören!“ Er schickte mir die Nummern und sie klangen wirklich super. Daraufhin verabredete ich mit Jon, die Songs komplett von Roger singen zu lassen und ein vollständiges Album daraus zu machen.
Kannst du bitte etwas zu deinen Gitarrenparts auf der Scheibe sagen? Als Außenstehender weiß man gar nicht so genau, wie man deinen Stil umschreiben sollte.
Ich denke wirklich, dass man mich mit keinem anderen Gitarristen vergleichen kann. Weißt du: Heutzutage wollen die Leute nur noch kopieren, wollen wie dieser oder jener Musiker klingen, anstatt ihren eigenen Stil zu entwickeln. Ich habe in meinem Leben die größten Musiker der Welt getroffen – nebenbei bemerkt: Sie alle sind völlig normale Menschen, wie du und ich – und gemerkt, dass keiner von ihnen unter Ego-Problemen leidet. Auch ich habe kein Ego. Egos sind etwas für Idioten.
Können wir kurz über deine Instrumente sprechen? Zum Beispiel über deine erste Gitarre. Man sagt, es sei eine Gibson ES-125 gewesen, die du von deinem Onkel geerbt hattest.
Richtig, es war eine ES-125 in Sunburst mit Trapeze-Tailpiece-Bridge, für die mein Onkel angeblich 50 Dollar bezahlt hatte. Sie steht heute im Rock And Roll Hall Of Fame Museum in Cleveland. Eigentlich waren meine Hände zu groß für die ES-125, denn man durfte sie nicht allzu hart greifen, sonst veränderte sich sofort die Stimmung. Deshalb wechselte ich relativ schnell zu einer Fender Telecaster, die zwei Pickups besaß, und ging mit ihr erstmals im Marquee auf die Bühne.
Eigentlich war mein kleiner Fender-Harvard-Amp für die Tele nicht laut genug, deshalb legte ich mir einen Fender Super Reverb zu. Ich besaß damals auch eine alte Gibson Les Paul, und beispielsweise auf ‚Dock Of The Bay‘ habe ich eine Fender Esquire gespielt. Die Esquire war in Candy Apple Red, was mir aber nicht gefiel, also ging ich in die Garage meiner Eltern und lackierte die Gitarre in Lila. Ich war mir zuerst nicht sicher, ob mir die neue Farbe wirklich gefällt, aber meine Freunde meinten: „Sieht super aus, du solltest es auf keinen Fall wieder ändern!“ Übrigens kaufte ich mir für die Aufnahmen zu ‚Dock Of The Bay‘ meinen alten Fender-Harvard-Amp zurück.
Tele spielst du auch heute noch, aber – wenn ich es richtig gelesen habe – eine Kopie von Peavey.
Auch das ist richtig. Der Peavey Custom Shop hat mir eine exzellente Kopie angefertigt, sie haben mir tolle Nachbauten meiner beiden wichtigsten Teles geschickt. Ich habe von Jim DeCola, der jetzt für Fender arbeitet, den Prototypen bekommen, den Vorläufer der Cropper Classic. Die Peavey sieht noch etwas schnittiger aus als eine Original-Tele. Wenn ich gefragt werde, weshalb ich lieber die Kopie als das Original spiele, antworte ich: „Wenn du erst einmal in einem Ferrari gesessen hast, willst du auch nicht wieder zurück in einen Chevrolet.“
Wie hältst du es mit Effektpedalen?
Ich habe ein paar Male Fußpedale ausprobiert, konnte mich aber nicht so richtig mit ihnen anfreunden. Ich mag Echo-Effekte, ich mag Slapbacks, und ich mag das MXR-Distortion-Pedal. Manche Effekte habe ich von Billy Gibbons geschenkt bekommen. Von Joe Walsh bekam ich einen Pignose-Amp, den ich auch einige Male gespielt habe. Das Gute an ihm ist: Er ist nicht zu laut, man kann ihn also auch in kleinen Räumen spielen. Ich weiß gar nicht, ob diese Dinger überhaupt noch gebaut werden. Und bei Booker T. & the M.G.’s hatte ich ein kleines Tremolo-Gerät, das sich Tremulator nennt und das ich von Dave Edmunds geschenkt bekommen und auch auf der Tour mit den Blues Brothers eingesetzt habe.
Sammelst du Instrumente, Verstärker, oder Ähnliches?
Nein. Das Einzige, was ich sammle, sind Kapodaster. Ich bin generell ein Traditionalist, mag Kabel und kein WiFi. Natürlich gibt es im Studio heutzutage modernste Technik, die ich auch gerne nutze, aber nur, weil mein Toningenieur, der schon für ZZ Top und Billy Gibbons gearbeitet hat, ein absoluter Experte dieser Geräte ist. Apropos Billy: Ich spiele die gleichen Saitensätze wie er, also .007 auf .038. Das überrascht viele Leute immer wieder, ist aber der Grund für dieses wunderbare Vibrato.